Verfassungsrecht
Grundrechte
Können sich öffentliche Unternehmen auf die Wirtschaftsfreiheit berufen? Andreas Abegg und Marco Frei, Recht 2017, S. 290 ff.
Die Post und die SBB waren bezüglich Grundrechtsbindung schon Gegenstand von Bundesgerichtsurteilen. Die Autoren kommen zum Schluss, öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen könnten sich nicht auf die Wirtschaftsfreiheit berufen, privatrechtliche hingegen schon, auch wenn der Staat daran beteiligt ist.
Problematische Seite der unmittelbaren Anwendbarkeit von Verfassungsnormen. Giovanni Biaggini, ZBl 2017, S. 581 f.
Der Autor gelangt zum Schluss, dass die unmittelbare Anwendbarkeit von verfassungsrechtlichen Sachnormen nur als grosse Ausnahme zu sehen ist, nicht zuletzt, weil damit eine Verlagerung der Verfassungskonkretisierung vom Gesetzgeber zu den Organen der Rechtsanwendung einhergeht.
Von Barcelona nach Delémont – Demokratie und Verfassungsgerichte als Thema. Arnold Marti, ZBl 2017, S. 638 f.
Aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums der Annahme der neuen Verfassung in der jurassischen Volksabstimmung vom 20. März 1977 haben das jurassische Kantonsgericht und der dortige kantonale Anwaltsverband zu einem Symposium über die Institution des Verfassungsgerichts eingeladen. Der Autor untersucht, weshalb neben dem Jura auch die Waadt und Genf ein kantonales Verfassungsgericht schufen, während Bern, Zürich und St. Gallen selbst im Rahmen neuer Verfassungen darauf verzichteten.
Übriges Verfassungsrecht
Die Stimmpflicht als «Nudge»: Der Versuch einer regulatorischen (Neu-)Einordnung. Lukas Schaub, ZBl 2017, S. 583 ff.
Der Beitrag soll aufzeigen, dass sowohl Verfechter als auch Gegner der Stimmpflicht ihre Rechtsnatur letztlich aus demselben Grund missverstanden haben. Das Gemeinwesen kann den Einzelnen mit einer Stimmpflicht, einem Nudge, dazu nur anstossen, nicht aber verpflichten. Eine funktionierende Demokratie lebt stark auch von ausserrechtlichen Bedingungen, welche sie selbst nicht zu garantieren vermag.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Das Memorandum of Understanding zwischen Italien und Libyen als Basis für einen Politikansatz, der alle Türen nach Europa schliessen will? Anja Palm, Asyl 4/17, S. 3–7.
Zur Umgehung des Refoulement-Verbots beim Kampf gegen «illegale Migration».
Nula Frei und Constantin Hruschka, Asyl 4/17, S. 8–14.
Diese Ausgabe befasst sich vertieft mit europäischen Entwicklungen im Asylbereich. Beide Beiträge zeigen auf, dass sich europäische Staaten mittels Abkommen mit nordafrikanischen Staaten nicht aus der Verantwortung stehlen können.
Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
Beiträge zur VUR-Jahrestagung 2017: «Trinkwasserversorgung: Nutzungskonflikte und Schutzmassnahmen».
Diverse Autoren, URP 6/2017, S. 559 ff.
Fünf spannende und informative schriftliche Fassungen der Referate mit den Titeln «Protection de l’eau potable – aspects juridiques au regard d’exemples d’actualité» (S. 559 ff.), «Eine Aue ist standortgebundener als eine Trinkwasserfassung – der Bundesgerichtsentscheid vom 11. Juni 2013 (1C_410/2012) unter der Lupe» (S. 572 ff.), «Wie die Trinkwasserbranche den Ressourcenschutz einfordern und Nutzungskonflikte entschärfen kann» (S. 592 ff.), «Herausforderungen bei der Trinkwasserversorgung am Beispiel des Kantons Solothurn» (S. 620 ff.) und «Nutzungskonflikte – Wasserversorgung für künftige Generationen sicherstellen» (S. 625 ff.).
