plädoyer: Untersuchungshaft kann in der Schweiz tödlich sein. In den letzten Jahren setzten durchschnittlich fünf U-Häftlinge ihrem Leben ein Ende. Dieses Jahr sind es allein im Kanton Zürich schon vier. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Haftbedingungen und den Suiziden?
Hans-Jürg Käser: Es ist klar, dass sich für Leute, die erstmals in Untersuchungshaft kommen, die Lebenbedingungen radikal ändern. Ich bin auch überzeugt, dass es sich auf die Psyche auswirkt, wenn man pro Tag 23 Stunden in einer Zelle sitzt und nur eine Stunde Hofgang hat. Das kann dazu führen, dass Leute verzweifeln.
Thomas Heeb: Es gibt zwei problematische Phasen: Den Haftschock der ersten paar Tage sowie den Zermürbungsprozess durch die lange Dauer der U-Haft. In der zweiten Phase können Depressionen entstehen, die Ursache für einen Suizid sind. Ein Aspekt, der häufig unterschätzt wird: Die Dauer der Haft ist für die Beschuldigten nicht absehbar. Die Betroffenen wissen nie, wie lange sie noch bleiben müssen. Viele Strafverfolger handhaben dies bewusst so, damit die Haft als möglichst unangenehm empfunden wird.
Käser: Ich denke auch, dass die Ungewissheit der Haftdauer dazu führen kann, dass ein Untersuchungshäftling Suizid begeht. Die Ungewissheit hat auf einen Menschen in einer solchen Situation selbstverständlich einen Einfluss.
plädoyer: Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) kritisiert die Haftbedingungen in U-Haft in einigen Kantonen. Auch der Uno-Ausschuss zur Verhütung von Folter schätzt die Bedingungen in U-Haft in gewissen Kantonen als unhaltbar ein. Herr Käser, sehen Sie als Präsident der Justiz- und Polizeidirektionen Handlungsbedarf?
Käser: Ich stelle immer wieder fest: Der Straf- und Massnahmenvollzug als Ganzes hat keine Lobby. Ein Kritikpunkt betrifft die zu kleinen Zellen. Dies trifft zu. Diese Zellen sind in einer Zeit entstanden, als andere Normen galten. Aber jedes Mal, wenn wir ein Projekt für den Um- oder Neubau eines Gefängnisses haben, ist es schon in der Regierung schwierig, einen Konsens zu finden, da das hohe Kosten mit sich bringt. Erst recht spielt im Parlament die Kostenfrage eine wichtige Rolle.
plädoyer: Fühlt sich keine Partei verpflichtet, für die Inhaftierten menschenwürdige Bedingungen zu schaffen?
Käser: Nein. Alle sind der Auffassung, dass es so recht ist, wie es ist. Schliesslich seien dies Verbrecher.
plädoyer: In U-Haft sitzen keine Verbrecher, sondern Beschuldigte. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.
Käser: Mir ist klar, dass die Unschuldsvermutung gilt. Das muss auch so sein. Es ist aber einfach politisch schwierig, die Untersuchungsgefängnisse nach den Vorstellungen der NKFV auszurüsten, da dies mit Kostenfolgen verbunden ist.
Heeb: Es gibt ein grundsätzliches Missverständnis im ganzen Haftvollzug. Nämlich dass man sich an Regeln wie dem Folterverbot oder dem Verbot unmenschlicher Behandlung orientiert. Alle relevanten Rechtsquellen sagen etwas anderes: Die Untersuchungshaft müsste sich an den Lebensbedingungen in Freiheit orientieren. Jede Einschränkung dieser Freiheit müsste konkret und im Einzelfall begründet werden. In den kantonalen Regelungen, die ich überblicke, ist der Vollzug der Untersuchungshaft weitgehend analog dem Vollzug von Freiheitsstrafen und meist im gleichen Gesetz geregelt. Dies ist komplett falsch. Es bräuchte einen Paradigmenwechsel: Es sollte nicht der Normalfall sein, dass der Staat vermutungsweise Unschuldige in ein Gefängnis sperrt und sie wie Verbrecher behandelt.
plädoyer: Die Untersuchungshaft ist aber eine Haft, also ein Freiheitsentzug. Ist das gesetzlich nicht so gewollt?
