Verfassungsrecht
Grundrechte
Das Recht von Sans-Papiers auf Justizzugang. Erhebung und Bekanntgabe von Daten über den Aufenthaltsstatus durch Justizbehörden aus grundrechtlicher Sicht. Regina Kiener und Danielle Breitenbücher, ZBl 7/2019, S. 356 ff.
Etwa 76 000 Ausländer ohne geregelten Aufenthaltsstatus, sogenannte Sans-Papiers, leben in der Schweiz. Unter der geltenden Rechtsordnung kann nicht vollständig verhindert werden, dass der Aufenthaltsstatus eines Sans-Papiers im Verfahren bekannt und den Migrationsbehörden mitgeteilt wird, weshalb Sans-Papiers auch bei schweren Rechtsverletzungen auf den Zugang zur Justiz verzichten. Die Autoren sind der Ansicht, eine Revision der Bestimmungen zur Datenbekanntgabe sei angezeigt.
Die Legitimationspraxis des Bundesgerichts zur Konkurrentenbeschwerde. Eine kritische Analyse mit Änderungsvorschlägen. Lukas Schaub und Tizian Troxler, ZBl 8/2019, S. 415 ff.
Die Autoren machen sich dafür stark, dass die bundesgerichtliche Praxis, wonach die Rüge der Verletzung wirtschaftspolizeilicher Vorschriften nicht zur Konkurrentenbeschwerde legitimiere, aufzugeben sei. Sie sind der Ansicht, für das schutzwürdige Interesse sollte es auch im Rahmen der Konkurrentenbeschwerde nur auf den Nachweis eines tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteils ankommen.
Verwaltungsrecht
Allgemeines Verwaltungsrecht
Grenzsituationen in der Verwaltungsrechtspflege. Beschwerdeobjekte zwischen Verfügung und Realakt.
Markus Müller, ZBl 6/2019, S. 295 ff.
Die Verfügung gilt laut Autor nach bisherigem Verständnis als Scharnier zwischen materiellem und formellem Verwaltungsrecht. Müller schlägt vor, Art. 44 VwVG neu zu schreiben und das Beschwerdeobjekt über die Verfügung hinaus auf rechtsschutzwürdige Realakte auszudehnen. Danach gehe es darum, die Nachteile der für Realakte bislang typischen Verfahrenslosigkeit durch die Schaffung eines spezifischen fairen Verfahrens soweit sinnvoll zu kompensieren.
Umweltrecht
Aufhebung von zwei Gebirgslandeplätzen – Frage der Notwendigkeit einer ENHK-Begutachtung und Gesamtüberprüfung aller Landeplätze (Grindelwald und Innertkirchen BE). Daniela Thurnherr, URP 4/2019, S. 323 ff.
Die Autorin setzt sich im Zusammenhang mit den Bundesgerichtsurteilen 1C_109/2018 und 1C_117/2018 zu den Gebirgslandeplätzen für Helikopter mit der Frage auseinander, inwiefern eine akzessorische Überprüfung des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt möglich ist und wann der richtige Zeitpunkt für die Anfechtung einer darauf basierenden Verfügung sein muss.
Ausländer- und Asylrecht
Asylunwürdigkeit wegen «Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit». Sarah Frehner und Annina Mullis, Sui generis 2019, S. 154–173.
Die Autorinnen kommentieren BVGE 2018 VI/5. In diesem Entscheid befand das Bundesverwaltungsgericht über die Asylunwürdigkeit eines Kurden türkischer Herkunft und setzte sich erstmals eingehend mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der «Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz» nach Art. 53 lit. b AsylG auseinander. Im Ergebnis bleiben die Kriterien und die Beweisanforderungen unscharf.
Übriges Verwaltungsrecht
Das Recht der Fortpflanzungsmedizin in der Schweiz. Andrea Büchler, SJZ 2019, S. 375 ff.
