Ein Urteil des Bundesgerichts vom Oktober 2012 machte das Thema der Interessenbindungen juristischer Fachautoren publik. Das Bundesgericht hatte entschieden, dass Banken einbehaltene Vertriebskommissionen an ihre Vermögensverwaltungskunden weitergeben müssen. Der Zürcher Rechtsanwalt Christoph Gutzwiller prangerte daraufhin in einem Gastkommentar in der NZZ an, dass den Banken nahestehende Juristen in Fachzeitschriften über Jahre hinweg wacker den Standpunkt der Banken vertreten hätten. Er prophezeite: «Die Publikationsmaschine in den Fachzeitschriften wird schon bald wieder zu rattern beginnen. Hoffentlich werden dabei auch die Verteidiger des Bundesgerichtsurteils und nicht nur die ‹üblichen Verdächtigen› zu Wort kommen.» Gutzwiller ging mit gutem Beispiel voran und legte in der Fusszeile zu seinem Kommentar offen, dass er im angesprochenen Verfahren die Bankkunden anwaltlich vertreten hatte.
Gutzwiller, der im November verstorben ist, sollte mit seiner Voraussage recht behalten: Es dauerte nicht lange, bis die Banken-Autoren breit Fachartikel streuten und behaupteten, solche Forderungen würden innert fünf Jahren verjähren. Das Zürcher Obergericht hatte diese Argumentation in diesem Grundsatzverfahren verworfen, und die UBS-Anwälte hatten in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht nicht an dieser Behauptung festgehalten.
Im Journalismus verpönt, bei Juristen Alltag
Immerhin: Nicht nur der Zürcher Anwalt, auch die Professoren Pascal Pichonnaz und Franz Werro sowie die Rechtsanwältin Béatrice Hurni setzten in Sachen Deklaration von Interessenbindungen einen neuen Massstab. In einer Fussnote zu ihrem Artikel über die Verjährungsfrage bei Retrozessionen in der «Aktuellen Juristischen Praxis» (AJP) hiess es, ihr Artikel basiere zum Teil auf einem Rechtsgutachten zuhanden der UBS. Damit legten sie in der Frage der Retrozessionen als Einzige das Auftragsverhältnis zu einer Partei in einem Fachartikel offen.
Was im gewöhnlichen Journalismus verpönt ist, gehört im juristischen Fachjournalismus zum Alltag: über Themen schreiben, in denen der Autor selbst geschäftlich tätig ist. Im Steuer-, Banken- und Versicherungsrecht sind die publizierenden Autoren fast immer Praktiker – oder Wissenschafter, die nebenberuflich als Anwälte tätig sind. Sie nehmen als Fachautoren Stellung zu Fragen, die für sie als forensisch tätige Anwälte oder als Unternehmensjuristen von entscheidender Bedeutung sind. Das wäre kein Problem, wenn nicht die juristischen Fachzeitschriften den Richtern als Hilfe bei der Urteilsfindung dienen würden. Fachautoren nehmen so erheblich Einfluss auf die Rechtsfortbildung.
Verschaffen sich die Autoren mit ihren Publikationen zudem nicht Wettbewerbsvorteile gegenüber Berufskollegen? «Der publizierende Anwalt muss meiner Meinung nach seine Befassung mit dem Fall transparent machen», sagt der Zürcher Rechtsprofessor und Wettbewerbsrechtsexperte Rolf H. Weber. «Wenn Interessenbindungen offengelegt werden, wird der Wettbewerb nicht verfälscht.» Doch davon sind die Fachzeitschriften weit entfernt.
Was im Bankenrecht ein Problem ist, gilt auch im Versicherungsrecht: Einige Autoren vertreten als Anwälte stets bestimmte Parteien – beispielsweise der Haftpflichtexperte Atilay Ileri die Geschädigten. Andere, wie der Mitherausgeber des Basler Kommentars zum Versicherungsaufsichtsgesetz, Peter Hsu, vor allem Versicherungen. Dieser Umstand geht nicht spurlos an ihren wissenschaftlichen Texten vorbei.
Deutungskampf in Fachzeitschriften
Manche Fachartikel sind eher ein anwaltliches Plädoyer als ein wissenschaftlicher Artikel. So wettern beispielsweise Professor Vito Roberto – der auch Rechtskonsulent bei der Wirtschaftskanzlei Baker & McKenzie ist – und sein Assistent Sebastian Reichle in der Zeitschrift Haftung und Versicherung (HAVE) gegen Versicherungsleistungen bei Schleudertraumen: Wie bei früheren «Phantom-Schädigungen» habe auch beim Schleudertrauma die gerichtliche Anerkennung dauerhafter Arbeitsunfähigkeit zur raschen Ausbreitung eines zuvor weitgehend unbekannten Krankheitsbildes geführt. Die Autoren ziehen eine Parallele zur Diagnose «Hysterie» im 19. Jahrhundert und schreiben von «durch Richterspruch erfundenen Phantom-Beschwerden».
Solche Zustände ärgern den Versicherungsrechtsexperten und Geschädigtenvertreter Ronald Pedergnana aus St. Gallen: «Aus meiner Sicht wird so versucht, auf die Meinung der Gerichte Einfluss zu nehmen und die Weiterentwicklung des Rechts, insbesondere der Rechtsprechung, im eigenen Interesse zu lenken» – von Vertretern der Versicherungen und von Geschädigten. «Bei gewissen Themen findet ein regelrechter Deutungskampf über Fachzeitschriften statt.»
HAVE-Redaktion ändert ihre Praxis
Als Pedergnana sich über einen Artikel des Axa-Juristen Massimo Pergolis in HAVE besonders ärgerte, schrieb er einen Leserbrief. Mit Folgen: HAVE-Redaktionsleiter Stephan Weber erklärt, aufgrund des Briefes habe man beschlossen, bei den Angaben von Interessenbindungen weiter zu gehen als bisher: Zukünftig solle klar sein, ob jemand für die Geschädigten oder die Versicherungsgesellschaften tätig sei. Weber ist sich bewusst, dass dies nicht zuletzt daran scheitern könnte, dass die Autoren nicht alle Informationen bekanntgeben. Das scheint auch das Problem anderer Fachredaktionen zu sein. Auf Anfrage von plädoyer erklären die Redaktionsleiter von AJP und Jusletter, Interessenbindungen würden offengelegt – soweit sie der Redaktion bekannt seien. Bei der AJP wird laut Ivo Schwander beispielsweise deklariert, ob sich ein Text auf ein Forschungsprojekt oder ein Gutachten im Auftrag einer Firma stützt. Auch werde explizit darauf hingewiesen, wenn ein Verfasser an der Begründung eines bestimmten Urteils mitgewirkt habe. «Diese Hinweise werden erfahrungsgemäss von den Lesern genau gelesen», so Schwander.