plädoyer: Schweizer Anwälte sind weitgehend vom Geldwäschereigesetz (GwG) ausgenommen. Das sorgt regelmässig für Kritik. Ist diese berechtigt – oder wird das Problem der «anwaltlichen Schlupflöcher» bei der Geldwäschereibekämpfung überzeichnet?
Anton Brönnimann: Massnahmen gegen Geldwäscherei setzen in der Schweiz vor allem beim Finanzmarkt und bei Geldbewegungen an. Die strengeren Regeln fruchten. Es ist heute schwieriger als früher, Geld zu waschen. Kriminelle suchen aber immer nach neuen Wegen und bedienen sich unter anderem ausgeklügelter Strukturen, sprich verschachtelter Firmenkonstrukte. Möglich machen dies unter anderem Berater, darunter auch Anwälte. Das zeigen uns Informationen von ausländischen Meldestellen, mit denen wir uns regelmässig austauschen. Internationale Studien sprechen zudem von einem erhöhten Geldwäschereirisiko in diesem Sektor. Es gibt deshalb international einen Konsens, wonach Massnahmen gegen Geldwäscherei auch die Beraterbranche erfassen sollen. Die Schweiz hinkt da hinterher – nicht als einziges Land, aber aufgrund ihres starken Finanz- und Beratersektors steht sie besonders im Fokus.
David Zollinger: Es gibt wohl auch Anwälte, deren Handeln den Tatbestand der Geldwäscherei erfüllen könnte. Veröffentlichungen wie etwa über die «Panama Papers» rückten die Beraterindustrie und mit ihr auch die Anwälte in den öffentlichen Fokus. Meiner Erfahrung nach sind die Anwälte aber nicht das Problem – oder höchstens dann, wenn sie als Treuhänder tätig sind. In diesem Fall gelten für sie aber jetzt schon strengere Regeln. Es geht nun offenbar aber dem Bundesrat darum, präventiv noch weitere Tätigkeiten der Anwälte der Geldwäschereigesetzgebung zu unterstellenl. Und es geht um die Kernfragen: Ist das Anwaltsgeheimnis ein Deckmantel für Geldwäschereitätigkeiten? Und soll man es deshalb relativieren?
plädoyer: Der Anwaltsverband wehrt sich gegen eine Aufhebung des Anwaltsgeheimnisses. Wäre es in Gefahr, wenn man die Geldwäschereigesetzgebung für Anwälte ausweiten würde?
Zollinger: Die 2021 gescheiterte GwG-Revision teilte die anwaltliche Tätigkeit in zwei Bereiche ein. Zum einen ging es um die geschützte anwaltliche Kerntätigkeit: In diesem Bereich gilt das Anwaltsgesetz und damit auch das Berufsgeheimnis sowie eine Schweigepflicht. Auf der anderen Seite ging es um die dem GwG unterstellte Beratertätigkeit: Bewegt sich ein Anwalt in diesem Bereich, muss er gewisse verdächtige Sachverhalte den Behörden melden. Das wirft die Frage auf, wo die Grenze zwischen den beiden Funktionen verläuft – also wo die Kerntätigkeit endet und die Beratertätigkeit und die Meldepflichten beginnen.
Brönnimann: Es ist unbestritten, dass eine GwG-Unterstellung auch für Anwälte Abgrenzungsfragen mit sich bringen würde. Solche gibt es aber auch im Umgang mit der Finanzindustrie. Wegen allfälliger Abgrenzungsschwierigkeiten einfach nichts zu machen, halte ich jedenfalls für keine Option. In sehr vielen Fällen kann man sehr wohl klar definieren, was unter die geschützte anwaltliche Kerntätigkeit fällt und was nicht. Der Kauf oder Verkauf von Immobilien, die Gründung von Gesellschaften und Trusts, das Eröffnen eines Kontos für Firmengründungen – das alles sind eindeutig Tätigkeiten, die nicht dem Anwaltsmonopol vorbehalten sind und deshalb auch den besonderen Schutz des Anwaltsgesetzes nicht verdienen.
