Nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers und der Finanzkrise hat das Thema Anlegerschutz an Bedeutung gewonnen. Die Fälle Lehman, Kaupthing und Madoff richteten den Fokus namentlich auf die Frage, ob und wie der kollektive Rechtsschutz im Bankensektor verbessert werden könnte. Dabei steht meines Erachtens auch die Finanzmarktaufsicht (Finma) in der Pflicht. Der frühere Direktor der Finma, Patrick Raaflaub, konstatierte selbst, die Schweiz drohe zu einem «Kundenschutz-Entwicklungsland» zu verkommen.
Schon im Jahr 2000 hielt die Expertenkommission Zufferey zu den Zielen der Finanzmarktregulierung in ihrem Bericht fest: «Die wohl haltbarste Begründung für Regulierung und Aufsicht bezieht sich letztlich auf den Kundenschutz. Deshalb muss nach Ansicht der Expertengruppe diese Begründung für die Überlegungen des Gesetzgebers und der Aufsichtsbehörden im Vordergrund stehen, wobei Kunden sowohl gegen Individual- als auch Systemrisiken zu schützen sind» (zitiert nach Jahresbericht der Finma 2009). Es wäre an der Zeit, hier mehr zu tun. Im neuen Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) sollen dafür die Grundlagen geschaffen werden.
Es gibt indessen noch andere Möglichkeiten als die bereits vorgeschlagenen. Im Zentrum stehen Massen- und Streuschäden. Massenschäden betreffen zahlreiche Personen in gleicher oder gleichartiger Weise. Von Streuschäden spricht man, wenn viele durch eine Ursache betroffen sind, indessen nur einen geringen Sach- oder Vermögensschaden erleiden.
Zahlreiche Faktoren erschweren die Situation von geschädigten Anlegern: so zum Beispiel Beweisprobleme, mangelnder Zugang zu Informationen, hohe Prozesskosten, das Prozessrisiko überhaupt, eine Ombudsstelle ohne Entscheidungskompetenz und die Tatsache, dass Banken Empfehlungen der Ombudsstelle nicht einmal folgen müssen. Die reale Machtlage manifestiert sich darin, dass Banken Mediationen ablehnend gegenüberstehen. Anwälte, die Mediationen befürworten, konstatieren: Die Banken haben einen langen Atem und viel Zeit.
Nicht alle Bankkunden heissen Nick Hayek, dessen Uhrenkonzern mit der UBS im Clinch liegt, und nicht alle haben die Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen. Aber auch er hat erfahren: Ein Prozess gegen eine Bank erfordert alles in allem sehr viel Geduld, viel Geld und psychische Resistenz. Um ihn anzustrengen, muss man «sehr verärgert sein», wie die Berner Professorin Susan Emmenegger einmal formulierte.
Der Reformbedarf ist ausgewiesen. Für Banken gelten die Feststellungen im Finma-Positionspapier «Vertriebsregeln» vom Februar 2012. Darin wird international generell ein verbesserter Kundenschutz gefordert. Dazu zählt auch eine bessere Rechtsdurchsetzung von Kundenansprüchen gegenüber Finanzdienstleistern. Die Finma macht dazu aber keine konkreten Vorschläge und erklärt sich – wie bereits zuvor – für zivilrechtliche Belange als nicht zuständig.
Damit stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die Finma den Anlegerschutz überhaupt genügend ernst nimmt. Betrachtet man ihr Lavieren bei der Rückzahlung der Retrozessionen, so muss man Zweifel am ernsthaften Willen der Finma äussern. Die Aufsichtsbehörde hat den Anlegerschutz diesbezüglich offensichtlich vernachlässigt. Sie nimmt es sogar widerspruchslos hin, dass die Grossbank Credit Suisse hinsichtlich der Retrozessionen argumentiert, es würden keine materiellen Verpflichtungen erwartet, und die Bank deshalb diesbezüglich keine Rückstellungen bildete.
Die Finma sollte sich mit dem konkreten Anlegerschutz auseinandersetzen. Ein solcher könnte in Bezug auf die kollektive Rechtsdurchsetzung in vorhandenen Strukturen kostengünstig und schnell umgesetzt werden. Weder die Banken noch ihre Kundinnen und Kunden haben ein Interesse daran, neue Institutionen zu schaffen, wenn bestehende Organisationen gerade im Bereich von Massen- und Streuschäden ohne weiteres diese Aufgabe wahrnehmen können. Denn eines ist klar: Am Ende des Tages bezahlen es die Kunden mit.
