1. Gesetzgebung
Soziale Sicherheit will den versicherten Personen beim Eintritt eines relevanten sozialen Risikos hinreichenden Schutz bieten. Dabei bezieht sich die Sozialversicherung insbesondere auf den Verlust von Erwerbseinkommen. Damit muss das Sozialversicherungsrecht soziologische Entwicklungen aufnehmen. Während früher die Mobilität kleiner war, werden heute Arbeitsstellen rascher gewechselt, werden Wohnsitze verlegt, werden Staatsangehörigkeiten erworben, werden Stellenpensen oft geändert.
Das Rechtssystem reagiert auf solche Entwicklungen mit erheblicher Verzögerung. So finden neue Lebensformen nur langsam Eingang in das Sozialversicherungssystem,3 neue Erwerbsformen – zum Beispiel Roboterarbeit, Teilzeittätigkeiten, Arbeit auf Abruf – werden allenfalls reaktiv erfasst,4 internationale Sachverhalte werden nicht immer überzeugend normiert.5
Die Gesetzgebung im Sozialversicherungsrecht muss solchen Veränderungen Rechnung tragen. Der sozialversicherungsrechtliche Schutz muss individualisiert werden und der einzelnen Person eine konstante Absicherung gewähren. Dieser Schutz muss unabhängig von Zivilstand, Erwerbspensum und -einkommen, Nationalität und Wohnort bestehen. Die Leistung wird wohl tiefer liegen, dafür konstanter sein. Die Eingliederung wird eher an Bedeutung verlieren, weil die heute übliche einmalige Eingliederung in einen bestimmten Beruf je länger desto weniger relevant sein wird.
Die heutige Gesetzgebung und die laufenden Revisionen im Sozialversicherungsrecht tragen solchen grundsätzlichen Überlegungen kaum Rechnung. Es ist notwendig, dass sich die interessierten Kreise dafür einsetzen, für die Vorbereitung von Gesetzesrevisionen einen weiten Horizont zu wählen.
2. Internationale Sachverhalte
Die Unterstellung unter die Sozialversicherung ist insbesondere im Anwendungsbereich der Kollisionsnormen im europäischen Bereich gelegentlich schwierig zu beurteilen. Bezogen auf die Abgrenzung der selbständigen Erwerbstätigkeit von der unselbständigen Erwerbstätigkeit bestehen keine vertragsautonomen Definitionen, sondern es sind die Begriffsbestimmungen im jeweiligen Landesrecht massgeblich. Wenn bezogen auf die in Deutschland geleistete Arbeit eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt und zugleich in der Schweiz eine unselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, unterliegt die betreffende Person den Rechtsvorschriften der Schweiz.6
In AHV-beitragsrechtlicher Hinsicht hat sich das Bundesgericht mit der Einordnung von Einlagen in eine ausländische Kommanditgesellschaft für kollektive Kapitalanlagen befasst; hier wurde im Grundsatz bei der Personengesellschaft die erwerbliche Zielsetzung verneint, doch im konkreten Fall aufgrund der Umstände dennoch ein erwerbliches Handeln angenommen.7
Wer sich ferienhalber oder beruflich im Ausland aufhält und dort von einer Krankheit betroffen ist, hat mit mancher Unbill zu rechnen. Eine Problematik davon hat das Bundesgericht geklärt. Muss die in der Schweiz krankenpflegeversicherte Person, welche sich im europäischen Ausland wegen einer Krankheit notfallmässig behandeln lassen muss, einen – allfälligen – Selbstbehalt oder eine Franchise nach der betreffenden ausländischen Regelung definitiv tragen? Oder richtet sich der Selbstbehalt so oder so ausschliesslich nach schweizerischem Recht? Ein Versicherter, welcher sich in Frankreich stationär behandeln lassen musste, hatte dem französischen Spital einen Betrag von Fr. 2997.85 zu zahlen, weil in Frankreich ein Selbstbehalt von 20 Prozent der Spitalkosten zu tragen ist. Das Bundesgericht sprach sich dafür aus, dass sich die Frage des Selbstbehaltes nach dem ausländischen Recht richtet.8
Ferner thematisierte das Bundesgericht die Voraussetzung des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Schweiz, um eine ausserordentliche Invalidenrente der IV beanspruchen zu können. Bezogen auf diese Rente ist nicht davon auszugehen, dass die Wohnsitzklausel aufgehoben wäre; aus den europarechtlichen Bestimmungen kann insoweit nicht abgeleitet werden, dass bei einem Wohnsitz ausserhalb der Schweiz Anspruch darauf besteht, die ausserordentliche Invalidenrente beziehen zu können.9
Das Bundesgericht befasste sich ausserdem mit der Frage, ob die neuen Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts gebieten, beim Bezug einer rumänischen Invalidenrente eine schweizerische Ergänzungsleistung zu gewähren. Die Bestimmung von Art. 5 lit. a VO 883/2004 fand im konkreten Fall keine Anwendung, was mit sich bringt, dass beim Bezug einer rumänischen Invalidenrente kein Anspruch auf die schweizerische Ergänzungsleistung besteht.10
Im Zusammenhang mit Familienzulagen im internationalen Verhältnis erfüllt die Anspruch erhebende Person die Voraussetzung der Nationalität, welche bezogen auf eine allfällige Anwendung des Freizügigkeitsabkommens von Bedeutung ist, nicht, wenn sie weder Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaates noch Schweizer Bürgerin ist. Dass die Familienangehörigen als Bulgaren Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaates sind, ändert nichts daran. Wenn es um Leistungen geht, welche an die Eigenschaft als Arbeitnehmer anknüpfen, ist keine Ausdehnung auf Drittstaatsangehörige als Familienmitglieder denkbar.11
3. Alters- und Hinterlassenen-versicherung (AHV)
