Verfassungsrecht
Grundrechte
Der «Chilling Effect» auf die Grundrechtsausübung. Markus Schreiber und Mara Joss, ZBl 10/2020, S. 523 ff.
Der Begriff «Chilling Effect» (Abschreckungseffekt) hat seinen Ursprung in der Rechtsprechung des US Supreme Courts. Er fand aber auch Eingang in die Rechtsprechung des EGMR sowie nationaler Gerichte. Spätestens mit den Entscheiden zum Luzerner Polizeigesetz sowie zur automatischen Kontrollschilderfassung im Thurgau und jüngst dem Urteil zum Berner Polizeigesetz ist der Begriff «Chilling Effect» auch in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung angekommen. Diesem kann in unterschiedlichen Kontexten Bedeutung zukommen.
Grundrechte jenseits der «anthropologischen Schranke»? Die Primateninitiative im Lichte des wegweisenden Urteils des Verfassungsgerichts Basel-Stadt. Charlotte E. Blattner und Raffael N. Fasel, Sui generis 2020, S. 329 ff.
Haben nichtmenschliche Primaten ein Recht auf Leben sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit? Das Verfassungsgericht des Kantons Basel-Stadt sowie das Bundesgericht bejahen diese Frage. Die beiden Autoren gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, was dieser Umstand nun für den Primatenschutz und die Primateninitiative bedeutet.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
La pratique suisse concernant les «motifs de fuite spécifiques aux femmes» à la lumière de la Convention d’Istanbul. Lucia della Torre,
Asyl 4/20, S. 10–15.
Die jüngste Ausgabe von Asyl befasst sich mit der Istanbul-Konvention. Die Autorin untersucht kritisch die Praxis des SEM und des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf Artikel 60 der Konvention und weist auf wichtige Anpassungen zur frauenspezifischen Verfolgung in der SEM-Praxis hin.
Baurecht
Plans d’affectation et objectifs de protection l’Isos. Aurélien Wiedler, Baurecht 2020, S. 253 ff.
Bei der Revision der Nutzungsplanung stellt sich die Frage nach der Integration der Schutzziele des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (Isos) in die Nutzungspläne. Der Autor geht den Pflichten der Planungsbehörden im Hinblick auf die Berücksichtigung der Isos nach. Ein spezielles Augenmerk widmet er der Frage der nachträglichen Überprüfung der Planung.
Umweltrecht
Altlastenrecht – eine Rechtsprechungsübersicht. Corina Caluori, URP 5/2020, S. 485 ff.
Die altlastenrechtlichen Bestimmungen des Umweltrechts wurden 1997 in Kraft gesetzt. Die Untersuchung der Standorte und deren Sanierung wird noch Jahrzehnte dauern. Die Rechtsprechungsübersicht beleuchtet die Entscheide im Altlastenrecht von Bund und Kantonen im Zeitraum von 2014 bis 2019. Die Fülle der Entscheide belegt, dass die Bewältigung des verantwortungslosen Umgangs mit der Umwelt während der letzten Generationen zahlreiche komplexe Rechtsfragen aufwirft, insbesondere im Zusammenhang mit der Finanzierung der notwendigen Massnahmen.
Steuerrecht
Von «Dumont» zum wirtschaftlichen Neubau.
Martin Kocher und Diego Anzante;
Grenzen des kantonalen Gestaltungsspielraums bei der Grundstückgewinnsteuer. Moritz Seiler, Steuerrevue 2020, 710 ff. und 725 ff.
Zwei interessante Artikel in der Steuerrevue. Durch die neuen Abzüge für den Liegenschaftsunterhalt ist auch der Spielraum der Kantone für die Grundstückgewinnsteuer deutlich zurückgegangen.
Übriges Verwaltungsrecht
Die regulatorische Behandlung von Drohnen in der Schweiz – ein Überblick. Marcel Hostettler und Eric Baumgartner, Jusletter vom 19.10.2020.
Der Autor zeigt auf, dass die regulatorische Behandlung von Drohnen in der Schweiz vor einem Umbruch steht. Bislang hatte die Schweiz Drohnen lediglich unter bereits bestehende Gesetze subsumiert. Ab 2021 soll nun die EU-Verordnung 2019/947 übernommen werden. Das wird zu einer detaillierteren sowie strengeren Handhabung von Drohnen führen. Aufgrund der starken Verbreitung und der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten erscheint dies sinnvoll. Im Artikel werden die wesentlichen Punkte der aktuellen sowie der künftigen Regulierung einander gegenübergestellt.
Sozialversicherungsrecht
KVG und UVG
Off-Label-Use von Arzneimitteln. Hans-Jakob Mosimann, SZS 5/2020, S. 240 ff.
