1. Arbeitsrecht
Ob ein Vertrag als Arbeits- oder Agenturvertrag zu qualifizieren war, hatte das Bundesgericht in einem Urteil vom 6. Februar 2013 zu entscheiden.1 Die Firma Z. AG vertrieb Finanzprodukte. Der Vertrag zwischen der Z. AG und X. war als Agenturvertrag bezeichnet; gemäss Vertrag war X. als selbständiger Agent im Aussendienst engagiert. Er war im Handelsregister mit Prokura zu zweien eingetragen.
Das Bundesgericht entschied mit der Vorinstanz, dass sich X. nur in Bezug auf die Palette der den Kunden angebotenen Finanzprodukte an die Weisungen der Z. AG zu halten hatte. Im Übrigen konnte er seine Tätigkeit ausüben, wo er wollte, also in der ganzen Schweiz und in Liechtenstein. Er hatte keine vorgeschriebenen Arbeitszeiten. Mit den Sozialversicherungen rechnete er als Selbständiger ab. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass hier jegliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Parteien zu verneinen sei, weshalb es X. verwehrt war, Ansprüche gestützt auf Arbeitsvertrag (Handelsreisendenvertrag) geltend zu machen.
1.1 Lohnfragen
In einem Urteil vom 14. Dezember 20142 bestätigte das Bundesgericht die geltenden Grundsätze, wenn ein Arbeitnehmer sich darüber beklagt, sein Lohn sei von der Arbeitgeberin zu Unrecht stillschweigend reduziert worden. Grundsätzlich bedeute ein Stillschweigen des Arbeitnehmers keine Zustimmung zur Lohnreduktion. Eine solche Zustimmung könne sich jedoch aus den konkreten Umständen nach den Regeln von Treu und Glauben ergeben. Eine konkludente Zustimmung sei zu vermuten, wenn der Arbeitnehmer eine Reduktion des Salärs während drei Monaten stillschweigend hinnehme. Diese Vermutung könne der Arbeitnehmer durch den Nachweis entgegenstehender konkreter Umstände umstossen. Dies gelang dem Kläger im konkreten Fall nicht, auch deshalb nicht, weil sich der klagende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber nicht in einer Position der Schwäche befunden habe.
Ein von einer Temporärfirma im Stundenlohn angestellter Kranführer klagte nach seinem Austritt den Ferienlohn ein. Der Einschluss des Ferienlohnes in den Stundenlohn war im Einsatzvertrag vereinbart und auch in den Monatsabrechnungen mit einer Prozentzahl ausgewiesen worden. Dennoch sprach das Arbeitsgericht Zürich dem Arbeitnehmer die Ferienentschädigung zu.3 Das Gericht argumentierte, dass das Bundesgericht eine Abgeltung des Ferienlohnes in Abweichung vom Gesetzestext nur ausnahmsweise bei unregelmässiger Beschäftigung oder bei sehr kurzen Arbeitseinsätzen zulasse. In casu habe der Kranführer durchschnittlich 189 Arbeitsstunden pro Monat geleistet, weshalb von unregelmässiger Beschäftigung nicht die Rede sein könne.
Die privatrechtliche Rechtsprechung von BGE 132 III 172, wonach Nacht-, Wochenend- sowie Feiertagszulagen bei der Berechnung des auf die Ferien entfallenden Lohnes zu berücksichtigen sind, ist nach einem Urteil des Bundesgerichts vom 13. November 20134 nicht ohne weiteres auch im öffentlichen Personalrecht anzuwenden. Dieses kann von den Minimalgarantien des Privatrechts abweichende Regelungen treffen und zum Beispiel die für regelmässige Nacht- und Sonntagsarbeit gewährten Zulagen bei der Berechnung des auf die Ferien entfallenden Lohnes nicht berücksichtigen.
Wenig arbeitnehmerfreundlich ist ein Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 17. Juli 2013.5 Die Lohnklage eines Systementwicklers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin, die Q. AG, war vom zuständigen Zivilgericht gutgeheissen worden. Einige Zeit später erschien im Schweizerischen Handelsamtsblatt ein Hinweis, dass die Q. AG angeblich über keine verwertbaren Aktiven mehr verfüge. Betroffene Personen wurden aufgerufen, innert 30 Tagen ihr begründetes Interesse an einer Aufrechterhaltung der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister schriftlich mitzuteilen. Niemand leistete dieser Aufforderung Folge, sodass die Q. AG im Handelsregister gelöscht wurde.
Der Systementwickler blitzte mit seinem Antrag auf Zusprechung der Insolvenzentschädigung in allen Instanzen ab. Das Bundesgericht befand, dass keiner der fünf im Gesetz abschliessend aufgezählten Insolvenztatbestände erfüllt sei, wenn es der Arbeitnehmer unterlasse, sein wegen bestehender Lohnforderungen begründetes Interesse an der Aufrechterhaltung der Gesellschaft beim Handelsregisteramt anzumelden, womit nach deren Löschung keine Möglichkeit mehr bestehe, die Zwangsvollstreckung gegen den ehemaligen Arbeitgeber fortzuführen. Das Bundesgericht scheint offenbar die Lektüre des Handelsamtsblatts zur Arbeitnehmerpflicht zu erklären.
1.2 Missbräuchliche Kündigung
Ein bemerkenswertes Urteil fällte das Bundesgericht am 12. November 2014.6 Der im Zeitpunkt der Kündigung 59-jährige Kläger hatte gemäss den Feststellungen des kantonalen Gerichts 35 Jahre lang gut und loyal für seine Arbeitgeberin gearbeitet. Einige Zeit vor der Kündigung hatte er ein Burn-out erlitten. Die Arbeitgeberin unternahm in der Folge verschiedene Anstrengungen, ihn wieder vollwertig im Unternehmen zu integrieren. Er konnte gewisse Führungsaufgaben ohne Lohnkürzung abgeben. Um das Stresspotenzial des Grossraumbüros zu verringern, wurde ihm ein Home-Office eingerichtet, als sich ein erneuter Erschöpfungszustand abzeichnete. Es wurden auch verschiedene Gespräche geführt und Teamveranstaltungen zur Verbesserung des Arbeitsklimas abgehalten. Vor diesem Hintergrund könne der Arbeitgeberin nicht vorgeworfen werden, untätig geblieben zu sein, befand das Bundesgericht. Namentlich habe sie auf die gesundheitlichen Befindlichkeiten des Arbeitnehmers Rücksicht genommen.
