Verfassungsrecht
Grundrechte
Darf Justitia ein Kopftuch tragen? Kopftuchverbote für Gerichtspersonen im Spannungsfeld zwischen staatlicher Neutralität, Religionsfreiheit und dem Schutz vor Diskriminierung. Elisabeth Joller, ZBI 3/2019, S. 115 ff.
Die Autorin zeigt in ihrem Beitrag auf, weshalb eine Vorschrift, die Gerichtspersonen das Tragen jeglicher religiös konnotierten Kleidung bei Verhandlungen verbietet, unrechtmässig ist. Solche Verbote würden eine Gewichtung der grundrechtlich geschützten Interessen vorwegnehmen, die je nach den konkreten Umständen anders ausfallen würden.
Verwaltungsrecht
Steuerrecht
Bemessungsgrundsätze des Kausalabgaberechts. René Wiederkehr, Recht 1/2019, S. 61 ff.
Das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip vermögen ihre Schutzfunktion zugunsten des Abgabepflichtigen nicht wirksam zu erfüllen. Der Autor verlangt, sie als verfassungsmässige Rechte zu anerkennen und vor allem die Anforderungen, die aus dem Äquivalenzprinzip abgeleitet sind, deutlich zu verschärfen.
Ausländer- und Asylrecht
Célérité des nouvelles procédures d’asile et droits humain. Aspects problématiques et suggestions de compatibilité à la lumière de la CEDH. Anne-Laurence Graf und Aurélie Mariotti, Jusletter vom 15.4.2019
Der Beitrag geht der Frage nach, wo das Ziel der Verfahrensbeschleunigung an die Grenze der menschenrechtlichen Verfahrensgarantien stösst, insbesondere an die Grenzen des Non-Refoulement nach Art. 3 EMRK in Verbindung mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK. Für das strikt getaktete neue Asylverfahren betonen sie die Schutzfunktion des Verbots des überspitzten Formalismus, wie es in Art. 13 EMRK angelegt ist. Die beiden Autorinnen gelangen zum Schluss, dass in gewissen Konstellationen ein Anspruch auf die Aufnahme in das erweiterte Verfahren nach Art. 26d AsylG besteht, wenn die Flüchtlingseigenschaft nicht innerhalb der Ordnungsfristen des neuen beschleunigten Regelverfahrens abgeklärt werden kann.
Auch Dschihadisten haben (Verfahrens-)Rechte. Die Würdigung nachrichtendienstlicher Akten und Informationen in Asylbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Susanne Bolz, Jusletter vom 15.4.2019
Sofern nachrichtendienstliche Informationen über eine asylsuchende Person vorliegen, sieht sich das Bundesverwaltungsgericht konfrontiert mit dem Spannungsfeld zwischen der gesetzlichen Verpflichtung des NDB zum Schutz seiner Quellen und dem verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Autorin konstatiert zwar ein gesteigertes Problembewusstsein der involvierten Behörden. Dennoch regt sie die Schaffung einer unabhängigen Stelle an, die sich in der Funktion eines Vertrauens- oder «Grundrechtsanwalts» für die Verfahrens- und Grundrechte der Betroffenen einsetzen könnte.
Strafrecht
Allgemeiner Teil
Schafft der Gesetzgeber das Strafrecht ab – und ist das etwas Schlechtes?
Stefan Maeder, Recht 2019, S. 12 ff.
Der Autor zeigt, dass das Strafrecht immer mehr Probleme lösen soll und sich dabei sehr oft vollständig vom Schuldstrafrecht entfernt, zum Beispiel bei der Halterhaftung für Ordnungsbussen. Gesellschaftslenkung könne nicht mit Strafrecht betrieben werden. Dieses sei für die «gerechte Vergeltung schuldhaft begangenen Unrechts vorbehalten».
Das Strafparadigma der Gegenwart: Was bedeutet das alles, und wohin führt es? Anna Coninx, Recht 2019, S. 25 ff.
