Der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) ist mit über 9800 Mitgliedern die Berufsorganisation der unabhängigen und selbständigen Anwälte der Schweiz. «Der SAV vertritt und wahrt das Ansehen, die Rechte und die Interessen der schweizerischen Anwaltschaft im In- und Ausland für die Unabhängigkeit des Anwaltsberufes», heisst es auf der SAV-Homepage.
Doch wer glaubt, der SAV sei einzig ein Branchenverband, irrt. Der SAV nimmt vor allem zu politischen Fragen Stellung, die nicht direkt mit den Interessen der Anwaltschaft zu tun haben. Das zeigen die vielen Vernehmlassungen und Interventionen im Gesetzgebungsprozess.
Mitglieder beschweren sich beim Verband
Von 1999 bis 2015 hat der SAV 147 Stellungnahmen abgegeben. Im Jahr 2010 reichte der SAV bisher am meisten Stellungnahmen ein: Es waren deren 18. Zehn Jahre früher waren es noch 2 gewesen.
plädoyer hat die Jahre 2010 bis 2015 ausgewertet. Resultat: Von insgesamt 67 Stellungnahmen ist rund ein Dutzend als Intervention des SAV im Branchenbereich zu werten. So etwa der Entwurf für ein neues Anwaltsgesetz, die Stellungnahmen zu Prozessordnungen, zur Mehrwertsteuer für Rechtsanwälte und Notare, zur Revision des Steuerstrafrechts, zur Änderung des Steueramtshilfegesetzes sowie zum internationalen Informationsaustausch in Steuersachen – Stichwort FATCA. Sie alle betrafen die Mitglieder direkt.
Der Verband intervenierte in den vergangenen fünf Jahren über fünfzig Mal aber auch in andern Angelegenheiten. Im Jahre 2015 war das etwa beim Aktienrecht der Fall, bei der Geldwäschereiverordnung, dem Ausländergesetz oder dem Abkommen über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen Schweiz–EU.
Diese politischen Stellungnahmen goutieren nicht alle Verbandsmitglieder. Das zeigt ein Beschwerdeschreiben der Zürcher Mitglieder Martin Hablützel und David Husmann. Anlass war das neue Potentatengeldergesetz, das im Juni im Parlament behandelt wurde. Die Volksvertreter wollen damit regeln, unter welchen Umständen Vermögen gestürzter «politisch exponierter Personen» gesperrt, eingezogen und an die Staaten zurückerstattet werden.
Noch bevor das Gesetz im Nationalrat behandelt wurde, beschloss die vorberatende Rechtskommission zwei fundamentale Änderungen: Erstens soll bei der Definition der «exponierten Personen» der Kreis eingeschränkt werden. Zweitens sollen die unrechtmässig erworbenen Potentatengelder nur definitiv eingezogen werden können, wenn die Straftaten der Potentaten nicht verjährt sind.
“Etappensieg für die Anwälte von Ex-Diktatoren”
Die Tagespresse warf dem SAV vor, diese zwei Vorschläge der Rechtskommission unterbreitet zu haben, worauf die Kommissionsmehrheit sie «eins zu eins» übernommen haben soll. «Eine Lehrstunde in Lobbyismus» oder «Etappensieg für die Anwälte von Ex-Diktatoren» lauteten die Titel. Der SAV habe die bürgerlichen Nationalräte «instrumentalisiert», war der Tenor linker Nationalräte. Die SAV-Mitglieder Hablützel und Husmann forderten in ihrem Beschwerdeschreiben eine Klarstellung.
Die Antwort des SAV-Generalsekretärs René Rall liess nicht lange auf sich warten: Einzig in Erfüllung seiner statutarischen Aufgabe habe der Verband gehandelt, schrieb er den beiden Mitgliedern. Der Verband habe sich zur Stellungnahme veranlasst gesehen, weil er in der neuen Gesetzgebung die formellen Elemente des Rechtsstaates bedroht sah. «Und zu guter Letzt fühlt sich unsere Standesorganisation dann berufen, sich zu äussern, wenn sie die Unabhängigkeit und das Funktionieren der Gerichtsbarkeit bedroht sieht.»
Input von Mitgliedern und Verbandskommissionen
Dem Verband sei es in der Vergangenheit aufgrund fehlender Ressourcen nicht jedes Mal gelungen, sich zu Wort zu melden, wenn Grundsätze des Rechts geritzt worden seien, sagt Rall. «Der SAV hat sich jedoch vor dem Hintergrund zunehmender Gesetzesaktivitäten auf Bundesebene und der Feststellung, dass in allen Themenbereichen Gefahren solcher Verletzungen lauern, umorganisieren und personelle Ressourcen schaffen müssen.»
Nach welchen Kriterien richten sich die Interventionen im Gesetzgebungsprozess? Rall: «Wir intervenieren aufgrund des Inputs aus unseren Kommissionen, auf Mitteilungen von Mitgliedern hin, gestützt auf interne Recherchen oder in sehr vielen Fällen – wie im Fall der Potentatengelder – aufgrund einer Behördeneinladung.» Das Generalsekretariat organisiere bei Bedarf eine Kommission von Mitgliedern, die über das fachliche Know-how verfügen würden. «Im Fall der Potentatengelder waren dies Kollegen aus dem Tessin, aus Genf, Zürich und Bern, sowohl aus kleinen als auch aus grossen Strukturen kommend, hauptsächlich aus dem Geldwäschereigesetz- und Strafrechtsbereich.»
Laut Rall prüft der SAV-Vorstand die Stellungnahmen und verabschiedet sie. Dass manche davon einigen Verbandsmitgliedern missfallen, könne nie ausgeschlossen werden. Alle Verbandsmitglieder können sich aber «jederzeit direkt an die Verbandsführung» wenden.
Themen der Stellungnahmen
Eine Auswahl von Stellungnahmen des Schweizerischen Anwaltsverbands, die nicht direkt mit dem Anwaltsberuf zu tun haben:
- 2010: Erneuerung der Polizeigesetzgebung des Bundes; Bundesgesetz über die polizeilichen Aufgaben des Bundes; Änderungen des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel
- 2011: Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen; Parlamentarische Initiative Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung
- 2012: Öffentliche Anhörungen zur Bankeninsolvenzverordnung der Finma; Versicherungskonkursverordnung der Finma
- 2013: Änderung des Steueramtshilfegesetzes sowie Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte politisch exponierter Personen
- 2014: Bundesgesetz über die Finanzmarktinfrastruktur; Bundesgesetz über dieFinanzdienstleistungen und Bundesgesetz über die Finanzinstitute
- 2015: Bundesgesetz über die einseitige Anwendung des OECD-Standards zum Informationsaustausch; Weko-Anhörung zur Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung von vertikalen Abreden im Kraftfahrzeugsektor.
Sämtliche Stellungnahmen von 1999 bis 2015 sind zu finden unter www.sav-fsa.ch/Aktuell/Interessenvertretung/eingereichte Stellungnahmen