Indessen gelte für die Arbeitgeberin angesichts des Alters des Arbeitnehmers, seiner langjährigen Betriebstreue und seiner Frühpensionierungsabsichten eine erhöhte arbeitgeberische Fürsorgepflicht. Diese hatte sich – so das Bundesgericht – insbesondere anhand der Kündigungsmodalitäten zu manifestieren. Die Arbeitgeberin habe ein möglichst schonendes, den sich gegenüberstehenden Interessen Rechnung tragendes Verhalten an den Tag zu legen. Es seien zwar beim Arbeitnehmer seit geraumer Zeit Defizite in der Arbeitsweise geortet und auch kritisiert worden. Jedoch habe die Arbeitgeberin nie klar signalisiert, dass die gerügten Mängel für sie einen Schweregrad aufwiesen, der bei Nichtbehebung eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach sich zöge. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Arbeitgeberin ihre in diesem Fall erweiterte Fürsorgepflicht verletzt habe, wenn auch nur in einem geringen Ausmass. Es bestätigte aus diesem Grund die vom Obergericht Uri festgestellte Missbräuchlichkeit der Kündigung und auch die Pönalentschädigung von zwei Monatslöhnen.
Das Arbeitsgericht Zürich hatte in einem Entscheid vom 21. August 20137 eine gegenüber einer Gruppenleiterin einer Kindertagesstätte (Kita) ausgesprochene Kündigung als missbräuchlich qualifiziert und der Arbeitnehmerin eine Entschädigung von zwei Monatslöhnen zugesprochen. Die Arbeitgeberin hatte der Kita-Leiterin in einem offenen Brief in Begründung der Kündigung vorgeworfen, ihrer Aufgabe nicht gewachsen zu sein; es habe ihr an Führungskompetenzen gefehlt.
Gemäss Arbeitsgericht Zürich kann sich die Missbräuchlichkeit der Kündigung nicht nur aus den Kündigungsmotiven ergeben, sondern auch aus der Art und Weise, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. Auch wenn eine Partei die Kündigung rechtmässig ausspreche, müsse sie das Gebot der schonenden Rechtsausübung beachten. Ein krass vertragswidriges Verhalten, namentlich eine schwere Persönlichkeitsverletzung im Umfeld der Kündigung, könne die Kündigung trotz fehlender Kausalität als missbräuchlich erscheinen lassen. Dies sei der Fall, wenn der Arbeitgeber eine Angestellte bei der Belegschaft oder Dritten ohne Rechtfertigung in ein schiefes Licht rücke, etwa durch unbewiesene Vorwürfe, das Streuen von Gerüchten oder die Weitergabe unnötiger Informationen. In einem solchen Fall liege unabhängig davon, ob die Vorwürfe im Einzelnen zuträfen, eine Persönlichkeitsverletzung vor.
Mit Urteil vom 7. Juli 20148 unterstrich das Bundesgericht, dass eine Kündigung im Anwendungsbereich von Art. 336 Abs. 2 lit. b OR nur dann nicht missbräuchlich ist, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass er einen begründeten Anlass zur Kündigung des gewählten Arbeitnehmervertreters hatte, und wenn er überdies beweisen kann, dass er dem Arbeitnehmer aus diesem Grund gekündigt hatte. Im beurteilten Fall hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmervertreter vorgeworfen, sich nicht in die neuen Strukturen des Unternehmers eingliedern zu wollen. Das Bundesgericht sah diesen Vorwurf nicht für erwiesen an.
1.3 Weitere Fragen der Kündigung
Zur Freistellung äusserte sich das Arbeitsgericht Zürich in einem Urteil vom 9. Januar 2013.9 Es seien zwei Konstellationen von Freistellung auseinanderzuhalten: Stimmt der Arbeitnehmer der Freistellung zu, liegt ein Erlassvertrag im Sinne von Art. 115 OR vor. Stimmt er nicht zu, verbleibt der Arbeitgeber im Annahmeverzug. Im ersten Fall müsse sich der Arbeitnehmer einen Ersatzverdienst nur anrechnen lassen, wenn dies vereinbart sei, im zweiten Fall dagegen umgekehrt nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber auf die Anrechnung verzichte. Eine Vereinbarung, dass sich der Arbeitnehmer anrechnen lassen müsse, was er schon bisher in einer Nebenbeschäftigung erworben hat, sei unzulässig. Letztere Konstellation lag im beurteilten Fall vor, weshalb das Arbeitsgericht Zürich die Anrechnung ablehnte.
Fragen im Zusammenhang mit Art. 333 OR beschäftigten das Bundesgericht in einem Urteil vom 8. Oktober 2014.10 Die C. AG war 2006 an die D. AG verkauft worden und im Jahr 2009 an die B. AG. Die Arbeitsverhältnisse waren demzufolge per 1. Juli 2009 auf die B. AG übergegangen. Am 16. Dezember 2010 kündigte die B. AG die Arbeitsverhältnisse im Zuge einer Massenentlassung. Beim Übergang auf die B. AG hatte die D. AG der Belegschaft ein Informationsschreiben zukommen lassen, wonach sich die B. AG ihr gegenüber verpflichtet habe, die Mitarbeitenden nach dem Betriebsübergang während eines Zeitraums von mindestens 24 Monaten eine Gesamtentschädigung zukommen zu lassen, die gleich oder besser als die gegenwärtige Gesamtentschädigung der übergehenden Mitarbeitenden sei. Gemäss der klagenden Arbeitnehmerin ergebe sich diese Verpflichtung aus dem Kaufvertrag, der zwischen der D. AG und der B. AG abgeschlossen worden war.
Gemäss kantonalem Gericht und Bundesgericht entfaltet dieser Kaufvertrag jedoch keine Drittwirkung. Die B. AG müsse sich eine allfällige Zusicherung der D. AG gegenüber der Belegschaft nicht entgegenhalten lassen. Auch aus der Frist gemäss Art. 333 Abs. 1bis OR lasse sich keine Kündigungssperre bis Ende Juni 2011 ableiten. Vielmehr sei eine Kündigung innerhalb der Frist von Art. 333 zulässig, wenn sie durch wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt sei, welche Voraussetzung im beurteilten Fall aufgrund des schlechten Geschäftsganges erwiesenermassen gegeben sei. Der Klägerin sei lediglich eine Weiterbeschäftigung nach dem Betriebsübergang zugesichert worden. Daraus könne keine Beschäftigungszusicherung oder Kündigungssperre abgeleitet werden.