Die Autorin wendet sich gegen die vorherrschende Spezialprävention, die sehr oft zu ungerechten Strafen führt. «Das Grundlagenproblem besteht darin, dass die Beantwortung der Frage, ob jemand in Zukunft erneut delinquieren wird, auf extrem wackeligen Beinen steht.»
Landesverweisung und Freizügigkeitsabkommen – Bundesgericht vertagt Entscheid über Normenkonflikt. Nina Burri, Sui generis 2019, S. 65–73
Der vorliegende Beitrag bespricht die ersten zwei Urteile des Bundesgerichts (6B_1152/2017 vom 28. November 2018 und 6B_235/2018 vom 1. November 2018) zum Verhältnis der neuen Landesverweisung und dem Freizügigkeitsabkommen (FZA). Die Autorin kommt zum Schluss, dass der Normenkonflikt zwischen der obligatorischen Landesverweisung und dem FZA nach wie vor nicht höchstrichterlich entschieden sei. Zudem fehle es in den Urteilen an «Begründungstiefe» und das Bundesgericht verheddere sich in Widersprüche. Ausserdem hätten Sätze wie «mit dem FZA vereinbarte die Schweiz – pointiert formuliert – keine Freizügigkeit für kriminelle Ausländer»; oder «das Strafgericht hat zunächst das ihm vertraute Landesrecht anzuwenden», einen ungewohnt politischen Unterton und wenig fachliche Überzeugungskraft, schreibt die Autorin.
Strafbarkeit des Konsums von «teen porn» im Internet. Patrick Vogler, AJP 4/2019, S. 432–437
Der heutige Pornografie-Tatbestand stellt nicht nur den Konsum von Pornografie mit minderjährigen Darstellern unter Strafe, sondern auch den Konsum von Material, welches «nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen» beinhaltet (sogenannte virtuelle Kinderpornografie). In diesem Zusammenhang ist laut dem Autor der Begriff «teen porn» seit langem ein Schlagwort für pornografische Inhalte mit jung wirkenden Akteuren und werde von der Pornoindustrie gezielt zu Werbezwecken eingesetzt. «Und die Bezeichnung ist zugleich von strafrechtlicher Aktualität.» In welchem Bereich die Grenzen straflosen bzw. strafbaren Konsums entsprechender Inhalte verlaufen, sei umstritten. Unklar sei zudem, wie in einem Strafprozess der Beweis geführt werden solle. In seinem Beitrag versucht der Autor, Antworten zu geben.
Privatrecht
Erbrecht
Entwurf zur Revision des Erbrechts vom 20. August 2018: ein Überblick. Roland Fankhauser und Alexandra Jungo, Recht 2019, S. 1 ff.
Die Autoren äussern sich grundsätzlich positiv zum Entwurf des Bundesrats, der Pflichtteile auch für Kinder auf die Hälfte reduziert, doch sei die Verbesserung der erbrechtlichen Stellung der faktischen Lebenspaare «sehr mutlos und blutleer» umgesetzt worden. Sie hoffen auf eine Verbesserung im Parlament.
Vertragsrecht
Smart Contracts aus Sicht des Vertragsrechts. Funktionsweise, Anwendungsfälle und Leistungsstörungen.
Lukas Müller und Reto Seiler, AJP 3/2019, S. 317–328
Smart Contracts lassen sich als automatisierbare, durchsetzbare digitale Abbildungen von Obligationen umschreiben, welche mittels Blockchain-Technologie, also einer auf viele Glieder verteilten Datenbank, einen automatischen Erfüllungsprozess vorsehen. In diesem Beitrag werden potenzielle Anwendungsbereiche von Smart Contracts besprochen, zu denen insbesondere standardisierbare, längerfristige Geschäftsbeziehungen oder die Abwicklung von Kaufverträgen gehörten.
L’architecte face aux entrepreneurs: acte en nom propre ou acte au nom du maître de l’ouvrage? Mathieu Zufferey, Baurecht 2019, S. 5 ff.