Die obligatorische Krankenversicherung hat die Kosten für Arzneimittel im Grundsatz nur dann zu übernehmen, wenn sie so angewendet werden, wie es die Spezialitätenliste vorsieht. Das Bundesgericht entwickelte allerdings ab dem Jahr 2004 verschiedene Kriterien für kostenpflichtige Anwendungen auch ausserhalb der Spezialitätenliste. So beispielsweise, wenn eine Krankheit tödlich verlaufen kann und es an therapeutischen Alternativen mangelt (die Rede ist dann vom sogenannten «Off-Label-Use»). Der Bundesrat hat diese Beurteilungskriterien inzwischen mit Artikel 71a bis 71d KVV weitgehend übernommen. Der Autor vermittelt eine ausgezeichnete Übersicht zum Thema mitsamt der aktuellen Praxis und der in der Lehre dazu geäusserten Kritik.
Privatrecht
Erbrecht
ZGB-Beurkundungsverfahren als alternatives Beurkundungsverfahren im Kanton Bern. Martin Bichsel und Roland Pfäffli, Der Bernische Notar 3/2020, S. 369 ff.
Die Autoren beleuchten die Anwendung des sogenannten ZGB-Beurkundungsverfahren für öffentliche letztwillige Verfügungen und Erbverträge als zusätzliches kantonales Verfahren. Dabei berücksichtigen sie insbesondere auch die Möglichkeiten der Sukzessivbeurkundung im Kanton Bern. Sie ermöglicht es den Urkundsparteien, separat zu erscheinen, statt zum selben Zeitpunkt wie die anderen Parteien vorsprechen zu müssen.
Sachenrecht
«Wichtige Gründe» für die richterliche Abberufung einer Verwaltung im Stockwerkeigentum. Philipp Eberhard, SJZ 2020, S. 639 ff.
Konflikte zwischen Stockwerkeigentümer und der Verwaltung ihrer Stockwerkeigentümergemeinschaft sind in der Praxis häufig. Der Individualanspruch des einzelnen Stockwerkeigentümers, die Abberufung der Verwaltung zu verlangen, ist allerdings an das Vorliegen «wichtiger Gründe» geknüpft. Was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist, wird durch Lehre und Rechtsprechung aktuell konkretisiert. Der Autor legt eine für die Praxis sicherlich nützliche Übersicht von typischen Fallgruppen vor.
Obligationenrecht Arbeitsrecht
Gesundheitsschutz im Homeoffice. Boris Etter und Johannes Sokoll, SJZ 2020, S. 695 ff.
Der Beitrag befasst sich mit den spezifischen Gesundheitsrisiken bei der Arbeit im Homeoffice und deren rechtlicher Einordnung. Dabei untersucht er die Frage der Kostentragung der Gesundheitsschutzmassnahmen. Abschliessend stellt der Autor fest, dass aus seiner Sicht hinsichtlich der Arbeit im Homeoffice kein gesetzlicher Regelungsbedarf besteht.
Arbeitsrechtliche Herausforderungen in Krisen. Andreas Lienhard, AJP 10/2020, S. 1264–1275.
Die Coronapandemie hat zu tiefgreifenden Umwälzungen des Alltags sowie des Arbeitslebens geführt. Während dieser Krise wird weitaus häufiger im Homeoffice gearbeitet und öffentliche Dienste – wie beispielsweise die Post oder das Gesundheitswesen – funktionieren nur noch in eingeschränktem Mass. Der Autor durchleuchtet in seinem Beitrag einige Folgen dieser Umwälzungen und richtet dabei den Fokus auf Auswirkungen der Krise auf die arbeitsrechtliche Anwaltstätigkeit. Unter anderem untersucht er die Unterzeichnung von Verträgen im Homeoffice. Er zeigt auf, dass mittels gescannter Unterschriften unterzeichnete Verträge und Erklärungen die Anforderungen der Schriftlichkeit im Sinne von Artikel 12 ff. OR grundsätzlich nicht zu erfüllen vermögen.
Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Vaterschaftsurlaub. Peter Reinert und Dario Gomringer, Jusletter vom 9.11.2020.
Ende September stimmte das Schweizer Stimmvolk für die Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubs. Die Autoren befassen sich hauptsächlich mit arbeitsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Vaterschaftsurlaub. Konkret mit dem Anspruch auf Vaterschaftsurlaub, dem Zeitpunkt des Urlaubsbezugs, der Frage, ob die Kündigungsfrist bei Anspruch auf Vaterschaftsurlaub jederzeit um maximal zwei Wochen verlängert wird und ob der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, seinen unter dem «alten» Arbeitsverhältnis entstandenen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub auf das «neue» Arbeitsverhältnis zu übertragen.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Generalversammlungen von AG: «Landsgemeinden» oder «Chatrooms»? Peter V. Kunz, SZW 3/2020, S. 53–63.
Die Ausgabe 3/2020 der SZW widmet sich dem Aktienrecht. Peter V. Kunz wirft in diesem Zusammenhang ein paar Schlaglichter auf die Generalversammlung. Was seit Jahren kontrovers diskutiert wird, wurde über Nacht mit einer Covid-19-Notverordnung eingeführt. Anstelle von Präsenzgeneralversammlungen fanden plötzlich eine Vielzahl von virtuellen Generalversammlungen im ganzen Land statt. Auch wenn die Covid-19-Notverordnung im Detail viele Fragen offenliess, funktionierte sie offensichtlich überraschend gut. Der Autor zeigt Corona-Generalversammlungen in ihrem Ablauf und wirft die berechtigte Frage auf, wo und wie sie als Katalysator für eine Generalversammlung nach Covid oder für die Aktienrechtsrevision dienen könnte.