In einem Fall, der ein öffentlichrechtliches Arbeitsverhältnis betraf, rief das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung in Erinnerung, dass auch bei eingeschriebenen Sendungen nicht ohne weiteres sichergestellt sei, dass der angenommene Inhalt auch wirklich darin enthalten ist.11 Die Rechtsprechung gehe jedoch von der Vermutung aus, dass der «fragliche Rechtsakt» (in casu: die Kündigungsverfügung) in der Sendung enthalten war, soweit die Zustellung der Sendung bewiesen werden konnte und der Empfänger keine Umstände anführen kann, die Zweifel am Inhalt des zugestellten Briefumschlags aufkommen lassen.
Ein Mitarbeiter des VBS hatte in casu den Brief in Begleitung zweier Militärpolizisten in den Briefkasten der Arbeitnehmerin geworfen – die ihre Türe in einer Phase längerer Arbeitsunfähigkeit nicht öffnete –, wodurch die Zustellung bewiesen war. Interessante Ausführungen zur Zustellung und zum Beginn des Fristenlaufs bei anwaltlich vertretenen Arbeitnehmern finden sich in der Urteilsbesprechung von Adrian von Kaenel in der ARV 1/2014.
In BGE 140 I 320 befand das Bundesgericht, dass ein öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber nicht willkürlich handelt, wenn er im Rahmen einer fristlosen Kündigung eine Sozialfrist gewährt. Dabei verhehlte das Gericht nicht, dass die Gefahr besteht, dass der Unterschied zwischen ordentlicher und ausserordentlicher Kündigung durch die Sozialfrist relativiert wird. Doch solle der Arbeitgeber für sein Entgegenkommen nicht bestraft werden.
1.4 Konkurrenzverbot
Der Arbeitnehmer B. hatte ein gültiges Konkurrenzverbot abgeschlossen. Es sah neben einer Konventionalstrafe auch das Recht der Arbeitgeberin vor, die «unmittelbare Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes» zu verlangen. Eben dies beantragte die Arbeitgeberin mit einem Massnahmebegehren bei den Bernischen Gerichten, nachdem sie das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte – jedoch vergeblich. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Arbeitgeberin gut.12 Es sei erwiesen, dass B. die Gründung eines Konkurrenzunternehmens vorbereitete. Die Vorinstanz hatte das Massnahmebegehren mit der Begründung abgewiesen, die Vorbereitung einer konkurrenzierenden Tätigkeit stelle noch keine Treuepflichtverletzung dar, solange der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber nicht zu konkurrenzieren oder ihm Kundschaft abzuwerben beginne.
Das Bundesgericht stellte fest, dass sich die Vorinstanz zu Unrecht auf BGE 138 III 67 statt auf BGE 130 III 353 berufen habe. Es gehe vorliegend nicht um die gesetzliche Treuepflicht, sondern um eine gültige vertragliche Konkurrenzverbotsklausel. Der Beklagte habe im Sinne von Art. 340c Abs. 2 OR einen begründeten Anlass zur Kündigung gegeben. Als begründeter Anlass sei jedes der andern Partei zuzurechnende Ereignis anzusehen, das bei einer vernünftigen kaufmännischen Erwägung einen erheblichen Anlass zur Kündigung geben könne. Nicht notwendig sei, dass es sich um eine eigentliche Vertragsverletzung handle. Die Vorbereitung einer späteren Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen sei als begründeter Anlass zu qualifizieren.
Dass die Vorbereitungshandlungen zeitlich zurücklagen, spielte keine Rolle, weil die Arbeitgeberin mit einer «überholenden» Gegenkündigung einzig die vom Arbeitnehmer durch dessen eigene Kündigung gesetzte überlange Kündigungsfrist auf die vertraglichen zwei Monate verkürzte. Daran ändere auch nichts, dass die Arbeitgeberin über die Vorbereitungshandlungen informiert gewesen war. Eine ausdrückliche oder stillschweigende Wegbedingung des Konkurrenzverbots habe nicht festgestellt werden können. Da die Vorinstanz nicht geprüft hatte, ob die Realexekution aufgrund überwiegender Interessen der Arbeitgeberin gerechtfertigt war, wies das Bundesgericht den Fall zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurück.
Eine im Zusammenhang mit der Beurteilung der Gültigkeit von Konkurrenzverboten oft wichtige Abgrenzung zwischen persönlichen Eigenschaften des Arbeitnehmers und beim Arbeitgeber gewonnenen Spezialkenntnissen behandelte Severin Christen in AJP 11/2014.13
1.5 Kollektives Arbeitsrecht
In BGE 140 III 391 befasste sich das Bundesgericht mit sogenannten Effektivklauseln in Gesamtarbeitsverträgen. Im beurteilten GAV war statuiert worden, dass die Löhne von Arbeitnehmern bestimmter Kategorien um 100 Franken erhöht würden. Die paritätische Kommission klagte einen Arbeitgeber, der die Lohnerhöhung nicht gewährte, vor dem Zivilgericht ein und beantragte die Auferlegung einer Konventionalstrafe. Das kantonale Obergericht wies die Klage ab. Die GAV-Bestimmung stelle eine unzulässige Effektivgarantieklausel dar. Der GAV sei nicht verletzt, weil die Löhne der betreffenden Arbeitnehmer über den GAV-Mindestlöhnen lägen.
Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handle. Es hob den kantonalen Entscheid auf und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück. Zunächst anerkannte das Bundesgericht die Aktivlegitimation der paritätischen Kommission. In der Sache erwog es: Zweck von Effektivklauseln sei es, den Mindestlohn aller dem GAV unterstellten Arbeitnehmer zu erhöhen, ohne dabei den übertariflichen Lohn zu verändern (das heisst ohne die Differenz zwischen GAV-Mindestlohn und effektiv bezahltem Lohn zu verringern).