Will der Architekt gegenüber dem Unternehmer den Bauherrn vertreten, muss er in dessen Namen handeln. Nun kann sich aber mitunter die Unterscheidung zwischen dem Handeln in fremdem Namen (direkte Stellvertretung) und dem Handeln in eigenem Namen (indirekte Stellvertretung) als schwierig erweisen. Der Autor legt dar, dass die Rechtsprechung und Lehre zu Recht eine natürliche Vermutung zugunsten der Annahme befürworten, der Architekt handle in fremdem Namen.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Abtretung gemäss Art. 260 SchKG an mehrere Gläubiger. Franco Lorandi, AJP 3/2019, S. 281–286
Verlangen mehrere Konkursgläubiger die Abtretung eines Rechtsanspruches gemäss Art. 260 SchKG, so bilden sie nach der Rechtsprechung eine bedingt notwendige Streitgenossenschaft. Was dies im Einzelnen bedeutet, ist in Lehre und Rechtsprechung unklar. Die Ausführungen des Bundesgerichts sind laut Autor zum Teil widersprüchlich, wobei die jeweiligen Ausführungen des Bundesgerichts nicht entscheidtragend waren. Die Besonderheit einer Abtretung nach Art. 260 SchKG ist, dass jeder Gläubiger jederzeit «aussteigen» kann. Diese Besonderheit wirkt sich unmittelbar auf die spezielle Kategorie der notwendigen Streitgenossenschaft aus. Der Aufsatz zeigt, wie sich diese besondere Art der Streitgenossenschaft einfach in das bestehende zivilprozessuale Regime einordnen lässt.
Zivilprozessrecht
Bei Teilklage bloss Teilverjährung? Felix Hunziker-Blum. AJP 3/2019, S. 287–293
Art. 86 ZPO verschaffte der von kantonalen Prozessordnungen bisher bloss vereinzelt zugelassenen Teilklage eine gesetzliche Grundlage. Art. 86 ZPO setzt einen teilbaren Anspruch voraus, lässt aber offen, ob die Unterbrechung der Verjährung nur im Umfang der Teilklage erfolgt oder den ganzen Anspruch erfasst. Lehre und Praxis waren sich seit 1925/1934 einig, dass eine Teilklage oder Teilbetreibung die Verjährung nur im Rahmen der Bezifferung der Teilklage oder des Zahlungsbefehls unterbreche. Diese Auffassung kann sich nicht aufs Gesetz stützen, obwohl eine Einschränkung des Anspruchs des Gläubigers und damit die Entlastung eines Schuldners einer klaren gesetzlichen Grundlage bedürfte. Der vorliegende Beitrag geht auf diese Frage ein und zeigt neue Aspekte auf. Welche Antworten Lehre und Praxis darauf geben können, bleibt abzuwarten.
Strafprozessrecht
Randdatenerhebung im Fernmeldeverkehr gemäss Art. 273 StPO. Rechtslage und Bundesgerichtspraxis.
Simon Betschmann, AJP 3/2019, S. 358–363
Bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs ist zwischen der Inhaltsüberwachung und der Randdatenerhebung zu unterscheiden. Letztere wird laut Autor – da die Randdaten zurzeit noch nicht verschlüsselt werden können – für die Strafverfolgungsbehörden immer wichtiger. Art. 273 StPO regelt die aktive sowie die rückwirkende Randdatenerhebung. Das Bundesgericht lässt sodann über den Wortlaut des Gesetzes hinaus die qualifizierte rückwirkende Randdatenerhebung (Antennensuchlauf) zu und weitet den Anwendungsbereich von Art. 273 StPO – insbesondere zur Aufklärung schwerer Straftaten – auf praktisch jegliche Drittpersonen aus. Davon abzugrenzen sind die Edition von Bestandesdaten sowie die Beschlagnahmung und Durchsuchung von Daten, welche beide keiner Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts bedürfen.
Teilnahmerecht der Verteidigung bei psychiatrischen Explorationsgesprächen.
