Verfassungsrecht
Grundrechte
Politische und religiöse Werbung an Fahrzeugen und Anlagen öffentlicher Verkehrsbetriebe. Andreas Stöckli und Elisabeth Joller, ZBl 9/2019, S. 475 ff.
Laut den Autoren steht politische und religiöse Werbung unter dem Schutz der Grundrechte freier Kommunikation und der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Eine Grundrechtsbindung öffentlicher Verkehrsbetriebe als Verwalter öffentlicher Sachen müsse bejaht werden. Falls die öffentlichen Verkehrsbetriebe das Recht zur Bewirtschaftung der Werbeflächen an ihren Fahrzeugen und Anlagen an private Werbedienstleister übertragen, seien auch sie von der Grundrechtsbindung erfasst. Werbeeinschränkungen müssten den Anforderungen von Art. 36 der Bundesverfassung genügen.
Politische Rechte
Vom Proporzglück und Doppelproporzpech. Giovanni Biaggini, ZBl 9/2019, S. 473 f.
Der Nationalratsproporz führt zu Verzerrungen. Den Autor würde es daher nicht erstaunen, wenn im Bundeshaus einmal mehr die Forderung laut würde, das heutige Wahlverfahren durch den «doppelten Pukelsheim» zu ersetzen. Der Kanton Zürich und einige andere Kantone kennen dieses Verfahren bereits. Nach Ansicht des Bundesgerichts hat sich diese Methode «etabliert und bewährt». Skeptischer ist die Einschätzung im Bericht der Bundeskanzlei über «Proporzwahlsysteme im Vergleich» von 2013. Der Bericht listet neben Vorzügen auch Nachteile der Methode «Doppelter Pukelsheim» auf.
Eine Premiere mit begrenzter präjudizieller Tragweite. Zur Aufhebung der Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 über die Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» durch das Bundesgericht. Giovanni Biaggini, ZBl 10/2019, S. 531 ff.
Biaggini schreibt, im Vorfeld der fraglichen Volksabstimmung sei einiges schiefgelaufen. Gemäss dem Professor hat sich mit den Angaben zu den Kosten der Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe eine bisher übersehene Fehlinformation in die bundesrätlichen Abstimmungserläuterungen eingeschlichen, die Anlass gegeben hätte, die Rechtmässigkeit des Urnengangs zu hinterfragen.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Völkerrechtliche Aufenthaltsansprüche von Menschenhandelsopfern. Nula Frei, Jusletter vom 21.10.2019.
Strafverfahren in Menschenhandelsfällen sind sehr komplex und hängen stark von den Aussagen der ausländischen Zeugen ab. Bislang konnten jedoch Opfer von Menschenhandel, die sich im Asyl- und insbesondere im Dublin-Verfahren befinden, keine Aufenthaltsbewilligung während des Strafverfahrens erhalten und mussten die Schweiz trotz laufender Ermittlungen verlassen. Das Bundesgericht hat diese Praxis nun als völkerrechtswidrig taxiert. Der Beitrag kontextualisiert den Entscheid und diskutiert seine weitreichenden Auswirkungen für die Ausländer- und Asylbehörden.
Monitoring der Bundesasylzentren (BAZ) durch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter. Sandra Imhof und Lukas Heim, Asyl 4/19, S. 11–13.
Die Autoren befassen sich mit dem jüngst veröffentlichten Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung der Folter (NKVF) zur Grundrechtskonformität der Lebensbedingungen in den neuen Bundesasylzentren. Die NKVF sieht insbesondere im Bereich der körperlichen Durchsuchungen, der Disziplinarmassnahmen und der Gesundheitsversorgung Verbesserungspotenzial.
Zur Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden in der Schweiz. Nula Frei, Asyl 4/19, S. 14–16.
