Verfassungsrecht
Grundrechte
Corona-Massnahmen und Verfassung. Marcel Niggli, Anwaltsrevue 10/2021, S. 426 ff.
Der Autor kritisiert die vom Bundesrat erlassenen Verordnungen zu Covid-19. Mit grosser Selbstverständlichkeit habe die Regierung sich die Kompetenz angemasst, «nicht nur Strafen für Verstösse gegen seine sich andauernd ändernden Vorgaben zu verhängen, sondern sogar gesetzlich vorgegebene Strafen per Verordnung zu verschärfen». Ein derartiges Vorgehen spotte nicht nur jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn, es schade in seiner offensichtlichen Beliebigkeit dem Ansehen des Rechts selbst.
Politische Rechte
Die Verschiebung von Volkswahlen und Volksabstimmungen. Eine Analyse ausgehend von Erfahrungen im Zuge der Corona-Pandemie. Nadja Braun Binder und Andreas Glaser, ZBl 11/2021, S. 591 ff.
Während des ersten Lockdowns beschlossen einige Exekutivorgane die Verschiebung von angesetzten Volkswahlen und Volksabstimmungen. Die Autoren analysieren die Zulässigkeit dieses Vorgehens. In einem Kapitel werden die im Frühjahr 2020 verschobenen Gemeindewahlen im Kanton Tessin und die verschobene eidgenössische Volksabstimmung sowie die Gründe, die eine Verschiebung rechtfertigen können und die Frage der Verhältnismässigkeit der Entscheide thematisiert.
Übriges Verfassungsrecht
Föderalismus und Corona – Unübersichtlicher Flickenteppich oder geordnetes Mosaik? Bernhard Waldmann, ZBl 10/2021, S. 533 f.
Der Bund und die Konferenz der Kantonsregierungen haben begonnen, ihr Krisenmanagement in der Pandemie zu evaluieren, darunter auch die föderale Aufgabenteilung und die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen. Zur oft gehörten Föderalismuskritik wegen unterschiedlicher Regelungen für den Zutritt zu öffentlichen Spitälern oder für die Maskentragpflicht hält der Autor fest, es handle sich dabei um der Gefahrensituation angepasste «Hausordnungen», die kaum durch ein Ausweichen in andere Kantone umgangen werden können. Hingegen könnten uneinheitliche Regelungen bei Restaurants, Klubs und Grossveranstaltungen unerwünschte Mobilitätseffekte auslösen und die Verbreitung der Pandemie damit beschleunigen.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Affaire M.A. c. Danemark: Délai légal de trois ans pour le regroupement familial jugé disproportionné. Anne-Laurence Graf, Asyl 4/2021, S. 23 f.
Der Beitrag bespricht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in M.A. gegen Dänemark zur Zulässigkeit einer Familiennachzugsfrist von drei Jahren. Eine solche gibt es auch im Schweizer Recht, weswegen die Schweiz im Strassburger Verfahren betreffend Dänemark als Drittpartei interveniert hatte. Der EGMR erkannte in der dreijährigen Wartefrist aber eine Verletzung des Rechts auf Familienleben aus Artikel 8 EMRK, was Auswirkungen auf die Schweizer Praxis haben wird.
Trauma und die Glaubhaftigkeitsprüfung im Asylverfahren. Annina Mullis und Elean Briggen, SKP Info 3/2021, S. 13 f.
Die Kritik der Rechtsanwältin und der Psychotherapeutin an der Glaubhaftigkeitsprüfung im Asylverfahren basiert auf Erfahrungen aus ihrem Berufsalltag. Die beiden Autorinnen bemängeln, Traumatisierungen würden im Asylverfahren in verschiedener Hinsicht nicht genügend Rechnung getragen.
Die Rückstufung im Ausländer- und Integrationsgesetz. Lara Bensegger, Jusletter vom 2.8.2021
Die Autorin widmet sich der neu in das Ausländerrecht aufgenommenen «Rückstufung» und sieht Probleme insbesondere im Zustimmungserfordernis des Staatssekretariats für Migration für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung. Ihr Fazit: Mit einer Differenzierung von zwei Arten von «Rückstufungen» würden sich zahlreiche praktische Probleme lösen lassen. Das Zustimmungserfordernis des Staatssekretariats für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung bei der Rückstufung sei nicht nur problematisch, sondern systemwidrig.
Umweltrecht
Vernehmlassungsvorlage Urek-S zu RPG 2: Drohende Einschränkung des bundesgerichtlichen Rechtsschutzes bei Planungs- und Umweltfragen ausserhalb der Bauzonen. Heinz Aemisegger und Arnold Marti, URP 5/2021, S. 435 ff.
Die Autoren kritisieren die Vorschläge der Kommissionen für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (Urek-S) zur Neuregelung von Bauten ausserhalb der Bauzonen. Die Vorlage strebt eine Rekantonalisierung der erleichterten Ausnahmebewilligungen und die Einführung eines Planungs- und Kompensationsansatzes für die bauliche Entwicklung in bestimmten Gebieten an. Das würde laut Autoren zu einer massiven Schwächung des Rechtsschutzes führen und das Beschwerderecht des Bundesamts für Raumentwicklung und von ideellen Organisationen schwächen.