Zollinger: Diese Sichtweise stellt auf einzelne mögliche Tätigkeiten eines Anwalts ab. Die Anwaltschaft stellt sich aber auf den Standpunkt, dass es die Beziehung zwischen Anwalt und Klient ist, die es zu schützen gilt. Sie fusst grundsätzlich auf dem Kernbereich der anwaltlichen Beratung und der Prozessvertretung – auch wenn vereinzelt noch andere, weniger anwaltstypische Tätigkeiten dazukommen mögen. Was innerhalb der Beziehung Anwalt –Klient stattfindet, sollte grundsätzlich auch vom Anwaltsgeheimnis geschützt sein. Eine Ausnahme für Anwälte, die Geld bewegen, gibt es schon heute.
Brönnimann: Die Anwaltschaft mag sich mit hehren Zielen auf den Standpunkt stellen, dass es die Beziehung zwischen Anwalt und Klient zu schützen gilt. Genau dieser Schutz durch das Anwaltsgeheimnis kann aber ein Einfallstor dafür sein, Hilfsleistungen für kriminelle Handlungen zu erbringen. Letztlich geht es dabei auch um Prävention. Diese setzt bei erhöhten Risiken an. Banken oder Treuhänder, aber eben auch die Berater und die Anwälte, erbringen mitunter risikobehaftete Dienstleistungen. Also sollen sie auch den entsprechenden Sorgfalts- und Meldepflichten nachkommen.
Zollinger: Der Staat schafft immer mehr Regulierungen. Damit generiert er mehr Meldungen und sammelt Daten auf Vorrat. Er verfährt stets nach dem Credo «Noch ein bisschen mehr wäre noch ein bisschen besser». Ich bezweifle aber, ob man damit zu mehr brauchbaren Resultaten kommt.
plädoyer: Warum scheiterte die Revision des Geldwäschereigesetzes und dessen Ausweitung auf Berater 2021 im Parlament?
Brönnimann: In der Schweiz gibt es kaum ein Gesetz, das seit rund 25 Jahren für derartige Kontroversen sorgt wie das Geldwäschereigesetz. Es sind viele Emotionen mit im Spiel und die Diskussionen werden längst nicht immer sachlich geführt. Vor zwei Jahren wurde das Anwaltsgeheimnis in der Diskussion auch ein Stück weit vorgeschoben. Kernpunkte der Revision, die Risikotransaktionen zum Inhalt hatten und mit dem Anwaltsberuf wenig zu tun hatten, traten in den Hintergrund. Die Diskussion über das Anwaltsgeheimnis nahm überhand.
Zollinger: Das ist eben auch ein zentrales Thema. Und viele, auch sogenannt finanzkritische Kreise, sagten sich in der Diskussion: «Wehret den Anfängen.» Sie befürchteten, dass das Anwaltsgeheimnis weiter aufgeweicht werden könnte, wenn es erst einmal angetastet wird. Da herrschte ein grosses Unbehagen, gerade auch nach den Erfahrungen mit dem Bankgeheimnis, wo auf die anfänglichen Beschwichtigungen schliesslich doch der Dammbruch folgte. Und wie beim Bankgeheimnis haben wir es letztlich auch hier mit einem Kulturkonflikt zu tun: In anderen Ländern wird die Haltung vertreten, dass man dem Staat aus Präventionsgründen möglichst viel Zugriff auf Informationen und teils gar auf einzelne Transaktionen geben soll. In der Schweiz ist der Umgang mit der Privatsphäre traditionell aber ein anderer.
plädoyer: Besteht aber nicht doch die Gefahr, dass das Anwaltsgeheimnis als Deckmantel für illegale Geschäfte missbraucht wird?
Zollinger: Als ich in den 90er-Jahren meine Tätigkeit als Staatsanwalt aufnahm, waren die Werte der Strafverteidigung in erster Linie «linke» Werte. Sie wollte eine zu grosse Macht des Staates gegenüber dem Individuum verhindern. Seither gab es ein Stück weit eine Verschiebung: Kreise, die sich früher dezidiert für die Privatsphäre der Bürger einsetzten, zum Beispiel bei der Fichenaffäre, sehen das heute anders, wenn es um «die Reichen» geht. Da wird die Verdachtsschwelle immer weiter ins Vorgelände verschoben, also weg von den Banken hin zu den Beratern. Dabei scheint gar nicht zentral, ob etwas effektiv illegal ist – es genügt der Verdacht der Illegitimität. Auf dieser Basis sollen dann präventiv Daten gesammelt werden. Dass die Behörden mit diesen Daten Schindluder treiben könnten, geht unter in der Diskussion. Es geht immer nur um Geldwäscher, Potentatengelder, das Schmutzige. Ein bisschen mehr staatskritische Sicht aufs Ganze würde der Debatte gut anstehen.