Von Seiten des Bundesrats stehen drei Ideen im Raum:
- ein Schiedsgericht
- eine Verbandsklage
- ein von der Finanzbranche vorfinanzierter Prozesskostenfonds für Kläger.
Letzteres erachte ich eigentlich als eine geradezu absurde Idee: Dass nämlich eine Branche, deren essenzielles Fundament das Vertrauen ist, einen Fonds finanzieren soll, damit man gegen sie vorgehen kann. Das ist für mich dasselbe, wie wenn eine Bank bei Beginn einer Geschäftsbeziehung zu mir sagen würde: Schliessen Sie eine Rechtsschutzversicherung ab – bei uns werden Sie sie brauchen. Weiter zeigt die Erfahrung in Deutschland, dass Musterprozesse wie etwa im Fall Telekom ein Jahrzehnt dauern können.
Ein Beispiel für mangelnde Transparenz gegenüber Kunden zeigt der Fall Credit Suisse und Lehman Brothers. Zum Zeitpunkt ihres Konkurses hatte die US-Investmentbank Lehman Brothers in der Schweiz über achtzig strukturierte Produkte mit einem Emissionsvolumen von mehreren Hundert Millionen Franken ausstehend. Davon wurde ein bedeutender Teil als «kapitalgeschützt» verkauft. Hauptsächlich, aber nicht nur von der Credit Suisse. Man weiss, dass die Credit Suisse 3700 Kunden Rückkaufsangebote für Lehman-Papiere in der Höhe von 150 Millionen Franken machte. Ein nicht publizierter Bericht der Finma spricht von 10 000 CS-Kunden und einem Verlustvolumen von 1,321 Milliarden Franken.
Zu den Aufgaben der Finma zählt laut Gesetz auch der Anlegerschutz. Sie unterliegt bis heute keiner ausdrücklichen Pflicht, Untersuchungsberichte zu veröffentlichen. Aber in Fällen, in denen ein hohes öffentliches Interesse besteht, sollte es ihre gelebte Praxis sein, entsprechende Berichte zu publizieren. Allenfalls sollte dieses Vorgehen mit Blick auf Untersuchungen von Massen- und Streuschäden sogar gesetzlich verankert werden. Denn hier kann ein Lösungsansatz liegen. Wenn die Finma nämlich Untersuchungen durchführt – die ohnehin die Bank zu bezahlen hat –, dann erkennt sie den Modus Operandi, der den Schäden zugrunde liegt. Weshalb diese Berichte in der Dunkelkammer liegen bleiben sollen, erschliesst sich nicht, denn eine solche Analyse dient dem Anlegerschutz. Es besteht ein legitimes Bedürfnis der Öffentlichkeit auf Information.
Ein Lösungsvorschlag: Solche Berichte könnten die Grundlage bilden, um betroffene Anleger in Gruppen zu erfassen und jeweils pro Anlegergruppe Einigungsvorschläge vorzulegen. Es würde eine Wechselwirkung stattfinden zwischen der aufsichtsrechtlichen Abklärung und Untersuchung einerseits, die sich in der Regel ohnehin auch mit privatrechtlichen Aspekten auseinandersetzen (etwa mit Beratung, Auftragserfüllung, Sorgfalts- und Treuepflichten), sowie der vergleichsweisen kollektiven Erledigung einer privatrechtlichen Streitigkeit.
Solche Untersuchungen geht die Finma zwar als eine aufsichtsrechtliche Aufgabe an. Wenn es inhaltlich aber mehrheitlich um schwerwiegende oder um viele Verletzungen zivilrechtlicher Verpflichtungen geht, so sollten diese Berichte bei Massenschäden und Streuschäden als Grundlage zu einer Lösung für die Anleger dienen. Dies namentlich auch im Hinblick darauf, dass aufsichtsrechtliche Fragestellungen zu Verhaltenspflichten, Anreizsystemen, Zielvorgaben und Interessenkonflikten ganz unmittelbar den Umgang der Banken mit ihren auftragsrechtlichen Pflichten beeinflussen. Die bereits genannten Fälle haben das klar bestätigt.
Da gerade bei Massenschäden solche Untersuchungen durch die Finma rasch erfolgen, wäre die Grundlage für eine Erledigung der Fälle schnell verfügbar. Dieser Transfer mag Dogmatiker erschrecken. Doch nach jahrzehntelangem Gerede über Anlegerschutz sollte eine prozessökonomische und durchführbare Lösung angestrebt werden, die betroffenen Anlegern innert nützlicher Frist hilft. Gerade jene Sparerinnen und Sparer, die ihr Geld zur Bank ihres Vertrauens brachten und in der Regel einen ausgeprägten Sicherheitswunsch hegten, möchten die Erledigung einer solchen Streitigkeit nicht ihren Erben überlassen müssen. Und viele Anleger benötigen das Geld.
