Am 3. Januar 2020 töteten die USA den iranischen General Kassem Soleimani mittels einer Drohne. Der Raketenangriff ereignete sich in der Nähe des Flughafens von Bagdad. Fünf weitere Personen kamen dabei ums Leben. Die USA stellten klar, dass der Luftangriff allein General Soleimani galt.
In der Folge wurde viel über die geostrategische Bedeutung der Tötung diskutiert sowie einer möglichen Gegenreaktion Irans. Die rechtliche Bewertung blieb Fachkreisen vorbehalten. Klar ist dabei: Es schadet der Legitimität und der Durchsetzung von Menschenrechten und Völkerrecht, wenn die Politiker sich mit dem Recht des Stärkeren abfinden oder es unterlassen, Rechtswidrigkeiten eindeutig als solche zu benennen. Dabei gibt es aus rechtlicher Sicht einiges zu bewerten. Die Rechtslage ist alles andere als eindeutig, zumal neben der Uno-Charta die Menschenrechte und unter Umständen auch das humanitäre Völkerrecht anwendbar sind.
Internationale Garantien für das Recht auf Leben
Das Recht auf Leben darf nicht willkürlich verletzt werden. Eine willkürliche Tötung – sprich ohne rechtstaatliches Verfahren und rechtskräftige Verurteilung zum Tode – ist menschenrechtswidrig. Strafrechtlich ist sie in allen Rechtsordnungen weltweit – etwa als Mord oder Totschlag – mit erheblicher Strafe sanktioniert.
Das Recht auf Leben ist vor allem im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Uno-Pakt II) Artikel 6 geschützt. Er wurde auch von den USA ratifiziert. Der Uno-Pakt II ist extraterritorial anwendbar, auch wenn die US-Regierung dies kontinuierlich in Abrede stellt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Grundsatzkommentar Nr. 36 des Uno-Menschenrechtsausschusses. Er ist das Kontrollorgan über die Umsetzung und Einhaltung des Pakts. In den Grundsatzkommentaren legt der Ausschuss die Artikel des Pakts aus und gibt so eine Unterstützung für Anwendungsschwierigkeiten oder divergierende Auffassungen einzelner Staaten.
Kommentar Nr. 36 betrifft die Auslegung des Artikel 6, des Rechts auf Leben. Danach kommt es für die extraterritoriale Anwendung darauf an, ob der agierende Staat über das Recht auf Leben der betroffenen Personen seine Gewalt ausübt oder effektive Kontrolle hat. Die Kontrolle über das Leben der Personen aus der Luft, etwa mittels Drohnen, reicht dafür aus. Nicht erforderlich ist die Kontrolle über das Staatsgebiet, wo die Verletzung des Rechts stattfindet. Da es allein die Entscheidung der USA war, ob sie auf das Recht auf Leben von Soleimani und seinen Begleitern einwirken wollten oder nicht, ist Artikel 6 des Uno-Pakts II in diesem Fall gegenüber den USA anwendbar.
Das menschenrechtliche Verbot des willkürlichen Eingriffs in das Recht auf Leben umfasst laut Auslegung des Uno-Menschenrechtsausschusses unangemessene, ungerechte, unvorhersehbare, rechtsstaatswidrige sowie unvernünftige, nicht notwendige und unverhältnismässige Eingriffe in das Recht auf Leben. Wenn staatliche Sicherheitskräfte in das Recht auf Leben eingreifen, ist dies nur in absoluten Ausnahmesituationen erlaubt. Bei einer absichtlichen Tötung nur dann, wenn sie absolut notwendig war, um ein anderes Leben unmittelbar zu schützen. Diese Unmittelbarkeit ist im Fall Soleimanis nicht gegeben. Die USA haben bis heute nicht mitgeteilt, worin die unmittelbare Gefahr durch die Getöteten gegenüber dem Leben anderer bestanden haben soll, die diesen drastischen Eingriff erforderlich gemacht hätte.