Immer mehr Frauen und Paare sind auf die Hilfe der Fortpflanzungsmedizin angewiesen, um ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Die Schweiz hat ein im europäischen Vergleich restriktives Fortpflanzungsmedizingesetz. Der Beitrag bietet eine kritische Auseinandersetzung.
Sozialversicherungsrecht
AHV, IV, EL und ALV
Le congé non payé en droit du travail et des assurances sociales. Patricia Dietschy-Martenet, SZS 4/2019, S. 181 ff.
Unbezahlter Urlaub und Sabbaticals sind im Trend. Doch sind dabei Auswirkungen auf die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche zu beachten. Teilweise fährt man mit einem längeren Urlaub besser als mit einem kurzen. Guter Überblick.
Die Vergabe der polydisziplinären Gutachteraufträge in der IV. Roger Peter, Jusletter vom 16.9.2019.
SuisseMED@P, ein Lotteriesystem, vergibt in der Eidgenössischen Invalidenversicherung die polydisziplinären Gutachteraufträge. «Allokation durch Lotterie in einem demokratischen Rechtsstaat?», fragt der Autor kritisch. Er analysiert die Rechtslage und kommt zum Schluss, dass das aktuelle SuisseMED@P-Lotteriesystem verfassungswidrig sei.
BVG
Die Säule 3a – eine Vorsorgeform mit teils öffentlich-rechtlichem und teils privatrechtlichem Charakter. Aline Kratz-Ulmer,
SZS 4/2019, S. 189–196.
Rechtliche Grundlagen der Säule 3a mit Fokus darauf, welche der Rechtsnormen dem öffentlichen Recht und welche dem Privatrecht zuzuordnen sind. Erläutert werden zudem die mit der laufenden Erbrechtsrevision geplanten Änderungen im Bereich der Säule 3a.
Strafrecht
Besonderer Teil
Diskriminierung gemäss Art. 261bis StGB: Die vorgesehene Reform und weiterer Reformbedarf. Adrian Dumitrescu, AJP 8/2019, S. 832–841.
Art. 261bis StGB stellt Diskriminierungshandlungen gegen Personen aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion unter Strafe. Gegen eine Gesetzesänderung zur Ausweitung auf Diskriminierungshandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung wurde das Referendum ergriffen. Der Autor legt dar, warum die Norm seiner Ansicht nach einer noch umfassenderen Reform bedarf.
Privatrecht
Familienrecht
Zweck der Fürsorgerischen Unterbringung. Philippe Meier und Thomas Häberli, ZKE 3/2019, S. 228.
Im Rahmen ihrer stets lesenswerten Übersicht über die Rechtsprechung im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht kommentieren die Autoren insbesondere den Entscheid des EGMR 1760/15 vom 30.04.2019 i.S. T.B. c. Schweiz. Darin widerspricht der Gerichtshof der Auffassung des Bundesgerichts, das im BGE 138 III 593 die Fürsorgerische Freiheitsentziehung eines psychisch Kranken guthiess, der als Jugendlicher eine Prostituierte ermordet hatte.
Die Berechnung von Unterhaltsbeiträgen bei Patchworkfamilien. Philipp Maier, Katharina Niederberger und Sara Hampel,
AJP 9/2019, S. 879–899.
In Patchwork-Konstellationen stellen sich bei der Berechnung von Kindesunterhalt seit der Revision des Kindesunterhaltsrechts vom 1. Januar 2017 spezifische Probleme. In einem Einführungsbeispiel wird der Kindesunterhalt bei zwei Elternteilen und einem Kind exemplarisch vorgerechnet. Es folgt die Darstellung eines Falles mit drei Elternteilen und zwei Kindern. Schliesslich wird ein komplexer Fall mit vier Elternteilen und drei Kindern vorgestellt.
Fallstricke bei der Gestaltung und Formulierung von Ehe- und Erbverträgen. Roberto Fornito, AJP 8/2019, S. 795–802.
