Verfassungsrecht
Grundrechte
Entwicklung und heutiger Stand des Einwohnerkontroll- und meldewesens in der Schweiz – weitreichende Veränderungen durch das Registerharmonisierungsgesetz des Bundes. Arnold Marti, ZBl 11/2019, S. 591 ff.
Die Einwohnerkontrolle blieb lange weitgehend in den Händen von Kantonen und Gemeinden. Die bundesrechtliche Harmonisierung der Personenregister, die Einführung der elektronischen Registerführung auf Bundesebene und die zurzeit noch stattfindende erleichterte Zusammenarbeit zwischen den Registern verbesserten die Situation. Alle Probleme sind jedoch nicht gelöst. Trotz Vereinheitlichung der Begriffe zum Meldeverhältnis stellen sich in der Praxis heikle Abgrenzungsfragen, die noch zu klären sind.
Das Enteignungsrecht zwischen Beständigkeit und Wandel. Neue Akzente in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts. Peter Karlen, ZBl 12/2019, S. 647 ff.
Die jüngste bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Enteignungsrecht lässt keinen Paradigmenwechsel erkennen, setzt aber doch einige neue Akzente. So büsst etwa die Kategorie der Nichteinzonungen bei der materiellen Enteignung aufgrund veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen ihre Bedeutung mehr und mehr ein. Unverkennbar ist auch die Tendenz, die Finanzkraft des Enteigners zu berücksichtigen. Offen bleibt, wie solche Unterschiede mit der Eigentumsgarantie in Einklang zu bringen sind. Für den Enteigneten ist es irrelevant, ob die Enteignung durch einen mehr oder weniger zahlungskräftigen Verwaltungsträger erfolgt.
Bedeutung komplexer (multipolarer) Grundrechtsverhältnisse. Jörg Paul Müller, Jusletter vom 18.11.2019.
Die Schutzpflicht kann Grundrechte einer einzelnen Person betreffen, sie kann aber auch durch zwei private Grundrechtsträger ausgelöst werden, die sich in ihren Ansprüchen gegenüberstehen und den Staat sozusagen als Vermittler beanspruchen. Der Konflikt muss vom Gesetzgeber oder – im Anwendungsfall – durch die Justiz durch Abwägung der beiden Positionen geklärt werden. Gelangt der Streit an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wird die Rechtslage komplizierter, da dort nur einer der Grundrechtsträger als Kläger auftreten kann. Komplexe Grundrechtsverhältnisse haben laut dem Autor durch vermehrte Ausgliederung staatlicher Aufgaben an selbständige, privatrechtlich handelnde Einheiten an Aktualität gewonnen.
Politische Rechte
Der Elefant im Gerichtssaal. Martin Kayser, ZBl 11/2019, S. 589 f.
Der Autor zeigt anhand verschiedener Fälle auf, dass zwischen der Wiederwahl und der Unabhängigkeit eines Richters ein Zusammenhang besteht. Kayser schlägt vor, dass der Gesetzgeber die Gründe für eine Nichtwiederwahl festlegt. In Betracht fallen gemäss einem Vorschlag von Margrit Kiener Nellen in der ZSR die schwere Verletzung der Amtspflichten oder die dauernde Arbeitsunfähigkeit. Um die Unabhängigkeit der Richter zu stärken, ist gemäss Kayser auch die Richterwahl für eine fixe Amtsdauer eine Option. Dafür wäre bei Kanton und Bund eine Verfassungsänderung nötig.
Übriges Verfassungsrecht
Einführung einer «Personalbremse» auf Bundesebene? Rechtliche Einordnung und Bewertung. Andreas Stöckli und Elisabeth Joller,
Recht 2019, S. 258 ff.
Die Einführung einer «Personalbremse» – analog der Ausgabenbremse gemäss Art. 159 Abs. 3 lit. b BV – kann laut Autoren nicht als einfache Massnahme zur Eindämmung der Regulierungsflut und damit zur Senkung der Kosten für die Wirtschaft bezeichnet werden. Sie geben zu bedenken, dass sich die «Personalbremse» als «weitgehend wirkungsloser Papiertiger oder aber als massive Hürde» im Rechtsetzungs- und im Budgetierungsprozess» erweisen könnte.
