Die Videokonferenz vermittelt einen Hauch von Grossstadt-Idylle: Daniel Thelesklaf sitzt vor dem Bildschirm in seiner Wohnung in Brooklyn. Es ist November, doch draussen scheint die Sonne, man glaubt gar das Zwitschern der Vögel zu hören. Der 57-Jährige, der im Zürcher Oberland als Sohn eines österreichischen Vaters und einer Schweizer Mutter aufgewachsen ist, lebt seit April in diesem New Yorker Stadtteil. Sein Arbeitsplatz befindet sich auf der anderen Seite des East Rivers, in Midtown Manhattan, unweit des Uno-Hauptgebäudes.
Seit Frühling ist Thelesklaf Direktor eines bei der Uno-Universität angesiedelten Projekts mit dem Namen «Finance against Slavery and Trafficking». Das Programm hat sich zum Ziel gesetzt, die Finanzwirtschaft für den Bereich der modernen Sklaverei zu sensibilisieren. Unter den Begriff fällt Menschenschmuggel in seiner klassischen Form. Dazu gehören aber auch jegliche Formen von Zwangsprostitution, Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung. «Aktuell geht man davon aus, dass über 40 Millionen Menschen Opfer moderner Sklaverei sind», sagt Thelesklaf. Das Geschäft sei hochprofitabel: «Jährlich werden dabei rund 150 Milliarden Franken verdient.»
Den Finanzsektor in die Pflicht nehmen
Er und sein Projekt knüpfen am Finanzsektor an: «Moderne Sklaverei hat viel mit Marktversagen zu tun», so Thelesklaf. «Wenn man für T-Shirts nur wenige Franken bezahlt, kann man davon ausgehen, dass Ausbeutung der Arbeiter im Spiel gewesen sein könnte.» Dem könne man entgegenwirken, indem man Finanzinstitute in die Pflicht nehme, Gelder aus Menschenhandel oder Arbeitsausbeutung abzuweisen. Es sei auch wichtig, die Rolle des Finanzsektors als Investor zu sehen: «Wenn ein Finanzierungskonsortium verlangt, dass beim Bau von Fussballstadien unabhängige Kontrolleure die Arbeitsbedingungen prüfen, ist die Wirkung viel grösser, als wenn einfach nur Polizisten kontrollieren.»
Finanziert wird das Programm von Unternehmen wie der Liechtensteiner LGT Group und Staaten wie Norwegen, Liechtenstein, Australien und Holland. Aufgrund der Liechtensteiner Anschubfinanzierung wird es auch «Liechtenstein-Initiative» genannt. Zurzeit wirken zehn Mitarbeiter am Programm mit.
Schweiz nach wie vor kein Musterland
Dass Thelesklaf für den Direktorenposten ausgewählt wurde, hat seine Gründe. Er hat sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch international einen Namen gemacht als profilierter Kämpfer gegen Finanzkriminalität. Nach dem Jus-Studium in Zürich arbeitete er für Versicherungen und Banken, ehe er mit der Geldwäschereibekämpfung in Kontakt kam. 1998 übernahm er die Leitung der Meldestelle für Geldwäscherei des Bundes.
Geldwäschereibekämpfung war in der Schweiz damals ein weitgehend unbetretenes Terrain. Thelesklafs Chef beim Bundesamt für Polizei war zu dieser Zeit Michael Lauber. Thelesklaf betont dessen Verdienste im Kampf gegen Geldwäscherei und Finanzkriminalität: «Da war er entschlossen, das kann man ihm nicht absprechen.» Das traf um die Jahrtausendwende, als Thelesklaf bei der Meldestelle anheuerte, längst nicht auf alle zu: «Ich erinnere mich, wie ich in meiner Funktion einmal einen Zollverantwortlichen an einem Flughafen fragte, was er denn sagen würde, wenn ein Ausländer mit zehn Millionen Franken Bargeld einreiste.» Der Mann habe geantwortet: «Ich würde ihm sagen: ‹Willkommen in der Schweiz!›» Auch die Eidgenössische Bankenkommission, die Vorgängerin der Finma, habe sich gegen eine Meldepflicht bei Verdachtsfällen von Geldwäscherei gesträubt. «Das ist heute undenkbar», so Thelesklaf.
Zu einem Musterland in Sachen Geldwäschereibekämpfung wurde die Schweiz aber auch in den Folgejahren nicht. Als bei der Bundespolizei seinerzeit mehrere Bereiche stark ausgebaut wurden, nur die Meldestelle nicht, kündigte Thelesklaf seinen Posten. Ab da arbeitete er an mehreren internationalen Projekten mit. «In der Schweiz herrschte der Tenor, dass die Bekämpfung von Geldwäscherei eigentlich nicht allzu viele Ressourcen braucht. Im Ausland war die Sichtweise eine ganz andere.» Thelesklaf wurde zu einer Art Entwicklungshelfer bei der Bekämpfung von Geldwäscherei. Er war am Aufbau von Meldestellen in den Bahamas, der Ukraine und in Zentralasien beteiligt. 2012 übernahm er die Leitung der Anti-Geldwäscherei-Behörde in Liechtenstein.
Bevor er seine heutige Stelle antrat, wollte es Thelesklaf noch einmal wissen: 2019 kehrte er zur Meldestelle für Geldwäscherei des Bundes zurück – verliess diese aber nach nur zehn Monaten wieder. Er spricht rückblickend von einem «grossen Missverständnis». Er wollte für die Geldwäschereimeldestelle Autonomie – die Bundespolizei-Chefin Nicoletta della Valle habe diese aber vor allem als Teil des Bundespolizeiapparats gesehen. Laut Thelesklaf gibt es in der Schweiz bis heute keine kohärente Strategie zur Bekämpfung der Geldwäscherei. «Es geht immer nur darum, nicht auf einer einschlägigen internationalen Liste zu landen. Die Richtschnur ist das minimal Nötige», sagt er.
Einbezug der Opfer verändert die Haltung
Ein Problem im Kampf gegen Geldwäscherei sieht der erfahrene Jurist darin, dass sämtliche Akteure kaum je mit den Geschädigten zu tun hätten – und die realen Folgen der Taten deshalb meist im Dunkeln blieben. Bei seiner aktuellen Tätigkeit sei dies anders: «Wir stehen in engem Austausch mit Opfern und beziehen sie in unsere Arbeit ein», sagt er. Dies mache auch den Finanzinstituten, die Thelesklaf für seine Sache gewinnen will, wesentlich mehr Eindruck, «als wenn man mit irgendeiner Geldwäscherei-Richtlinie der EU wedelt».
Das Projekt bei der Uno ist vorderhand auf zweieinhalb Jahre beschränkt. Dann ist Daniel Thelesklaf 60 und wird die Weichen für den letzten Karriereabschnitt stellen. Eine Rückkehr in die Schweiz schliesst er nicht aus – auch wenn er hier immer eher als ein Störenfried denn als ein Entwicklungshelfer wahrgenommen wurde.