Was willst du später einmal werden?», fragte ihn der Rektor im Gymnasium. «Bezirksanwalt!», antwortete der 15-jährige voller Enthusiasmus. Bezirksanwalt war in Zürich die damalige Bezeichnung der heutigen Staatsanwälte. Peter Pellegrini schaute im Fernsehen weder besonders häufig «Tatort» noch «Derrick». Vielmehr wünschte er sich früh, «sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen», wie er sich erinnert. Heute leitet der 58-Jährige die Zürcher «Staatsanwaltschaft III», die grösste kantonale Strafverfolgungsbehörde für qualifizierte Wirtschaftsdelikte und Geldwäschereiverfahren.
Strafuntersuchung im Team mit Projektleiter
Peter Pellegrini macht auf den ersten Blick den gleichen Eindruck wie das Gebäude, in dem er seit über 20 Jahren tätig ist: Schlicht und unaufdringlich. Spricht er über seine Tätigkeit – und er spricht schnell –, ist er darauf bedacht, keine Emotionen zu zeigen und die Kontrolle zu wahren. Pellegrini benützt Metaphern, wenn er seine Arbeit erklärt. «Meine Rolle ist auch vergleichbar mit einem Fussballtrainer, der seine Mannschaft aus den besten Spielern zusammensetzt und sie nach ihren Talenten in der Position platziert, die er für richtig hält.» Konkret: Bei grossen Fällen bestimme er einen erfahrenen Staatsanwalt als Projektleiter. Dazu kommen weitere Staatsanwälte, Polizisten und Wirtschaftsprüfer. In die umfangreiche Strafuntersuchung rund um die Zürcher Beamtenversicherungskasse (BVK) waren zeitweise 20 Leute involviert. Teamarbeit wird bei Pellegrini grossgeschrieben. Das bestätigen ehemalige Mitarbeiter. «Die Arbeit im Team nimmt den Druck vom Einzelnen weg, weil Entscheidungen gemeinsam gefällt werden», sagt der leitende Staatsanwalt.
Pellegrini ist der erste Jurist in der Familie. Der Vater führte in Zürich ein Baugeschäft. Sein Sohn ging einen anderen Weg. Nach dem Studium an der Universität Zürich begann er als Auditor bei der Bezirksanwaltschaft Zürich. Sein Vorgesetzter war Andreas Brunner, später leitender Oberstaatsanwalt im Kanton. Brunner – Pellegrinis grösster Förderer und sein Trauzeuge – erinnert sich: «Der Junge hatte einen enormen, aber nicht sturen Strafverfolgungswillen. Das war mir gleich aufgefallen. Er wollte etwas erreichen.» Heute beurteilt er ihn als «schlauen Fuchs, der auch kreative Wege geht, um einen Fall zu lösen».
Er prüft jede der 250 Anzeigen selbst
Pellegrini führt selbst keine Strafuntersuchungen mehr. Er prüft aber jede Anzeige, die bei der Amtsstelle für Wirtschaftsdelikte eingeht. Das sind rund 250 pro Jahr. «Ich analysiere die Anzeige, prüfe, welche Straftatbestände erfüllt sein könnten und welche Beweismittel es braucht, um ein strafbares Verhalten nachzuweisen.» Bereits bei dieser ersten Analyse fallen bis zu drei Viertel der Anzeigen weg. Für die meisten davon sind andere Behörden zuständig, Nichtanhandnahmeverfügungen sind die Ausnahme.
Eine Strafuntersuchung kann zwei bis vier Jahre oder länger dauern. Damit die Untersuchung nicht aus dem Ruder läuft, führt Pellegrini alle sechs Monate eine Inspektion durch. «Da werden die bisherigen Erkenntnisse der Untersuchung besprochen. Und es wird geprüft, ob es noch weitere Ermittlungen braucht. Denn bei umfangreichen Fällen besteht die Kunst darin, die Untersuchung zum richtigen Zeitpunkt zu beenden. Sonst wird man nie fertig», sagt Pellegrini. Es brauche einen «gepflegten Minimalismus».
Vor Gericht führt das bei den bis zu 20 Anklagen pro Jahr zu einer bemerkenswerten Erfolgsquote: Laut Pellegrini kommt es bei 90 bis 100 Prozent zu Schuldsprüchen. «Freisprüche wegen prozessualer Mängel haben wir keine», bemerkt er – nicht ohne Stolz. Ist eine Untersuchung abgeschlossen, prüft er das Dossier intensiv. Er lese die Anklageschrift mit den Augen des Richters. «Verstehe ich den Inhalt? Liegen genügend Beweise für eine Verurteilung vor?» Diese Prüfung könne Stunden oder mehrere Tage dauern. «Bei uns muss ein guter Staatsanwalt ein Marathonläufer sein – kein Sprinter!», warnt der Trainer, der die Arbeit an der Seitenlinie heute zu schätzen weiss.
Pellegrini wurde 1993 mit 27 Jahren Bezirksanwalt. Er erinnert sich an die Zeit «der offenen Drogenszene mit schlimmen Gewaltdelikten». Schnell habe er gemerkt, wie wichtig es sei, nach der Arbeit abzuschalten. Im Winter steht er vom ersten Schnee bis zum Saisonende fast jedes Wochenende auf den Skiern. Im Sommer ist er viel am See oder beim Wandern anzutreffen. Auch seine Frau, eine Ärztin, und seine Tochter erinnern den gläubigen Katholiken daran, dass die Welt nicht nur aus Kriminellen besteht.
Mit dem Mörder in der Business Class
Als junger Bezirksanwalt reiste er 1992 bei einem Mordfall mit zwei Polizisten nach Estland, um die Auslieferung eines jungen Mannes zu verlangen. Pellegrini nahm den Beschuldigten gleich mit nach Zürich. Auf dem Rückflug sassen sie Seite an Seite in der Business Class: «Es war skurril, als die Flugbegleiterin uns ein Cüpli anbot», erinnert sich Pellegrini. Dann, 1997, schrieben seine Ermittlungen Rechtsgeschichte: Als Erster untersuchte er den Fall eines pädophilen Schweizers, der in Sri Lanka Dutzende Kinder sexuell missbraucht hatte. Pellegrini reiste vor Ort und befragte die Opfer. Ein Jahr später wurde der Pädophile in Zürich in einem Pilotprozess zu viereinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. «Ab dann war klar, Schweizer können auch für im Ausland begangene Taten zu Hause verurteilt werden.»
In Strafuntersuchungen zeigte er sich nicht zimperlich. 1997 ordnete er beim «Sonntagsblick» eine Hausdurchsuchung an. Nach Berichten über Todesfälle am Universitätsspital Zürich vermutete er eine Amtsgeheimnisverletzung.
Nach 30 Jahren im Beruf stellt Pellegrini einen Paradigmenwechsel fest. Die Wirtschaftskriminellen kämen heute öfter aus den höheren Kreisen der Gesellschaft. Viele würden nach dem Motto leben: «Bescheidenheit ist eine Zier, doch reicher wirst du nur mit Gier.» Er geht davon aus, dass es bei Wirtschaftsdelikten heute eine «gigantische Dunkelziffer» gibt.
Pellegrini hat keine Ambitionen auf ein neues Amt. Zwar habe auch er gelesen, dass ihn die NZZ als Kronfavoriten für den Posten des Bundesanwalts nannte. Doch: «Ich will weder Bundesanwalt werden, noch zieht es mich an die Gerichte oder in ein Unternehmen.»