3.1 AHV-Beiträge
Im Zusammenhang mit den AHV-Nichterwerbstätigenbeiträgen bei einer Besteuerung nach dem Aufwand gemäss Art. 14 DBG überprüfte das Bundesgericht Art. 29 Abs. 5 AHVV. Diese Bestimmung verletzt weder das Willkürverbot noch das Gebot der rechtsgleichen Behandlung und stützt sich auf ernsthafte sachliche Gründe. Insoweit ist der steuerlich geschätzte Aufwand dem AHV-beitragsrechtlich relevanten Renteneinkommen gleichzusetzen.12
In Bezug auf das Vorgehen bei der Festlegung des beitragspflichtigen Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit bildet das von den Steuerbehörden der AHV-Ausgleichskasse gemeldete rohe Einkommen die Ausgangsbasis sowohl für den Eigenkapitalzinsabzug wie auch für die Beitragsaufrechnung. Was die Reihenfolge der beiden Rechenoperationen betrifft, muss vermieden werden, dass der Abzug des Zinses für das investierte Eigenkapital zu einem Teil des beitragspflichtigen Einkommens wird. Die bisherige Verwaltungspraxis ist deshalb bundesrechtswidrig.13
Oft muss im Sozialversicherungsrecht bestimmt werden, welches der massgebende AHV-pflichtige Lohn ist. Zu dieser Problematik gehört die Abgrenzung von Kapitalertrag und massgebendem Lohn, wenn jemand sowohl Dividenden als auch Lohn erhält. Das Bundesgericht wendet die Rechtsprechung nach BGE 134 V 297 weiterhin an, da die im Bundesrecht getroffene Regelung der privilegierten Dividendenbesteuerung vom Gehalt her mit der in den Kantonen Obwalden und Nidwalden bereits früher eingeführten Regelung übereinstimmt.
Massgebend für die Abgrenzung ist, ob zwischen der Arbeitsleistung und dem im betreffenden Zeitraum ausgezahlten Entgelt ein offensichtliches Missverhältnis besteht. Ab einer Grenze von 10 Prozent des Eigenkapitalertrags wird vermutungsweise eine überhöhte Dividendenzahlung angenommen.14
In einem anderen Urteil schritt das Bundesgericht zur Qualifikation von Sparbeiträgen, welche von der Arbeitgeberin an eine Vorsorgeeinrichtung bezahlt wurden.15
3.2 Verantwortlichkeit nach Art. 52 AHVG
Das Bundesgericht hält daran fest, dass Direktoren von Aktiengesellschaften mit Einzelunterschriftsberechtigung keine formellen Organe im Sinne von Art. 52 Abs. 1 AHVG sind. Voraussetzung für ihre Haftbarkeit ist bei dieser Ausgangslage im Grundsatz, dass sie disponieren und Zahlungen an die Ausgleichskasse veranlassen können.16 In einem Urteil betreffend die Verjährung der Schadenersatzforderung nach Art. 52 Abs. 3 AHVG wurde festgehalten, dass zwischen der Beitragsforderung und der Schadenersatzforderung aufgrund ihres Gegenstandes und ihrer Rechtsnatur unterschieden werden muss. Die Schadenersatzforderung stellt nämlich eine eigenständige Forderung dar. Die Verjährung des Schadenersatzanspruchs kann deshalb nur durch Rechtsakte unterbrochen werden, welche sich auf die Schadenersatzforderung selber beziehen.17
3.3 AHV-Leistungen
Bei verheirateten oder geschiedenen Personen wird bei der Rentenberechnung ein Splitting der beidseitigen Einkommen während der Verheiratung vorgenommen. Es stellt sich die Frage, wie bezogen auf das Splitting vorzugehen ist, wenn der eine Ehepartner bereits eine Altersrente bezieht, aber weiterhin erwerbstätig ist. Angesichts der klaren und eindeutigen gesetzlichen Normen, welche die Rentenberechnung regeln (Art. 29quater in Verbindung mit Art. 30 Abs. 2 AHVG), kann diesbezüglich keine echte Gesetzeslücke angenommen werden. Es bleibt dabei, dass nur Beitragszeiten und Einkommen bis zum Ende des Vorjahres vor Erreichung des Rentenalters berücksichtigt werden.18
Das Bundesgericht beschäftigte sich des Weiteren mit der Abgrenzung zwischen dem Festlegen einer Rückerstattungspflicht und dem Entscheid über den Erlass einer Rückerstattung. Die Erlassfrage kann erst geprüft werden, wenn die formelle Rechtskraft der Rückerstattungsforderung feststeht. Im konkreten Fall nahm das Bundesgericht an, die als rückerstattungspflichtig bezeichnete Person habe nicht nur ein Erlassgesuch gestellt, sondern habe auch die Zulässigkeit der Rückforderung in Zweifel gezogen.19
4. Invalidenversicherung (IV)
4.1 Psychosomatische Leiden
Grundlegend ist die vom Bundesgericht begründete Rechtsprechung zur allfälligen Invalidität im Zusammenhang mit einer somatoformen Schmerzstörung und vergleichbaren psychosomatischen Leiden. Das Bundesgericht hat sich in grundsätzlicher Weise mit seiner bisherigen Rechtsprechung zu den umstrittenen «unklaren Beschwerdebildern» auseinandergesetzt. Als «unklar» wurden in der bisherigen Praxis solche gesundheitlichen Einschränkungen angesehen, welche sich nicht bildgebend und objektiv aufzeigen liessen. Dazu gehörten die somatoforme Schmerzstörung oder die Fibromyalgie. Diesbezüglich wurde vom Bundesgericht eine Praxisänderung vorgenommen: Die bisherige Vermutung der Überwindbarkeit bei unklaren Beschwerdebildern wird vom Bundesgericht aufgegeben. Das frühere «Regel/Ausnahme-Modell» wird durch ein strukturiertes, normatives Prüfungsraster ersetzt. In diesem Rahmen wird anhand eines Katalogs von Indikatoren eine ergebnisoffene, symmetrische Beurteilung des tatsächlich erreichbaren Leistungsvermögens vorgenommen.20
Es gelten zukünftig zwei unterschiedliche Prüfungskategorien (nachstehend Ziff. 1 und Ziff. 2). Innerhalb der beiden «Kategorien» werden je unterschiedliche «Komplexe» unterschieden.
