Ein Dienstagabend im Mai. Die zwei Zürcher Anwälte Bernard Rambert und Philip Stolkin referieren im Hörsaal KOL-F-117 der Universität Zürich über den Fall Brian und das Thema Willkür und Repression im Strafvollzug. Das Interesse ist gross, obwohl eigentlich Feierabend wäre: Rund 50 Anwesende verfolgen die Ausführungen der beiden erfahrenen Strafrechtler.
Organisiert wurde der Anlass von einer Gruppe mit dem Namen Kritische Jurist*innen Zürich (Krijur). Eine Vertreterin ruft die Anwesenden eingangs zur Mitarbeit auf: «Wenn ihr euch für mehr interessiert als die nächsten Prüfungen, zum Beispiel die Machtverhältnisse oder die Legitimität des Rechtssystems, seid ihr bei uns richtig.» Man treffe sich ungefähr einmal im Monat und wolle nach pandemiebedingter Absenz wieder vermehrt Veranstaltungen organisieren. Demnächst könnte zum Beispiel eine zum Thema Asylrecht über die Bühne gehen. «Die Gruppe bietet mir die Möglichkeit, mich mit juristischen Themen auseinanderzusetzen, die in den Vorlesungen nicht oder kaum behandelt werden – und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Recht nicht einfach eine wertungsfreie, sondern eine politische Materie ist», sagt Krijur-Mitglied Samuel Wenk.
Krijur-Sektionen auch in Basel, Bern und Freiburg
Dass sich machtkritische, politisch meist links stehende Jus-Studenten an den Universitäten zusammenschliessen, ist kein neues Phänomen. In den 70er-Jahren entstand in Zürich die Gruppe der Kritischen Jus-Studenten (KJS). Sie hinterfragten den universitären Betrieb, organisierten Veranstaltungen und nahmen an Demonstrationen teil. Offiziell aufgelöst haben sich die KJS nie. Die Aktiven schlossen ihr Studium ab – und es fehlte an Nachwuchs.
Zu Beginn der Zehnerjahre des neuen Jahrtausends betraten dann die Krijur die Bühne. In Deutschland entstanden zu dieser Zeit an verschiedenen Universitäten sehr aktive Gruppen. «Wir wollten so etwas auch in Zürich auf die Beine stellen», sagt Franziska Keller, die von der ersten Stunde an dabei war und heute für die Ombudsstelle der Stadt Zürich arbeitet.
Anfangs war die Gruppe nur gerade zu fünft. Man besprach in erster Linie Bundesgerichtsentscheide. Schon bald folgte daneben die Organisation von Veranstaltungen. Dabei standen die Krijur in engem Austausch mit der Studentenorganisation Kripo, die sich als Sammelbecken linker Ausrichtungen und Bewegungen an den Zürcher Hochschulen versteht. Personelle Überschneidungen gab und gibt es auch zu den Demokratischen Juristinnen und Juristen Zürich (DJZ).
Die Krijur sind im offiziellen Verzeichnis der studentischen Organisationen der Universität Zürich geführt. Sektionen gibt es auch in Basel, Bern und Freiburg. Meist waren es einstige Zürcher Krijur-Mitglieder, die im Laufe ihres Studiums auch andere Universitäten besuchten und dort Gruppen mitgründeten, erinnert sich Franziska Keller.
Die Krijur sind auch auf Social Media präsent. Dem Instagram-Kanal der Zürcher Krijur folgen zurzeit 117 Personen, auf Facebook sind es 476 Follower. Aktiv sind laut Mitglied Samuel Wenk aber nur rund 20 Leute.
Durch Veranstaltungen wie im Mai und prominente Gäste wie Bernard Rambert und Philip Stolkin erhoffen sich die Krijur Auftrieb. Auf jeden Fall dürften solche Anlässe das kritische Bewusstsein des jungen Publikums schärfen. Was den Fall Brian anbelangt, stellte Rechtsanwalt Stolkin an der Veranstaltung klar, dass gerade auf nationaler Ebene verankerte Grundrechte oft toter Buchstabe seien. «In diesem Fall ist nicht entscheidend, was im Gesetz steht – sondern das, was im ‹Blick› geschrieben wird.» Den Anwesenden gibt er mit einem Augenzwinkern auf den Weg: «Lernt den Uni-Stoff auswendig – und vergesst ihn dann am besten gleich wieder. Das läuft nämlich auch in der Justiz so.»