Brönnimann: Als Verwaltungsrechtler sind für mich die Begriffe «Verhältnismässigkeit» und «Interessenabwägung» zentral. Und im Geldwäschereibereich haben wir es letztlich mit einer Interessenabwägung zu tun: zwischen der Privatsphäre auf der einen und der wirksamen Verbrechensbekämpfung auf der anderen Seite. Ich gebe zu: Als Leiter der Geldwäscherei-Meldestelle bin ich an Daten und einer verbesserten Informationslage interessiert. Aber natürlich kommen dann die Verhältnismässigkeit und das Kriterium der Erforderlichkeit ins Spiel. Ich glaube nicht, dass wir bisher in der Schweiz übertrieben haben. Die Privatsphäre ist in der Schweiz noch immer ein hohes Gut, und die Erhebung von Daten ist bei weitem zurückhaltender als in vielen anderen Staaten, die teilweise über sehr umfangreiche Register und Datenbanken verfügen. Aber bei der Geldwäschereibekämpfung gibt es in Bezug auf die Beraterbranchen klare Risiken. Diese zu begrenzen und zu kontrollieren ist auch im Interesse der Branche selbst.
plädoyer: Inwieweit geht es in der ganzen Debatte um die Anwälte und Berater um das Stopfen von Geldwäscherei-Schlupflöchern und inwieweit um politischen Druck aus dem Ausland?
Brönnimann: Selbstverständlich verfolgen sowohl einzelne Länder als auch Industriezweige eigene wirtschaftliche und politische Interessen. Und es geht mitunter auch um Standortfaktoren und darum, die Konkurrenz aus dem Spiel zu nehmen. Trotzdem gibt es einen Grundkonsens, wonach man strafbaren Handlungen nicht Vorschub leisten will. Und im ganzen internationalen Geflecht ist zentral: Es ist für die eigene Position einfacher, wenn man aktiv ist und in Bereichen, in denen es nicht besonders weh tut, Zugeständnisse macht. Geht man etwas proaktiv an, hat man mehr Möglichkeiten, gewisse Dinge auszuhandeln und einen eigenen Weg zu gehen. Bei der Geldwäschereibekämpfung heisst das konkret, nicht untätig zu bleiben, sondern eine Lösung zu finden, die den Schweizer Eigenheiten Rechnung trägt. Insbesondere dem hohen Stellenwert der Privatsphäre und der Bedeutung des Finanzplatzes.
Zollinger: Es ist unbestritten, dass sich mit der Globalisierung auch die Delinquenz internationalisiert hat. Und dass Verbrechensbekämpfung deshalb auf globaler Ebene angegangen werden muss. Aber Verbrechensbekämpfung ist nicht dasselbe wie das Verfolgen von Fiskalinteressen. Ich habe in all den Jahren oft erlebt, dass unter dem Schlagwort Geldwäschereibekämpfung letztlich staatliche Wirtschaftsinteressen verfolgt wurden. Ich meine, dass man klar benennen sollte, ob es um Fiskalinteressen oder um Verbrechensbekämpfung geht. Und: Nur weil einzelne Länder denselben internationalen Organisationen angehören und sich zu denselben Grundsätzen bekennen, heisst dies noch lange nicht, dass sie auch dasselbe machen und die hehren Grundsätze auch effektiv umsetzen.
Brönnimann: Das läuft auf die Argumentation hinaus, wonach wir uns nicht an die Spielregeln halten sollen, weil dies andere auch nicht tun. Diese Denkweise bringt uns nicht weiter.
Zollinger: Nein, es geht um etwas anderes. Wer an andern Staaten etwas kritisiert, sollte auch nachweisen, dass er den eigenen Laden im Griff hat. Aus eigener Erfahrung weiss ich zum Beispiel, dass die Schweiz sich im Umgang mit Steuerhinterziehung in Sachen Informationsaustausch mittlerweile mustergültig verhält. Andere grosse Finanzplätze, welche die Schweiz gerne kritisieren, erbringen nicht annähernd die gleichen Leistungen.