- 1. Kategorie «Funktioneller Schweregrad».
- 1.1 Komplex «Gesundheitsschädigung».
- 1.1.1 Ausprägung des diagnoserelevanten Befunds. Hier geht es um Feststellungen über die konkreten Erscheinungsformen der diagnostizierten Gesundheitsschädigung.
- 1.1.2 Behandlungs- und Eingliederungserfolg oder -resistenz. Beispiel: Das definitive Scheitern einer indizierten, lege artis und mit optimaler Kooperation des Versicherten durchgeführten Therapie weist auf eine negative Prognose hin.
- 1.1.3 Komorbiditäten. Diese bilden Gradmesser dafür, ob die Gesundheitsschädigungen der versicherten Person Ressourcen rauben.
- 1.2 Komplex «Persönlichkeit» (Persönlichkeitsdiagnostik, persönliche Ressourcen). Mit diesem «Komplex» wird konkretisiert, ob und inwieweit die betreffende Person Ressourcen hat, trotz der gesundheitlichen Einschränkung berufstätig zu sein; es geht um Rückschlüsse auf das Leistungsvermögen. Weil die Persönlichkeitsdiagnostik mehr als andere Indikatoren untersucherabhängig ist, bestehen hier besonders hohe Begründungsanforderungen. Diesen Konturen zu verleihen, wird Aufgabe noch zu schaffender medizinischer Leitlinien sein.
- 1.3 Komplex «Sozialer Kontext». Es können sich aus diesem Kontext Ressourcen ergeben, welche das Leistungsvermögen mitbestimmen.
- 2. Kategorie «Konsistenz» (Gesichtspunkte des Verhaltens).
- 2.1 Gleichmässige Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen. Hier wird geprüft, ob die diskutierte Einschränkung in Beruf und Erwerb einerseits und in den sonstigen Lebensbereichen anderseits gleich ausgeprägt ist.
- 2.2 Behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesener Leidensdruck. Inkonsistentes Verhalten ist hier ein Indiz dafür, dass die geltend gemachte Einschränkung anders begründet ist als durch eine versicherte Gesundheitsbeeinträchtigung.21
Ob in psychiatrischer Hinsicht ausschliesslich von einer Schmerzstörung im Sinn eines «unklaren Beschwerdebildes» auszugehen ist, dessen Rentenrelevanz sich nach der vorgenannten Rechtsprechung beurteilt, entscheidet sich danach, ob die mittelgradige depressive Episode lediglich als Begleiterscheinung der Schmerzfehlentwicklung oder als selbständiges, davon losgelöstes Leiden anzusehen ist. Es ist ferner nach einem weitgehend objektivierten Massstab zu beurteilen, ob und inwiefern der betreffenden Person die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zumutbar und für die Gesellschaft tragbar ist.22
Die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung sind noch nicht alle überblickbar. Jedenfalls stellt sie für sich allein keinen Neuanmeldungs- beziehungsweise Revisionsgrund dar und bildet auch keinen neuen Wiedererwägungsgrund.23
Die Umsetzung dieser neuen Rechtsprechung fällt nicht durchwegs leicht; offensichtlich erhält die sorgfältige gutachtliche Abklärung einen hohen Stellenwert. Was den Anwendungsbereich des so strukturierten Beweisverfahrens betrifft, geht das Bundesamt für Sozialversicherungen von einem sehr weit gefassten Anwendungsbereich aus.24
Das Bundesgericht seinerseits hält fest, dass die Durchführung eines strukturierten Beweisverfahrens sich erübrigt, wenn die Leistungseinschränkung überwiegend auf Aggravation oder einer ähnlichen Erscheinung beruht, welche die Annahme einer gesundheitlichen Beeinträchtigung von vornherein ausschliessen.25
Ferner thematisiert das Bundesgericht die Abgrenzung zwischen anspruchsausschliessender Aggravation und einer blossen Verdeutlichungstendenz sowie die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen, sorgfältigen Prüfung.26
4.2 Drogensucht und Invalidität
Das Bundesgericht bestätigte seine Rechtsprechung zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Drogensucht zu einer Invalidität führen kann. Dabei sind reine Suchtfolgen IV-rechtlich irrelevant, soweit sie nicht in einem engen Zusammenhang mit einem eigenständigen Gesundheitsschaden stehen. Die vorgenannte Rechtsprechung nach BGE 141 V 281 lässt sich nicht auf die Abklärung einer allfälligen Invalidität bei Suchtproblematik anwenden.27
4.3 Invaliditätsgrad
Sehr oft muss sich das Bundesgericht mit der Bestimmung der für den Invaliditätsgrad massgebenden Vergleichseinkommen (Validen- und Invalideneinkommen; dazu Art. 16 ATSG) befassen. Ist das bisherige Einkommen im Vergleich zu einem Tabelleneinkommen unterdurchschnittlich, sind beim Einkommensvergleich anhand parallelisierter Einkommen zwei Schritte zu unterscheiden.
