plädoyer: Laut Bundesverfassung sollte sich die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen richten. Beim Eigenmietwert besteuert der Staat fiktives Einkommen. Ist das nicht verfassungswidrig?
Carlo Sommaruga: Die Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ist ein essenzielles Grundprinzip unserer Verfassung und sorgt für Sozialgerechtigkeit. Es ist durchaus gerechtfertigt, den Eigenmietwert zu besteuern. Die Rendite auf Vermögen wird auch besteuert, so etwa die Zinsen auf dem Bankkonto oder Dividenden von Aktien. Wer ein eigenes Haus besitzt und darin wohnt, hat einen Nutzen, ein sogenanntes Naturaleinkommen.
plädoyer: Eine Vermögensrendite erhöht das Vermögen, Zinsen und Dividenden das Einkommen. Wer in einer eigenen Wohnung lebt, erhält aber weder Einkommen, noch erhöht sich sein Vermögen.
Luzius Cavelti: Gemäss Bundesgericht gilt der Grundsatz, dass alles, was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigert, versteuert werden muss. Einkommen besteht dabei nicht nur aus Geld, sondern auch aus Sach- oder Nutzungseinkommen. Beispiel: Zwei Nachbarn bewohnen ein gleiches Haus und haben je ein Einkommen von 100'000 Franken pro Jahr. Der erste Nachbar bewohnt das Haus als Eigentümer, der zweite mietet es für jährlich 30'000 Franken. Der erste Eigentümer kann die 100'000 für seinen Konsum ausgeben. Weil der Mieter für das gleiche Haus jedoch 30'000 Franken Miete bezahlen muss, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers höher als die des Mieters.
plädoyer: Wer sein Geld in teure Autos oder eine Jacht investiert, ist gleich leistungsfähig wie ein Familienvater, der es in ein Haus investiert. Der Hausbesitzer aber muss eine Steuer auf ein fiktives Einkommen bezahlen, der Auto- und Jachtbesitzer nicht. Die Bundesverfassung schreibt auch die Gleichbehandlung der Besteuerten vor. Wird dieser Grundsatz nicht mit dem Eigenmietwert verletzt?
Sommaruga: Sie haben recht mit den Jachten und den teuren Autos. Die waren noch nicht verbreitet, als man den Eigenmietwert 1934 einführte. Es wäre steuerrechtlich korrekt, den Nutzen solcher Besitztümer ebenfalls zu besteuern. Allerdings wäre der Wert nur marginal, aber für Jachten, die teilweise Millionen wert sind, ist eine Gesetzesänderung angebracht.
Cavelti: Den Eigennutzwert gibt es theoretisch bei jedem Eigentum. Der Eigennutzen von beweglichen Sachen lässt sich jedoch administrativ nicht festlegen. Bei grösseren Vermögenswerten wie einem Auto oder einer Jacht könnte man das jedoch durchaus bestimmen und dann auch besteuern. Das macht man aber nicht. Im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot ist das durchaus fragwürdig.
plädoyer:Die Besteuerung eines fiktiven Einkommens führt zu sozialen Problemen. Es gibt Pensionierte, die nur von der AHV leben und Mühe haben, die Steuern für den Eigenmietwert ihrer Wohnung zu bezahlen. Kann man hier noch von Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sprechen?
Sommaruga: Das Bundesgericht weist regelmässig darauf hin, dass bei der Festlegung des Eigenmietwerts 60 Prozent des Marktwerts einer Immobilie nicht unterschritten werden dürfen. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit zwischen Mietern und Eigentümern ist dies immer noch ein sehr grosszügiges Zugeständnis an die Wohneigentümer. So hat es kürzlich in einem Fall im Kanton Tessin entschieden und die dortige Härtefallregelung als unzulässig erklärt.