Hinweise auf relevante Entscheide des Bundesgerichts im Raumplanungs-, Altlasten-, Lärmschutz-, Gewässerschutz- und Waldrecht, mit Anmerkungen verschiedener Autoren. URP 5/2021, S. 449 ff.
Steuerrecht
Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht im Jahr 2020, ein Resümee. Andrea Opel, Successio 3/2021, S. 213 ff.
Die Autorin gibt einen Überblick über die letztjährigen Entwicklungen im Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht. Darüber hinaus analysiert sie die neusten Urteile zum einkommenssteuerlichen Schenkungsbegriff, da sie Reflexwirkungen auf das kantonale Schenkungssteuerrecht zeitigt und insbesondere im Bereich der interkantonalen Doppelbesteuerung von Belang sein dürfte.
Übriges Verwaltungsrecht
Vernehmlassungsvorlage Verordnung zum Bundesgesetz über den Datenschutz. Amédéo Wermelinger, Jusletter vom 22.11.2021
Im Juni hat der Bundesrat die Verordnung zum Datenschutzgesetz in die Vernehmlassung gegeben. Der Autor nimmt dies zum Anlass, die Vernehmlassungsvorlage einer tiefgehenden Analyse zu unterziehen. Er kritisiert am Entwurf diverse Regelungsvorschläge, die insbesondere privaten Verantwortlichen sehr grosse Pflichten auferlegen würden, «die teilweise keine Stütze im formellen Gesetz finden». Das müsste in einer zweiten Runde nachgebessert werden.
Wer ist zuständig für die Konkretisierung des Verhüllungsverbots? Benedict Vischer, Jusletter vom 22.11.2021
Der Autor zeigt auf, dass es sich bei einer Umsetzung des Verhüllungsverbots auf Bundes- statt auf Kantonsebene um einen Verfassungsverstoss handelt.
Behandlungsfristen für Justizbehörden. Nicolas Haldimann, «Justice – Justiz – Giustizia» 3/2021
Das Gericht setzt den Parteien Fristen an – so weit der Regelfall. Doch auch Justizbehörden sind bisweilen an Fristen gebunden. Diese Behandlungsfristen sind ein wenig untersuchter Gegenstand. Der Beitrag gibt einen Überblick über geltende Bestimmungen in verschiedenen Rechtsgebieten.
Sozialversicherungsrecht
AHV, IV, EL und ALV
Verminderung des AHV/IV/EO-Beitragssubstrates als Kollateralschaden der Unternehmenssteuerreformen? Brigitte Pfiffner, SZS 5/2021, S. 252.
Für die Finanzierung der AHV ist zentral, wie die Erwerbstätigkeit definiert wird. Was unter diesen Begriff fällt, unterliegt der Beitragspflicht. Auf der anderen Seite bleiben Erträge, die aus dem Vermögen fliessen, beitragsfrei. Im Grundsatz gelten Dividenden als Vermögensertrag. So vermeidet der findige Gesellschafter AHV-Beiträge, indem er sich wenig Lohn, aber hohe Dividenden ausrichtet. Die Autorin plädiert dafür, dass eine Dividende, die 10 Prozent des in die Gesellschaft eingebrachten Kapitals überschreitet, gleichwohl als beitragspflichtiger Erwerb zu qualifizieren ist.
Privatrecht
Familienrecht
Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen Gericht und Kesb in Kinderbelangen. Esther Miriam Tewlin, Recht 3/2021, S. 144 ff.
Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen Gerichten und der Kesb ist in der Anwaltspraxis immer wieder unklar. Der Aufsatz beinhaltet eine sehr interessante Analyse einer Richterin, die ihre Erkenntnisse in einer übersichtlichen Tabelle zusammenfasst und zugleich Ergänzungen de lege ferenda vorschlägt.
Gedanken zur neuen Praxis des Bundesgerichtes zum Unterhaltsrecht aus der Perspektive des erstinstanzlichen Gerichts. Philipp Maier und Andrea Waldner-Vontobel, Fampra.ch 4/2021, S. 871 ff.
In den letzten Monaten hat das Bundesgericht mehrere Leitentscheide zum Unterhaltsrecht verfasst, die gravierende Auswirkungen auf die konkrete Berechnung von (nach)ehelichem Unterhalt und Kindesunterhalt haben. Die Autoren beleuchten aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts einzelne Punkte und gehen auf die konkreten Auswirkungen in der Praxis ein. Spezifisch angesprochen werden neben einzelnen Bedarfspositionen Fragen der Berechnung von Unterhalt bei alternierender Obhut, der Festsetzung von Überschussanteilen sowie des nachehelichen Unterhalts und Volljährigenunterhalts.
Obligationenrecht
Die Realobligation. Philipp Eberhard, SJZ 21/2021, S. 1003 ff.