Umweltschutz als Aspekt gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung im internationalen Kontext.
Mirina Grosz, URP 7/2017, S. 641 ff.
Die Autorin untersucht rechtsverbindliche und nicht verbindliche sowie freiwillige Vorgaben. Zum Vergleich im Zusammenhang mit der Konzernverantwortungsinitiative: Mirina Grosz, «Menschenrechte als Vehikel für ökologische Unternehmensverantwortung» (AJP 8/2017, S. 978 ff.), und Mirina Grosz, «Unternehmen und Menschenrecht» (AJP 8/2017, S. 927 ff.). Die Autorin kommt zum Schluss, dass «auch Soft-law-Vorgaben das Verhalten von Unternehmen wirkungsvoll zu beeinflussen und eine normative Wirkung zu entfalten» vermögen.
Schiedsgerichtsbarkeit in Bausachen.
Roland Hürlimann, Jusletter vom 18.12.2017.
Mit der SIA-Norm 150 : 2018 stellt der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein der Baubranche neu ein modernes und praxisbezogenes Schiedsgerichtsreglement zur Verfügung, das nach der Einschätzung des Autors als Alternative zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gute Dienste leisten wird, wenn das Verfahren von mit der Materie vertrauten, neutralen und zeitlich verfügbaren Schiedsrichtern begleitet wird. Die Verfahrensregeln haben per 1. Januar 2018 die SIA-Empfehlung 150 : 1977 ersetzt.
Steuerrecht
Übertragung von Liegenschaften mit Nutzniessungsvorbehalt. Markus W. Stadlin, Steuerrevue 2017, S. 929 ff.
Der Autor macht auf eine Inkonsistenz in der steuer- und sachenrechtlichen Praxis zur Übertragung von Liegenschaften auf die Erben aufmerksam: Die Nutzniessung oder das Wohnrecht der bisherigen Eigentümer ist niemals die Gegenleistung für die Übertragung.
Auswirkungen des automatischen Informationsaustausches (AIA) auf Selbstanzeigen.
Thomas Bachmann, Steuerrevue 2017, S. 840 ff.
In den meisten Kantonen müssen verschwiegene Vermögen und Einkommen bis Ende September deklariert werden, andernfalls droht ein Steuerstrafverfahren. Der Autor rät, die straflose Selbstdeklaration spätestens mit der Steuererklärung 2017 zu machen.
Sozialversicherungsrecht
AHV, IV, EL und ALV
Berechnung der Ergänzungsleistung (EL) nach Verzicht auf Nutzniessung an einer Liegenschaft. Hans-Ueli Käser, SZS 61/2017, S. 636–648.
Wenn Eltern ihren Kindern das Elternhaus schenkungsweise abtreten, behalten sie sich oft ein lebenslanges Nutzniessungsrecht vor. Verzichten die Eltern darauf und sind sie später – etwa weil sie in ein Pflegeheim müssen – auf Ergänzungsleistungen angewiesen, stellt sich die Frage, wie dieser Vermögensverzicht zu berechnen ist. Der Aufsatz stellt dies übersichtlich mit Beispielen dar.
Strafrecht
Strafzumessung ohne individuelle Tatschuld? Peter Albrecht, ZStrR 135/4, S. 439 ff.
Der Autor schlägt einen sachkundigen Bogen von der Tatschuld als vermeintlich solider Basis der Strafzumessung zum Angriff von Teilen der modernen Hirnforschung auf die Willensfreiheit an sich, um zu einem sowohl persönlichen als auch theoriegeleiteten Bekenntnis zu Strafen am unteren Ende des gesetzlichen Rahmens zu gelangen – ein Muss für jeden Strafrichter!
Privatrecht
Familienrecht
Betreuungsunterhalt und Einkommen des betreuenden Elternteils. Angelo Schwizer und Salvatore Della Valle,
AJP 12/2017, S. 1421–1425.