Als Erstes ist die Frage der Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens zu prüfen. Im Rahmen des Einkommensvergleichs folgen dann die Ermittlung und anschliessend die Gegenüberstellung der hypothetischen Vergleichseinkommen. Bei der Prüfung der Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens ist stets das statistisch branchenübliche Durchschnittseinkommen an die statistisch betriebsübliche Arbeitszeit anzupassen; analog ist vorzugehen, wenn auf das tatsächlich erzielte Valideneinkommen abgestellt wird.28
Bezogen auf das Invalideneinkommen hält das Bundesgericht fest, dass der für die Bestimmung dieses Einkommens massgebende ausgeglichene Arbeitsmarkt auch sogenannte Nischenarbeitsplätze umschliesst.29
Zudem äusserte sich das Bundesgericht zu den Voraussetzungen, um Angaben gemäss der Dokumentation von Arbeitsplätzen (DAP) verwenden zu können. Das Bundesgericht bejaht die Massgeblichkeit entsprechender Angaben und bedauert, dass die DAP-Datenbank nur der Suva, nicht aber den anderen zugelassenen Unfallversicherern zur Verfügung steht.30
Es schadet nicht, wenn im Gesamtresultat einer DAP-Abfrage allenfalls einzelne Stellen vorhanden sind, für welche die versicherte Person aus invaliditätsfremden Gründen weniger geeignet erscheint.31 Wichtig ist das Urteil des Bundesgerichts zum Umgang mit der neuen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2012. Weil nicht Ungleiches verglichen werden darf, kann die Anwendbarkeit der LSE 2012 im Revisionsfall nicht integral erfolgen.32
Auf eine Gratwanderung begab sich das Bundesgericht, als es die Frage nach der Berücksichtigung einer allfälligen Invalidenkarriere zu klären hatte. Aus einer erfolgreichen Invalidenkarriere kann nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, die versicherte Person hätte ohne Invalidität eine vergleichbare Position auch im angestammten Tätigkeitsgebiet erreicht. Indessen ist ein solcher Schluss zulässig, sofern die konkreten Umstände dafür sprechen.33
4.4 Teilerwerbstätige
Das Bundesgericht beschäftigte sich mit der gemischten Methode zur Invaliditätsbestimmung und mit den Auswirkungen des Entscheides des EGMR in Sachen Di Trizio. Solange kein endgültiges Urteil des EGMR zur Frage des Vorgehens im Sinne der gemischten Methode vorliegt, besteht für das Bundesgericht kein Anlass, die gemischte Methode der Invaliditätsbemessung nicht weiterhin anzuwenden.34
Ferner setzte sich das Bundesgericht mit dem Invaliditätsgrad bei hypothetisch Teilerwerbstätigen ohne Aufgabenbereich auseinander. Die bisherige Rechtsprechung BGE 131 V 51 führt zu einer nicht zu vereinbarenden Bevorzugung von Teilerwerbstätigen ohne anerkannten Aufgabenbereich gegenüber Teilerwerbstätigen mit einem anerkannten Aufgabenbereich.
Das Bundesgericht ändert die Rechtsprechung dahingehend, dass bei teilerwerbstätigen Versicherten ohne Aufgabenbereich die anhand der Einkommensvergleichsmethode zu ermittelnde Einschränkung im allein versicherten erwerblichen Bereich proportional zu berücksichtigen ist.35
4.5 Einzelne Leistungskategorien der IV
Nach bundesgerichtlicher Festlegung ist es bei medizinischen Massnahmen gerechtfertigt, die Kosten einer Beinverlängerungsoperation (von über 100 000 Franken) im Zusammenhang mit dem Turner-Syndrom der Invalidenversicherung zu überbinden. Das IVG sieht bei entsprechenden medizinischen Massnahmen weder eine Kostenplafonierung noch eine Mindestgrösse, die durch die Behandlung zu erreichen wäre, vor.36
Das Bundesgericht nahm ferner Stellung zur Schadensminderungspflicht der versicherten Person betreffend den Anspruch auf Assistenzbeitrag. Gemäss dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht ist es nahen Angehörigen zuzumuten, gewisse Hilfeleistungen ohne Abgeltung durch die Sozialversicherungen vorzunehmen. Massgebend zur Beurteilung der Schadensminderungspflicht ist die Frage, wie sich eine vernünftige Familiengemeinschaft einrichten würde, sofern keine Versicherungsleistungen zu erwarten wären. Von Belang ist, ob eine schadensmindernde Mithilfe Angehöriger im Einzelfall objektiv tatsächlich möglich und zumutbar ist. Im betreffenden Urteil hatten die Bundesrichter einen Sachverhalt einzuordnen, bei welchem hochbetagte Eltern vorhanden sind.37
Nicht immer leicht zu beurteilen ist, ob anstelle eines Hilfsmittels Anspruch auf Ersatzleistungen in Form von Dienstleistungen Dritter besteht. Am entsprechenden Anspruch auf Ersatzleistungen ändert sich nichts, wenn die versicherte Person wegen der hohen Arbeitsbelastung einen Blindenführhund nicht einsetzen kann und deshalb auf dieses Hilfsmittel keinen Anspruch hat.38
Im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Assistenzbeitrag und das Abklärungsinstrument FAKT2 hatte das Bundesgericht eine Reihe von Fragen zu klären. Nach einer Darlegung der rechtlichen Grundlagen ging das Gericht auf die Bestimmung der zu berücksichtigenden «Überwachung» ein. Es wurde ferner der massgebende Pauschalansatz für den Assistenzbeitrag bestimmt und festgehalten, dass die Grundsätze für die Überwachung während des Tages auch für den Nachtdienst heranzuziehen sind.39
Den Überwachungsbedarf thematisierte das Bundesgericht ferner bei einem Kind im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hilflosenentschädigung.40
5. Ergänzungsleistungen (EL)
Bei der Ordnung der örtlichen Zuständigkeit der Organe der Ergänzungsleistungen besteht eine Kongruenz zwischen Ergänzungsleistung und Sozialhilfe.41