Bei der sogenannt begrenzten Effektivklausel könnten die Parteien des Einzelarbeitsvertrags die vom GAV vorgesehene Lohnerhöhung (hier um 100 Franken) jederzeit einvernehmlich korrigieren. Soll der Lohn insgesamt unverändert bleiben, so könnten sie im Umfang der Erhöhung des Mindestlohns den übertariflichen Lohn herabsetzen, gegebenenfalls auch mittels einer Änderungskündigung. Demgegenüber verbiete die Effektivgarantieklausel den Parteien, den übertariflichen Lohn zu senken, und zwar nicht nur im Zeitpunkt des Inkrafttretens des GAV, sondern während dessen ganzer Geltungsdauer.
Gemäss Bundesgericht verstossen Effektivgarantieklauseln gegen die Lohnautonomie als grundlegende Basis des schweizerischen Arbeitsrechts und sind deshalb unzulässig. Im beurteilten GAV sah das Bundesgericht nichts, was eine spätere Senkung des zunächst um 100 Franken zu erhöhenden Effektivlohnes ausschloss.
In einem Urteil vom 9. September 201414 rief das Bundesgericht in Erinnerung, dass bei einem unechten Mischbetrieb, der zu klein ist, um in Sektoren aufgeteilt zu werden, der Grundsatz der Tarifeinheit gelte. Das bedeutet, dass der GAV für den ganzen Betrieb gilt und somit auch für berufsfremde Arbeitnehmer. Im konkreten Fall hiess dies, dass ein Bodenleger im Versuch scheiterte, sein Arbeitsverhältnis dem GAV für das Ausbaugewerbe zu unterstellen, da sein Betrieb mehrheitlich im Bereich der Innendekoration tätig war.
In BGE 140 I 8315 äusserte sich das Bundesgericht zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Gewerkschaft als Sozialpartnerin der ETH anerkannt werden muss. Das Gericht befand, dass auch eine Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes die Koalitionsfreiheit für sich beanspruchen könne. Damit eine Gewerkschaft anerkannt werden könne, müsse sie die Voraussetzungen der Repräsentativität und Loyalität erfüllen.
1.6 Lohndumping
Im Kanton Tessin wurden Normalarbeitsverträge für die Branche Herstellung elektrischer Geräte und für die Branche Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen erlassen. Beide Branchen wehrten sich erfolglos dagegen. Das Bundesgericht wies ihre Beschwerden in BGE 140 III 59 ab.16 Die zur Feststellung von Lohndumping gewählte Methode sei nicht zu beanstanden. Sie basiert auf dem Lohnrechner des Instituto di ricerche economiche, der 40 000 Lohnabrechnungen enthält. Er entspricht der Funktionsweise des landesweiten Lohnrechners auf der Basis der schweizerischen Lohnstrukturerhebung. Die Referenzlöhne werden mit den Löhnen in den ausgelosten Unternehmen verglichen. Liegt der Monatslohn eines Arbeitnehmers unter 3000 Franken, gilt jeder Lohn, der unter dem Referenzlohn liegt, als erheblich missbräuchlich. Beträgt der Monatslohn jedoch mindestens 3000 Franken, gilt eine Toleranzmarge von 10 Prozent, und nur jene Löhne, die mehr als 10 Prozent unter dem Referenzlohn liegen, stellen einen erheblichen Missbrauch dar. In den beiden Branchen wurden Missbrauchswerte von 47,3 und 10,3 Prozent ermittelt. Das Bundesgericht schützte den Erlass des Normalarbeitsvertrags mit Mindestlöhnen, der auf Antrag der tripartiten Kommission erfolgt war. Es verwarf auch das Argument, dass so unzulässigerweise ein Mindestlohn von 3000 Franken eingeführt worden sei.
2. Mietrecht
2.1 Zivilprozessordnung
Die Literatur zur schweizerischen Zivilprozessordnung türmt sich. Einzelne Kommentare sind bereits in zweiter Auflage erschienen, und noch immer kommen neue Werke dazu. Das dient weder der Straffung der Verfahren noch der angestrebten Klarheit mit vereinheitlichten Regeln, denn die Kommentare sind in vielen Punkten kontrovers. Wer in dieser Fülle sucht, findet meist das passende Zitat. Höchstrichterliche Klarstellungen sind daher willkommen. Das Bundesgericht nimmt diesen Auftrag ernst und erlässt in der Berichtsperiode acht neue Entscheide zu prozessualen Fragen in mietrechtlichen Streitigkeiten.
2.1.1 Zuständigkeit Handelsgericht
Gemäss ZPO sind die Kantone weiterhin zuständig für die Gerichtsorganisation. Sie können unter anderem ein Handelsgericht vorsehen. In Kantonen, die von dieser Kompetenz Gebrauch machen, können die in der ZPO verankerten Vorschriften konkurrieren, wenn eine Streitigkeit aus dem Kernbereich des Mietrechts vorliegt, die zugleich die Voraussetzungen einer handelsrechtlichen Streitigkeit erfüllt. Art. 243 Abs. 2 lit. c schreibt für mietrechtliche Streitigkeiten betreffend Mietzinshinterlegung, Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen, Kündigungsschutz und Erstreckung ohne Rücksicht auf den Streitwert nämlich das vereinfachte Verfahren vor. Vor Handelsgericht findet diese Verfahrensart aber keine Anwendung.
Bereits in einem früheren Entscheid löste das Bundesgericht diesen Widerspruch in der ZPO auf.17 Da das Prozessrecht der Durchsetzung des materiellen Rechts dient, geht in diesem Konflikt immer jene Gerichtsinstanz vor, die das vereinfachte Verfahren gewährleistet. Im Kanton Zürich ist es das Mietgericht. Offenbar verwirrte dieser Entscheid in einer klar handelsrechtlichen Streitigkeit zwischen zwei Aktiengesellschaften. Ein Shoppingcenter wollte seine Mieterin mit richterlichem Befehl verpflichten, die vertraglich vereinbarten Mindestöffnungszeiten einzuhalten. Das Obergericht des Kantons Zürich ortete erneut konkurrierende Zuständigkeitsvorschriften, die bei Uneinigkeit der Parteien durch das Kantonsgericht aufgelöst werden müssen. Das Bundesgericht folgte dieser Auffassung nicht.18 Die Streitigkeit betreffe im Gegensatz zur Konstellation im früheren Leitentscheid nicht den Kernbereich des Mietrechts und damit auch nicht Einschränkungen, die eine sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts begründen. Es liegt daher kein Widerspruch innerhalb der ZPO vor. Vielmehr gehe es um die Frage, wer den Zuständigkeitsbereich des Handelsgerichts regle. Die Antwort war eindeutig. Die ZPO (Art. 6 Abs. 2) regelt den Zuständigkeitsbereich des Handelsgerichts für die klar handelsrechtliche Streitigkeit zwischen zwei Aktiengesellschaften abschliessend. Dazu können die Kantone keine abweichenden Vorschriften entwickeln. Zuständig war in diesem Fall das Zürcher Handelsgericht.