Marianne Heer und Jacqueline Covaci, AJP 4/2019, S. 438–452
Im Zusammenhang mit den heute gestärkten Teilnahmerechten der beschuldigten Person im Strafprozess wird die berechtigte Forderung gestellt, Art. 147 StPO sei auch bei der Exploration der beschuldigten Person durch die sachverständige Person i.S. von Art. 185 Abs. 4 StPO anzuwenden. Das Bundesgericht lässt eine Anwesenheit der Verteidigung bei der Exploration nicht zu. Streitig ist, ob die Exploration als Beweisabnahme i.S. von Art. 147 StPO zu qualifizieren ist. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung handelt es sich bei der Exploration um eine Vorbereitung des eigentlichen Beweises, während die Verteidigungsrechte nach Erstattung des Gutachtens zum Tragen kommen sollen. Die Autorinnen sind jedoch der Auffassung, dass mangels Dokumentation der Angaben des Exploranden dies nur sehr eingeschränkt möglich ist. Um im Rahmen des Begutachtungsprozesses ein kontradiktorisches Verfahren zu vermeiden, schlagen sie vor, «regelmässig audiovisuelle Aufnahmen der Exploration zu machen, die im Bedarfsfall eingesehen werden können».
Europarecht
Personenfreizügigkeit
Die Tragweite des Institutionellen Abkommens im Bereich der Arbeitnehmerentsendung. Astrid Epiney und Lena Hehemann, Jusletter 8.4. 2019
Am 7. Dezember 2018 veröffentlichte der Bundesrat den Entwurf des Institutionellen Abkommens Schweiz – EU (InstA). Seitdem werden diverse Aspekte des InstA intensiv diskutiert, wobei u.a. die Frage nach den Implikationen des InstA für das Entsenderecht in der Schweiz breiten Raum einnimmt. Nachfolgend wird die Tragweite des Entsenderechts in der Union skizziert, um auf dieser Grundlage den Implikationen des InstA für das Entsenderecht in der Schweiz nachzugehen. Der Beitrag kommt zum Schluss, dass der diesbezügliche Handlungsspielraum der Schweiz deutlich weniger weit beschränkt wird als vielfach angenommen.
Diverses
Anwaltspraxis
Wissensmanagement in Anwaltskanzleien: kritische Analyse und Ausblick.
Raffael Büchi, SJZ 2019, S. 220 ff.
Noch vor zehn Jahren war Wissensmanagement im Schweizer Rechtsdienstleistungsmarkt ein exotischer Begriff. Gerade mal zwei Kanzleien beschäftigten Anwälte mit ausschliesslichem Fokus auf Wissensmanagement. Heute haben zwar die meisten Kanzleien dessen Bedeutung erkannt und unternehmen Anstrengungen in diesem Bereich; das enorme Potenzial wird aber bei Weitem nicht ausgeschöpft. Da sich die Rahmenbedingungen auch nicht entscheidend geändert haben, sieht man sich mit denselben Herausforderungen konfrontiert wie einst. Welche Faktoren einem Entwicklungssprung im Wege stehen und wie dieser aussehen könnte, wird in diesem Beitrag skizziert.
Justiz
Transparentere Justiz.
Sabine Steiger-Sackmann, Sui generis 2019, S. 122–137
Die Autorin ist der Auffassung, wer sich heute wissenschaftlich mit der Justiz befassen wolle, kämpfe mit vielerlei Hindernissen. Technische und inhaltliche Verbesserungen bei der Publikation von Urteilen und Statistiken seien daher zu begrüssen. Sie würden nicht nur den umfassenden Zugang der Öffentlichkeit zu denUrteilen erleichtern, sondern auch neue Forschungsfelder eröffnen. Mit einer verbesserten Transparenz könne über die Justiz hinaus ein Nutzen für die Wirtschaft und die Gesellschaft gestiftet werden, wie sich am Beispiel der Rechtsprechung zu psychosozialen Arbeitsrisiken nachvollziehen lasse.