Bei den anrechenbaren Einnahmen beschäftigte sich das Bundesgericht wiederholt mit den sogenannten hypothetischen Einkommen. Bezogen auf den Ehepartner eines Leistungsansprechers, verneinte das Bundesgericht eine Regel, wonach einer Ehegattin die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ab einem bestimmten Alter grundsätzlich nicht mehr zugemutet werden kann. Immerhin besteht eine realistische Übergangsfrist, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen beziehungsweise das Arbeitspensum zu erhöhen.42
Bei den Krankheits- und Behinderungskosten legt das ELG bei den medizinisch bedingten Transportkosten bezogen auf die Begleitkosten nichts fest und überlässt insoweit die allfällige Regelung den Kantonen.43
6. Berufliche Vorsorge (BVG)
6.1 Leistungen generell
Was den Nachweis der richtigen Erfüllung der Leistungspflicht betrifft, trifft die Beweislast für die Echtheit einer Unterschrift den Versicherungsträger. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Vorsorgeeinrichtung befugt ist, die Akten elektronisch aufzubewahren.44
6.2 Aufsicht
Der Umsetzung einer individuellen Ausgestaltung der Anlagestrategie sind Schranken gesetzt. Das Gebot der Kollektivität der beruflichen Vorsorge kann eine sehr hohe Zahl von Anlagestrategien ausschliessen. Wenn von der Aufsichtsbehörde eine Vorabprüfung jeder einzelnen Anlagestrategie durch den Experten verlangt wird, ist dies weder unangemessen noch sonstwie bundesrechtswidrig.45
Eine Aufsichtsgebühr muss das Kostendeckungsprinzip und das Äquivalenzprinzip berücksichtigen. Im konkreten Fall betrachtete das Bundesgericht die Erhöhung der Gebühr um das Dreifache im Ergebnis als nicht mehr vertretbar.46
6.3 Weitergehende berufliche Vorsorge
Bei der Ausgestaltung der weitergehenden beruflichen Vorsorge sind die Grundsätze der Rechtsgleichheit zu beachten. Wenn in der weitergehenden beruflichen Vorsorge Anspruch auf eine Zusatzleistung bei Berufsunfähigkeit besteht, darf nicht danach unterschieden werden, ob die versicherte Person von der IV-Stelle eine Invalidenrente erhält oder nicht.47 Falls gesundheitliche Vorbehalte angebracht werden sollen, muss nachgewiesen sein, dass die Vorsorgeeinrichtung den Vorbehalt der versicherten Person mitgeteilt hat.48
6.4 Säule 3a
Die gebundene Vorsorge (Säule 3a) leitet sich aus der 2. Säule ab. Deshalb haben subsidiär die Regelungen der 2. Säule Bedeutung.49
Allerdings besteht bezogen auf Invalidenleistungen der Säule 3a keine Bindung an die Feststellungen der IV.50
6.5 Ehescheidung
Im Zusammenhang mit der Ermittlung der Höhe der zu teilenden Austrittsleistung bei Ehescheidung für einen Eheschluss vor dem 1. Januar 1995 ist je nachdem unterschiedlich zu verfahren, ob die versicherte Person die Vorsorgeeinrichtung gewechselt hat oder nicht.51
6.6 Rückerstattungen
Bezogen auf die Rückerstattung von bereits überwiesenen Austrittsleistungen beim nachträglichen Entstehen einer Leistungspflicht hielt das Bundesgericht fest, dass die frühere Vorsorgeeinrichtung die Rückerstattung nicht erzwingen kann und auch nicht erzwingen muss; vielmehr besteht für sie die Möglichkeit, die fehlende Rückerstattung mit einer Leistungskürzung zu sanktionieren.52
Die Fristen nach Art. 35a Abs. 2 BVG sind als Verjährungsfristen im obligationenrechtlichen Sinne zu verstehen. Bei der fünfjährigen Frist handelt es sich also nicht um eine Verwirkungsfrist.53 Die Frist für die Geltendmachung einer Rückerstattung kann so lange nicht laufen, als die betreffende Leistung noch nicht ausgerichtet wurde. Diese bezogen auf Art. 25 Abs. 2 ATSG entwickelte Rechtsprechung ist auch im Anwendungsbereich von Art. 35a Abs. 2 BVG massgebend.54
6.7 Teilliquidation
Das Bundesgericht ging auf die Frage ein, ob im konkreten Fall das Teilliquidationsreglement zwingend die Bildung einer Rückstellung «Technischer Zinssatz» verlangt oder ob es im Ermessen des Stiftungsrates liegt, angesichts der konkreten Umstände darauf zu verzichten. Die Bildung einer entsprechenden Rückstellung hängt nicht vom Gutdünken einer der beteiligten Parteien im Zeitpunkt der Teilliquidation ab, sondern ist zwingend vorzunehmen, sofern die entsprechenden (reglementarischen) Voraussetzungen erfüllt sind. Im konkreten Fall war der Bedarf zur Bildung der fraglichen Rückstellung nachgewiesen.55 Wichtig ist bei Teilliquidationen die Verwendung der zugeflossenen Mittel durch die neue Vorsorgeeinrichtung.56
Bei Teilliquidationen müssen verschiedene Abgrenzungen vorgenommen werden. Bedeutung hat die Abgrenzung zwischen einem (Teil-)Liquidationstatbestand und dem «gewöhnlichen» Freizügigkeitsfall.57 Eine andere Abgrenzung ist bezogen auf den Rechtsweg notwendig (Art. 73 BVG beziehungsweise Art. 74 BVG); hier gilt es, eine Zweiteilung im Sinne von Gestaltung der Teilliquidation einerseits und Umsetzung der Teilliquidation anderseits vorzunehmen.58
7. Krankenversicherung (KVG)
7.1 Allgemeine Leistungsvoraussetzungen
Das Bundesgericht befasste sich mit den allgemeinen Grundvoraussetzungen für eine Kostenvergütung durch die Krankenpflegeversicherung im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung aus dem Bereich der Analysenliste. Dabei wurde eine Reihen-Hybridisierung als nicht zweckmässig und als nicht wirtschaftlich beurteilt.59
7.2 Zulassung zur Leistungserbringung und Beziehungen zu den Leistungserbringenden
Das Bundesgericht ging auf grundrechtliche Aspekte bei der Auswahl der zugelassenen Leistungserbringenden ein. Dabei wurden der Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV sowie Voraussetzungen für die Einschränkung des Grundrechts nach Art. 36 BV thematisiert. Das Gericht erinnerte daran, dass die Zulassungsregeln nach objektiven Kriterien ausgestaltet werden müssen, welche die bestehenden Konkurrenzgrundsätze in angemessener Weise berücksichtigen.