Die Autorin bespricht in ihrem Beitrag drei rechtswissenschaftliche Studien, die sich mit der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden und abgewiesenen Asylsuchenden befassen. Es handelt sich um Studien der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden im öffentlichen Raum, des schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschrechte zu Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung und der Professoren Moeckli und Kiener zum Nothilferegime in Zürich. Letzteres verletze in gewissen Fällen das Recht auf psychische Integrität und das Verbot unmenschlicher Behandlung.
Umweltrecht
System der privaten und öffentlichen Nutzungsrechte am Untergrund. Andreas Abegg und Leonie Dörig, Umweltrecht in der Praxis 5/2019, S. 385 ff.
Der Beitrag bespricht ein Gutachten zuhanden der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz und der Energiedirektorenkonferenz. Die Autoren folgern unter anderem, dass die Raumplanung im Untergrund zwar komplex ist, hingegen «nicht so chaotisch, wie sie zuweilen dargestellt wird». Eine Kompetenzverschiebung von den Kantonen hin zum Bund mit der Absicht zum Erlass eines Bundesgesetzes über den Untergrund erachten sie als nicht erforderlich.
Strassenlärm; Prüfung von Lärmschutzmassnahmen zur Einhaltung der Belastungsgrenzwerte bei einer Altanlage. URP 5/2019, S. 446 ff.
Wiedergabe des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Januar 2019 (VB.2017.00658) mit kritischen Anmerkungen von Adrian Gossweiler zur Fragestellung, wie lärmschutzrechtlich mit Anlagen umzugehen ist, die mit dem Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes im Jahr 1985 nicht sanierungspflichtig wurden, weil sie damals die Immissionsgrenzwerte eingehalten hatten, bei denen aber seither eine Lärmzunahme stattgefunden hat.
Steuerrecht
Festschrift zu 100 Jahre SSK. Diverse Autorren, ASA 3/88, S. 81 ff.
Zum Jubiläum der Schweizerischen Steuerkonferenz haben einige Autoren interessante Artikel von allgemeinem Interesse publiziert, so zum Beispiel «L’âge de retraite flexible: état des lieux et perspectives d’avenir» (Bertrand Tille und Sirgit Meier), «Stiftungen schenken nicht» (Andrea Opel) und «Systembrüche beim jüngsten Vorschlag zur Reform der Wohneigentumsbesteuerung: Was lange währt, wird nicht immer gut» (René Matteotti). In Letzterem zeigt der Autor, dass alle fünf vorgelegten Varianten mehr oder weniger bedenklich sind.
Sozialversicherungsrecht
Grundlagen und Schranken der Weitergabe von Observationsergebnissen. Yvonne van der Stroom, Jusletter vom 21.10.2019.
Das Observationsrecht der Sozialversicherer ist in einzelnen Teilen umfangreicher als jenes der Strafverfolgungsbehörden. Es stellt sich daher die Frage, ob und innerhalb welcher Schranken strafrechtlich relevante Informationen, die im Rahmen von Observationen seitens der Sozialversicherer gewonnen wurden, an Strafbehörden weitergegeben werden dürfen. Die Autorin zeigt in ihrer Analyse konkrete Gründe auf, weshalb eine Weitergabe von Observationsergebnissen durch Sozialversicherungsbehörden an die Strafbehörden entschieden abzulehnen ist.
Privatrecht
Personenrecht
Braucht es ein drittes Geschlecht? Thomas Geiser, SJZ 2019, S. 587 ff.
Im Schweizer Recht fehlt auf Gesetzesstufe eine Definition des Geschlechts. Nur auf Verordnungsebene ist festgehalten, dass es im Personenstandsregister anzugeben ist, wobei allerdings seitens der Medizin Richtlinien zur exakten Bestimmung fehlen. Wer bestimmt das Geschlecht, das im Personenstandsregister eingetragen werden muss? Gibt es gesetzlich nur ein Entweder-oder, nur Mann oder Frau? Der Beitrag widmet sich insbesondere dem amtlichen Geschlecht, diskutiert die rechtliche Einführung eines dritten Geschlechts und kommt zum Schluss, dass auf das amtliche Geschlecht verzichtet werden sollte.
