Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) schützt Menschen, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind. Und es setzt sich für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts ein. Die Delegierten sind direkt in Krisenregionen tätig. Die Stellen sind beliebt. Viele Juristen streben eine Anstellung als Delegierte beim IKRK an. Jährlich bewerben sich zwischen 1500 und 2000 Personen für eine solche Stelle. «Davon stellen wir 120 bis 140 ein», sagt Audrey Fonteneau, IKRK-Personalverantwortliche.
Das IKRK hat ein Team, das Interessierte übers Internet oder an Fachmessen anspricht. So nimmt das IKRK beispielsweise an der Cinfo, einer humanitären Messe in Bern, teil. Bewerbern werde klargemacht, dass «humanitärer Helfer zu werden nicht nur eine berufliche Entscheidung, sondern eine Lebensentscheidung ist».
Motivation ist ein entscheidender Punkt
IKRK-Delegierte müssen einen Masterabschluss haben und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung aufweisen. Weitere Voraussetzungen: ein Führerschein, in multikulturellen Umgebungen arbeiten können und mehrere Sprachen beherrschen – vorzugsweise Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch oder Arabisch. Erforderlich sind ausgeprägte Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeiten und die Bereitschaft, von der Familie getrennt zu sein, mit anderen Delegierten ein Haus zu teilen und in gefährlichen Situationen zu leben.
Fonteneau bezeichnet das mehrstufige Auswahlverfahren als streng: «Entscheidend ist die richtige Kombination aus Motivation, beruflicher und persönlicher Erfahrung, Sprach- und Sozialkompetenz.»
Neu gewählte Delegierte nehmen an einem Einführungskurs teil. Anschliessend sind die Delegierten in Krisenregionen tätig. Zu den Aufgaben gehören beispielsweise die Analyse der allgemeinen Lage und der humanitären Bedürfnisse der Bevölkerung, dem Ausbau eines Netzwerks mit Dialogpartnern oder der Besuch von Haftorten. Im Jahr 2018 besuchten die Delegierten 1352 Gefängnisse, in denen über eine Million Personen inhaftiert waren.
Ein Einsatz dauert gemäss Fonteneau 12 bis 24 Monate. Das Land für den ersten Einsatz wird zugeteilt. Wie hoch der Lohn der IKRK-Delegierten ist, will Fonteneau gegenüber plädoyer nicht verraten. Ein Blick auf die Lohnvergleichsplattform Glassdoor.ch zeigt: Gemäss Selbstdeklarationen von drei IKRK-Delegierten liegt deren durchschnittliches Monatsgehalt bei 6400 Franken. Die Delegierten sind in 90 Ländern aktiv, die meisten sind im Irak, in Syrien, in Afghanistan, im Südsudan und in der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz.
Der Schweizer Jean-Yves Clemenzo ist momentan IKRK-Delegierter im Senegal. Er leitet ein regionales Kommunikationszentrum in Dakar, das vierzehn IKRK-Delegationen im frankophonen Afrika unterstützt. Der Historiker und Journalist ist seit zwölf Jahren IKRK-Delegierter, in diesem Zeitraum arbeitete er in Afghanistan, in Haiti, in Liberia, in Myanmar, im Sudan und in der Schweiz. An seiner Arbeit fasziniert Clemenzo, Menschen zu helfen und neue Kulturen zu entdecken. «Immer wieder das Land zu wechseln bedeutet, dass man stets etwas lernt, sich anpassen muss und sich nie langweilt.»
Markus Cott war von 1999 bis 2012 IKRK-Delegierter. Der Schweizer war in Afghanistan, Ruanda, Nepal, Liberia, Iran und Äthiopien tätig. «Mein Alltag sah immer wieder komplett anders aus.» In Afghanistan besuchte der studierte Theologe Gefangene, bevor er neue Strukturen aufbaute, Aktivitäten koordinierte und Kontakte mit Konfliktparteien etablierte. «Im Iran wollten wir in erster Linie die Akzeptanz für das Rote Kreuz und das Verständnis für humanitäres Völkerrecht stärken.» Als IKRK-Delegierter analysierte er mit seinen Teams die humanitäre Lage und bereitete Hilfsaktionen vor. Cott liebte an seiner Arbeit den Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen, das Eintauchen in die Kulturen und die Vielfältigkeit. «Es konnte vorkommen, dass ich am Tag ein Gefängnis – wie das US-Camp in Bagram (Afghanistan) – besuchte und mit den Gefangenen sprach, und am Abend an einem Empfang einer Botschaft teilnahm.»
Einstieg in eine internationale Karriere
Andreas Schiess war von 1990 bis 1993 und 1995 IKRK-Delegierter. Der Jurist arbeitete in Afghanistan, Somalia und Bosnien. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem Transporte von Verletzten über Frontlinien hinweg sowie die Ermöglichung der Kommunikation zwischen konfliktbedingt getrennten Familienmitgliedern mittels Briefen.» Nach seiner Zeit beim IKRK arbeitete Schiess bis Ende 1999 bei der Uno, danach bis 2015 beim EDA. «IKRK-Delegierter war das ideale Sprungbrett für eine internationale Karriere. Juristen, die eine solche Laufbahn anstreben, empfehle ich daher, sich als Delegierter zu bewerben.»