Heeb: Wenn es einen konkreten Grund dafür gibt, dass zum Beispiel die Bewegungsfreiheit einer Person eingeschränkt werden muss, sollte eine Lösung gesucht werden, die ihre sonstigen Freiheiten möglichst wenig einschränkt. Das betrifft auch die Bedingungen in der Zelle, die Bewegungsmöglichkeiten im Gefängnis oder Kontakte nach aussen.
plädoyer: Im Kanton Zürich dürfen Untersuchungshäftlinge nicht einmal mit ihrem Anwalt telefonieren – im Gegensatz zu Bern.
Heeb: Ja, genau. Für Zürcher Anwälte ist es immer erstaunlich, wenn sie von einem Häftling aus einem andern Kanton angerufen werden. Die Zürcher Praxis ist absurd. Da werden Leute wegen Fluchtgefahr eingesperrt und dann dürfen sie nicht einmal mit ihrem Rechtsanwalt telefonieren. Wir sehen hier das Grundsatzproblem: Es wird gar nicht darüber nachgedacht, was der eigentliche Zweck der Untersuchungshaft ist. Ein erster Schritt wäre, ein separates Gesetz für die Untersuchungshaft zu schaffen und dabei zu berücksichtigen, dass diese keine Strafe sein darf.
Käser: Jede Gesellschaft hat die Gefängnisse, die politisch mehrheitsfähig sind. Ich habe den Eindruck, dass die Leute in der Untersuchungshaft nach schweizerischen Normen menschlich behandelt werden. Wenn man daran denkt, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen, muss man diesen politisch mehrheitsfähig machen.
Heeb: Der Kanton Zürich schneidet nicht nur beim Kontakt mit Anwälten, sondern auch bei der Besuchsregelung schlecht ab. Besuche von Angehörigen finden in Zürich konsequent nur hinter Trennscheiben statt. Auch wenn Kinder dabei sind. Nur die Anwälte dürfen dem Klienten die Hand schütteln. In der Westschweiz hingegen besteht offenbar teilweise das System des Gruppenvollzugs. In der Waadt gibt es sogar eine Regelung, dass unter gewissen Umständen für U-Häftlinge begleiteter Ausgang möglich ist.
Käser: Den Gruppenvollzug gibt es bei uns im Kanton Bern in Untersuchungshaft auch.
plädoyer: Das heisst also, im besten Fall ist die Untersuchungshaft so ausgestaltet wie der Strafvollzug, im häufigeren Fall aber schlimmer?
Heeb: Ja, faktisch ist die Untersuchungshaft viel härter als der Strafvollzug. Man ist vielfach 23 Stunden täglich in einer Einzelzelle eingeschlossen, weil man mangels Angebot häufig nicht arbeiten kann. Wenn man in einer mehrfach belegten Zelle untergebracht ist, hat man keine Privatsphäre. Im Gegensatz zum Strafvollzug weiss man nicht, was mit einem passiert.
Käser: Bei uns gibt es beschränkte Arbeitsmöglichkeiten. Im Regionalgefängnis Burgdorf ist es uns gelungen, gute Arbeiten für die Gefangenen zu beschaffen. Es müsste eine politische Vorgabe sein, in allen Untersuchungsgefängnissen Arbeit anzubieten. Wenn Häftlinge in der Untersuchungshaft noch als unschuldig gelten, sollten sie sich in diesem Gefängnis bewegen und Arbeiten verrichten können.
plädoyer: Weshalb gibt es nicht unterschiedliche Gefängnisse für Untersuchungshäftlinge und Verurteilte?
Käser: Ich bin jetzt im zehnten Jahr Justizdirektor und habe diese Forderung noch nie von jemandem mit Kraft vorgetragen gehört. Die Strafanstalten und die Untersuchungsgefängnisse stammen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrtausends. Das ist einer der Gründe, weshalb wir zu wenige und auch baulich zu kleine Anstalten haben. Wenn man den erwähnten Paradigmenwechsel will, hat dies unter anderem bauliche Konsequenzen. Aber nicht nur bauliche, sondern auch personelle.
Ich stimme mit Herrn Heeb überein, dass heute Untersuchungshäftlinge ähnlich behandelt werden wie Verurteilte. Das ist in der Personalknappheit begründet. Und dies wiederum hat mit Geld zu tun. Ich persönlich habe für mehr Personal in unseren Untersuchungsgefängnissen gekämpft.
plädoyer: Die Gesundheit der Untersuchungshäftlinge ist schlecht, die Suizide sind nur die Spitze des Eisbergs. Hätte der Staat nicht eine Fürsorgepflicht für Menschen, die er inhaftiert?