Der Autor analysiert die Rechtsfigur der Realobligation systematisch als Rechtsverhältnis, das sowohl schuldrechtliche als auch dingliche Ausprägungen aufweist. Er bietet dabei einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Lehre und Rechtsprechung. In der gesamtheitlichen Darstellung werden die theoretischen Grundlagen diskutiert. Der Autor bietet aber auch Hinweise, die für die praktische Tätigkeit nützlich sind.
Übriges Vertragsrecht
Der Regress im neuen VVG. Ignacio Moreno und Rolf Wendelspiess, Have 3/2021, S. 237 ff.
Am 1. Januar 2022 tritt das revidierte VVG in Kraft. Der Beitrag wirft einen Blick auf das durch die Neuerungen beeinflusste Regressrecht, die Facetten des Deckungsrechts sowie des intertemporalen Rechts.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Hybride Gesellschaften im Verhältnis Schweiz–Deutschland. Thomas Kollruss, Sui generis 2021, S. 305 ff.
Grundsätzlich treten im Staatenverhältnis Schweiz–Deutschland keine hybriden Gesellschaften auf, da die Rechtsformen und die jeweiligen steuerlichen Einordnungsmethoden weitgehend korrespondieren. Vorgeschaltete hybride Gesellschaften mit Betriebsstätte in der Schweiz sind jedoch möglich. Sie können für ausländische Investoren attraktiv sein und steuerliche Vorteile mit sich bringen. Der Beitrag befasst sich mit der Einordnung und Besteuerung hybrider Gesellschaften.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Zivilprozessrecht
The decision of the United Kingdom Supreme Court in Halliburton. Phillip Landolt, Jusletter vom 15.11.2021
Der Beitrag gibt einen Überblick über das englische Recht der Offenlegungspflichten von Schiedsrichtern in Bezug auf potenzielle Quellen von Befangenheit, vergleicht die Situation des englischen mit dem schweizerischen Recht und zeigt auf, an welchen Stellen das Schweizer Recht Verbesserungspotenzial hat.
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Der Wechsel vom Konkursverfahren in ein Nachlassverfahren nach der Konkurseröffnung. Roger Abegg und Kim Nguyen, AJP 10/2021, S. 1242 ff.
Das Nachlassverfahren als Sanierungsinstrument ist laut den Autoren noch zu wenig bekannt. Dies führe zu Konkursen sanierungsfähiger Gesellschaften. Mögliche Lösungen ergeben sich aus der im neuen Sanierungsrecht verankerten wirtschaftlichen Betrachtungsweise des SchKG.
Europarecht
Überschätzter autonomer Nachvollzug? Die Pläne des Bundesrats zur Stabilisierung der Beziehungen zur EU. Simon Hirsbrunner, Jusletter vom 22.11.2021
Nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU hat der Bundesrat das EJPD beauftragt, zu prüfen, wie das bilaterale Verhältnis mit autonomen Anpassungen im nationalen Recht stabilisiert werden könnte. Demnächst sollen die Departemente dem Bundesrat Bericht erstatten. Der Autor untersucht, wie diese ungewöhnliche Vorgehensweise von der EU wahrgenommen werden könnte. Ein Fazit: «Der Bundesrat täte gut daran, sich darüber klar zu werden, ob eine allfällige einseitige Geste des guten Willens sich auszahlt und deren Wirkung nicht einfach verpuffen wird.»
Das Urteil des EGMR i.S. GRA c. Schweiz. Marcel Niggli und Markus Husmann, Jusletter vom 1.11.2021
Gemäss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verletzte das Bundesgericht die Meinungsäusserungsfreiheit der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, als es der Stiftung verbot, eine Rede des Präsidenten der Jungen SVP Thurgau im Kontext der Debatte um die Anti-Minarett-Initiative als «verbalen Rassismus» einzustufen. Die Autoren analysieren das Urteil und kommen zum Schluss, dieser Leitentscheid stärke die «gerade im Bereich der Internetpublikationen» zunehmend bedrängte Meinungsäusserungsfreiheit.
Erfindet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte neue Menschenrechte? Ludwig Minelli, Sgemko.ch, Nr. 160.
Der Autor geht der Frage nach, warum der EGMR in der Schweiz immer wieder in der Kritik steht. Er kommt zum Schluss, dass diese Kritik nicht nachvollziehbar sei.
Völkerrecht
Menschenrechte
Chinas neue Weltordnung und alte Debatten zum politischen Wesen der Menschenrechte. Eva Pils und Ralph Weber, EuZ 5/2021, S. 182 ff.
Die USA und die Volksrepublik China stehen in einem «Handelskrieg» und versuchen, verstärkt Alliierte um sich zu scharen. Im europäischen Raum tun sich aber viele Akteure mit einer Positionierung schwer. Laut den Autoren ist es im Zusammenhang mit Begriff und Wesen der Menschenrechte angezeigt, rechtsphilosophische und politiktheoretische Gesichtspunkte aufzugreifen.