Der Autor zeigt typische Fehler bei Ehe- und Erbverträgen auf und erklärt aufschlussreich, wie sie vermieden werden können. Der Beitrag ist keine systematische, geschweige denn vollständige Abhandlung möglicher Fehlerquellen, sondern eine beispielhafte Auflistung anhand praktischer Fälle. Sie soll dazu anregen, Vorlagen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.
Sachenrecht
Das gesetzliche Verkäuferpfandrecht und dessen Eintrag im Grundbuch. Christiana Fountoulakis und Roland Pfäffli, Der Bernische Notar 2/2019, S. 61 ff.
Die Verfasser beleuchten Fragen bei der Eintragung eines Verkäuferpfandrechts im Grundbuch. Aufgrund der Möglichkeit eines Zahlungsversprechens durch die Bank hat dieses Pfandrecht in gewissen Kantonen etwas an Bedeutung eingebüsst.
Obligationenrecht
Der Vertrag des Passagiers mit den SBB (2.0). Arnold F. Rusch und Michael Hochstrasser, Jusletter vom 23.9.2019.
Wann kommt ein Vertrag zwischen Passagier und SBB zustande? Hat ein Passagier Anspruch auf Klimaanlage und Sitzplatz?
Haftpflichtrecht
Leitentscheide des Bundesgerichts zum Regress. Peter Beck, CHSS 3/2019, S. 18 ff.
Der Artikel setzt sich aus der Sicht der Sozialversicherung mit der geänderten Berechnung des Quotenvorrechts bei Genugtuung, dem integralen Regressrecht des Schadensversicherers und dem Regress gegenüber solidarisch Mithaftenden auseinander. Gute Übersicht.
Personenschaden und Familienrecht: Querbezüge. Thomas Geiser, Have 3/2019, S. 252 ff.
Der Beitrag zu Berührungspunkten zwischen dem Haftpflicht- und dem Familienrecht thematisiert Parallelen und Unterschiede beim nachehelichen Unterhalt und dem Erwerbs- und Versorgungsschaden, bei der Anrechnung von Vermögenserträgen sowie beim Kapitalisierungszinsfuss, beim Betreuungsunterhalt im Vergleich zum Haushalt- und Versorgungsschaden und bei den Einbussen in der Altersvorsorge. Der Autor kommt zum Schluss, dass sich Praxis und Lehre im Haftpflichtrecht weiter entwickelt haben als im Familienrecht.
Arbeitsvertragsrecht
Les nouvelles tendances en matière d’évaluation du personnel et le droit du travail. Jean Christophe Schwaab, ARV 2/2019, S. 103–119.
Bei der Leistungsbeurteilung von Angestellten setzen immer mehr Arbeitgeber auf die Resultate von Kundenbewertungen. Kunden ist nicht bewusst, dass Bewertungen für Mitarbeiter lohnrelevant sein können. Das verstosse in vielen Fällen gegen das Arbeitsrecht.
Werkvertragsrecht
Zur Beweislast bei der Mängelrüge. Alexandra Jungo, Baurecht 2019, S. 173 ff.
Beim Streit zwischen Besteller und Unternehmer über die Rechtzeitigkeit der Mängelrüge fragt sich, wer wofür die Beweislast trägt. Die Autorin widerspricht dem Bundesgericht und einem Grossteil der Lehre. Sie auferlegt mit guten Gründen dem Unternehmer die Beweislast für die Verspätung der Mängelrüge.
Übriges Vertragsrecht
Die Grundstückschenkung unter «Vorbehalt» einer Nutzniessung zu Gunsten des Schenkers und seines Ehegatten. Felix Horat, Der Bernische Notar 2/2019, S. 71 ff.
Der Beitrag gibt einen guten Überblick zu erbrechtlichen Folgen von Grundstückschenkungen mit Nutzniessungs- oder Wohnrechtsvorbehalt von Eltern auf die Kinder, namentlich bezüglich Anrechnungswert im Hinblick auf Ausgleich oder Herabsetzung.