Brönnimann: Bei der Geldwäschereibekämpfung hat die Schweiz im Umgang mit der Beraterbranche in der Vergangenheit aber zu wenig unternommen. Sie sollte diesen Risikoherd nun aktiv angehen und dabei eigene, für sie passende Lösungen finden. Schaltet sie einfach auf Fundamentalopposition, wird der internationale Druck irgendwann zu gross, und die Schweiz kann nur noch reagieren.
plädoyer: Anton Brönnimann, welche Änderungen sind bei der geplanten Revision des Geldwäschereigesetzes vorgesehen?
Brönnimann: Es gilt, die Sorgfalts- und Meldepflichten für riskante Tätigkeiten auf die Berater auszudehnen. Für Anwälte könnte punkto Aufsicht ein eigenes Regime unter dem Recht des Anwaltsgesetzes geschaffen werden. Konkret würden dann die kantonalen Aufsichtskommissionen in die Geldwäschereiaufsicht miteingebunden werden. Mit einer solchen Lösung wird dem Anwaltsgeheimnis Rechnung getragen. Und sie zeigt eben auch, dass wir nicht einfach alle Forderungen aus dem Ausland übernehmen. Wir konzentrieren uns auf risikoreiche Tätigkeiten, unterstellen diese der Geldwäschereigesetzgebung und treffen im Aufsichtsbereich eigene, differenzierte Lösungen.
Zollinger: Ich würde es für zielführender halten, nicht bei der Beraterbranche als solche, sondern bei den faktischen Organen anzusetzen. Es darf nicht sein, dass eine Person ein Unternehmen faktisch kontrolliert, per Telefon alle Direktiven durchgibt, sich dann aber aus der Verantwortung stehlen kann, weil sie nicht unterschriftsberechtigt ist. Würde man diese faktischen Organe zum Massstab nehmen, wäre man die Beraterdiskussion los und eine Gesetzesrevision wäre wohl mehrheitsfähig.
Anton Brönnimann, 44, Leiter der Meldestelle für Geldwäscherei, die dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) angegliedert ist. Zuvor war er für die Finanzmarktaufsicht sowie als selbständiger Anwalt im Kanton Bern tätig.
David Zollinger, 58, Rechtsanwalt in Wetzikon ZH mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht. Als Staatsanwalt des Kantons Zürich befasste er sich früher mit den Themen Internationale Rechtshilfe und Geldwäscherei.
Der Bundesrat will das Geldwäschereigesetz verschärfen
Berater, darunter auch Anwälte sowie Notare und Vermögensverwalter, sind heute dem Geldwäschereigesetz (GwG) unterstellt, falls sie als sogenannte Finanzintermediäre tätig sind. In diesem Fall gilt für sie eine Meldepflicht bei «begründetem Verdacht» auf Delikte im Zusammenhang mit Geldwäscherei. Für ihre übrigen Tätigkeiten müssen Anwälte das Berufsgeheimnis wahren.
Die Financial Action Task Force, eine internationale Institution, die Standards zur Geldwäschereibekämpfung setzt und deren Einhaltung überprüft, empfiehlt eine Sorgfaltspflicht auch für weitere Tätigkeiten von Beratern. Zum Beispiel bei der «Gründung, Führung oder Verwaltung von juristischen Personen und Rechtskonstruktionen» oder bei der Zurverfügungstellung einer Adresse als Sitz für eine Gesellschaft. Hegen Anwälte bei solchen Tätigkeiten einen Geldwäschereiverdacht, soll für sie ebenfalls eine Meldepflicht bestehen.
Eine entsprechende Revision des Geldwäschereigesetzes scheiterte 2021 im Parlament. Der Bundesrat will noch dieses Jahr eine überarbeitete Vorlage präsentieren, die den internationalen Empfehlungen gerecht wird.
Der Schweizerische Anwaltsverband wehrt sich gegen eine entsprechende Gesetzesrevision. Er erachtet die bestehenden Anti-Geldwäscherei-Massnahmen als ausreichend und sieht das Anwaltsgeheimnis ernsthaft bedroht.