Bei der Bemessung des Einkommens des betreuenden Elternteils bestehen mit dem Lebenshaltungskostenansatz und der Betreuungsquotenmethode zwei konträre Ansätze, die zu spürbar unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Anwendung in den Kantonen ist uneinheitlich. Die Autoren sind der Ansicht, eine derart ungleiche Anwendung von Bundesrecht gehe nicht an, und plädieren dafür, die Betreuungsquotenmethode zu verwerfen.
Obligationenrecht
Allgemeiner Teil
Die Vereinbarung von Erfolgsprämien für den Anwalt. Bundesgerichtlicher Angriff auf die Vertragsfreiheit und was sonst zu beachten ist. Benjamin Schumacher und Roberto Dallafior, AJP 11/2017, S. 1284–1301.
Die Autoren sind der Ansicht, dass Erfolgsprämien für Anwälte ein effizientes Honorarmodell sein können. Den kürzlich publizierten Entscheid des Bundesgerichts, der die Vereinbarung von Erfolgsprämien einschränkt, sehen die Autoren als unnötigen Angriff auf die Vertragsfreiheit im Bereich von Anwaltshonoraren. Der Beitrag beleuchtet Fragen zu Erfolgsprämien – etwa zur erhöhten Aufklärungspflicht des Anwalts sowie zur konkreten Ausgestaltung von Vereinbarungen.
Kauf- und Mietrecht
Virtuelle Währungen – Reale Rechtsprobleme? Eine zivil- und vollstreckungsrechtliche Untersuchung aus der Sicht der Bitcoin-Nutzer.
François Piller, AJP 12/2017, S. 1426–1438.
Laut Autor ist die Rechtsnatur der Bitcoins unklar. Bitcoins können somit nicht als Sache im Sinne des ZGB qualifiziert werden. Beim Wechsel gegen offizielle Währungen ist das Kaufrecht und bei der Bezahlung von Waren das Tauschrecht anwendbar. Vollstreckungsrechtlich kann der Gläubiger die in Franken umgerechnete Bitcoin-Schuld per Schuldbetreibung geltend machen, falls keine Effektivklausel vorliegt. Im Konkurs kann er die Herausgabe nur verlangen, wenn die Bitcoins auf einem Hardware-Wallet gespeichert sind.
Grundstückkauf, Kaufvorvertrag – Vorkaufsrecht, Kaufsrecht und Rückkaufsrecht. Roland Pfäffli und Amédéo Wermelinger, SJZ 2017, S. 513 ff.
Die Autoren stellen wichtige Grundsätze zum Grundstückkauf, zum Kaufvorvertrag sowie zu verwandten Verträgen oder Vertragsbestandteilen dar. Sie erläutern Formvorschriften, Begründung, Übertragbarkeit, Dauer, Vormerkung und Ausübung der auf Grundstücke oder Grundstücksteile gerichteten Verträge und Rechte. Mit dem Einbezug der aktuellen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Artikel auch für die Praxis relevant.
Finanzielle Garantien unterstützen beim Zugang zu Wohnraum.
Eveline Althaus, Marie Glaser und Michaela Schmidt, CHSS 4/2017, S. 32 ff.
Der Beitrag setzt sich mit drei Garantiemodellen der Wohnhilfe für Armutsbetroffene auseinander: mit der Verbürgung der Mietkaution, mit der Solidarhaftung und mit der Übernahme des Mietvertrags. Die finanzielle Absicherung der Vermieter verbunden mit der Intervention und der Nachbarschaftshilfe ist das Rezept für privatrechtliche Organisationen.
Arbeitsvertragsrecht
Die Anwesenheitsprämie.
Matthias Meier, ARV 3/2017, S. 153–164.
Viele Arbeitgeber gewähren ihren Mitarbeitenden einen Bonus fürs Nichtkranksein. Die Anwesenheitsprämie kann gegen die Fürsorgepflicht und den Gleichbehandlungsgrundsatz verstossen. Der Autor plädiert für deren Zulässigkeit, sofern die konkrete Regelung ausgewogen bleibt, einzelne Krankheitstage erlaubt und nicht zu einem eigentlichen Anwesenheitszwang führt.
