Verfassungsrecht
Grundrechte
Der Hausarrest als polizeiliche Massnahme zur Terrorismusbekämpfung aus kinderrechtlicher Sicht. Vivien Altwegg, Cognitio 2/2021
Trotz Kritik auf nationaler und internationaler Ebene und gegen den Widerstand des Referendumskomitees wurde das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus von der Stimmbevölkerung im Juni 2021 angenommen. Kerninhalt sind die neuen polizeilichen Massnahmen, die gegen sogenannte terroristische Gefährder angeordnet werden können – auch minderjährige. Dies hat zahlreiche menschen- und kinderrechtliche Bedenken hervorgerufen. Nun stellt sich die Frage, wie das Gesetz in der Praxis völkerrechtskonform umgesetzt werden kann. Der Beitrag prüft den Hausarrest als einschneidende Massnahme auf seine Vereinbarkeit mit den kinderrechtlichen Garantien im Freiheitsentzug und schlägt Interpretations- und Revisionsansätze vor, die für eine kinderrechtskonforme Anwendung in der Praxis berücksichtigt werden müssen.
Covid-19-Impfpflicht für Personal mit Gefangenenkontakt? Thomas Noll, Valerie Profes, Aurélien Martinez, Nina Schnyder, Brigitte Tag, Jusletter vom 7.3.2022
Unter den Inhaftierten in Gefängnissen finden sich überdurchschnittlich viele vulnerable Personen. Dennoch besteht für Personal, das Kontakt mit Gefängnisinsassen hat, keine Covid-Impfpflicht. Anstelle davon werden Massnahmen ergriffen, welche dem Vollzugsziel der Wiedereingliederung entgegenwirken. Die Autoren erörtern, ob eine Impfpflicht für Gefängnispersonal, mit der die einschränkenden Massnahmen zumindest teilweise aufgehoben werden könnten, aus juristischer Sicht vertretbar wäre.
Übriges Verfassungsrecht
Laute(r) Verfassungsfreunde. Stefan G. Schmid, ZBl 2/2022, S. 57 f.
In seinem kurzen und unterhaltsamen Essay schlägt der Autor den Bogen von Verfassungsfeiertagen im Ausland (Frankreich und USA) zur Schweiz, genauer zur vermeintlich wiederentdeckten Verfassungsliebe im Zug der Pandemie, zum Beispiel der «Freunde der Verfassung». Allerdings sei die Bundesverfassung in der Tat arg strapaziert worden. Gegensteuer könnte auch in der Schweiz mit einem feierlichen Hochleben der Verfassung gegeben werden – wie es in Amerika zum Beispiel mit dem «Constitution Day» getan wird.
Das Verfassungsgefüge im Stresstest der Pandemie – Über Defizite im rechtsstaatlich-demokratischen Schutzdispositiv (ausgehend von den Beispielen Notrecht und Covid-Zertifikat). Giovanni Biaggini, ZBl 2/2022, S. 59 ff.
Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, wie sich die verfassungsrechtlichen Ausgleichsmechanismen während der Pandemie bewährten. Fazit des Autors: Das Verfassungsgefüge sei zwar nicht «aus den Fugen» geraten. Eine Reihe von Schwachstellen sei im verfassungsrechtlichen Schutzdispositiv aber durchaus zutage getreten. Handlungsbedarf bestehe auf der Ebene der Massnahmen (insbesondere bei der gesetzlichen Abstützung der Zertifikatspflicht) wie auf der Ebene des Schutzdispositivs (Begründungspflicht bei bundesrätlichen Verordnungen). Sorge bereitet dem Autor, dass im Verlauf der Pandemie verfassungsrechtliche Grenzen geritzt oder überschritten worden und methodische Standards unter Druck geraten seien. «Man beruft sich auf die Verfassung, wenn sie nützt, und schiebt sie weg, wenn sie stört und der erwünschten Lösung im Weg steht», bilanziert er. Eine Lehre aus der Pandemie sollte deshalb sein, dass das Verfassungsbewusstsein geschärft und gestärkt werden muss, nicht zuletzt bei den politischen Akteuren.
Verwaltungsrecht
Baurecht
Gestaltungsplanung im Kanton Aargau. Michael Pletscher, Zeitschrift für Baurecht und Vergabewesen, 1/2022, S. 12 ff.
Die raumplanerische Grundordnung schafft nicht immer und überall die besten Voraussetzungen für eine optimale Nutzung des Raums. Ein Gestaltungsplan kann hier weiterhelfen, weil in diversen Fragen von der Grundordnung abgewichen werden kann. Der Autor legt die Voraussetzungen und Grenzen dar, die im Kanton Aargau bei der Gestaltungsplanung durch die Gemeinden zu beachten sind.
