Verfassungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Flüchtlinge als Spielball in der politischen Krise der Europäischen Union.
Constantin Hruschka, Asyl 2016/3, S. 3 –10.
Ausgelöst durch die sogenannte Flüchtlingskrise schlagen zahlreichen Neuvorschläge «Lösungen» auf EU-Ebene für die momentane Situation vor. In diesem Beitrag werden insbesondere die von der EU-Kommission als fünf Prioritäten bezeichneten Gebiete kritisch beleuchtet: die Einführung eines tragfähigen neuen Dublin-Systems, die Herstellung «grösserer Konvergenzen» im europäischen Asylsystem, die Verhinderung von «Sekundärbewegungen» im grenzfreien Schengen-Binnenraum, eine neue EU-Asylagentur und die Stärkung des Eurodac-Systems für Fingerabdruckabgleiche. Der Autor spricht von einem mehrheitlich politisch, nicht rechtlich motivierten «Flüchtlingsabwehrprogramm».
Übriges Verfassungsrecht
Das Zweitwohnungsgesetz. Jonas Alig, ZBl 2016, S. 227 ff.
Das Zweitwohnungsgesetz ist nach Ansicht des Autors nur schwierig anzuwenden und verursacht erhebliche Rechtsunsicherheiten. Mehrere Bestimmungen seien verfassungsrechtlich problematisch oder verletzten gar den bundesgerichtlich festgestellten «harten Kern» von Art. 75b BV. Andere würden den Zielen von Art. 75b BV entgegenlaufende Zustände herbeiführen. Einige Regelungen seien schlecht kontrollierbar, da seien die Kantone und Gemeinden gefordert.
Verwaltungsrecht
Was ist das «Allgemeine» des «Allgemeinen Verwaltungsrechts»?
Giovanni Biaggini, ZBl 2016, S. 333 f.
Der Autor ist der Ansicht, dass in der Schweiz zurzeit keine Krise des Allgemeinen Verwaltungsrechts besteht. Und er ist der Meinung, die Wortkombination «Allgemeines Verwaltungsrecht» sei zu vage und zudem geeignet, Missverständnisse betreffend die Natur des Gegenstandes aufrechtzuerhalten. Deshalb sollte sie möglichst vermieden werden.
Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
Lärmsanierung einer Stadtkerndurchfahrt; Prüfung
der Senkung der Höchstgeschwindigkeit auf «Tempo 30». URP 4/2016, S. 319 ff.
Im Urteil 1C_589/2014 vom 3. Februar 2016 macht die erste öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts grundlegende Feststellungen zur Evaluierung und Anordnung von Massnahmen zur Lärmminderung beim Strassenverkehr (vor allem zur Anordnung von Tempo 30 statt 50). Sie kommt unter anderem zum Schluss, «dass aufgrund der Kritik des Bafu und der Empa erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verkehrsgutachten das Lärmminderungspotenzial von Tempo 30 unterschätzt hat» und die Sache deshalb zur ergänzenden Abklärung an die Baudirektion Zug zurückzuweisen sei. Sodann wird ausdrücklich festgehalten, dass in einem neuen Verkehrsgutachten auch die Auswirkungen der Temporeduktion auf die Senkung der Maximalpegel zu berücksichtigen sei (und nicht nur auf den Mittelungspegel).
Rezension der Dissertation von Adrian Gossweiler: Entschädigungen für Lärm von öffentlichen Verkehrsanlagen. Elemente für eine Neuordnung durch den Gesetzgeber. Peter Ettler, URP 4/2016, S. 421 ff.
Die Dissertation Gossweiler wird vom Rezensenten sehr positiv beurteilt, auch wenn er in Sachen Darstellung der Rechtstatsachen (Lärmwirkungsforschung) noch einen gewissen Ergänzungsbedarf sieht und diese zusätzlichen Informationen in gedrängter Form gleich selbst liefert.
Sozialversicherungsrecht
Ausführungsrecht zum elektronischen Patientendossier. Kommentierung der Zertifizierungsvoraussetzungen der Gemeinschaften und Stammgemeinschaften.
Sarah Winkler, Jusletter vom 29.8.2016.
Da medizinische Handlungen eher selten an einem Ort durchgeführt werden, sind diese Gesundheitsdaten häufig auf eine Vielzahl von behandelnden Personen und Organisationen verstreut. Bis allerdings das erste Mal Daten über das elektronische Patientendossier bereitgestellt und bezogen werden können, müssen gemäss Winkler noch einige rechtliche Fragen geklärt werden, «insbesondere im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Zertifizierungen».
Strafrecht
Allgemeiner Teil
Eine folgenschwere Dummheit – Bemerkungen zum Urteil des Bundesgerichts vom 18. August 2014, 6B_1040/2013.
Matthias Schwaibold, Forumpoenale 4/2016, S. 237 ff.
In erfrischend deutlichen Worten wider den Zeitgeist kritisiert der Autor die extensive Auslegung des «Gewaltbegriffs» durch das Bundesgericht.