2.1.2 Kompetenzen der Schlichtungsbehörde
Die Vermieter waren überzeugt: Das Kündigungsschutzbegehren gilt als zurückgezogen, weil zur Schlichtungsverhandlung seitens der Mieterin nur einer der beiden Gesellschafter mit Unterschriftsberechtigung zu zweit erschien. Vor Schlichtungsbehörde fanden die Vermieter für diesen Einwand kein Verständnis. Sie stellte den Parteien einen Urteilsvorschlag zu, sah darin für die Mieterin eine definitive Erstreckung vor und begründete gleichzeitig, weshalb sie nicht von einem fingierten Klagerückzug ausgehe.
Die Vermieter blitzten beim Obergericht des Kantons Waadt ab. Beim Bundesgericht hatten sie Erfolg und erfuhren zugleich das korrekte Vorgehen.19 Die Vermieter müssen den Urteilsvorschlag im Sinne von Art. 211 Abs. 1 ZPO ablehnen. In der Folge wird ihnen eine Klagebewilligung ausgestellt, mit der sie vor Gericht den fingierten Klagerückzug geltend machen können. Weil die Ablehnung des Urteilsvorschlags fristgerecht, wenn auch vor der falschen Behörde, erklärt wurde, erlitten die Vermieter keinen Rechtsverlust.
2.1.3 Entscheide des Ausweisungsrichters
2.1.3.1 Keine Ablehnung des Ausweisungsbegehrens
Der Vermieter kündigte nach Zahlungsverzug (Art. 257 d OR) und verlangte im summarischen Verfahren nach Art. 257 ZPO die Ausweisung. Nach Auffassung des Mieters war die Kündigung unwirksam, weil gar kein Zahlungsverzug vorliege. Es erwies sich, dass die ausstehenden Mietzinse innert Frist bezahlt worden waren. Vor Bundesgericht stellte sich die Frage, ob der Ausweisungsrichter ein Gesuch bei klarer Rechtslage und unbestrittenem Sachverhalt abweisen kann.20 Die französischen und italienischen Gesetzestexte beantworten diese Frage nicht eindeutig.
Das Bundesgericht konsultierte 16 Lehrmeinungen und stellte fest, dass sie sich in etwa zwei gleich grosse kontroverse Lager aufteilen. Doch ergibt die historische Auslegung schlüssig, dass der Gesetzgeber eine Abweisung des Gesuchs mit materieller Rechtskraft vermeiden wollte. Dem Ausweisungsrichter stehen daher nur zwei Möglichkeiten offen: Gutheissung des Gesuchs oder Nichteintreten. Aus dem gleichen Grund kann nach Bundesgericht ein gescheitertes Ausweisungsbegehren auch keine gesetzliche Kündigungssperrfrist nach Art. 271 a Abs. 1 lit. e OR auslösen.21
2.1.3.2 Modalitäten beim Vollzug der Ausweisung
Der Ausweisungsrichter ordnet auf Antrag des Vermieters die Vollstreckungsmassnahmen an (Art. 236 Abs. 3 ZPO i. V. mit Art. 343 Abs. 1 lit. d ZPO). Bereits in einem früheren Entscheid gestand ihm das Bundesgericht die Möglichkeit zu, einem Geschäftsmieter eine kurze Frist für den freiwilligen Vollzug einzuräumen.22 Nun ergänzt es, dass er bei Wohnungsmietern das Prinzip der Verhältnismässigkeit beachten soll.23 Der Wohnungsmieter soll nicht unvermittelt obdachlos werden. Zudem können humanitäre Gründe und ernsthafte Anhaltspunkte für eine freiwillige Räumung einen kurzen Aufschub des Vollzugs rechtfertigen.
2.1.3.3 Parteientschädigung
Das Schlichtungsverfahren ist kostenlos. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. Nach Bundesgericht ist es dagegen nicht zu beanstanden, wenn später das Gericht bei der Bemessung der Parteientschädigung den Aufwand für die Schlichtungsverhandlung berücksichtigt.24
Unbestritten ist, dass der erstinstanzliche Aufwand zur Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege und Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu einem amtlichen und damit reduzierten Tarif entschädigt wird. Schliesst dieser Aufwand aber ein erfolgreiches Rechtsmittelverfahren ein, steht für das Beschwerdeverfahren nach einem neuen Entscheid des Bundesgerichts eine ungekürzte Parteientschädigung zu.25
2.1.3.4 Umfang der sozialen Untersuchungsmaxime
Im vereinfachten Verfahren gilt die soziale Untersuchungsmaxime (Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO). Streitigkeiten im Kernbereich des Mietrechts unterstehen diesem Verfahren unabhängig vom Streitwert (Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO). Hat das Gericht im vereinfachten Verfahren Grund zur Annahme, dass die Beweisanträge einer Partei unvollständig sind, muss es selber nach einschlägigen Beweismitteln forschen, von deren Existenz es aufgrund der Parteibefragungen und Akten Kenntnis hat.26
Als Anwendungsfall dieser Rechtsprechung bemängelte das Bundesgericht, der Richter habe es versäumt, von sich aus Unterlagen beizuziehen.27 Zwei betagte Eigentümer übertrugen die Liegenschaft ihren Enkeln und teilten der Mieterin nach bereits erfolgter Eigentumsübertragung eine Mietzinserhöhung mit. Die Mieterin bezahlte die Erhöhung, forderte sie aber später aufgrund einer rechtlichen Beratung zurück. Dazu klagte sie die Enkel ein und belegte die Handänderung mit einem Grundbuchauszug. Nach Auffassung der Mieterin sind die Enkel damit in das Mietverhältnis eingetreten. Die Enkel bestritten den Übergang des Mietverhältnisses, denn mit der Schenkung sei eine Nutzniessung zugunsten der vormaligen Eigentümer errichtet worden. Sie liessen es aber bei dieser Behauptung bewenden, ohne sie zu belegen. Mietgericht und Obergericht hiessen die Klage der Mieterin gut. Das Bundesgericht sah darin eine Verletzung der sozialen Untersuchungsmaxime. Das Gericht hätte in diesem Fall den vollständigen Grundbuchauszug beiziehen müssen.
