Die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte in einem Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz einen Durchsuchungsbefehl aus. Dieser sah explizit eine «verdeckte» Durchsuchung eines Personenwagens mit den entsprechenden Handlungskompetenzen für die Polizei vor. Parallel dazu erliess derselbe Staatsanwalt eine Verfügung, wonach für die Polizei ein sogenannter Nachschlüssel – also ein Duplikat des Schlüssels – anzufertigen und auszuhändigen sei, um die Durchsuchung des Wagens ungestört durchzuführen. Das alles ohne Kenntnis des Fahrzeughalters und nach zeitlichem und quantitativem Belieben der Polizei. Die Polizei wurde fündig. Sie stellte im Personenwagen, der auf einem Parkplatz einer Tiefgarage stand, eine grössere Menge an Betäubungsmitteln sicher.
Nach der schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) hat eine Durchsuchung im Beisein des Fahrzeughalters stattzufinden (Artikel 241 ff., 249 ff.). Eine verdeckte Durchsuchung in Abwesenheit von Beschuldigten verspricht aber bessere Ergebnisse für die Ermittlungsbehörden. Verdeckte Operationen mit einem Nachschlüssel ermöglichen wiederholte Durchsuchungen über einen längeren – zuweilen gar undefinierten – Zeitraum ohne Wissen des Halters oder Besitzers des Fahrzeugs.
Verweigerung der Teilnahmerechte
Indem der Beschuldigte beziehungsweise die betroffene Person nicht anwesend sein kann, werden die Teilnahmerechte vollständig verweigert und das rechtliche Gehör nicht gewährt.1 Auch kann vorab nicht überprüft werden, ob die grundsätzlichen Voraussetzungen einer Zwangsmassnahme gemäss Artikel 197 StPO sowie die speziellen Bestimmungen der Durchsuchung (Artikel 241 f.) erfüllt wurden.2
In grundrechtsdogmatischer Hinsicht3 weist eine verdeckte Durchsuchung für die betroffene Person unter anderem aufgrund kumulativer Eingriffe eine wesentlich grössere grundrechtliche Eingriffstiefe auf als bei einer ordentlichen Durchsuchung nach den Artikeln 241 ff. und 249 ff. StPO. Vor diesem Hintergrund kann eine verdeckte Durchsuchung im Gegensatz zur offenen Durchsuchung nur als Aliud bezeichnet werden, welches als Fremdkörper der StPO zu taxieren ist. Eine Gleichsetzung der verdeckten mit der offenen Durchsuchung verbietet sich.
Bei den Strafverfolgungsbehörden scheint es ein zwar ermittlungstaktisch nachvollziehbares, jedoch juristisch nicht tolerierbares Bedürfnis zu geben, den rechtlichen und faktischen Radius der Zwangsmassnahmen extensiv umzudeuten. Äusserungen der vorliegend fallführenden Staatsanwaltschaft, wonach die «Nachschlüsselmethode» gleichsam «von den alten Hasen» der Strafverfolgungsbehörden erlernt und übernommen worden sei, lassen aufhorchen.
Dass geheime Durchsuchungen mit Einführung der neuen StPO problematisch sein könnten, erkannte bereits einer der renommiertesten Strafverfolger: der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob.4 Er teilte die Durchsuchung den nicht geheimen Zwangsmassnahmen zu, postulierte aber dennoch im gleichen Atemzug, dass verdeckte Durchsuchungen erlaubt sein sollten, sofern sie – analog der geheimen Zwangsmassnahmen – von einem Richter genehmigt würden.5 Hansjakob ist so zu interpretieren, dass eine verdeckte Durchsuchung nach geltendem Recht nicht mit der Strafprozessordnung vereinbar ist.
Rechtsgrundlage für Zwangsmassnahme fehlt
Dem ist zuzustimmen: Zwangsmassnahmen sind in der StPO abschliessend in den Artikeln 196 ff. geregelt. Gemäss Artikel 197 StPO ist für jede Zwangsmassnahme eine formell-gesetzliche Grundlage nötig. Die in der StPO normierte Durchsuchung hat – gemäss Wortlaut und Zweck – offen zu erfolgen (Art. 241 ff. StPO). Eine verdeckte Durchsuchung verstösst gegen den Grundsatz des Numerus clausus der Zwangsmassnahmen, der einhellig in der Lehre vertreten wird.6 Formell-gesetzlich nicht geregelte Zwangsmassnahmen dürfen nicht angewendet werden. Im Betäubungsmittelfall hätte daher eine Durchsuchung offen, also für den Betroffenen erkennbar durchgeführt werden müssen.7 Dies gebietet auch eine systematische Auslegung der StPO.