Aus Sicht von Artikel 6 des Uno-Pakts II verletzen Staaten ihre Pflichten ebenso, wenn sie nach einem Eingriff in das Recht auf Leben diesen nicht hinreichend untersuchen und aufklären. Das erfordert unabhängige, gründliche und transparente Ermittlungen mit dem Ziel, die Wahrheit zu ermitteln. Dazu zählen auch die Gründe und die rechtlichen Grundlagen für den Eingriff sowie die angewendeten Verfahren von staatlichen Sicherheitskräften. Kurzum, die USA müssen alle Details, die zum Angriff führten, sowie die rechtlichen Grundlagen offenlegen. Ansonsten begehen sie eine weitere Menschenrechtsverletzung.
Enge Grenzen für Recht auf Selbstverteidigung
Eine der Säulen der UN-Charta ist das in Artikel 2 Nr. 4 verankerte Gewaltverbot. Es ist im Fall Soleimani in mehrfacher Hinsicht relevant, da die gezielte Tötung zum einen auf dem Staatsgebiet Iraks stattgefunden hat, zum anderen das Ziel ein iranischer Staatsbürger war. Eine Zustimmung Iraks zum Luftangriff scheint es nicht zu geben, auch wenn sich die USA grundsätzlich mit Zustimmung des Iraks im Land aufhalten. Das Argument, dass ein Staat in einem anderen Staat sich selbst verteidigen darf, wenn dieser andere Staat nicht willens und in der Lage ist, eine (dritte) unmittelbare Gefahr für den angreifenden Staat zu beseitigen, führt die Zustimmung zur Truppenstationierung ad absurdum. Das würde bedeuten, dass die USA Gewalt ohne Zustimmung des Irak anwenden dürfen, wenn der Irak nicht der gleichen Auffassung wie die USA ist, wer oder was eine unmittelbare Gefahr für die US-Sicherheit oder das Leben von US-Bürgern darstellt. Die generelle Einladung des Iraks zur Truppenstationierung im Irak reicht nicht aus, um einen Verstoss gegen das Gewaltverbot im Irak rechtfertigen zu können.
Die grundsätzliche Berufung auf ein präventives Selbstverteidigungsrecht unterliegt sehr engen Massstäben. Aus diesem Grund haben einige Staaten ihre Argumentation dahingehend geändert, dass sie sich nicht auf ein generelles Präventivrecht berufen – sondern auf eine unmittelbare Gefahr, die es abzuwehren gilt.
Die USA haben in einem Schreiben an den Uno-Sicherheitsrat versucht zu begründen, warum sie sich auf eine Ausnahme vom Gewaltverbot berufen. Dabei beziehen sie sich auf eine eskalierende Serie von Angriffen des Iran in der Vergangenheit. Diese Argumentation greift jedoch nicht, da das Selbstverteidigungsrecht nur als direkte Antwort auf einen Angriff als Rechtfertigungsgrund angeführt werden darf. Eine Antwort irgendwann und in Bezug auf eine Reihe von Angriffen, die in der Vergangenheit liegen, ist als völkerrechtliche Repressalie zu werten, die verboten ist.
Die von den USA aufgeführten angeblichen Angriffe des Iran entsprechen zudem nicht den Erfordernissen eines bewaffneten Angriffs, die erforderlich wären, um ein Selbstverteidigungsrecht auszulösen. Zumeist erreichen sie nicht das Ausmass eines bewaffneten Angriffs im Sinn der Uno- Charta – etwa die Drohung eines Angriffs auf ein US-Schiff in der Strasse von Hormus oder der Abschuss einer US-Überwachungsdrohne.
Letztlich ist weder gegenüber dem Irak noch gegenüber dem Iran ersichtlich, auf welche Rechtfertigung einer Ausnahme vom Gewaltverbot der Uno-Charta sich die USA berufen könnten. Durch den Verstoss gegen die Charta verstiessen die USA auch gegen das menschenrechtliche Recht auf Leben, da der Eingriff willkürlich erfolgte.
