Strafrechtsprofessor mit Nebenjobs», so hat sich Mark Pieth selbst einmal bezeichnet. Über diese Nebenjobs hat der 66-jährige Bündner der Finanz- und Wirtschaftswelt seinen Stempel aufgedrückt: Das Ergebnis seiner über drei Jahrzehnte langen Arbeit in diversen internationalen Gremien sind Gesetze gegen Geldwäscherei, organisiertes Verbrechen, Drogenmissbrauch, Korruption – und eine riesige Compliance-Industrie. «Heute muss jedes Unternehmen einen Compliance-Officer haben», sagt Pieth lachend. «Ich sage nicht, dass das besonders effektiv ist. Aber die Unternehmen haben Angst, dass sie erwischt werden. Wenn das der Fall ist, müssen sie hohe Bussen zahlen.»
Angesprochen auf die Konzernverantwortungsinitiative, vergeht Pieth das Lachen. Er verstehe die Panik der Unternehmen nicht. «Ich hätte Verständnis für die Aufregung der Konzerne, wenn Personen ins Gefängnis müssten.» Bei der Initiative gehe es aber darum, wer dafür bezahlt, wenn ein Schaden entsteht. Die jüngere Vergangenheit habe gezeigt, wie sehr Verhaltensweisen von Unternehmen die Menschenrechte verletzen können. Pieth nennt als Beispiel das Leck in einem Insektizidtank im indischen Bhopal, wegen dem über 20 000 Personen getötet wurden. «Die US-Firma Union Carbide hat bis heute keinen Schadenersatz gezahlt. Was soll das eigentlich?»
Anwälte immer wieder in Geldwäscherei verwickelt
Ehrlichkeit ist für Pieth wichtiger als Freundlichkeit. Will er freundlich sein, sagt er: «Die Schweiz ist ein sehr liberales Land.» Ist er ehrlich, sagt er: «Die Schweiz ist ein Piratenhafen. Noch immer!» Es gebe praktisch keinen grösseren Fall von Korruption oder Wirtschaftskriminalität, bei dem nicht früher oder später die Schweiz auftauche – Schweizer Banken, Schweizer Unternehmen, Schweizer Konten, Schweizer Anwälte.
Bei der Geldwäscherei sei heute vor allem die Anwaltschaft das Sorgenkind. Als 2016 ein internationales Konsortium von Journalisten die «Panama Papers» veröffentlichte und bekannt wurde, wie Anwaltskanzleien einigen «der grössten Schurken der Welt» bei Geldwäscherei, Korruption und Steuerhinterziehung halfen, hätten zwar alle auf die in Panama ansässige Anwaltskanzlei Mossack Fonseca geschaut. Das wahre Zentrum solcher Machenschaften sei jedoch die Schweiz: «Es waren vor allem Anwälte in Genf und Zürich, die solche Briefkastenfirmen gleich selbst konzipierten oder in Panama kauften.»
Klartext redet Pieth auch, wenn es um Korruption innerhalb der Uno geht. «Es wird viel manipuliert. Das ist in der Uno gang und gäbe.» Jeder stecke dem anderen das Messer in den Rücken. «Ähnlich wie bei der Fifa, nur dass es hier um Länder geht.» Im Sicherheitsrat würden Abmachungen getroffen, welche Firma an der Ausschreibung vorbei einen Job erhalte. Pieth muss es wissen. Ein Beispiel: Im Zusammenhang mit der Fifa habe er einen kritischen Bericht geschrieben und dem Uno-Sicherheitsrat sowie der Generalversammlung übergeben. «Der Bericht wurde entgegengenommen und gleich in den Kübel geworfen», sagt Pieth ohne jegliche Gefühlsregung. Bei der Fifa, die er reformieren wollte, erlebte er dasselbe: «Der Präsident nahm den Bericht entgegen, setzte minime Teile durch, um gleich danach die Mehrheit des Personals gegen Freunde und inkompetente Leute auszutauschen. Damit torpedierte er die ganze Reform.»
Wie geht Pieth mit solchen Enttäuschungen um? «Ich stehe darüber. Nach jahrelanger Praxis in solchen Bereichen war ich auch nicht wirklich überrascht.»
Der Professor weist auch auf zukünftige Herausforderungen hin – zum Beispiel die elektronischen Währungen. «In einem regulierten Umfeld ist der Bitcoin für illegale Zwecke ungeeigneter als traditionelle Währungen, da sämtliche Transaktionen im Internet frei eingesehen werden können und die Identitäten der Benutzer registriert sind», so Pieth. An vielen Finanzplätzen oder bei Bargeld sei dies bei weitem nicht der Fall. «Problematisch sind unregulierte Tauschbörsen und Handelsplätze wie die berüchtigte Silk Road, wo Bitcoin und andere virtuelle Währungen für illegale Geschäfte und Transaktionen jeder Art genützt werden.»
Breite publizistische Tätigkeit
Pieth arbeitet noch bis Ende des nächsten Jahres an der Uni Basel, dann wird er pensioniert. Doch in Rente wird er nicht gehen: Seit Frühling 2017 ist er Mitglied des Vetting Panel beim Weltleichtathletikverband IAAF. Zu seiner Funktion sagt er: «Ich wähle aus, wer beim Verband Funktionär sein darf. Keine leichte Aufgabe – beispielsweise wird dem Vizepräsidenten Sergej Bubka aus der Ukraine Korruption vorgeworfen.»
Zudem möchte er weitere Bücher und Artikel schreiben. Pieth schreibt stets von Hand. Meistens unterwegs im Flugzeug, in der Bahn oder in einem Boot irgendwo auf dem Meer. Auch sein neustes Buch ist so entstanden. Es trägt den Titel «Goldwäsche – die schmutzigen Geheimnisse des Goldhandels». Er hat dafür gründlich recherchiert, «bis hin zum dreckigsten Ort der Welt, der Goldminenstadt La Rinconada in Peru». Pieth beschreibt, welch enorme Probleme mit der Goldgewinnung verbunden sind: «Umweltzerstörung, Zwangsarbeit, Menschenhandel, Vertreibung, kriminelle Organisationen, Potentatengelder und Geldwäscherei.»
Bereits in jungen Jahren hatte der Jurist den Riecher für interessante Themen: Seine Doktorarbeit trug den Titel «Schweizer Strafprozess und Inquisition». Die Kirche verlieh ihm damals einen Preis, weil er «so sauber» aufgezeigt habe, wie nahe die schweizerische Strafprozessordnung der Inquisition sei. Pieth muss lachen, wenn man ihn darauf anspricht. Dann packt er seine Koffer und muss los: «Spanien! Drei Monate! Vormittags schreiben, nachmittags auf dem Kanu an der Costa Brava paddeln.» Seine Frau, ebenfalls Strafrechtlerin, wartet bereits.