Rechtsprechung und ausgewählte Rechtsfragen 2017. Roland Pfäffli, Der Bernische Notar 4/2017, S. 113 ff.
Zusammenfassung von Rechtsprechung, Rechtsetzung und Literatur in den Bereichen Notariats-, Personen-, Familien-, Erb- und Sachenrecht, Landwirtschaftliches Bodenrecht, Grundbuch-, Obligationenrecht inkl. Handels- und Abgaberecht, soweit diese für Notare von Interesse sein könnten.
Werkvertragsrecht
Der merkantile Minderwert im Werkvertrags-, Grundstückkauf- und Nachbarrecht. Heribert Trachsel, Baurecht 2017, S. 333 ff.
Wer kennt nicht das Unfallauto, das trotz einwandfreier Reparatur einen geringeren Wiederverkaufswert hat, weil bei Käufern der Verdacht versteckter Mängel besteht? Der Autor behandelt Besonderheiten des merkantilen Minderwerts im Sachgewährleistungsrecht des Werkvertrags- und Grundstückkaufrechts und im Nachbarrecht.
Datenschutzrecht
Personendaten ohne Identifizierbarkeit? David Rosenthal, Digma 4/2017, S. 189 ff.
Der Autor stellt unter anderem den «Referenzdaten-Test» vor: Demnach liegen Personendaten vor, wenn zwischen den fraglichen Daten und dem Bearbeiter zugänglichen Datensätzen einer einzelnen, realen Person eine Übereinstimmung hergestellt werden kann. Genetische Daten und IP-Adressen sind demnach nie per se Personendaten.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Finanznotlagerecht im Gesetzesentwurf vom 23. November 2016. Peter Böckli, SZW 5/2017, S. 524–551.
Schwerpunkt der Ausgabe 5/2017 sind Beiträge zu den Kernfragen des neuen Aktienrechts. Dabei sticht derjenige von Peter Böckli hervor. Er analysiert die vorgeschlagenen Neuerungen im Umgang mit finanziell angeschlagenen Aktiengesellschaften. Gewohnt kurz und prägnant führt Böckli durch die neuen und alten gesetzlichen Instrumente, die den Verwaltungsrat zum Handeln zwingen sollen. Ein echtes Frühwarnsystem wird nach Böckli auch durch das neue Recht nicht geschaffen, doch er sieht im Entwurf durchaus die Chance für ein moderneres Finanznotrecht.
Immaterialgüterrecht
Ist der Patentausschluss von «im Wesentlichen biologische(n) Verfahren» und daraus resultierenden Erzeugnissen geklärt? Beatrice Stirner et al., Sic! 11/2017, S. 611 ff.
Seit dem 1. Juli 2017 sind Pflanzen und Tiere, die im Wesentlichen durch biologische Verfahren entstehen, vom europäischen Patentsystem ausgeschlossen. Die Autorin erläutert das Ausführungsreglement des Europäischen Patentübereinkommens und die Auswirkungen aufs Schweizer Recht.
Keine Netzsperren im Urheberrecht. Florent Thouvenin et al., Sic 12/2017!, S. 701 ff.
Im Internet bleibt die Rechtsdurchsetzung oft erfolglos. Die Rechteinhaber machen sich deshalb für die Einführung von Netzwerksperren stark. Die Autoren gelangen zum Schluss, dass Netzsperren im Urheberrecht rechtlich problematisch und technisch weitgehend unwirksam wären.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Strafprozessrecht
Der «Grosse Lauschangriff». Eveline Roos und Konrad Jeker, forumpoenale 6/17, S. 412 ff.
Roos und Jeker weisen nach, dass die Überwachung mit technischen Geräten nach Art. 280 f. StPO unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ungenügend geregelt ist, und liefern damit praktizierenden Strafverteidigern ein wertvolles Argumentarium.