Käser: Das sehe ich nicht ganz so. Der Staat muss nicht dafür sorgen, dass es den Untersuchungsgefangenen so gut wie möglich geht. Er muss einfach dafür schauen, dass sie in der U-Haft anständig behandelt werden und Aussenkontakte wahrnehmen können, insbesondere zu ihren Anwälten und zu ihrem privaten Umfeld. Dazu gibt es Besuchsmöglichkeiten.
Heeb: Es gibt selbstverständlich eine Fürsorgepflicht des Staats. Sie ergibt sich aus den verschiedensten Normen – so der europäischen Menschenrechtskonvention, der Bundesverfassung und dem Uno-Pakt II, die dem Staat den Auftrag geben, das Leben und die Freiheit seiner Bürger zu schützen. Wenn der Staat systematisch Freiheitsrechte ohne Not beeinträchtigt, ist das eine Verletzung dieser Pflicht.
plädoyer: Die Einhaltung der Menschenrechte scheint in der reichen Schweiz am Geld zu scheitern. Beziehungsweise daran, dass Politiker das Geld lieber für anderes ausgeben, wie Herr Käser angedeutet hat.
Heeb: Ja, dabei gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, um Geld zu sparen. So zum Beispiel mit dem «Electronic Monitoring», das noch fast nirgends eingeführt ist. Es wäre günstiger, fluchtgefährliche Leute mit einem kleinen Gerät am Bein auszurüsten, als Gefängnisse zu bauen. Es kostet auch nicht unbedingt etwas, innerhalb der Anstalten die Lebensbedingungen zu verbessern. In der Ausschaffungshaft führte man zum Beispiel den Gruppenvollzug ein. Inhaftierte müssen so nicht 23 Stunden pro Tag isoliert in einer engen Zelle verbringen, sie können sich während des Tages in einigen Räumen frei bewegen. Am meisten sparen könnte man aber, wenn man die Haft nur anordnen würde, wenn es das Gesetz tatsächlich vorsieht. Das heisst, dass man jemanden nur dann in Untersuchungshaft nehmen würde, wenn es nicht anders geht. Das wäre die Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips.
plädoyer: Sind heute zu viele Menschen unnötig in Untersuchungshaft?
Heeb: Ja. Die Zahl der Inhaftierten ist viel zu hoch, da die Untersuchungshaft missbraucht wird. Sie wird in vielen Fällen nicht zur Sicherung des Haftzwecks angeordnet – wie Verhinderung der Flucht oder von Absprachen mit Beschuldigten –, sondern zur Erreichung eines anderen Ziels. Zum Beispiel dazu, ein Geständnis zu erreichen oder vorzeitig zu bestrafen.
Ein Staatsanwalt hat mir einmal gesagt: «Ihr Klient muss jetzt einfach in Haft, weil es ihm gut tut.» Das ist kein gesetzlicher Haftzweck. Es gibt meiner Meinung nach in der Schweiz bei den Staatsanwälten und Gerichten keine ernsthafte Reflexion mehr über den Sinn und Zweck der Untersuchungshaft.
Käser: Das kann ich nachvollziehen. Es ist aber ein Vorwurf an die Justiz. Wir müssen einfach durchführen, was die Justiz anordnet. Wenn Staatsanwälte solche Aussagen machen, wie sie Herr Heeb erwähnt hat, finde ich das auch problematisch. Es ist jedoch nicht an mir, der Justiz zu sagen, wie sie sich verhalten muss.
Heeb: Für mich stellt sich die Frage, was an Freiheitsentzug zwingend notwendig ist. Ich sage nicht, man müsse die Untersuchungshaft grundsätzlich abschaffen. Ich frage mich aber, ob es nötig ist, so viele Leute einfach in ein Gefängnis zu stecken. Bestünde nicht die Möglichkeit, mit Ersatzmassnahmen grosszügiger umzugehen oder wenigstens die Gefängnisse so auszugestalten, dass sie nicht einer Strafvollzugsanstalt gleichen? Oder könnte man diesen Leuten nicht erlauben, Aussenkontakte zu pflegen, damit sie ihre Stellen behalten können?