Cavelti: Das Bundesgericht hat meines Erachtens richtig entschieden. Es wäre verfassungswidrig, Rentner besserzustellen als andere Personengruppen, auch wenn das zu Härten führt. Viele ältere Personen profitierten in den vergangenen Jahrzehnten vom Wertzuwachs ihrer Liegenschaften. Verkauft man die Liegenschaft, profitieren diese älteren Generationen oder dann die Erben von den teilweisen enormen Wertsteigerungen.
plädoyer:Beim Verkauf fällt eine Grundstückgewinnsteuer an, anschliessend Vermögenssteuer. Doch vor dem Verkauf der Immobilie hat man weder zusätzliches Einkommen noch mehr Vermögen. Deshalb führt die Besteuerung des fiktiven Einkommens als Eigenmietwert zu sozialen Härten.
Sommaruga: Es handelt sich um zwei verschiedene Steuern. Die Grundstückgewinnsteuer betrifft den Wertzuwachs von Immobilien. Ihr Satz nimmt mit der Dauer des Besitzes ab. Bei der Einkommenssteuer könnte man bei Härtefällen kreativ sein und Rentnern in schwierigen Fällen einen Steuerkredit gewähren. Dieser wird zurückgezahlt, wenn das Haus verkauft oder vererbt wird. Die Erben können entweder den Kredit zurückzahlen oder das Haus verkaufen und die Steuern zahlen. Ausserdem sollten die Banken die Möglichkeit einräumen, die Hypothek zu erhöhen, um die Steuern zu bezahlen.
Cavelti: Rein ökonomisch gesehen hat ein Ehepaar mit einer eigenen Wohnung einen hohen Nutzen. Nichteigentümer müssen für ihre Wohnung Miete zahlen. Das Ehepaar mit Eigentum hat die Möglichkeit, das Haus oder die Wohnung zu veräussern oder zu belehnen.
plädoyer: Das Parlament ist mehrheitlich dafür, den Eigenmietwert abzuschaffen. Ist dieser Entscheid richtig?
Cavelti: Die Verfassung schreibt den Eigenmietwert nicht zwingend vor. Sie schreibt jedoch eine Gleichbehandlung von Leuten mit Wohneigentum und Mietern vor. Eine Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung ist möglich, sofern gleichzeitig die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen und Unterhaltskosten gestrichen wird. Ansonsten wären Mieter benachteiligt, die den Mietzins ja nicht vom Einkommen abziehen können. Man kann nicht beides haben: Abzüge für Zinsen und Unterhalt, aber keinen Eigenmietwert.
plädoyer: Welche Lösung ziehen Sie vor?
Cavelti: Ich befürworte die Abschaffung des Eigenmietwerts. Die Eigenmietwertbesteuerung bevorzugt heute eher Wohneigentümer, sie setzt Anreize zur Verschuldung und ist nur schwer nachvollziehbar. Man muss dann jedoch konsequent sein und darf die Schuldzinsen und Unterhaltskosten nicht mehr zum Abzug zulassen, ausser wenn es sich um vermietete Liegenschaften handelt. Dort müssen die Vermieter auch bei einer Abschaffung des Eigenmietwertes den Ertrag versteuern, deshalb müssen sie bei vermieteten Liegenschaften auch die Schuldzinsen und Unterhaltskosten abziehen können.
Sommaruga: Ich stehe einem Systemwechsel kritisch gegenüber, weil wir keine Garantie haben, dass die Abzüge gestrichen bleiben. Ändert man das System bloss im Gesetz und streicht heute die Abzüge, ist die Gefahr gross, dass die Abzüge in einer Wirtschaftskrise wieder eingeführt werden, zum Beispiel um die Bauwirtschaft zu fördern. Will das Parlament das System ändern, muss es die Streichung der Steuerabzüge in der Verfassung festschreiben.
plädoyer: Ist es nicht auch ein verfassungsmässiges Ziel, für ökologische Bauten zu sorgen? Damit ist doch ein Abzug für Renovationen mit energetischen Verbesserungen gerechtfertigt.
Sommaruga: Der richtige Weg, nachhaltige Bauten zu fördern, sind Subventionen. Von Abzügen würden immer Gutverdienende übermässig profitieren. Es wäre ein schlechter Weg, dieses Ziel mit Abzügen zu fördern.