Wie steuert der Gesetzgeber die Verordnung? Georg Müller, SJZ 2020, S. 47 ff.
Die Parlamente auf Bundesebene und kantonaler Ebene tendieren dazu, durch Verordnungen immer mehr Einfluss auf die Rechtsetzung zu nehmen. Braucht es ein «Verordnungsveto»? Das Anliegen der Parlamente wird meist als Streitigkeit um die Kompetenzverteilung zwischen den Gewalten behandelt. Der Beitrag beleuchtet die Thematik jedoch in einem grösseren Zusammenhang, indem er das Verhältnis von Gesetz und Verordnung im Allgemeinen sowie die Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Steuerung der Verordnungsgebung darstellt und empfiehlt, in welchen Fällen das Parlament und in welchen die Regierung aktiv werden sollte.
Verwaltungsrecht
Allgemeines Verwaltungsrecht
Das verwaltungsrechtliche Klageverfahren. Marc Häusler und Reto Ferrari-Visca, Jusletter vom 11.11.2019.
Im öffentlichen Recht stellen verwaltungsrechtliche Klageverfahren seit je eine Ausnahme dar, weil hier die Rechtsverhältnisse zwischen Gemeinwesen und Privaten durch Verfügung zu regeln sind. Der Beitrag zeigt anhand von Beispielen beim Bund sowie den Kantonen Bern und Zürich die Unterschiede zwischen Klageverfahren und Beschwerdeverfahren auf und gibt Tipps, was im Klageverfahren zu beachten ist.
Umweltrecht
Massnahmen zur Anpassung an die Klimaveränderung und ihre Abstützung auf Art. 74 BV. Ursula Brunner, Matthias Hauser und Nina von Büren, URP 6/2019, S. 497 ff.
Regelungen im CO2-Gesetz beschränken sich bislang darauf, dem Bund aufzutragen, Anpassungsmassnahmen mit den Kantonen zu koordinieren und dafür Grundlagen bereitzustellen (Art. 8 CO2-Gesetz). Der Beitrag zeigt die Einbettung im internationalen und schweizerischen Recht auf und untersucht die Frage, ob dem Bund gestützt auf den Umweltschutzartikel (Art. 74 BV) über die heutige gesetzliche Regelung hinaus eine generelle Kompetenz zukommt, Anpassungsmassnahmen zu regeln.
Übriges Verwaltungsrecht
Ausschlusskriterien für Kriegsmaterialexporte (2008–2019). Evelyne Schmid, AJP 11/2019, S. 1171–1185.
Die Autorin ist Völkerrechtsexpertin und befasst sich mit den Bewilligungskriterien und den zwischen 2008 und 2019 erfolgten Änderungen der entsprechenden Verordnung. Erstens erklärt sie, dass der Bundesrat die Verordnung über das Kriegsmaterial in einer rechtlich unangemessenen Weise auslegt. Zweitens zeigt sie auf, dass die Revision dieser Verordnung von 2014 und die Vorschläge von 2018 darauf abzielten, die Struktur der vor zehn Jahren eingeführten Ausschlusskriterien zu schwächen.
Sozialversicherungsrecht
Der Versorgungsschaden in der Regresspraxis. Thomas Bittel, Have 04/2019, S. 331.
Der Beitrag prüft und analysiert die neu vorgeschlagenen Methoden und Tabellen für die Berechnung des Versorgungsschadens anhand eines Praxisbeispiels. Er kommt zum Schluss, dass mithilfe der Berechnungsvorschläge in einer Vielzahl der Versorgungsschadenfälle abstrakte Berechnungen vorweg in den Sozialversicherungsregressen genügen sollten.
KVG und UVG
Medizinische Begutachtung in der obligatorischen Unfallversicherung. Roger Peter, Jusletter vom 16.12.2019.
Seit 1984 ist die Durchführung der obligatorischen Unfallversicherung liberalisiert, es wurden kommerziell tätige Versicherungsunternehmen zur Durchführung zugelassen. Roger Peter analysiert, welche Probleme im Bereich der medizinischen Begutachtung entstanden sind und welcher Bedarf an medizinischem Sachverstand besteht, um anschliessend neue Lösungsansätze und zwei Reformmodelle aufzuzeigen.