Im konkreten Fall verletzte die Weigerung der Krankenversicherung, einen Leistungserbringer zur Tätigkeit zulasten der Krankenpflegeversicherung zuzulassen, den Grundsatz der Gleichbehandlung der Konkurrenten.60 Wenn eine eingeschränkte Wahl der Leistungserbringenden und zugleich das System des Tiers payant gelten, hat die Krankenversicherung nicht die Möglichkeit, der Leistungserbringerin Einwendungen entgegenzuhalten, die gegenüber der versicherten Person erhoben werden könnten. Damit kann sich die Krankenversicherung nicht von der Vergütungspflicht befreien, indem sie sich auf eine allfällige Verletzung von vertraglichen Pflichten durch die versicherte Person beruft.61
7.3 Kantonale Restfinanzierung
Zu klären war die Restfinanzierungspflicht einer Gemeinde für eine komplikationslose Mutterschaft und bezogen auf die in deren Rahmen erbrachten Leistungen. Aus der hier fehlenden Kostenbeteiligungspflicht der Versicherten kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass keine ungedeckten Kosten resultieren. Wochenbettpflegeleistungen von Pflegefachleuten unterliegen der Restfinanzierungspflicht gemäss Art. 25a KVG.62
Bei einem weiteren Urteil wurde vom Bundesgericht eine Regelung im Kanton Luzern beurteilt. Das Bundesgericht verneinte dabei die Möglichkeit einer freiberuflich tätigen Pflegefachfrau, sich bezogen auf die kantonale Restfinanzierung auf die Wirtschaftsfreiheit zu berufen. Damit war hinzunehmen, dass aus finanziellen Gründen eine Minderbezahlung freiberuflicher Pflegefachpersonen erfolgt.63
8. Unfallversicherung (UVG)
8.1 Unterstellung
Beschäftigt hat sich das Bundesgericht mit einem medizinischen Einzeltutoriat, und zwar bezogen auf die Unterstellung unter die obligatorische Unfallversicherung. Es hielt fest, dass die Versicherteneigenschaft nicht voraussetzt, dass ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Das in Frage stehende Einzeltutoriat wurde in der Folge als Praktikum im Sinne von Art. 1a Abs. 1 UVG qualifiziert.64
8.2 Unfall und Kausalität
Verschiedentlich hat sich das Bundesgericht mit dem sogenannten Accident médical beschäftigt und dabei seine bisherige, eher strenge Praxis weiterhin angewendet. Eine allenfalls mangelhafte Aufklärung über den geplanten Eingriff mit möglicher Erweiterung desselben führt noch nicht zur Annahme eines Accident médical.65 Der ohne äussere Einwirkung erfolgende Bruch einer eingesetzten Prothese stellt kein Unfallereignis im Sinne von Art. 4 ATSG dar.66
Oft beschäftigen das Bundesgericht Fragen der Kausalität. So musste es die Kausalität eines Rückfalls zum Schreckereignis klären.67
Bei einem anderen Urteil stand die Abgrenzung von degenerativen Entwicklungen der TFCC-Läsion an der rechten Hand von der Folge eines Unfallereignisses im Zentrum; hier hielt das Bundesgericht fest, dass insbesondere unter Berücksichtigung der langen Latenzzeit keine Zweifel am Fehlen einer Unfallkausalität bestehen.68
Bei psychosomatischen Leiden findet die Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 281 sinngemäss auch im Bereich der Unfallversicherung Anwendung; praktische Bedeutung erhält dies aber nur, wenn zwischen dem Unfall und der gesundheitlichen Beeinträchtigung ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang besteht.69
8.3 Unfallähnliche Körperschädigung
In zunehmendem Mass werden Urteile zur unfallähnlichen Körperschädigung gefällt. Bei solchen Ereignissen muss der äussere Faktor nicht ungewöhnlich sein. Das Bundesgericht beschäftigte sich dabei mit einer Verletzung im Rahmen eines Aerobic-Trainings.70
In einem anderen Fall musste das Gericht einen Meniskusriss beim Fitnesstraining beurteilen. Anders als beim Joggen geht es beim Fitnesstraining nicht um einen gleichmässigen Bewegungsablauf; deshalb ist beim eingetretenen Meniskusriss eine unfallähnliche Körperschädigung anzunehmen.71
Immer wieder geht es um die Einordnung der Rotatorenmanschettenruptur. Diese ist einem Unfall gleichgestellt, auch wenn sie eine krankheitsbedingte oder degenerative Ursache hat; immerhin muss ein äusserer Faktor die bestehenden Symptome ausgelöst haben.72
Reissen kann auch die Bizeps-Sehne; wenn entsprechende Schmerzen auftreten, muss aber eine gleichzeitig mitwirkende äussere Komponente aufgezeigt werden können; das Ziehen einer rund 200 kg schweren Kühltruhe auf Rädern stellt noch keine allgemein gesteigerte Gefahrenlage dar.73
8.4 Leistungen der Unfallversicherung
Bei neu entwickelten Hilfsmitteln entsteht ein Anspruch zulasten der Unfallversicherung, wenn das neue Hilfsmittel nicht nur notwendig, sondern auch zwingend ist, um das angestrebte Eingliederungsziel zu erreichen; im Übrigen kann beim Vergleich von Hilfsmitteln auf den Aspekt der Wirtschaftlichkeit Bezug genommen werden.74