Cavelti: Unterhalt und Renovationen am Eigenheim sind heute unbestritten eines der besten Mittel, um Steuern zu sparen. Ich bezweifle aber, dass ganze Dörfer verlottern würden, wie behauptet wird, nur weil der Eigenmietwert und der Unterhaltsabzug gestrichen würden. Mir sind keine empirischen Studien bekannt, die einen solchen Schluss nahelegen.
Sommaruga: Unsere Nachbarstaaten Deutschland und Österreich zum Beispiel kennen keinen Eigenmietwert. Dort verlottern die Dörfer auch nicht.
plädoyer: Der Ständerat will 70 Prozent der Hypothe-karzinsen zum Abzug zulassen, der Nationalrat nur 40 Prozent. Wie beurteilen Sie das aus rechtlicher Sicht?
Cavelti: Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es einfach: Heute sind die Hypothekarzinsen plus maximal 50'000 Franken Schuldzinsen vom Einkommen abziehbar. Das sind eigentliche Gewinnungskosten für die Erzielung des Eigenmietwertes. Um dieses Nutzungseinkommen zu generieren, habe ich Finanzierungs- und Unterhaltskosten, die ich abziehen darf. Wenn ich das Einkommen nach Abschaffung des Eigenmietwerts hingegen nicht versteuern muss, sind das keine Gewinnungskosten mehr. Aus rechtlicher Sicht ist klar, dass diese Abzüge dann nicht mehr gerechtfertigt sind.
Sommaruga: Es ist ein rein politischer Entscheid, dass man nach der Abschaffung des Eigenmietwerts in der Steuererklärung doch 40 oder 70 Prozent der Schuldzinsen abziehen kann – nur zum Vorteil der Eigentümer. Beide Varianten sind sozialpolitisch unhaltbar.
plädoyer: Ist es rechtlich vertretbar, den Hypozinsabzug für selbst genutzten Wohnraum zu streichen und Abzüge für andere Kredite, etwa Konsumkredite, weiterhin zuzulassen?
Cavelti: Nein, wenn man das System wechselt, dürfen gar keine Schuldzinsen mehr zum Abzug zugelassen werden – ausser jemand vermietet die Liegenschaft und versteuert den Ertrag.
plädoyer:Der Ständerat will den Eigenmietwert auf den Zweitwohnungen beibehalten, der Nationalrat will ihn abschaffen. Ist die unterschiedliche Behandlung von Erst- und Zweitwohnsitz eine gute Idee?
Sommaruga: Nein, wenn man am Eigenmietwert etwas ändert, braucht es einen kompletten Systemwechsel. Zwei Systeme nebeneinander wären zu kompliziert und bürokratisch. Die Kantone mit vielen Zweitwohnungen befürchten aber Steuerausfälle. Man könnte eine andere Lösung zur Besteuerung der Zweitwohnungen suchen, etwa eine Liegenschaftssteuer.
Cavelti: Bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts sind die Zweitwohnungen die grösste Herausforderung. Die Zweitwohnungskantone stellen die Infrastruktur bereit. Bei unvermieteten Liegenschaften erhalten sie bei der Abschaffung des Eigenmietwerts jedoch keine Steuereinnahmen mehr. Ich verstehe, dass die Kantone mit vielen Zweitwohnungen eine Entschädigung für die Bereitstellung der Infrastruktur wollen. Rechtlich ist es allerdings nicht ganz einfach, eine Liegenschaftssteuer nur auf Zweitwohnungen zu erheben. Laut einem Gutachten der Zürcher Professorin Madeleine Simonek im Auftrag der Eidgenössischen Finanzkontrolle wäre wohl nur eine geringe Steuer zulässig, sonst käme es zu einer Ungleichbehandlung von Ansässigen und Auswärtigen.
plädoyer: Was wäre in Ihren Augen eine rechtlich zulässige Lösung?