Datenschutzrecht
Daten als Entgelt. Rolf H. Weber und Simon Hensler, SZW 4/2019, S. 335–345.
Der Zugang zu einem Spiel oder einem Netzwerk ist nicht kostenlos, sondern wird mit den eigenen Daten erkauft. Typologisch sind solche Verträge Innominatkontrakte, die aber in vieler Hinsicht Bezüge zu Lizenzverträgen aufweisen. Geprägt werden sie auch durch Bestimmungen des Datenschutzrechts, insbesondere durch das jederzeitige Widerrufsrecht. Der Rat der EU hat im April 2019 die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte (DInhRL) angenommen, die sich ebenfalls diesen Aspekten widmet.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Immaterialgüterrecht
Patente und kartellrechtliche Zugangsgewähr – Motor für die digitale Zukunft. Peter Georg Picht, Sic 6/2019, S. 335 ff.
Patente und Wettbewerbsrecht stehen in einem Komplementaritätsverhältnis zueinander. Die digitale Transformation bringt neue Herausforderungen, denen das traditionelle Kartell- und Patentrecht nicht immer gerecht wird. Es besteht Handlungsbedarf.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Der geplante Umbau des Bundesgerichts bereitet grosse Sorgen. Andreas Bucher, Isaak Meier, Rainer J. Schweizer und Hans Vest, AJP 7/2019, S. 795–802.
Die vier Professoren warnen vor der «Leitidee» der BGG-Revision, dass das Bundesgericht künftig in einem erheblichen Teil der Fälle nur noch «Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung» annehmen will. Damit würde die «Zufahrt» zum höchsten Gericht erheblich verengt und de facto die Leistung für den Rechtsstaat stark reduziert. Wolle man das Bundesgericht entlasten, müsse man die Zahl der Richter erhöhen.
Zivilprozessrecht
Der Verweis auf Beilagen in Rechtsschriften. Daniel Brugger, SJZ 2019, S. 533 ff.
Der Autor untersucht, unter welchen Voraussetzungen das Gericht Informationen in den Beilagen berücksichtigen kann, welche die Partei nicht vollständig in die Rechtsschrift übernimmt, sondern auf die sie bloss verweist.
Die objektive Klagenhäufung im Ausweisungsverfahren. Laurent Grobéty, Baurecht 2019, S. 109 ff.
Dem Instrument der objektiven Klagenhäufung kommt in der Praxis eine besondere Bedeutung zu. Ausweisungsbegehren gegen einen Mieter oder illegalen Hausbesetzer werden nicht selten mit anderen Rechtsbegehren verbunden (offene Mietzinse, Schadenersatz, Rechtsöffnungsbegehren etc.). Sowohl im summarischen Verfahren (Rechtsschutz in klaren Fällen) als auch im vereinfachten Verfahren stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer derartigen objektiven Klagenhäufung. Der Autor erläutert in der Praxis häufig vorkommende Fallkonstellationen und geht auch auf die Arbeiten zur Revision der ZPO ein.
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Provisorische Rechtsöffnung in der Sackgasse? Die «durch Unterschrift bekräftigte Schuldanerkennung» im Zeitalter digitaler Kommunikation. Florian Eichel, AJP 9/2019, S. 920–933.
Die herrschende Meinung lehnt die Auslegung der «durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung» in Art. 82 Abs. 1 SchKG an die Art. 12–14 OR an. Wegen deren Fokus auf die papiergebundene Unterschrift geht der Anwendungsbereich der provisorischen Rechtsöffnung angesichts der zunehmenden digitalen Kommunikation zurück. Der Beitrag weist nach, dass die Ratio legis eine solch restriktive Auslegung nicht verlangt. Art. 82 Abs. 1 SchKG ist eigenständig unter Rückgriff auf prozessuale Formvorschriften auszulegen, die an die Vielfalt digitaler Kommunikationsformen angepasst sind.