Zusammen mit dem Bankenombudsman könnte die Finma eine solche Lösung umsetzen. Der Bankenombudsman ist die ideale Institution für eine vergleichsweise Erledigung. Damit wird seine Rolle nicht dahingehend verändert, dass er bei Streitigkeiten entscheiden müsste.
Man kennt im Rahmen des Strafrechts bei der Beurteilung von Serienbetrug ein effizientes und gutes Verfahren, das von Staatsanwaltschaften wie Gerichten angewendet wird und das vom Bundesgericht abgesegnet ist. Es beruht auf bestimmten Kriterien: erstens einem mehrfach gleichen Handlungsmuster der Täter (standardisiertes Vorgehen), zweitens einem Vorgehen, das nicht auf ein einzelnes Opfer, sondern auf ganze Gruppen ausgelegt ist, und drittens einem tatsächlichen Schema im Handlungsmuster. Das vierte Kriterium der gleichgelagerten Einzelfälle ermöglicht sodann die Bildung von Gruppen unter den Geschädigten.
Mit der Überprüfung anhand von Beispielen für eine Gruppe wird evaluiert, ob die Tatbestandsmerkmale bei dieser Auswahl erfüllt sind. Diese Fälle stehen dann sozusagen stellvertretend für die ganze Gruppe. Deren Gesamtheit wird beim Einzelfall anhand von Kriterien nur noch im Sinne eines Box Ticking überprüft: Sind die Merkmale beziehungsweise die Kriterien der Opfergruppe gegeben – etwa die persönliche Beziehung zwischen Opfer und Täter, Schutzbedürftigkeit, Empfehlungen anderer Anleger, falsche Angaben, Ablauf der Geschäftsanbahnung und die Abwicklung des konkreten Geschäfts?
Dieses Vorgehen könnte ohne weiteres in angepasster Form auf die Konstellation übertragen werden, die zur Frage steht. Es müssten keine neuen Strukturen geschaffen werden. Anlegerinnen und Anleger, die sich dieser vergleichsweisen Beilegung durch den Bankenombudsman nicht anschliessen wollen, müssten ihren eigenen Weg gehen, also auf eigenes Risiko rechtliche Schritte einleiten.
Der Ombudsman würde der Finma bei diesem Lösungsvorschlag über die Abwicklung Bericht erstatten und jene Finanzinstitute namentlich nennen, die trotz klaren Feststellungen der Aufsichtsbehörde nicht Hand für eine Erledigung bieten. Diese letztere Information erweist sich als wichtig, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass gerade in Zeiten von Massenschäden die Bereitschaft der Banken sank, die Empfehlungen des Bankenombudsmans zu befolgen: So berichtete dieser im Jahre 2009 (einem Rekordjahr mit 2849 Fällen), dass die Bank in jedem vierten Fall die von ihm eingeforderte Korrektur verweigert habe.
Der Ärger des Ombudsmans bezog sich auf einige wenige Institute, deren Namen er nicht nannte. Die Finanzmarktaufsicht müsste diese Namen kennen. Denn wer sich fast systematisch weigert, den Empfehlungen des Ombudsmans zu folgen, hat ein tiefgreifenderes Kulturproblem, um das die Aufsicht mit Blick auf ihre Funktion im Kunden- und Reputationsschutz wissen sollte.
Der vorgeschlagene Lösungsweg sieht konkret folgendermassen aus:
- Die Finma schlägt in Zusammenarbeit mit dem Ombudsman eine Gruppenbildung vor.
- Der Ombudsman macht einen Erledigungsvorschlag pro Anlegergruppe und führt Einigungen mit den Anleger-Gruppen und den Instituten herbei.
- Der Ombudsman informiert anschliessend die Finma.
- Die Kosten der konkreten Verfahren gehen zulasten der involvierten Banken.
- Die Banken verpflichten sich, dieses Verfahren zu akzeptieren.
Dieses Verfahren ist effizient, kostengünstig, rasch realisierbar, erfordert keine neuen Strukturen und nimmt die Finma beim Thema Anlegerschutz in die Pflicht.
Anleger, welche sich dieser Lösung nicht anschliessen und individuell vorgehen, können dies eigenverantwortlich und auf ihr eigenes Risiko tun.
Der vorliegende Text ist die Kurzfassung eines Referats der Autorin am 17. Juni 2014 anlässlich einer Tagung des Europa-Instituts an der Universität Zürich.