Cavelti: Wahrscheinlich eine Kombination einer moderaten Liegenschaftssteuer, einer Kurtaxe und anderen zweckgebundenen Abgaben. Die Gemeinden und Kantone dürfen aber keine unterschiedlichen Gebühren für Einwohner und Nichtansässige festlegen. Nur für Zweitwohnungen den Eigenmietwert zu besteuern ist aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch.
Sommaruga: Mit zwei Systemen für die Haupt- und Zweitwohnungen sind zudem Steuertricks zu befürchten, weil man die Hypothek der Zweitwohnung noch abziehen könnte.
Cavelti: Da bräuchte es klare Richtlinien, sonst erhöht jemand die Hypothek auf seiner Zweitwohnung und finanziert damit die Erstwohnung.
plädoyer: Der Ständerat schlägt nach Abschaffung des Eigenmietwertes für erstmalige Eigenheimbesitzer einen Ersterwerberabzug für eine beschränkte Zeitdauer vor: 5000 Franken für Einzelpersonen und 10'000 Franken für Ehepaare. Lässt sich denn eine solche Privilegierung von Wohneigentum verfassungsrechtlich durch die Wohneigentumsförderung rechtfertigen?
Cavelti: Meines Erachtens handelt es sich um die gleiche Frage wie bei den heutigen Härtefallregeln. Die Abschaffung des Eigenmietwerts schafft bei Ersterwerbern neue Härtefälle. Meines Erachtens ist der Ersterwerberabzug genauso ungerechtfertigt wie eine Härtefallklausel. Schafft man den Eigenmietwert ab, muss man konsequent sein und darf keine Abzüge mehr zulassen. Ein moderater Abzug für Ersterwerber liesse sich jedoch über die in der Verfassung verankerte Wohneigentumsförderung rechtfertigen.
Sommaruga: Mit einem solchen Abzug würden Reiche bevorteilt. Wenn der Staat Erstkäufern finanziell helfen will, sollte er sie subventionieren. Das ist transparenter und konsequenter.
Cavelti: Es ist schon so, dass sich das Gleichbehandlungsgebot und die Wohneigentumsförderung teilweise widersprechen. Ein Abzug von 5000 Franken ist aber nicht sehr hoch und würde sich meines Erachtens durch die Bundesverfassung noch rechtfertigen lassen.
plädoyer: Kennen auch andere Länder einen Eigenmietwert?
Cavelti: Es gibt verschiedene Staaten mit einer Besteuerung des Eigenmietwerts, zum Beispiel Holland, Belgien, Luxemburg oder verschiedene Bundesstaaten der USA. Die Steuer ist jedoch vielerorts reduziert worden. Die meisten europäischen Länder kennen keine Eigenmietwertbesteuerung.
plädoyer: Sind die Steuerzahler im Parlament ausreichend vertreten gegenüber Banken- und Kantonslobbyisten?
Sommaruga: Es sitzen 246 Steuerzahler im Parlament. Die Frage ist, welche Gruppe von Steuerzahlern die 246 Parlamentsmitglieder vertreten. Das Problem: Die bürgerliche Mehrheit im Parlament vertritt nur die Interessen von Privilegierten – nicht nur bei Immobilienfragen.
Luzius Cavelti, 45, Professor für Steuerrecht an der Universität Basel und Partner in der Anwaltskanzlei Altenburger in Küsnacht ZH
Carlo Sommaruga, 64, Rechtsanwalt, Ständerat (GE, SP) und Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands
Das Parlament will den Eigenmietwert abschaffen
Wer sein Eigenheim selbst bewohnt, muss heute einen fiktiven Mietzins, den die Wohnung bei einer Vermietung hätte, als Einkommen versteuern. Das Parlament berät zurzeit über einen Systemwechsel bei der Einkommenssteuer. Beide Räte planen, den Eigenmietwert abzuschaffen. Im Gegenzug sollen die Unterhaltskosten nicht mehr von der Steuer abgezogen werden können.
Uneins sind die Räte hingegen bei der Frage, ob die Schuldzinsen weiterhin vom Einkommen abgezogen werden dürfen. Der Nationalrat will noch einen Abzug von 40 Prozent zulassen, der Ständerat einen von 70 Prozent.