Tunesische Polizisten stürmten am 11. Mai 2024 teils maskiert und teils in Zivilkleidung die Büros der Anwaltskammer in Tunis und nahmen Rechts­anwältin Sonia Dahmani fest. Am 13. Mai ordnete ein Ermittlungsrichter an, Dahmani wegen kritischer ­Äusserungen in einer Fernsehsendung in Unter­suchungshaft zu ­nehmen. Die Strafverfolger werfen Dahmani die ­Verbreitung falscher Informationen vor. Die Anwältin ist zurzeit im Manouba-Gefängnis in Tunis inhaftiert.

Dahmani hatte sich am 7. Mai in einer Fernseh­sendung kritisch über die Migrationssituation in ­Tunesien geäussert. Sie sagte: «Von welchem ­aussergewöhnlichen Land sprechen wir, dass die ­Hälfte der jungen Leute es verlassen will?»

Am 9. Mai gab die Anwältin bekannt, dass sie von einem Ermittlungsrichter vorgeladen worden sei. ­Gegen sie werde nach Paragraf 24 des Gesetzes­dekrets 54 über Cyberkriminalität ­ermittelt. Ihr droht eine Strafe von fünf Jahren Gefängnis und eine ­Geldstrafe von rund 15'000 Euro. Strafrechtlich ­sanktioniert wird, wer über Telekommunikationsnetze «gefälschte Nachrichten», «falsche Daten» oder ­«Gerüchte» versendet, verbreitet, um anderen zu schaden, Angst zu verbreiten oder Hass zu schüren. Die Strafen werden verdoppelt, wenn das Opfer Staatsbediensteter ist.

Ein Untersuchungsrichter hat Sonia Dahmani am 20. Mai angehört und entschieden, die Haft zu ­verlängern. Für Amnesty International ist klar: Die Festnahme der Anwältin ist willkürlich und verstösst gegen internationale Menschenrechtsnormen, einschliesslich Artikel 6 und 9 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker sowie ­Artikel 9 und 19 des Internationalen Pakts über ­bürgerliche und politische Rechte. Tunesien gehört zu  den Staaten, die den Vertrag unterschrieben haben.