2.2 Weitere Verfahrensfragen
Das Bundesgericht kann zwar nur Rechtsfragen entscheiden, die ihm unterbreitet werden. Dennoch macht es den Anschein, dass die eingehende Beschäftigung mit zivilprozessualen Fragen den Sinn für weitere Verfahrensfragen geschärft hat. Jedenfalls sind dazu gleich drei Entscheide mit spürbaren Auswirkungen auf den mietrechtlichen Alltag ergangen.
2.2.1 Fristenlauf für Kündigungsschutzbegehren
Im letzten Berichtsjahr wurde an dieser Stelle vermeldet, das Bundesgericht habe in einem Nichteintretensentscheid gleichsam beiläufig verlauten lassen, der Fristenlauf für ein Kündigungsschutzbegehren (Anfechtung der Kündigung und Erstreckungsklage) richte sich nach der absoluten Empfangstheorie.28 In verschiedenen Kantonen veränderte dies eine langjährige Praxis der Gerichte. Dem obiter dictum folgte nun ein eingehend begründetes Urteil.29 Da es sich bei der Klagefrist für die Kündigungsanfechtung und das Erstreckungsbegehren um Fristen handelt, die im materiellen Recht verankert sind, gilt für die fristauslösende Zustellung nach Bundesgericht die absolute Empfangstheorie. Sie ist bei materiellrechtlichen Fristen die Regel. Der Fristenlauf wird ausgelöst, sobald die Mitteilung der Kündigung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Legt der Postbote eine Abholungseinladung in den Briefkasten, gilt der erste Tag, an dem die Sendung am Postschalter abgeholt werden kann, als Tag 0 und der darauffolgende Tag als Tag 1 des 30-tägigen Fristenlaufs.
Die so ausgeführte und begründete Regel der absoluten Empfangstheorie wird im Mietrecht nicht durchgehend angewendet. Weiterhin gilt bezüglich der Anfechtung von Mietzinserhöhungen und bezüglich der Zahlungsaufforderung für Mietzinsrückstände (Art. 257d OR) die relative Empfangstheorie. In diesen beiden Fällen wird auf den tatsächlichen Empfang, das heisst auf die tatsächliche Abholung am Postschalter abgestellt, allenfalls auf den fiktiven Empfang am siebten Abholtag.
2.2.2 Anfechtung der Kündigung durch Mitmieter
Dem Mitmieter wird neuerdings ein selbständiges Recht zugestanden, sich einer missbräuchlichen Kündigung zu widersetzen.30 Das gilt auch für eine Erstreckungsklage. Dieses Recht entspringt – so das Bundesgericht – dem Bedürfnis nach einem sozialen Schutz, der besonders bei Wohnungsmietern Beachtung verdient. Er ist bereits zum Schutz der ehelichen Wohnung entsprechend ausgestaltet. Sogar der Ehegatte, der nicht Vertragspartei ist, kann den Kündigungsschutz selbständig in Anspruch nehmen (Art. 273a OR). Umso mehr muss das für den Mitmieter gelten, der Vertragspartei ist. Weil aber eine Anfechtung der Kündigung oder eine Erstreckung gegenüber allen Mitmietern gilt, müssen die übrigen Mitmieter in das Verfahren einbezogen werden. Sie sind notwendige Streitgenossen. Die Klage muss sich daher gegen den Vermieter und zugleich gegen jene Mitmieter richten, die sich dem Begehren um Kündigungsschutz nicht anschliessen.
2.2.3 Beginn der Kündigungssperrfrist
Eine Vermieterkündigung ist anfechtbar, wenn sie während eines Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens ausgesprochen wird (Art. 271 a Abs. 1 lit. d OR). Geklärt wurde vom Bundesgericht, ab wann genau diese Kündigungssperrfrist ihre Wirkung entfaltet: Ab Klageeinleitung des Mieters oder erst nachdem der Vermieter davon Kenntnis erhalten hat?31 Das Bundesgericht argumentiert mit dem Zweck von Art. 271 a Abs. 1 lit. d OR. Ziel ist in erster Linie der Schutz des Mieters, der ein Verfahren gegen den Vermieter einleitet. Das Augenmerk richtet sich daher auf den Mieter. Er soll nicht befürchten müssen, dass seine Klage mit einer Kündigung durchkreuzt wird. Aus diesem Grund beginnt die Sperrfrist mit der Postaufgabe der Mieterklage.
2.3 Kündigungsschutz und Erstreckung
2.3.1 Sanierungskündigung
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst eine Kündigung wegen umfassender Sanierung nicht gegen Treu und Glauben, sofern der Verbleib des Mieters im Mietobjekt zu zusätzlichen Kosten und einer Verzögerung der Bauarbeiten führt.32 Das ist nach Bundesgericht ein sachlicher und schutzwürdiger Grund für eine Kündigung. Zum Entscheid stand eine Kündigung, die begründet wurde mit «Renovation, Umbau, Umstrukturierung» beziehungsweise «Umstrukturierung der Stockwerke». Die Kündigung erfolgte nach einer einmaligen Besichtigung des Mietobjekts durch den Verwalter, der daraufhin den Vermietern die aktuell gültigen Pläne übermittelte. Erst etwas über ein Jahr nach erfolgter Kündigung setzten vertiefte Abklärungen durch einen Architekten ein, die in einem Bericht über die angezeigten Arbeiten zusammengefasst wurden. Unter diesen Umständen erachtete das Bundesgericht die Kündigung für missbräuchlich.
2.3.2 Renditekündigung
Das Mietverhältnis begann 1962. Nach dem Tod des ursprünglichen Mieters traten seine Söhne in den Mietvertrag ein. Einer davon lebte in der Folge in der Wohnung des verstorbenen Vaters. Mit Formularanzeige vom August 2010 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis. Zur Begründung gab er einerseits an, er wolle nach rund 48-jähriger Mietdauer und nach dem Tod des ursprünglichen Mieters wieder frei über die Wohnung verfügen. Anderseits machte er geltend, der Mietzins für vergleichbare Wohnungen in der Liegenschaft liege um ein Mehrfaches höher. Für den Vermieter handelte es sich um eine Kündigung, die allein schon schutzwürdig sei, weil niemand zu einer ewigen Vermietung verpflichtet werden könne.