Sachenrecht
Ausgewählte Rechtsfragen zur Leitungsdienstbarkeit nach Art. 676 ZGB. Nathalie Hagi, Der Bernische Notar 3/2019, S. 109 ff.
Der Beitrag setzt sich vertiefter mit den wesentlichen Aspekten in Zusammenhang mit der Leitungsdienstbarkeit nach Art. 676 ZGB auseinander. Diese bezweckt grundsätzlich, dass öffentliche Leitungen im Eigentum der Werke und Betriebe bleiben, von denen sie ausgehen.
Heizanlage als Dienstbarkeit: Grundbucheintrag und Löschung. Daniela Byland und Roland Pfäffli, Der Bernische Notar 3/2019, S. 149 ff.
Der Beitrag geht von einem Urteil des Obergerichts des Kantons Bern aus und beschäftigt sich mit der Frage, wie eine «Heizanlage» als im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit eigentumsrechtlich zuzuordnen ist. Zudem thematisieren die Autoren die einseitige Löschung der Dienstbarkeit in Anbetracht des am 1. Januar 2012 neu in Kraft getretenen Art. 740a ZGB, der auf die Regeln des Miteigentums verweist.
Merkantiler Minderwert. Vito Roberto und Burim Pavataj, AJP 10/2019, S. 985–992.
Die Ersatzfähigkeit des merkantilen Minderwerts ist bei Unfallfahrzeugen im Schweizer Recht anerkannt. Das Bundesgericht musste in den vergangenen zwei Jahren zwei Mal die Ersatzfähigkeit dieser Schadensposition bei Immobilien beurteilen. Es kommt zum Ergebnis, dass der merkantile Minderwert – anders als bei Unfallfahrzeugen – nur zu ersetzen ist, wenn er sich infolge durchgeführter Reparatur und Veräusserung der Sache konkret beim Geschädigten niederschlägt. Dies könne nur der Fall sein, wenn der Verkaufserlös unter dem geschätzten Verkehrswert liege. Die Autoren zeigen auf, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts weder in der Sache noch dogmatisch überzeugt. Der Geschädigte wäre gezwungen, die Sache zu reparieren und zu verkaufen. Sowohl bei Unfallwagen als auch bei Immobilien sollte der merkantile Minderwert unabhängig von Reparatur oder Verkauf ersatzfähig sein.
Obligationenrecht
Le nouveau droit de la prescription: éléments choisis. Pascal Pichonnaz, Baurecht 2019, S. 249 ff.
Der Beitrag beleuchtet Neuerungen des am 1. Januar 2020 in Kraft tretenden revidierten Verjährungsrechts. Obwohl die Verjährungsvorschrift im Werkvertragsrecht nicht angetastet wurde, sind die Neuerungen für die Baubranche relevant, etwa wegen verlängerter Verjährung von Ansprüchen aus Personenschäden. Doch die Revision geht weiter. Neu können Streitparteien die Verjährung durch schriftliche Vereinbarung sistieren, wenn sie sich auf eine Mediation einlassen. Auch bei der Verjährung von Regressansprüchen und beim Verjährungsverzicht ändern sich die Regeln.
Arbeitsrecht
Die eidgenössische Einigungsstelle für Arbeitsstreitigkeiten. Bedeutung, Zuständigkeit und Verfahren. Luca Cirigliano, Vinciane Farquet und Lukas Schaub, Jusletter vom 14.10.2019.