Übriges Strafrecht
Eurojust: Unterstützung der schweizerischen Strafbehörden bei Delikten mit Auslandbezug. Maria Schnebli und Stefan Heimgartner, AJP 8/2016, S. 1056–1064.
Die Autoren erläutern die Entstehungsgeschichte und Funktionsweise von Eurojust in Den Haag, der Einheit für justizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union. Ausserdem gehen sie auf die rechtliche Einbettung der Institution ins nationale und internationale Recht ein. Die EU-Agentur Eurojust – mit eigener Rechtspersönlichkeit – will die europäische und internationale Zusammenarbeit in Strafsachen fördern. Die Teilnahme bei Eurojust stelle für die Schweiz im Bereich der kleinen Rechtshilfe in der transeuropäischen Verbrechensbekämpfung einen Quantensprung dar, so die Autoren: «Die zentrale Vernetzung mit ausländischen Justizbehörden erlaubt eine zeitnahe multinationale Verfahrenskoordination, wie sie bei der im organisierten Bereich zunehmend transnationalen Delinquenz unerlässlich ist.»
Privatrecht
Familienrecht
Schutz vor gefährlichem Verhalten? Zur Bedeutung von Fremdgefährdung im Erwachsenenschutzrecht.
Nora Bertschi und Boas Loeb, ZKE 6/2016, S. 263 ff.
In diesem lesenswerten Aufsatz wird ausgelotet, wo die Grenzen des Erwachsenenschutzrechts in Bezug auf den Schutz vor fremdaggressivem Verhalten verlaufen. Dabei wird in wohltuender Weise in Erinnerung gerufen, dass sich eine erwachsenenschutzrechtliche Massnahme nicht allein mit der Berufung auf Fremdgefährdung rechtfertigen lässt.
Sachenrecht
Das Stockwerkeigentum und sein bornierter Gesetzgeber.
David Dürr, Der Bernische Notar 2/2016, S. 263 ff.
Der Verfasser gibt im Rahmen einer kritischen Reflexion einen interessanten Überblick über die gesetzgeberischen Anpassungen seit der Einführung des Instituts des Stockwerkeigentums im Jahre 1965. Dabei spricht er die in der Praxis regelmässig auftretenden Schwierigkeiten an, die sich in erster Linie bei den gemeinschaftlichen Teilen ergeben.
Obligationenrecht
Kauf- und Mietrecht
Rechtliche Schwierigkeiten bei der Beendigung des gemeinsamen Mietvertrages. Am Beispiel des Konkubinats.
Martin Kaiser, Jusletter vom 5.9.2016.
Ein Mietvertrag wird häufig mit mehreren Mietern gemeinsam abgeschlossen, die weder verheiratet sind noch in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Werden sich die Mieter später über die gemeinsame Auflösung des Mietverhältnisses beispielsweise aufgrund der Auflösung bzw. der Beendigung eines Konkubinats nicht einig, stellen sich Rechtsfragen, die laut Autor «in der Mietrechtsliteratur bisher nur rudimentär behandelt wurden». Anhand eines Beispiels zeigt er rechtliche Überlegungen zur Lösung dieser spezifischen Problemstellung auf. Und er kommt zum Schluss, dass ein Verfahren fehlt, das «zumindest eine vorläufige Zuweisung der Wohnung an einen der Partner erlauben würde».
Datenschutzrecht
Selbstvermessung oder Selbstüberwachung? Sicherheits- und Datenschutzbedenken beim Quantified Self. Marc Langheinrich, Florian Schaub und Günter Karjoth, Digma 2/2016, S. 50 ff.
Die Autoren schreiben, die «Vermessung des Ichs» berge das Potenzial für neuartige Datenschutz- und Sicherheitsbedenken. Sie gehen folgenden Fragen nach: Wer vermisst wen? Wer wertet was wie aus? Und wie kann eine Person sicher sein, woher ihre Daten stammen? Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Daten später von Firmen oder Behörden eingefordert werden. Wer sie nicht liefere, müsse womöglich konkrete Nachteile in Kauf nehmen: «Wie einen Karriereknick, wer die Fitness-App des Arbeitgebers nicht installiert, oder höhere Versicherungsbeiträge, wer seine Workouts nicht mit dem Krankenversicherer teilen will.» Nicht zuletzt mag gemäss den Autoren der Trend zur Selbstoptimierung auch eine gesellschaftliche Normierung fördern, «die kleinste Abweichung von Arbeitseffizienz und körperlicher Fitness mit sozialer Ächtung abstraft».
Whistleblowing-Systeme im Konzern. David Vasella, Digma 2/2016, S. 76 ff.
Whistleblowing-Meldestellen in Betrieben werfen einige datenschutz- und arbeitsrechtliche Fragen auf. Bei grenzüberschreitenden Bekanntgaben sind zudem besondere Pflichten und Schranken zu beachten, welchen der vorliegende Aufsatz schwerpunktmässig nachgeht.
Privatversicherungsrecht
Wesen und Unwesen der Bauwesenversicherung. Hans-Ulrich Brunner, Baurecht 3/2016, S. 129 ff.