Das Bundesgericht konnte dem nicht folgen.33 Der Kündigungsschutz, der dem ursprünglichen Mieter zustand, gilt in gleicher Weise für seine Erben. Weder der Tod des ursprünglichen Mieters noch die lange Mietdauer stellen für sich genommen einen schutzwürdigen Kündigungsgrund dar. Grund der Kündigung war vielmehr der Wunsch, einen höheren Mietzins zu erzielen. Dieser Grund ist zulässig, sofern der Vermieter beweisen kann, dass er eine Anpassung des Mietzinses an das nach absoluter Berechnungsmethode erlaubte Mass nur bei einem Mieterwechsel erzielen kann, nicht dagegen im laufenden Mietverhältnis.34 Da der Vermieter diesen Beweis nicht erbrachte, ist die Kündigung nach Bundesgericht missbräuchlich.
2.3.3 Auszug von Mitmieter nach Kündigung
Die Kündigung des Vermieters wurde nur einem der beiden Mitmieter mitgeteilt. Sie war damit klar formungültig. Allerdings erachtete das Bundesgericht die Berufung auf diese Formungültigkeit als rechtsmissbräuchlich, da der zweite Mitmieter ausgezogen war und offensichtlich nichts mehr mit dem Mietobjekt zu tun haben wollte.35 Damit berufe sich der verbleibende Mitmieter auf das Rechtsschutzinteresse eines Dritten, der diesen Schutz nicht wahrnehmen will. Dieser Entscheid ist eine Art Gegenstück zur Möglichkeit der selbstständigen Kündigungsanfechtung jedes einzelnen Mitmieters (vgl. Ziffer 2.2.2). Sobald dieses Recht nicht mehr ungeteilt allen Mitmietern zusteht, sondern jedem einzelnen von ihnen, liegt es nahe, das Kündigungsschutzinteresse des desinteressierten Mitmieters als Drittinteresse zu betrachten.
2.3.4 Zahlungsverzug, Fälligkeit von Nebenkosten
Wer seinen finanziellen Verpflichtungen nicht pünktlich nachkommt, findet vor Bundesgericht selten ein Nachsehen. Auch in einem neuen Entscheid schützt es die finanziellen Interessen des Vermieters.36 Zur Debatte stand ursprünglich die Nachzahlung aufgrund einer bestrittenen Nebenkostenabrechnung im Betrag von Fr. 329.25. Der Mieter rief die Schlichtungsbehörde an. Hier einigten sich die Parteien auf eine Sistierung des Verfahrens bis 31. März 2010 mit dem Zusatz, dass das Schlichtungsverfahren als gescheitert gelte, falls bis dahin keine einvernehmliche Lösung zustande komme. Jene Partei, die an ihren Anträgen festhalte, müsse in diesem Fall innert 30 Tagen das Gericht anrufen. Es gab keine ausserbehördliche Einigung, und keine der Parteien rief das Gericht an. Stattdessen schickte der Vermieter einen Zahlungsbefehl über die ausstehende Nachzahlung. Der Mieter erhob Rechtsvorschlag und löste damit eine formal korrekte Zahlungsaufforderung mit Kündigungsandrohung aus. Nun teilte der Mieter mit, dass er innert Frist die Hälfte des Ausstands zahle, aber auf einer korrekten Abrechnung beharre. Die nachfolgende Zahlungsverzugskündigung wurde vom Bundesgericht geschützt. Sie sei trotz bisher lückenloser Erfüllung der Zahlungspflichten während vierzig Jahren nicht anfechtbar, da der Mieter den Ausstand bewusst zurückgehalten habe. Der Ausstand sei nicht unbedeutend, denn anfechtbar sei nur ein Ausstand, wenn es sich objektiv und für sich genommen um einen kleinen Betrag handle. Das Verhältnis zum Mietzins sei demgegenüber nicht entscheidend. Nach dieser Bundesgerichtspraxis muss ein Mieter eine Nachzahlung von Nebenkosten stets begleichen, auch wenn sie mit guten Gründen bestritten sein sollte.
Auf dem Hintergrund des eben vorgestellten Entscheids wächst die Bedeutung der Rechtsprechung zur Fälligkeit einer Nachzahlung aus Nebenkostenabrechnung. Für Heizkosten ist schon aufgrund von Art. 8 Abs. 1 VMWG klar, dass eine jährliche detaillierte Abrechnung geschuldet ist, die Auskunft gibt über die Aufteilung der Heiz- und Warmwasserkosten. Dieser Anforderung kam der Vermieter nicht nach. In gleicher Weise – so das Bundesgericht – muss auch die Betriebskostenabrechnung darüber Auskunft geben, welche Kosten dem Mieter nach welchem Verteilschlüssel belastet werden.37 Im konkreten Fall wurden die Kosten für Wasser, Kanalisation und Kehricht in einem einzigen Posten zusammengefasst. Beim Studium des Verteilschlüssels erging es dem Bundesgericht nicht anders als vielen Mieterinnen und Mietern: Die Aufteilung blieb unklar. Damit wurde die Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung nicht fällig. Die darauf gestützte Zahlungsverzugskündigung erwies sich folglich als unwirksam.
2.3.5 Suchbemühungen bei betagter Mieterin
Im Rahmen einer Zweiterstreckung stand zur Debatte, ob eine 93-jährige Mieterin genügend Suchbemühungen unternommen habe. Sie lebte in bescheidenen finanziellen Verhältnissen, hatte sich während der mit Vergleich eingeräumten Ersterstreckung von einem Jahr nicht um eine Ersatzwohnung bemüht und meldete sich erst kurz nach Einreichung ihrer Klage auf Zweiterstreckung für den Platz in einer Alterssiedlung an. Die Vorinstanz erachtete die Suchbemühungen der Mieterin als ungenügend. Daher kürzte sie eine noch mögliche Zweiterstreckung von maximal drei Jahren auf ein Jahr.
