Die 48-jährige Abir Moussi ist Anwältin, Vorsitzende der säkularen Parti Destourien Libre (PDL) und eine bekannte politische Gegnerin von Präsident Kais ­Saied. Von 2019 bis 2021 war sie Mitglied des Par­laments. Am 5. August 2024 wurde sie von einem Gericht in der tunesischen Hauptstadt ­Tunis zu zwei Jahren Haft verurteilt, nachdem sie öffentlich den Wahlprozess kritisiert hatte. Die Verurteilung erfolgte unter dem Gesetzeserlass 2022-54 über Cyber­kriminalität auf Betreiben der Wahlbehörde.

Am 24. September 2023 hatte Abir Moussi eine Pressemitteilung veröffentlicht. Darin bekundete sie ihr Interesse, bei den nächsten Präsidentschafts­wahlen anzutreten. Nur wenige Tage später, am 3. Oktober, wurde sie vor einem Verwaltungsgebäude festgenommen, das zum Präsidentenpalast gehört. Im fraglichen Gebäude hatte sie versucht, bei der ­zuständigen Behörde Rechtsmittel gegen Präsidialdekrete einzulegen, war aber daran gehindert worden. Zudem laufen noch ­weitere Ermittlungsverfahren gegen sie, weil sie ihre Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen hat.

Kritik an den Behörden fällt unter das Recht auf Meinungsfreiheit. Das ist in Artikel 19 des Inter­nationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie in Artikel 9 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker ­verankert. ­Tunesien ist Vertragsstaat.

Präsident Kais Saied beruft sich seit seiner Machtergreifung am 25. Juli 2021 auf Notstandsbefugnisse aus der Verfassung von 2014. Seit Februar 2023 ­verschlechterte sich die Menschenrechtslage in ­Tunesien stark. Gegen mindestens 74 Oppositionelle und andere ­vermeintliche Gegner des Präsidenten wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Darunter befinden sich mindestens 44 Personen, denen in ­Verbindung mit der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte Straftaten vorgeworfen werden.