Andreas Bucher ist sauer auf das Bundesamt für Justiz. Grund: «Die Auswahl der Experten bei Gesetzesrevisionen ist viel zu einseitig.» Externe Kritik zu einzelnen Revisionen komme beim Bundesamt praktisch nicht mehr durch. Bucher – seit mehr als 30 Jahren in mehreren Revisionsprojekten des Bundes als Experte beigezogen – hat einiges zu kritisieren. Sein Vorwurf: «Das Bundesamt wählt Experten für Kommissionen aus, die nicht unabhängig sind.» Die Mitglieder von Expertenkommissionen seien in erster Linie Interessenvertreter.
Als Beispiel nennt Bucher die Vernehmlassung betreffend die Revision des 12. Kapitels des internationalen Privatrechts (IPRG). Dabei geht es um die Schiedsgerichtsbarkeit. «Der Anfang 2017 in die Vernehmlassung geschickte Entwurf ist von Experten begleitet worden, die sich offensichtlich in einem Interessenkonflikt befanden. Das zeigt sich etwa darin, dass man im Entwurf nicht den geringsten Hinweis auf die Interessen von Konsumenten, Mietern, Arbeitern und Sportlern findet.» Erstaunlich sei auch das Fehlen jeder Bemerkung zu Artikel 190 IPRG betreffend die Gründe zur Anfechtung eines Schiedsurteils vor Bundesgericht. Heute wisse man: «Die Mehrheit der Experten war entweder direkt oder indirekt durch einen Geschäftspartner an solchen Verfahren beteiligt. Deshalb wollten sich die Experten nicht zu diesem Thema äussern, obwohl es zu einem der wichtigsten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz gehört.» Das nehme dem Entwurf jeden Anschein «der Objektivität und Neutralität, ja der Qualität», kritisiert Bucher. Bei den vier erwähnten Experten handelt es sich um die Professoren Felix Dasser von der Universität Zürich, Gabrielle Kauffmann-Kohler von der Universität Genf, Daniel Girsberger von der Universität Luzern sowie Elliott Geisinger. Girsberger ist Konsulent der Kanzlei Wenger & Vieli und betreut vor allem internationale Schiedsgerichtsfälle als Schiedsrichter und Parteivertreter. Zudem ist er als Gutachter und Mediator tätig. Dasser ist Partner bei Homburger und war früherer Leiter des Praxisteams Prozesse und Verfahren. Er berät und vertritt Unternehmen bei internationalen Handels- und Investitionsstreitigkeiten, Prozess- und Schiedsgerichtsverfahren sowie im Wirtschaftsstrafrecht und in Compliance-Fragen. Zudem wirkt er als Schiedsrichter und als Experte für Schweizer Recht, heisst es auf seiner Webseite. Kauffmann-Kohler ist Partnerin der Kanzlei Lévy Kauffmann-Kohler und praktiziert im internationalen Handels-, Investitions- und Sportschiedsverfahren. Sie hat in über 200 internationalen Schiedsverfahren mitgewirkt, hauptsächlich als Schiedsrichterin. Geisinger ist Partner der Kanzlei Schellenberg Wittmer sowie Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Schiedsgerichtsbarkeit. Alle vier Experten sind also in der Praxis fest verankert.
Experten haben laufende Fälle vor Bundesgericht
Für Bucher ist das inakzeptabel. Ihn stört, dass ausser Girsberger drei der Experten «direkt oder via ihr Büro in Beschwerden ans Bundesgericht involviert» seien. Bei Kauffmann-Kohler treffe das zwar nicht persönlich zu, aber es gelte für Partner im Büro: «So ist Antonio Rigozzi in einer ganzen Reihe von Fällen betreffend den Sport Arbitration Court am Bundesgericht als Partei bekannt. Felix Dasser tritt dort selbst als Anwalt an – oder seine Partner vom Büro Homburger.» Das Gleiche gelte für Geisinger. Seine Kanzleikollegin Nathalie Voser ist ebenfalls als Schiedsrichterin und Parteienvertreterin tätig. Bucher kritisiert zudem, dass Elliott Geisinger insofern befangen sei, als er als Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Schiedsgerichtsbarkeit die Berufsgruppe direkt vertrete. «Das ist etwa das Gleiche, wie wenn der Präsident des Bauernverbandes als Experte für eine Vorlage zur Landwirtschaft beigezogen würde.»