Während grundsätzlich ordentliche Gerichte für die Beurteilung von individuellen Streitigkeiten aus Arbeitsvertrag zuständig sind, gibt es für kollektive Arbeitsstreitigkeiten einen spezifischen staatlichen Streitbeilegungsmechanismus: die Einigungsstellen. Laut Autoren nehmen kollektive Streitigkeiten zu. Der Beitrag vermittelt einen Überblick über die Bedeutung, die Zuständigkeiten und die Verfahren der eidgenössischen Einigungsstelle. Dabei identifiziert er offene Fragen und nimmt Stellung – auch zur noch wenig beleuchteten potenziellen Rolle der eidgenössischen Einigungsstelle als Schiedsgericht, das effizienter und vor allem kostengünstiger als ein privates Schiedsgericht nach Gesamtarbeitsvertrag sein kann.
Datenschutzrecht
Die Vorratsdatenspeicherung auf dem Prüfstand. Livia Matter, Sui generis 2019, S. 258–273.
Das Bundesgericht lehnte im März 2018 die Beschwerde der Organisation «Digitale Gesellschaft» gegen die Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz ab. Die Organisation war mit diesem Urteil nicht einverstanden und erhob Beschwerde beim EGMR. Der Entscheid steht noch aus. Laut Autorin wird die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung von den Gerichten unterschiedlich bewertet. Ihr Beitrag geht auf die unterschiedlichen Rechtsprechungen des Bundesgerichts, des EuGH und des EGMR zur Vorratsdatenspeicherung ein.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Abschaffung der Inhaberaktie sowie neue strafrechtliche Sanktionen für Verwaltungsrat und Aktionäre. Lukas Glanzmann, SJZ 2019, S. 611 ff.
Das Bundesgesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des globalen Forums über Transparenz und Informationsaustausch für Steuerzwecke, das am 1. November 2019 in Kraft trat, bringt gravierende Änderungen von OR und StGB mit sich. Sie betreffen jede AG und GmbH und bedeuten eine signifikante Verschärfung der Transparenzanforderungen. Die Gesetzesnovellen werden die Inhaberaktie faktisch abschaffen, das vorschriftswidrige Führen des Aktienbuchs bzw. die Nichtmeldung der an Aktien wirtschaftlich berechtigten Personen unter Strafe stellen und einen möglichen irreversiblen Verlust der Rechte an Aktien mit sich bringen.
Die Tücken bei der Umwandlung einer GmbH in eine AG. Errol M. Küffer, Jonas Fischer und Anne Mirjam Schneuwly, AJP 10/2019, S. 1005–1014.
Die Umwandlung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Aktiengesellschaft erscheint unspektakulär. Bei der konkreten Umsetzung herrschen laut den Autoren nach wie vor grosse Rechtsunsicherheiten, insbesondere bei einer Umwandlung in eine teilliberierte Aktiengesellschaft. Der Beitrag zeigt auf, dass die Hürden trotz vom Parlament beschlossener Erleichterungen für KMU erheblich sind. Der Beitrag zeigt, was bei einer KMU-Umstrukturierung zu beachten ist.
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Die Essential-Facilities-Doktrin. Ramin Silvan Gohari, Sic! 10/2019, S. 533 ff.
Nach der Essential-Facilities-Doktrin verhält sich ein marktbeherrschendes Unternehmen, das eine unerlässliche Ressource kontrolliert, unter Umständen unzulässig, wenn es sich weigert, einem Nachfrager Zugang zu dieser Ressource zu verschaffen. Der Autor ist der Meinung, die Essential-Facilities-Doktrin lasse sich in der Schweiz dogmatisch nicht überzeugend vom allgemeinen Konzept der Verweigerung der Geschäftsbeziehungen abgrenzen und stelle entsprechend keine eigenständige kartellrechtliche Lehre dar. Vielmehr sei Art. 7 Abs. 2 lit. a KG die Schweizer Essential-Facilities-Doktrin. Dieser Ansatz erlaube es, die praktischen Anwendungsprobleme, die die Wettbewerbsbehörden und Gerichte bei der Anwendung der Doktrin bislang hatten, zu lösen.