Immaterialgüterrecht
Weichenstellung beim urheberrechtlichen Schutz von Gebrauchsobjekten. Michael Ritscher, Sic! 10/2020, S. 545 ff.
Der EuGH hat das Urheberrecht in den letzten Jahren mittels zahlreicher Urteile gestaltet. Dies war in jüngster Zeit zunehmend auch für die analoge Welt der Fall. In diesem Zusammenhang fällte der EuGH kürzlich zwei wegweisende Urteile. Damit beendet er für die Union zumindest bezüglich des Werkbegriffs eine seit vielen Jahrzehnten geführte Diskussion über das Verhältnis zwischen urheber- und designrechtlichem Schutz für Gebrauchsobjekte. Der Autor ist der Ansicht, das Urheberrecht scheine damit in der Union voll harmonisiert zu sein. Und dass die Auswirkungen dieser beiden Urteile auf die Rechtspraxis beim Umgang mit Alltagsgegenständen nicht überschätzt werden könne.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Strafprozessrecht
Das an einen tatbezogenen Anfangsverdacht gekoppelte Strafverfahren. Ein Konzept von gestern? Wolfgang Wohlers, AJP 10/2020, S. 1311–1326.
Laut dem Autor droht das Konzept des tatbezogenen Anfangsverdachts unterlaufen zu werden, wenn die Einleitung einer Strafuntersuchung auf Erkenntnisse gestützt wird, die von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten im Rahmen sogenannter Vorfeldermittlungen gewonnen wurden. Soll das tradierte Konzept des Anfangsverdachts aufrechterhalten werden, dürfen derartige Erkenntnisse nicht nur nicht in einem Urteil verwertet, sondern sie dürfen schon nicht dazu verwendet werden, einen Anfangsverdacht zu begründen, so der Autor.
Die Behörden-Beurteilungen des Bundesanwalts in der Fifa-Affäre. Was hat die Strafprozessrechtsarchitektur damit zu tun? Markus H. F. Mohler, Jusletter vom 2.11.2020.
Der Autor seziert die Geschehnisse rund um das Amtsenthebungsverfahren über den Bundesanwalt, der zuvor in Fifa-bezogenen Verfahren gerichtlich für befangen erklärt und in den Ausstand geschickt wurde. Mit einer messerscharfen Analyse geht der Staatsrechtler auf die Ursachen ein, die für die Wirrungen der Aufsichtsausübung sorgten. Laut dem Autor liegen die Ursachen in der Architektur der Strafverfolgungsbehörden und daher in der Zweiteilung der Aufsicht.
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Der schweizweite Arrest – das Arrestgericht als Koordinator. Hans Reise, BlSchK 4/2020, S. 145–149.
Seit der Einführung der Schweizerischen Zivilprozessordnung kann der Arrestrichter Vermögenswerte in der ganzen Schweiz verarrestieren. Für den Vollzug ist aber das Betreibungsamt zuständig, in dessen Amtskreis sich Vermögen des Schuldners befindet. Das kann dazu führen, dass mehr Vermögenswerte mit Arrest belegt werden, als zur Sicherung der Arrestforderung nötig wäre. Gegen diese «Überverarrestierung» muss sich der Schuldner nicht mit der SchKG-Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde, sondern mit der Einsprache beim Arrestrichter wehren.
Rechtskraft und Vollstreckbarkeit: Wann ist der Rechtsvorschlag definitiv beseitigt? Christof Bergamin, BlSchK 4/2020, S. 149–163.
Der Gläubiger kann eine mit Rechtsvorschlag gestoppte Betreibung erst nach Beseitigung des Rechtsvorschlags fortsetzen. Der Autor erklärt mit acht Fallbeispielen, wann dies nach einem Urteil im Anerkennungsverfahren oder bei einem provisorischen oder definitiven Rechtsöffnungsentscheid möglich ist.
Juristenausbildung
Ich werde Jurist. Was bedeutet das heute in der Schweiz eigentlich? Aktuelle Probleme bezüglich der Anerkennung und Kompatibilität juristischer Ausbildungsangebote. Andreas R. Ziegler, Recht 3/2020, S. 196 ff.
Die Betätigungsfelder und Berufswünsche von Juristen sind heute heterogener geworden – Anwalt, Amtsdirektor, General Counsel, Compliance Officer etc. Der Autor zeigt die unterschiedlichen Wege zum jeweiligen Berufsziel in der Schweiz auf. Er geht Fragen nach wie: Welche Einstiegsmöglichkeiten gibt es? Worin bestehen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausbildungsgängen und für welche Tätigkeit ist welche Ausbildung zielführend? Der Beitrag gibt einen aktuellen Überblick und zeigt Probleme auf, die bei der Kombination von Angeboten auftauchen und das Erreichen der persönlichen Ziele gefährden können.