Felix Dasser weist auf Anfrage die Kritik von Andreas Bucher auch im Namen seiner drei Kollegen zurück. Die auf Personen zielende Kritik in einer Vernehmlassung sei deplatziert, sagt er. Der Vorentwurf halte sich an den beschränkten Auftrag des Parlaments und sei in der Vernehmlassung fast durchgehend positiv aufgenommen worden: «Buchers Experten-Bashing ist auch unter diesem Aspekt verfehlt.»
plädoyer konfrontierte das Bundesamt für Justiz mit Buchers Kritik. Vizedirektor Michael Schöll wehrt sich: «Zur politischen Ausrichtung einer Vorlage haben Sachverständige nichts zu sagen. Wer sich bei uns als Lobbyist aufführt, fliegt raus.» Die Zusammensetzung der genannten Expertengruppe sei jederzeit öffentlich bekannt gewesen. Bucher sei der Einzige, der Kritik geübt habe. Bei der Revision des 12. Kapitels habe das parlamentarische Mandat verlangt, der Bundesrat solle die Attraktivität der Schweiz als internationaler Schiedsstandort weiter verbessern und stärken. «In den letzten Jahren machten verschiedene ausländische Staaten Boden gut», sagt Schöll. Mit der Revision gelte es zu verhindern, dass die Schweiz ins Hintertreffen gerate.
Weniger Professoren in Kommissionen als früher
Laut dem Vizedirektor des Bundesamts gibt es bei Gesetzesrevisionen keine strikte Vorgehensweise. «Wir achten darauf, was wir intern selbst beurteilen können und wo wir Input von aussen benötigen.» Wer nur Lehre und Rechtsprechung auswerte, unterschätze die Qualität eines Gesetzes oder überschätze den gesetzgeberischen Handlungsbedarf tendenziell. «Was in der Praxis gut funktioniert, führt selten zu Gerichtsentscheiden oder zu juristischen Aufsätzen.» Grosse Expertenkommissionen gebe es seit 2010 nicht mehr. Ihre Arbeitsweise würde bei den heutigen zeitlichen Erwartungen der Politik und auch wegen der vollen Terminkalender der Sachverständigen kaum mehr funktionieren, so Schöll. Der Beizug externer Sachverständiger erfolge projektspezifisch.
Laut Schöll wurden früher vor allem Professoren als Sachverständige beigezogen. «Heute achten wir sehr auf die Ausgewogenheit der Expertengremien. Zur Frage, wie das Scheidungsrecht in der Praxis funktioniert, kann eine Oberrichterin mit 1000 Fällen Erfahrung mindestens so viel beitragen wie ein Ordinarius, der vor allem die Kohärenz des Zivilrechts im Auge hat.» Die verschiedenen Sichtweisen müssten sich ergänzen. Zudem bestünden in vielen Rechtsfragen in der deutschen und der lateinischen Schweiz – ganz abgesehen von der Sprache – andere Beurteilungsmassstäbe und Rechtstraditionen. Diese gelte es einzubinden. «Reine Männergremien sind ein No-go, und unsere Sachverständigen müssen auch Entwicklungen im Ausland einbringen können.»
Offen bleibt, weshalb das Bundesamt noch vor der Vernehmlassung vier Experten, die vor allem in der Praxis tätig sind, konsultierte. Schöll spricht von einer «Massnahme der Qualitätssicherung für die technische Nachführung des Gesetzestexts». Andreas Bucher kann diese Argumentation nicht nachvollziehen: «Das Bundesamt stiehlt sich aus der Verantwortung.» Die vier Experten hätten ja via öffentliche Vernehmlassung antworten können. «Man hat sie vorweg konsultiert, was ihnen einen Vorteil verschaffte.»
Die öffentliche Vernehmlassung ist jedoch laut Bucher nur zum Teil geeignet, um Vorschläge einzubringen und zu formulieren. «Dazu braucht es eine Diskussion und eine Zusammenarbeit. Diesen Vorteil hatten die vier Experten.»