Nehmen wir einen klassischen Fall: Ein Mann wird wegen des Verdachts auf häusliche Gewalt inhaftiert. Bis die Einvernahme der Geschädigten in Gegenwart des Beschuldigten durchgeführt wird, vergehen einige Wochen. In dieser Zeit verliert der Mann seine Arbeitsstelle. In einem anderen, identischen Fall gibt es einfach ein Rayonverbot, das auch genügt. Ob das eine oder andere angeordnet wird, ist reine Glückssache und völlig willkürlich. Die Untersuchungshaft kostet viel, ist ein erheblicher Eingriff in die Rechte des Einzelnen, richtet grossen Schaden an und wird zu leichtfertig angeordnet.
plädoyer: In U-Haft werden alle gleich behandelt – ob beim Verdacht auf Autodiebstahl oder ein Tötungsdelikt. Ist das kein Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip?
Heeb: Doch, und man behandelt nicht nur alle gleich, sondern man behandelt alle wie hochgefährliche Leute. Das zeigt sich beispielsweise auch bei den Gefangenentransporten. Im Kanton Zürich finden diese in aller Regel so statt, dass jemand im Kastenwagen in eine kleine Kabine eingesperrt wird, meist mit zusammengebundenen Händen. Er sieht nicht aus dem Fahrzeug und sitzt quer zur Fahrtrichtung. Er ist nicht angegurtet und kann sich nicht schützen, wenn das Auto eine überraschende Lenkbewegung macht. Das ist meines Erachtens hochgefährlich und keineswegs notwendig. Man begründet dies damit, dass es zu wenig Personal gebe. Ich glaube eher, man versucht damit auch, die Betroffenen zu zermürben. Kurz: Der Staat transportiert Menschen schlimmer als Tiere. Diese Gleichgültigkeit grenzt an Zynismus. Dann noch von Unschuldsvermutung zu sprechen, erscheint wie blanker Hohn.
Käser: Es ist nicht zu bestreiten, dass bei Gefangenentransporten nicht unterschieden wird, ob jemand in der Untersuchungshaft oder im Vollzug ist. Möglicherweise ist es ein Mangel, dass wir diese Leute nicht individuell behandeln. Das sollten wir überprüfen.
plädoyer: Haben die Justizdirektoren dem Bund schon einmal den Vorschlag gemacht, er solle die Zuständigkeit für die Untersuchungshaft übernehmen? Dann hätte man immerhin einheitliche Normen im Land.
Käser: In den letzten zehn Jahren meines Wissens nicht. Aber ich wäre offen, die Idee zu prüfen.
plädoyer: Wurde innerhalb des Gremiums der kantonalen Polizei- und Justizdirektoren schon einmal diskutiert, die Haftbedingungen in den Untersuchungsgefängnissen zu harmonisieren und zu verbessern?
Käser: Solche Diskussionen finden statt, aber vor allem auf der Fachebene. Das ist auch richtig. Ich bin absolut dafür, dass man in der Schweiz möglichst einheitliche Bedingungen anbietet. Ich bin auch der Überzeugung, dass man in den letzten Jahren Verschiedenes angepasst oder angeglichen hat. Vor allem beim Strafvollzug – aber auch bei der Untersuchungshaft – gibt es gewisse Fortschritte. Ich bestreite nicht, dass hier Handlungsbedarf besteht.
plädoyer: Haben die Strafverteidiger in den letzten Jahren jemals bessere Haftbedingungen gefordert? Oder ist dies bei ihnen kein Thema?
Heeb: Verteidiger sind meistens Einzelkämpfer. Es wird anhand einzelner Fälle um bessere Haftbedingungen gekämpft. Einiges wurde auch erreicht. Vor dreissig Jahren konnte man via Bundesgericht gewisse Fortschritte erzielen, seither ist wenig passiert. Die Feststellung ist richtig, dass es zu wenig politischen Druck gibt.
plädoyer: Hat ein Verteidiger Aussicht auf Erfolg, wenn er bessere Untersuchungshaftbedingungen für seinen Klienten herausholen will?
Heeb: Meiner Erfahrung nach überhaupt nicht. In der Regel kommt das Nein schon von der Gefängnisdirektion mit dem Hinweis, man könne die Leute nicht unterschiedlich behandeln. Dabei müsste man unbedingt eine individuelle Behandlung der Inhaftierten einführen. Und man müsste dies auch so kommunizieren: Für jeden gelten die Haftbedingungen, die seinen Haftgründen entsprechend notwendig sind. Dass eine Person, die sich wegen Kollusionsgefahr in Haft befindet, andere Aussenkontakte hat als eine Person, die sich wegen Fluchtgefahr in Haft befindet, müsste selbstverständlich sein. Dass jemand, der nicht fluchtgefährdet ist, mit einer Begleitperson ein paar Sachen in seiner Wohnung holt, sollte möglich sein.