Die Bauwesenversicherung verspricht einen Schutz auf breiter Front während der Realisierung von Bauwerken. Der Autor legt dar, mit welchen Überlegungen häufige Streitpunkte, zum Beispiel die Bevorschussung von Haftpflichtfällen, zu lösen sind.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Die schweizerische Fusionskontrolle im digitalisierten Medienzeitalter am Beispiel der Medienbranche. Franz Hoffet und Kevin M. Hubacher, SJZ 2016, S. 341 ff.
Anhand zahlreicher Entscheide der vergangenen Jahre evaluieren die Autoren die von der Weko bisher zur Marktabgrenzung angewandten Grundsätze. Sie stellen fest, dass diese nicht mehr zeitgemäss sind, da sie den rasanten Veränderungen in der Medienlandschaft nur ungenügend Rechnung tragen. Die schweizerische Fusionskontrolle müsse sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Die Autoren entwickeln ein Modell zur Marktabgrenzung, das sich an vier Kriterien orientiert und dadurch eine realitätsnahe Ermittlung der relevanten Märkte sicherstellt.
Immaterialgüterrecht
Ein Lob auf die Erheblichkeit. Henrique Schneider, Sic! 6/2016, S. 319 ff.
Bei der Kontrolle der Zulässigkeit von Absprachen gemäss Artikel 5 des Kartellgesetzes ist die Erheblichkeit ein umstrittenes Kriterium. Zunächst war sie im Allgemeinen und auch in der Praxis der Wettbewerbskommission umstritten. Durch einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Fall «Gaba» wurde sie in Zweifel gezogen. In der Folge vollzog dasselbe Gericht jedoch eine Kehrtwende und hob die Wichtigkeit der Erheblichkeitsansprüche in den Fällen «Baubeschläge» und «Bergsport» hervor. Der Autor ist der Meinung, die Überprüfung der Erheblichkeit ergebe nicht nur wirtschaftlich Sinn, sondern sei sogar eine grosse Stärke des Schweizer Wettbewerbsrechts.
Bank- und Börsenrecht
Fidleg – was kommt gemäss Botschaft des Bundesrates auf die Finanzdienstleister zu? Sandro Abegglen und Thomas Hochstrasser, SJZ 2016, S. 369 ff.
Die Autoren präsentieren Entwurf und Botschaft des Finanzdienstleistungsgesetzes mit Fokus auf relevanten Änderungen für die Beratung im Anlagegeschäft des Retailkunden. Sie zeigen die Bedeutung der neuen Regelung auf und erläutern die weiteren Pflichten des Finanzdienstleisters in der Retailberatung. Ihr Fazit: Der Organisationsaufwand des Finanzdienstleisters steigt markant an, was nicht nur der neuen Regelung, sondern einem globalen regulatorischen Trend geschuldet ist.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Öffentliches Verfahrensrecht
Die Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens nach Art. 89 Abs. 1 BGG.
René Wiederkehr, Recht 2016, S. 71 ff.
Der Autor weist nach, dass der Gesetzgeber im neuen Bundesgerichtsgesetz keine Ausdehnung oder Einschränkung der Beschwerdebefugnis nach Art. 103 OG wollte. Allerdings waren die Kriterien («gleich oder ähnlich wie eine Privatperson betroffen» und «qualifizierte Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen») schon früher unscharf. Entsprechend versucht der Autor, Gruppen und Untergruppen zu bilden, und plädiert für eine zurückhaltende Eintretenspraxis.
Der Verleihvertrag nach AVG, die Vermittlungsentschädigung und das Verhältnis zum Mäklervertragsrecht.
Benjamin Domenig, Recht 2016, S. 86 ff.
Der Autor betont, dass die Verletzung einer Form- und Inhaltsvorschrift (Art. 22 Abs. 1 AVG) zur Nichtigkeit des Verleihvertrags führt, mindestens wenn sich eine Partei darauf beruft. Dann kann das Mäklervertragsrecht nicht zur Durchsetzung von Ansprüchen aus dem nichtigen Vertrag herangezogen werden.
Völkerrecht
Menschenrechte
Folgen für den Grundrechtsschutz und verfassungsrechtliche Gültigkeit der «Selbstbestimmungsinitiative». Helen Keller und Yannick Weber, AJP 8/2016, S. 1007–1023.
Helen Keller, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und Yannick Weber warnen vor den Folgen einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative. Die Initiative greife die Grundrechte der Bundesverfassung und EMRK frontal an. Eine Annahme der Initiative führe zu einer Kündigung der EMRK, was auch den Austritt der Schweiz aus dem Europarat zur Folge hätte. Die Autoren fänden es problematisch, wenn die Initiative an die Urne käme. «Es ist fraglich, ob über die Rangfrage von Völker- und Landesrecht und eine Unterteilung des Völkervertragsrechts in zwei Kategorien zwecks Bestimmung seiner Massgeblichkeit in derselben Abstimmung entschieden werden darf.» Winke die Bundesversammlung die Initiative durch, anstatt sie für ungültig zu erklären, wäre die Einhaltung des Gebots der Einheit der Materie fortan systematisch gefährdet.