Strafrecht
Besonderer Teil
Die strafrechtliche Bewertung des sogenannten Stealthings. Mohamed El-Ghazi, SJZ 2019, S. 675 ff.
Von Stealthing ist die Rede, wenn einer der Sexualpartner beim grundsätzlich konsensualen Geschlechtsverkehr heimlich das Kondom abstreift, obwohl sein Gegenüber zuvor ausdrücklich auf Safe Sex mit Kondom bestand. Das Phänomen ist durch verschiedene Urteile kantonaler Strafgerichte in die Schlagzeilen gekommen. Uneinig sind sich Lehre und Rechtsprechung darüber, unter welche Strafnorm der Tatbestand zu subsumieren ist.
Privatrecht
Sachenrecht
Rechtsprechung und ausgewählte Rechtsfragen 2019. Roland Pfäffli, Der Bernische Notar 4/2019, S. 169 ff.
Zusammenfassung von Rechtsprechung und Rechtsetzung in den Bereichen Notariats-, Personen-, Familien-, Erb- und Sachenrecht, landwirtschaftliches Bodenrecht, Grundbuchrecht, Obligationenrecht inkl. Handelsrecht und Abgaberecht, soweit diese für Notare von Interesse sind.
Obligationenrecht
Vertragslücken und deren Füllung. Alfred Koller, AJP 11/2019, S. 1112–1117.
Der Beitrag geht der Frage nach, wie Lücken zu füllen sind, wenn Vertragsparteien eine Frage nicht geregelt haben. Die Auffassungen hierüber gehen auseinander. Der Streit dreht sich insbesondere um das Verhältnis von ergänzender Vertragsauslegung und dispositivem Recht. Der Autor vertritt die Ansicht, dass die ergänzende Vertragsauslegung dem dispositiven Recht vorgeht, daher primär auf einen allfällig feststellbaren hypothetischen Parteiwillen abzustellen ist. Das Bundesgericht hingegen gewährt dem dispositiven Recht Vorrang. In der praktischen Rechtsanwendung verfährt es freilich anders.
Bereicherungsrechtliche Rückgewähr von Zuvielleistungen? Alessia Dedual, Recht 2019, S. 274 ff.
Im Urteil 4A_197/2018 vom 13. Dezember 2018 musste das Bundesgericht zum ersten Mal die Frage beantworten, auf welcher Grundlage Zuvielleistungen in Erfüllung eines echten Vertrags zugunsten Dritter im Sinne von Art. 112 Abs. 2 OR zurückzuerstatten sind. Strittig war im konkreten Fall, ob eine Versicherung irrtümlich zu viel bezahlte Leistungen aus einer Krankentaggeldversicherung gemäss VVG nach Vertrags- oder nach Bereicherungsrecht zurückfordern kann bzw. welche Verjährungsregeln Anwendung finden. Die Autorin ist der Ansicht, das Bundesgericht sei – trotz nicht haltbarer Begründung – mit der Anwendung des Bereicherungsrechts und der entsprechend kurzen Verjährungsfrist von Art. 67 OR zum richtigen Ergebnis gekommen.
Das revidierte Verjährungsrecht: Drei bemerkenswerte Punkte. Pascal Pichonnaz, SJZ 2019, S. 739 ff.
Der Beitrag geht auf Fragen ein, die das neue, ab Anfang 2020 gültige Verjährungsrecht offenlässt. Zudem behandelt der Autor den Stillstand der Verjährungsfrist bei aussergerichtlichen Verhandlungen sowie den Verzicht auf die Verjährungseinrede. Er analysiert das revidierte Übergangsrecht und gibt eine Prognose zur praktischen Handhabung der neuen Bestimmungen ab.
Arbeitsrecht
La surveillance secrète de l’employé. Alexandre Guisan, SJZ 2019, S. 707 ff.