Nach Bundesgericht können dagegen von einer betagten Mieterin keine chancenlosen Bewerbungen auf Wohnungsinserate verlangt werden.38 Vielmehr muss es genügen, wenn sich die Mieterin ernsthaft um einen Platz in einer Alterssiedlung oder einem Altersheim bewirbt. Da der Vermieter keine Gründe nennen konnte, weshalb die Wohnung dringend verfügbar sein müsse, liege ein «eklatantes Ungleichgewicht» der Interessen vor. Auf diesem Hintergrund war für das Bundesgericht die gewährte Zweiterstreckung zu kurz und damit bundesrechtswidrig. Es gewährte eine zweijährige Zweiterstreckung und kürzte damit die mögliche Maximaldauer angesichts fehlender Suchbemühung im ersten Erstreckungsjahr um einen Drittel.
2.4 Missbräuchlicher Mietzins
Im Bereich des Schutzes vor missbräuchlichen Mietzinsen war das Bundesgericht damit beschäftigt, unklare frühere Entscheide zu präzisieren und einen Leitentscheid zu korrigieren.
2.4.1 Ausserordentlicher Unterhalt, Nettorendite
Gleich in zwei Punkten präzisierte das Bundesgericht mit einem Entscheid vom 8. Juli 2014 seine Rechtsprechung.39 Es handelt sich um die Fragen, wie lange die Nettorenditeberechnung oberste Regel bleibt, sowie um die korrekte Verzinsung des ausserordentlichen Unterhalts.
Die Nettorendite begrenzt nach langer Rechtsprechung den noch zulässigen Mietzins und bewirkt, dass auch ein orts- oder quartierüblicher Mietzins missbräuchlich sein kann, wenn er zu einer übersetzten Nettorendite führt. Bei Altbauten stösst die Nettorendite allerdings auf praktische Schwierigkeiten. Sie kann daher durch die Orts- oder Quartierüblichkeit ersetzt werden. Von Altbauten sprach das Bundesgericht bisher, wenn die Liegenschaft bereits «mehrere Jahrzehnte» im gleichen Eigentum stand. Diese Zeitangabe präzisiert es nun mit einer konkreten Nennung von mindestens dreissig Jahren.
Gleichzeitig musste ein weiterer Bundesgerichtsentscheid präzisiert werden, der bisher zu Diskussionen Anlass gegeben hat. Das Bundesgericht hatte in einem Entscheid aus dem Jahr 1995 erklärt, dass ein ausserordentlicher Unterhalt auf die Lebensdauer der Sanierung aufzuteilen sei, wobei er zu einem Satz von fünf Prozent verzinst werden könne.40 Einzelne Autoren leiteten daraus ab, dass dieser Zinssatz ganz allgemein als Durchschnittszinssatz gelte. Nach der nun klaren Aussage des Bundesgerichts liegt die zulässige Verzinsung bei 0,5 Prozent über dem bei der Sanierung geltenden Referenzzinssatz (E. 3.5.2), derzeit somit bei 2,5 Prozent.
2.4.2 Anfangsmietzins
Zum Thema Anfangsmietzins erscheinen immer wieder neue Entscheide des Bundesgerichts. Derzeit steht die Einführung der Formularanzeige für die gesamte Schweiz zur Diskussion. Die Verwaltung ist nach erfolgter Vernehmlassung dabei, eine entsprechende Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Etliche Bundesgerichtsurteile setzen sich mit der Frage auseinander, nach welchen Kriterien der Richter einen Anfangsmietzins festsetzen muss, der mangels obligatorischer Formularanzeige formnichtig ist.
Grundsätzlich muss der Richter in solchen Fällen den Mietzins aufgrund der Nettorenditeberechnung (BGE 124 III 310 E. 2b) und bei Altbauten (vgl. 2.4.1) aufgrund der Ortsüblichkeit (BGE 130 III 13 E. 3.5.1) festsetzen. Verfügt er aber über keine Anhaltspunkte zur Nettorenditeberechnung oder über keine Vergleichsmietzinse zur Bestimmung der Ortsüblichkeit, muss er auf alle im Einzelfall verfügbaren Umstände zurückgreifen. Dabei wird vom Bundesgericht nicht beanstandet, wenn dem Richter mangels anderer Angaben eine bereits achtjährige amtliche Mietzinsstatistik als Ausgangspunkt dient.41
Bei formungültig angezeigten Anfangsmietzinsen stellt sich die Frage nach der Rückforderung von nichtigen Anfangsmietzinsen. In einem neuen Leitentscheid42 fasst das Bundesgericht die Grundsätze der Rückforderung zusammen und korrigiert dabei einen früheren Leitentscheid,43 der eine Heilung des nichtigen Anfangsmietzinses vorsah, falls der Mieter die Formnichtigkeit nicht umgehend nach Entdeckung des Irrtums geltend macht. Das löste Kritik aus.
Neu stellt das Bundesgericht auf folgende Grundsätze ab: Ein Formfehler kann im Mietrecht nicht durch die vorbehaltlose Erfüllung des Vertrags geheilt werden, denn im Gegensatz zum übrigen Vertragsrecht gilt im Mietrecht der Grundsatz, dass der Mieter seine Rechte nicht kennt. Damit kommt das Bundesgericht auf eine alte Rechtsprechung (BGE 113 II 187) zurück, die allerdings seit damals nie mehr in Frage gestellt wurde, aber nicht bei allen Behörden präsent blieb.
Die Rückforderung eines nichtigen Anfangsmietzinses untersteht den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung. Sie kann rechtsmissbräuchlich sein. Doch ist nach Bundesgericht nur unter strengen Voraussetzungen von einem Rechtsmissbrauch auszugehen. In die klassische Fallkategorie des widersprüchlichen Verhaltens fällt in diesem Zusammenhang höchstens, dass der Mieter den Formfehler kennt, ihn jedoch nicht aufdeckt, um später daraus einen Vorteil zu ziehen, oder dass der Mieter in Kenntnis seiner Rechte ausdrücklich auf die Geltendmachung des Formfehlers verzichtet hat. Die anstandslose Bezahlung eines nichtigen Anfangsmietzinses oder einer nichtigen Mietzinserhöhung über Jahre hinweg kann dagegen nicht als widersprüchliches Verhalten ausgelegt werden. Bis dahin wiederholt das Bundesgericht ebenfalls eine langjährige Rechtsprechung. Doch räumt es neu ein, der Mieter sei nicht verpflichtet, den Formfehler sofort nach Entdeckung geltend zu machen. Einzig die einjährige Verjährungsfrist nach Art. 67 Abs. 1 OR setzt ihm zeitliche Grenzen für die Geltendmachung seines Anspruchs.