Wenn es um die Festlegung der Arbeitsunfähigkeit geht, wie sie für den Taggeldanspruch massgebend ist, ist gegebenenfalls eine Übergangsphase festzulegen, wenn eine andere als die bisherige Tätigkeit ausgeübt werden kann. Diese Rechtsprechung bezieht sich nur auf den Taggeldanspruch und kann nicht auf den Rentenanspruch übertragen werden.75 Zu äussern hatte sich das Bundesgericht ferner zum Anspruch auf Taggelder der Unfallversicherung im Strafvollzug.76
In einem konkreten Fall war die bisherige Zusprache der Hilflosenentschädigung wegen leichter Hilflosigkeit zweifellos unrichtig. In zeitlicher Hinsicht ist die Korrektur der bisherigen Leistungszusprache (neu: Anspruch auf Hilflosenentschädigung wegen mittlerer Hilflosigkeit) in analoger Anwendung von Art. 88bis Abs. 1 lit. c IVV ab demjenigen Zeitpunkt vorzunehmen, in welchem die Unrichtigkeit der bisherigen Leistungsgewährung entdeckt wurde.77
9. Familienzulagen
9.1 Ausbildungsbegriff
Der Bundesrat hat bezüglich der Definition des Begriffes «Ausbildung» einen grossen Gestaltungsspielraum.78 Nicht von einer Ausbildung ging das Bundesgericht aus, als das Kind einem nicht reglementierten Bildungsgang folgte (Ausbildung in islamischer Theologie beim islamischen Zentrum B). Nicht reglementierte Bildungsgänge können einem rechtlich anerkannten Bildungsgang nur gleichgestellt werden, wenn die für Letzteren geltenden hohen Anforderungen an Informationsdichte, Überprüfbarkeit der Angaben und Einhaltung von Qualitätsstandards ebenfalls erfüllt werden.79
9.2 Anspruchskonkurrenz
Das Bundesgericht hält fest, dass Art. 11 Abs. 1 FamZV gesetzmässig ist. Die Anspruchskonkurrenz von Art. 7 Abs. 2 FamZG kommt nur zum Tragen, wenn verschiedene anspruchsberechtigte Personen in verschiedenen Kantonen tätig sind. Damit liegt keine Anspruchskonkurrenz vor, wenn nur eine einzige Person betroffen ist.80
10. Arbeitslosenversicherung
10.1 Beitragszeit
Das Bundesgericht äusserte sich zu den Voraussetzungen, um Beitragszeiten nach Art. 13 Abs. 2 lit. c AVIG anzurechnen und zur Abklärungspflicht sowie den Grundsätzen der Beweiswürdigung bezogen auf die Frage, wie lange ein Arbeitsverhältnis bestand.81 Eine Kompensation ungenügender Beitragszeit mit Zeiten, für welche die versicherte Person von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist, fällt ausser Betracht; eine Kompensation ist aufgrund der eindeutigen Formulierung von Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG ausgeschlossen.82
Art. 38 Abs. 1 AVIV, wonach alle voll oder teilweise durch die öffentliche Hand finanzierten Integrationsmassnahmen in den Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 3bis AVIG fallen, ist gesetzeskonform. Um dabei den Zweck der Beschäftigung zu erfassen, ist in erster Linie von der Interessenlage des Einsatzbetriebes und nicht von jener des Vermittlers auszugehen.83
10.2 Versicherter Verdienst
Weil in der Arbeitslosenversicherung ein Höchstbetrag des versicherten Verdienstes gilt, ist ein darüber liegender Verdienstausfall nicht versichert. Es ist nicht das ganze von der versicherten Person erzielte Einkommen versichert, sondern nur der Verdienst bis zu dieser Obergrenze.84
Nicht vom versicherten Verdienst erfasst werden Entschädigungen wegen Überzeit oder wegen Überstunden. Bei der Bestimmung des versicherten Verdienstes wird auf die AHV-Beitragspflicht abgestellt,85 und es müssen gesamtarbeitsvertragliche Bestimmung berücksichtigt werden.86
10.3 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung
Arbeit auf Abruf und Gelegenheitsarbeit werden analog behandelt. Falls vorübergehend eine Arbeit ausgeübt wird, ist von einer darauf bezogenen vertraglichen Vereinbarung auszugehen, was mit sich bringt, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich keinen anrechenbaren Arbeitsausfall erleidet.87 Die versicherte Person ist ab Beginn der Arbeitslosigkeit verpflichtet, nicht nur Tätigkeiten im angestammten Bereich, sondern auch anderweitig Arbeit zu suchen.88
Heikel ist immer die Beurteilung des Anspruchs von im Betrieb mitarbeitenden Ehegatten arbeitgeberähnlicher Personen. Bezogen auf die Insolvenzentschädigung verneinte das Bundesgericht die Frage, ob mit zunehmender Dauer des Getrenntlebens von Ehepartnern das Missbrauchsrisiko überhaupt verringert wird oder wegfällt. Jedenfalls kann es nicht Aufgabe der Arbeitslosenkasse sein, abzuklären, aus welchen Gründen ein Ehepaar getrennt lebt, ob die Ehe allenfalls zerrüttet ist oder wie die Chancen für eine Aufgabe des Getrenntlebens stehen.89
10.4 Insolvenzentschädigung
