Nichts sticht im Büro von Isabelle Romy an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) ins Auge. Keine Familienfotos, keine Kinderzeichnungen, keine Bilder. Der nüchterne Raum strahlt Arbeit und Konzentration aus. Und Zurückhaltung.
Im Mai 2012 wurde Isabelle Romy in den Verwaltungsrat der UBS gewählt. Seither hat die 48-Jährige keine Interviews gewährt. Sie sagt: «Nicht aus Schüchternheit, sondern aus Diskretion.» Dies hänge mit ihrem Beruf als Anwältin zusammen. Und sie habe sich zuerst an die Arbeit machen wollen, bevor sie Interviews gebe.
Romy spricht mit der gleichen sanften Stimme, mit der sie bereits vor zwanzig Jahren als junge Anwältin am Bezirksgericht Lausanne plädiert hatte, wo sie durch ihre Kompetenz und scheinbare Zerbrechlichkeit auffiel. Doch wer mit ihr spricht, spürt Entschlossenheit. Sie kontrolliert ihre Aussagen und ihr Image - und hat dem Gespräch mit der Westschweizer Ausgabe von plädoyer nur unter der Bedingung zugestimmt, dass ihre Arbeit im UBS-Verwaltungsrat kein Thema sein wird.
Romy wurde innert weniger Jahre zu einer der Spezialistinnen im Umweltrecht. Aus Liebe zur Natur, die sie schon als Kind hatte, sagt sie. «Wenn ich damals ein verrostetes Velogestell fand, hat mich das genervt.» Für den Weg zur Arbeit benutzt sie heute den öffentlichen Verkehr und das Fahrrad.
Ihre Dissertation erschien 1989 und war kurz nach dem Brand von Schweizerhalle hochaktuell: Les pollutions transfrontières des eaux - l'exemple du Rhin - moyens d'action des lésés. Damals war Umweltrecht in der Westschweiz kaum ein Thema. «Dass es dazu wenig gab und dass der Spezialist Heribert Rausch ein Deutschschweizer war, hat mich motiviert», erklärt sie.
Romy ist sich bewusst, dass ihr verschiedene Förderer zum beruflichen Erfolg verholfen haben: Da war Pierre Mercier, Professor für Europarecht in Lausanne, der sie als Doktorvater begleitete, obwohl sie sich für ein damals atypisches Thema interessierte. Oder der Waadtländer Strafrechtler Eric Stoudmann, der ihr ein Praktikum in seiner Kanzlei anbot. Der Freiburger Professor Pierre Tercier gab ihr mit einem Stipendium des Nationalfonds Zugang zur Universität in Berkeley. Dort verfasste sie ihre Habilitation im Bereich der Sammelklagen und der Umsetzung des Umweltrechts, als eine Professorenstelle an der EPFL ausgeschrieben wurde, die von der Universität Freiburg und der EPFL gemeinsam besetzt wurde. So wurde sie mit dreissig Jahren gleich an zwei Hochschulen Professorin.
In den Jahren 2003 bis 2008 war Isabelle Romy nebenamtliche Richterin am Bundesgericht. Heute ist sie Mitglied der Sanktionskommission der Schweizer Börse SIX - seit dem Jahr 2008 als Vizepräsidentin.
Wie erklärt sie sich, dass bislang Rückschläge oder Misserfolge ausgeblieben sind? «Mit sehr viel Arbeit. Und ich habe die Gelegenheiten, die sich boten, ergriffen.» Bei der Betreuung ihrer drei Kinder habe sie stets auf die Unterstützung ihres Mannes - auch ein Anwalt - und einer Haushalthilfe zählen können.
1995 zog sie in die Deutschschweiz und trat in die Anwaltskanzlei Niederer Kraft & Frey an der Zürcher Bahnhofstrasse ein. Dort war sie 17 Jahre lang tätig, ab 2002 als Partnerin. Heute ist sie Partnerin bei Froriep Renggli. «Ich wollte nach meiner Wahl in den Verwaltungsrat der UBS Diskussionen über mögliche Interessenkonflikte vermeiden.» Denn die Kanzlei Niederer Kraft & Frey ist im Bankenbereich sehr aktiv.
Dass sie gleichzeitig mit einer anderen Frau - Beatrice Weder di Mauro - für den UBS-Verwaltungsrat vorgeschlagen wurde, verdankt sie vielleicht auch ihrer Erfahrung in der Wirtschaftsregulation: Romy unterstützte im Frühling 2009 die UBS, um die Auslieferung von Tausenden von Bankkundendaten an die USA zu verhindern. «Dies konnte dank eines internationalen Staatsvertrages geregelt werden und meine Rolle war es nur, meine Erfahrung in Rechtsfragen einzubringen.»
Was hält sie von Frauenquoten? «Seit 25 Jahren bin ich im Berufsleben und höre oft, dass mit der Zeit automatisch auch Frauen Führungspositionen übernehmen werden. Doch offensichtlich hat es bis heute nicht geklappt.» Berufsleben, Familie und Karriere zu vereinbaren sei schwierig. «Frauenquoten sind nicht die Lösung. Es braucht bessere Schulstrukturen und Stipendien, die bei gleichen Qualifikationen an Frauen vergeben werden.»
Fast keine Woche vergeht ohne einen UBS-Skandal. Gewerbsmässiger Betrug wie beim Libor-Referenzzinssatz, Geldwäschereivorwürfe, Beihilfe zur Steuerflucht, Milliardenverluste durch Börsenspekulationen einzelner Angestellter, das Einheimsen von Retrozessionen, die den Kunden gehören - all das macht einen Sitz im UBS-Verwaltungsrat wohl kaum zum Traumjob einer Anwältin. Was kann sie als Einzelne für die Einhaltung von rechtlichen und ethischen Standards in dieser Grossbank beitragen? Dies hätte plädoyer gerne von ihr gewusst. Doch Romy will dazu nichts sagen.
Auf die UBS-Rettung von 2008 angesprochen, verweist sie nur darauf, dass aus dem Einspringen von Nationalbank und Staat bisher für die Steuerzahler kein Verlust resultiert ist. Von 60 Milliarden Dollar Rettungskapital sprach man damals, das «entsprach den Maximalzahlungen, die von der Nationalbank gemäss der Abmachung vom Herbst 2008 hätten überwiesen werden können, doch tatsächlich wurde nie so viel überwiesen», hält Romy fest. «Es waren 38,7 Milliarden US-Dollar.» Und am Ende des dritten Quartals 2012 seien es noch 5,4 Milliarden US-Dollar, die sich im Fonds befänden. So viel schuldet die UBS also der Nationalbank noch. «Übrigens», fügt sie hinzu, «hat die Eidgenossenschaft zwar für 6 Milliarden Franken Wandelanleihen der UBS gekauft, diese aber im August 2009 mit einem Gewinn von 1,2 Milliarden Franken verkauft.»
Hat sie nicht gezögert, das Mandat als Verwaltungsrätin angesichts dieser schwierigen Situation anzunehmen? «Ich habe es mir gut überlegt», sagt sie, «denn auch ich war als Steuerzahlerin und Bürgerin von den Ereignissen im 2008 schockiert.» Doch solche Krisen seien immer auch eine Chance, Fehler zu beheben und sich auf ethische Grundwerte zu besinnen.
Die Auswirkungen des Wandels in der Finanzindustrie könnten schmerzlich sein, besonders auch für die Angestellten. 10 000 Stellen will die UBS nach eigenen Angaben abbauen, 2500 davon in der Schweiz.