Geheime Zwangsmassnahmen sind explizit und abschliessend in den Artikeln 269–298d StPO mit den entsprechenden Anordnungsvoraussetzungen geregelt. Rechtsfolge der verdeckten Durchsuchung kann nur ein Beweisverwertungsverbot sein. Die verdeckte Durchsuchung verletzt nebst strafprozessualen Normen und Grundsätzen auch Verfassungsrecht.8 Daraus resultiert ein selbständiges Beweisverwertungsverbot. Insoweit Beweise durch Zwangsmassnahmen ohne gesetzliche Grundlage erlangt werden, sind sie absolut unverwertbar.9
Bezirksgericht stützt sich allein auf Tatverdacht
Das Bezirksgericht Zürich hat sich im Fall des verdeckt kontrollierten Autos bedauerlicherweise nicht zur augenscheinlichen Problematik der unzulässigen verdeckten Durchsuchung sowie der Beweisverwertungsproblematik geäussert. Es beschränkte sich auf die Feststellung, dass ein hinreichender Tatverdacht für eine Durchsuchung vorgelegen habe. Dies ist wohl einem ergebnisorientierten Ansatz geschuldet: Man möchte Beweise verwenden, wenn sie schon einmal in den Verfahrensakten sind – zumal man von ihnen bereits Kenntnis erlangte.10 Verkannt wird dabei, dass Verwertungsverbote Fairnessgebote darstellen und daher ebenso wie die materielle Wahrheit Bestandteil der Gerechtigkeit sind.11
Betroffene Personen sind bei dieser Gerichtspraxis nicht vor verdeckten Durchsuchungen geschützt. Griffige Schutzvorkehren gibt es auch deshalb kaum, weil sich der strafprozessual geforderte Tatverdacht bei solchen Methoden nicht ex ante überprüfen lässt. Der Strafverteidigung bleibt nichts anderes übrig, als auf diesen rechtsstaatlichen Missstand aufmerksam zu machen und konsequent die absolute Unverwertbarkeit der erlangten Beweise geltend zu machen. Die verdeckte Durchsuchung ist und bleibt eine illegale Zwangsmassnahme.
1 «Verdeckte» Durchsuchungen sind zudem auch unter dem Blickwinkel der Waffengleichheit und des Legalitätsprinzips fragwürdig.
2 Zudem müsste – wie bei verdeckten Zwangsmassnahmen (ausser der Observation) erforderlich – ein dringender Tatverdacht durch das Zwangsmassnahmengericht überprüft werden.
3 Namentlich Art. 13 BV und Art. 8 Abs. 1 EMRK.
4 Thomas Hansjakob, «Geheime Erhebung von Beweisen nach StPO», in: Forumpoenale 5/2011, S. 299 (303).
5 Nach hier vertretener Ansicht wäre eine Gesetzeslösung mit Richtervorbehalt keine abschliessende Problemlösung im Kontext heimlicher Durchsuchungsmethoden, zumal ein solches Vorgehen diverse Verfahrensrechte der betroffenen Person tangiert.
6 Jonas Weber, in: Marcel Alexander Niggli / Marianne Heer / Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar StPO, Basel 2014, Art. 197 N 4; Niklaus Schmid / Daniel Jositsch, StPO Praxiskommentar, Art. 197 N 3; Markus Hug / Alexandra Scheidegger, in: Andreas Donatsch / Thomas Hansjakob / Viktor Lieber, StPO Kommentar, Basel/Genf 2014, Art. 197 N 4 m.w.N.
7 Schmid / Jositsch, Handbuch StPO, Zürich 2017, § 69 N 1061.
8 Art. 36 Abs. 1 BV verlangt bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen eine formell-gesetzliche Grundlage, die bei einer verdeckten Durchsuchung nicht existiert.
9 Vgl. insb. Diego Gfeller, in: Niggli /Heer / Wiprächtiger, BSK StPO, Basel 2014, vor Art. 241 N 21 ff.
10 Vgl. Sabine Gless, «Sinn und Unsinn von Beweisverwertungsverboten – strafprozessuale Wahrheitssuche und ihre Grenzen im Rechtsvergleich», in: ZStrR 1/2019, S. 1 ff.
11 Zum Ganzen: Marc Thommen, «Gerechtigkeit und Wahrheit im modernen Strafprozessrecht» 6/2014, S. 264 ff. (Gerechtigkeit im Strafprozess lasse sich definieren als Einhaltung von Fairnessregeln und dem Streben nach einem Kern von Wahrheit).