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines (ehemaligen) Arbeitgebers, welcher in Folge eines Auflösungsentscheids nach Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR liquidiert wird, dürfen bezogen auf die Annahme eines Insolvenztatbestandes nicht anders behandelt werden als jene, über deren (ehemaligen) Arbeitgeber der Konkurs nach Art. 171ff. SchKG eröffnet wird.90
10.5 Sanktion
Eine Kürzung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung kann nicht nur erfolgen, wenn sich die betreffende Person vorsätzlich oder eventualvorsätzlich verhalten hat; auch ein fahrlässiges Verhalten kann zu einer Kürzung der Arbeitslosenleistungen führen.91
10.6 Koordinationsrecht
Was die Nachdeckung der Unfallversicherung betrifft, ruht diese Versicherungsdeckung der Unfallversicherung während der Einstellungen der Leistungen der Arbeitslosenversicherung nicht. Eine andere Auffassung wäre eine unpraktikable Lösung; so müssten die Betroffenen während dieser Zeit jeweils eine Abredeversicherung abschliessen.92
Beim Zusammenfallen von Altersleistungen der beruflichen Vorsorge und Leistungen der Arbeitslosenentschädigung werden Letztere abgezogen, und zwar ungeachtet dessen, ob sie in Form einer Rente oder aber ganz oder teilweise in Form einer Kapitalabfindung ausgerichtet werden. Nicht von Bedeutung war, dass im konkreten Fall das Vorsorgekapital strafprozessual beschlagnahmt wurde; andernfalls ergäbe sich ein stossendes Resultat.93
10.7 Rückforderung von Leistungen
Erfährt die Arbeitslosenversicherung erst in einem späteren Zeitpunkt, dass sich die versicherte Person ungenügend um Arbeit bemüht hat, ergibt sich bezogen auf die bereits ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung ein Rückkommenstitel; es geht aber nicht um eine Wiedererwägung, sondern um eine Revision im Sinne von Art. 55 Abs. 1 ATSG.94
11. Verfahren
11.1 Gutachten
Das Bundesgericht bestätigte, dass selbst eine ausgedehnte Gutachtertätigkeit für die Sozialversicherungsträger keinen Befangenheitsgrund darstellt.95
Was den Nachweis einer geltend gemachten systematischen Benachteiligung der versicherten Personen durch die vorgesehene sachverständige Person betrifft, kann dieser Nachweis nicht durch eine Aufzählung von Einzelfällen aus der Praxis eines Rechtsvertreters geführt werden.96
Das Bundesgericht befasste sich ferner mit der Begutachtung im Rahmen von Suisse MED@P. Dabei hielt es fest, dass Verwaltungs- und Gerichtsverfahren rasch zu führen sind. Es kann einen Einfluss auf die gesamte Länge des Verfahrens und insoweit auch auf die Annahme einer Rechtsverzögerung haben, wenn eine Zwischenverfügung, wonach eine Begutachtung vorzunehmen ist, nicht innert nützlicher Frist umgesetzt wird.97
11.2 Rückweisung durch die kantonale Gerichtsinstanz zur weiteren Abklärung
Eine nicht gerechtfertigte vorinstanzliche Rückweisung an den Versicherungsträger begründet regelmässig keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil. Es kann nur deshalb ausnahmsweise auf eine Beschwerde gegen einen solchen Rückweisungsentscheid eingetreten werden, wenn die kantonale Vorinstanz die Sache regelmässig zur gutachtlichen Abklärung an die Verwaltung zurückweist, obwohl sie jeweils ein Gerichtsgutachten einholen sollte.98
11.3 Verzicht auf Leistungen der Sozialversicherungen
Das Bundesgericht betont, dass kein Wahlrecht zwischen Leistungen der IV und solchen der Sozialhilfebehörden besteht.99
11.4 Aspekte des rechtlichen Gehörs
Die Rechtsmittelbelehrung bildet Teil des Gehörsanspruchs; sie muss deshalb so gehalten sein, dass das rechtliche Gehör effektiv wahrgenommen werden kann.100 Das Bundesgericht stellte des Weiteren in einem konkreten Fall betreffend einen Eishockeyspieler fest, dass die Vorinstanz den Sachverhalt ohne Gehörsverletzung eruiert und festgestellt hat, im konkreten Fall sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Spielervertrag über die vertraglich vereinbarte Zeit hinaus (Alter von knapp 34 Jahren) verlängert worden wäre.101
11.5 Kosten und Entschädigungen
Das Bundesgericht betont, dass die kantonale Gerichtsinstanz unnötige Kosten verursacht, wenn sie es versäumt, selber ein Gutachten einzuholen, und stattdessen die Sache an die Verwaltung zurückweist.102 Entsprechende Kosten können deshalb der betreffenden Instanz auferlegt werden. Wegen der Gefahr eines überlangen Verfahrens waren in einem konkreten Fall die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Rückweisung durch die Vorinstanz nicht gegeben. Die trotzdem vorgenommene Rückweisung zur weiteren Abklärung war insoweit nicht zulässig und führte dazu, dass im dagegen geführten Beschwerdeverfahren ausnahmsweise die Gerichtskosten dem Bundesverwaltungsgericht auferlegt wurden.103