Falls der Verdacht besteht, ein Arbeitnehmer habe eine Straftat begangen, kann der Arbeitgeber versucht sein, auf verschiedene Mittel der Überwachung zurückzugreifen. In Anbetracht der jüngsten Rechtsprechung prüft der Beitrag die Bedingungen der Rechtmässigkeit der Beweissammlung im Unternehmen sowie der Verwertbarkeit vor Gericht. Die Autoren analysieren die Frage der Inanspruchnahme eines Privatdetektivs oder von Aufzeichnungen durch eine Dashcam, was Gegenstand eines kürzlich ergangenen Urteils des Bundesgerichts gewesen ist.
Übriges Vertragsrecht
Zur Abnahme des Planwerks. Hubert Stöckli, Baurecht 2019, S. 317 ff.
Bei der Bestellung von Plänen wird regelmässig ein Werkvertrag abgeschlossen. Sind Pläne mangelhaft, obliegt es dem Besteller, die Mängel zu rügen. Der Autor geht der Frage nach, ab welchem Zeitpunkt frühestens zu rügen ist. Mit schlüssigen Argumenten legt er dar, dass nicht jede Planlieferung mit einer Abnahmewirkung ausgestattet ist. Abgenommen wird das Planwerk erst nach dessen Vollendung. Erst jetzt trifft den Besteller die Rügeobliegenheit.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Konzept und Praxis der aktienrechtlichen Sanierung. Lukas Glanzmann, SZW 05/2019, S. 465–480.
Lukas Glanzmann würdigt kurz und kritisch das geltende aktienrechtliche Sanierungsrecht und stellt die diesbezüglichen Neuerungen der derzeit laufenden Aktienrechtsrevision vor. Mit der Revision soll durch den neuen Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit das Bewusstsein für die Liquidität geschärft werden. Dies zu Recht, spielt doch in der Unternehmenspraxis nicht primär das Eigenkapital, sondern die Liquidität eine zentrale Rolle. Ob dies mit dem aktuell diskutierten Weg jedoch erreicht werden kann, bezweifelt der Autor. Generell befürchtet er, dass auch das neue aktienrechtliche Sanierungsrecht nicht verhindert, dass die meisten Verfahren eben doch im – unerwünschten – Konkurs enden.
Immaterialgüterrecht
Formmarkenschutz und Kompatibilitätsinteresse. Mark Schweizer, Sic! 11/2019, S. 587 ff.
Grundsätzliche Unklarheiten zum Schutz von Produktformen durch Markenrecht bestehen heute keine mehr. Offene Fragen gibt es aber trotzdem auch noch mehr als 25 Jahre nach dem Inkrafttreten des Markenschutzgesetzes. Widersprüchlich ist die Rechtsprechung bezüglich der Frage, ob das Interesse, mit einem Primärprodukt kompatible Ersatzteile anzubieten, eine technische Notwendigkeit im Sinn von Art. 2. lit. b Markenschutzgesetz zu begründen vermag. Der Beitrag geht unter anderem dieser Frage nach.
Ist auch im Ausland Schweiz drin, wo Schweiz draufsteht? David Stärkle, Sic! 11/2019, S. 595 ff.
Die Schweiz hat mit der Einführung der Swissness-Kriterien durch das revidierte Marken- und Wappenschutzgesetz in Sachen Herkunftsangaben im internationalen Vergleich ein Novum geschaffen. Ein Schweizerkreuz am falschen Ort kann sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich einschneidende Folgen haben. Da der Beklagte im Streitfall beweisen muss, dass er die Schweizer Rezeptur oder die Schweizer Herstellungskosten korrekt berechnet hat, werden Schweizer Produkte exklusiver und entsprechend wertvoller. Diese Exklusivität ruft allerdings auch Trittbrettfahrer auf den Plan. Es stellt sich die Frage, wie es um den Schutz der Schweizer Herkunftsangabe im Ausland steht.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Strafprozessrecht
Des conditions d’octroi de l’assistance judiciaire. David Glassey, Jusletter vom 9.12.2019.
Grundsätzlich hat jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, Anspruch auf kostenlose Rechtshilfe. Der Autor fasst die Voraussetzungen für die Gewährung von unentgeltlicher Rechtspflege in der Praxis zusammen und widmet sich insbesondere auch den offenen Fragen, die sich aus der Botschaft zur Änderung der Strafprozessordnung von Ende August 2019 ergeben.