Humanitäres Völkerrecht ebenfalls verletzt
Daran ändert sich auch nichts, wenn man davon ausginge, dass das humanitäre Völkerrecht anwendbar war. Anwendbar wäre es bei einem bewaffneten Konflikt zwischen mindestens zwei Konfliktparteien, wie etwa Sicherheitsorganen zweier Staaten. Vor allem die Frage ist umstritten, ob der erste dieser Angriffe bereits vom humanitären Völkerrecht gedeckt ist. Es könnte ja sein, dass der Drohnenangriff auf Soleimani am Anfang eines Krieges zwischen den USA und Iran steht – auch wenn sich dies bislang nicht abzeichnet. Dies hiesse allerdings auch, dass es immer wieder einzelne «Nadelstiche», sprich gezielte Tötungen geben könnte, die unter das humanitäre Völkerrecht fallen würden, selbst wenn sie keinen Gegenangriff auslösen und mithin keinen bewaffneten Konflikt. Dies würde einen menschenrechtlichen Schutz de facto aushebeln und die Voraussetzungen für einen bewaffneten Konflikt extrem niedrig ansetzen. Daher ist auch bei einem möglichen internationalen bewaffneten Konflikt eine gewisse Intensität Voraussetzung, da ansonsten der Menschenrechtsschutz ausgehebelt wird.
Geht man andererseits davon aus, dass das humanitäre Völkerrecht auch schon beim ersten Angriff anwendbar ist, selbst wenn dann kein Gegenangriff und damit bewaffneter Konflikt folgt, kann dieser Angriff doch rechtswidrig sein. Denn das humanitäre Völkerrecht ist in diesem Fall nicht das einzig ausschlaggebende Rechtsgebiet. Zu beachten sind stets auch die Uno-Charta, die Menschenrechte sowie gegebenenfalls auch der Tatbestand der Aggression nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Hinzu kommt, dass selbst im bewaffneten Konflikt Staaten ihre rechtliche Grundlage für Angriffe sowie das Verfahren zur Identifizierung des militärischen Ziels oder Kombattanten offenlegen müssen und abklären, ob weniger schädliche Mittel hätten angewandt werden können. Die Ermittlungspflicht bleibt auch im bewaffneten Konflikt bestehen. Zu all diesen Punkten blieben die USA bislang eine transparente Aufklärung schuldig.
USA setzen auf das Recht des Stärkeren
Im Fall der gezielten Tötung Soleimanis geht es um einen Bruch mit bisheriger Staatenpraxis. Zum einen töteten die USA einen hochrangigen Staatsbediensteten eines anderen Staates und zum anderen unter Anwendung von Kriegswaffen. Diese Praxis blieb bislang Al- Qaida oder IS-Terroristen vorbehalten. Die USA haben damit die Grenze der Eskalation zu Angriffen auf Offizielle anderer Staaten rechtswidrig und an der Grenze zu Krieg und Frieden überschritten. Sie setzen auf das Recht des Stärkeren. Andere Staaten werden es ihnen nachtun. Dies unter Berufung auf die Praxis der USA, die durch die gezielte Tötung selbst als auch durch die fehlende Begründung sowie Einhaltung der Ermittlungspflicht als rechtswidrig einzustufen ist.
Letztlich ist es an anderen Staaten, das Völkerrecht einzufordern. Dazu zählt, Rechtspositionen offen und eindeutig zu artikulieren sowie ausreichende Informationen anzufordern. Dies geschieht im Hinblick auf Drohnenangriffe der USA seit Jahren nur sehr unzureichend. Auch im Rahmen der weiteren Eskalation mit der Tötung Soleimanis reagieren viele Staaten sehr zurückhaltend, insbesondere wenn es um die rechtliche Einschätzung geht.
General Soleimani war alles andere als ein Sympathieträger, sondern selbst für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Er wäre ein Fall für eine Strafverfolgung im Ausland – etwa nach dem Weltrechtsprinzip – gewesen. Dies hätte mehr dazu beitragen können, Irans Menschenrechtsverletzungen und Völkerstraftaten aufzuklären und Verantwortlichkeiten zu benennen. Eine gezielte Tötung bewirkt das Gegenteil und erschüttert die regelbasierte globale Ordnung. Andere Staaten sind mehr denn je gefordert, für diese Ordnung offensiv einzustehen.