Käser: Man geht davon aus, dass jeder fluchtgefährdet ist. Jeder, der eingesperrt ist, will hinaus. Ich habe noch nie einen in Untersuchungshaft angetroffen, der drinnen bliebe, wenn man die Türe öffnen würde.
plädoyer: Was sind die dringendsten Forderungen der Strafverteidiger? Fordern Sie eine Änderung der Strafprozessordnung?
Heeb: Ja. In der Schweiz gilt die Regel, dass die Untersuchungshaft nicht länger dauern darf als die zu erwartende Freiheitsstrafe. Diese Praxis wurde entwickelt, weil sich Gerichte von der Haftdauer beeinflussen lassen. Fakt ist auch heute noch: Bei genau gleicher Beweislage wird die Verurteilung wahrscheinlicher und eine Strafe regelmässig schärfer, je länger sich eine Person in Haft befindet. Der Staatsanwalt erhöht also seine Prozesschancen, indem er jemanden nicht aus der Haft entlässt. Das ist etwas Fatales.
In Österreich gibt es zur Verhinderung überlanger Haft die interessante Regelung, dass beim Haftgrund der Kollusionsgefahr die Haft nicht länger als zwei Monate dauern darf. Die Überlegung dahinter: Innerhalb dieser Zeit kann man alle notwendigen Beweise abnehmen. Ein solcher Ansatz wäre meiner Meinung nach effizient. Es würde zur Beschleunigung des Verfahrens führen und zu viel kürzerer Untersuchungshaft.
plädoyer: Gäbe es auch schon Verbesserungsmöglichkeiten bei der Anordnung der Untersuchungshaft?
Heeb: Ja. Ich beobachte, dass die Zwangsmassnahmengerichte ihre Verantwortung häufig nicht wahrnehmen. Es findet nämlich keine kritische Prüfung der Haftgründe statt. Das hat auch damit zu tun, dass das Gericht sich davor scheut, dem Staatsanwalt dreinzureden, selbst wenn der Haftantrag schlecht begründet ist. Die Gerichte denken sich, der Staatsanwalt werde schon gute Gründe für die Untersuchungshaft haben. Gleichzeitig sagen die Staatsanwälte, sie würden ja nur den Antrag stellen, schliesslich entscheide das Gericht. Das ist eine Situation, in der faktisch niemand die Verantwortung für die Inhaftierung übernimmt. Hilfreich wäre, wenn die Staatsanwälte ihre Haftanträge persönlich in einem mündlichen Verfahren vor Zwangsmassnahmengericht begründen müssten und die Zwangsmassnahmengerichte diese Verfahren nicht als Massengeschäfte mit so wenig Aufwand wie möglich erledigen würden.
plädoyer: Für die Haftbedingungen ist heute weder das Zwangsmassnahmengericht noch die Staatsanwaltschaft zuständig, sondern die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons. Ein System der kollektiven Verantwortungslosigkeit?
Heeb: Meines Erachtens müsste der Staatsanwalt in jedem konkreten Einzelfall die Haftbedingungen individuell formulieren. Er müsste begründet sagen, welche Bewegungsfreiheit und welche Aussenkontakte einer inhaftierten Person verweigert werden. Damit stünde die Haftsituation in einem Zusammenhang mit den Haftgründen. Das ist das Entscheidende.
Käser: Damit hätte ich kein Problem. Heute müssen wir einfach in den gegebenen Strukturen funktionieren. Immerhin haben wir für die ganze Schweiz heute eine einheitliche Strafprozessordnung. Das ist schon ein Fortschritt.
Hans-Jürg Käser, 66, ist Regierungspräsident des Kantons Bern und Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). Ausserdem ist er Präsident des Strafvollzugskonkordates der Nordwest- und Innerschweiz.
Thomas Heeb, 41, ist seit 2004 als selbständiger Rechtsanwalt in Zürich mit Schwerpunkt Strafrecht tätig. Er ist
Vorstandsmitglied der Demokratischen Juristinnen und Juristen Zürich und des Vereins Pikett Strafverteidigung.