Umweltrecht
URP 6/2021, S. 576 ff.
Übersicht über wichtige Entscheide des Bundesgerichts und der Verwaltungsgerichte Aargau und Zürich zu umweltrelevanten Themen, zum Beispiel illegale Bauten ausserhalb der Bauzone, lärmschutzrechtliche Sanierung einer Schiessanlage, Bauvorhaben in lärmbelasteten Gebieten oder Gewässerschutz.
Eingriffe in schutzwürdige Lebensräume – rechtliche Grundlagen, Bewertungsmethode und Rechtsprechung. Schriftliche Beiträge der Tagung vom 16. Juni 2021, URP 7/2021, S. 667 ff.
Sozialversicherungsrecht
AHV, IV, EL und ALV
Weiterentwicklung der IV. Anne-Sylvie Dupont, SZS 1/2022, S. 3 ff.
Die Autorin bewertet die wesentlichen Änderungen der siebten IV-Revision, die auf Anfang 2022 in Kraft traten. Die neuen Massnahmen für Jugendliche mit psychischer Beeinträchtigung sind sinnvoll: Die IV-Stelle soll in den prekären Übergangsphasen, wo Jugendliche in die berufliche Ausbildung oder ins Erwerbsleben eintreten, stärker unterstützen. Andererseits ist mit der Unterstellung der Kinder mit Geburtsgebrechen unter die Grundsätze der Krankenversicherung klar ein Abbau der Leistungen zu erwarten. Und die Neuerungen in der Begutachtungspraxis werden nichts daran ändern, dass die Versicherungen auch in Zukunft am längeren Hebel sitzen.
KVG und UVG
Die Behandlung von Gehirnerschütterungen in der Unfallversicherung – ein Rätsel, das gelöst werden muss. Yvan Henzer, Alexandra Veuthey, Have 4/2021, S. 386 ff.
Der vorliegende Beitrag analysiert die Rechtsprechung zur Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs bei Leistungen der Unfallversicherung (UVG) infolge von Gehirnerschütterungen. Nach kritischer Analyse eines dazu ergangenen Urteils des Bundesgerichts kommen die Autoren zum Schluss, dass sich diese Rechtsprechung auf unangemessene und veraltete Fundamente stützt, und formulieren Verbesserungsvorschläge.
Übriges Sozialversicherungsrecht
Der betriebliche Gesundheitsschutz in Pandemiezeiten. Alfred Blesi, Olivia Biehal, ARV 4/2021, S. 327 ff.
Arbeitgeber müssen die Gesundheit der Angestellten am Arbeitsplatz schützen. Dies gebietet die Fürsorgepflicht nach Artikel 328 OR. Bei der Wahl der entsprechenden Massnahmen haben sie auch den Persönlichkeitsschutz der Angestellten zu berücksichtigen. Der Schutz beider Güter muss gegeneinander abgewogen werden. Der Beitrag zeigt auf, welche Aspekte bei Massnahmen wie Maskentragpflicht, Verordnung von Homeoffice oder der Impfung ins Gewicht fallen.
Strafrecht
Allgemeiner Teil
Psychotherapie nach Massnahmenrecht. Stefan Schmalbach, Matthias Stürm, AJP 2/2022, S. 152 ff.
Die Autoren zeigen unter anderem auf, was moderne Psychotherapie nach Massnahmenrecht ist, was sie braucht sowie was sie letzten Endes leisten sollte und kann und welche juristischen, institutionellen und fachlichen Voraussetzungen sie dazu benötigt.
Privatrecht
Familienrecht
Formalizing Family: Stiefkindadoptionen durch Regenbogenfamilien aus praktischer und rechtstheoretischer Sicht. Janina Schneider, Luca Maranta, Fampra.ch 1/2022, S. 38 ff.
Der Beitrag befasst sich mit der Frage, wie die im Zeitpunkt der Zeugung bereits geplante gemeinsame Elternschaft von Regenbogenfamilien rechtlich hergestellt werden kann. Um das Kindesverhältnis zum Co-Elternteil (das heisst zum zunächst «nur» sozialen Elternteil) zu begründen, ist de lege lata sowie teilweise auch nach Inkrafttreten der «Ehe für alle» eine Stiefkindadoption erforderlich. Der Beitrag zeigt gestützt auf Interviews mit Beteiligten und Experten auf, wie das entsprechende Verfahren im Kanton Zürich praktisch verläuft und mit welchen Schwierigkeiten sich die Beteiligten konfrontiert sehen.
Gedanken zur neuen Praxis des Bundesgerichtes zum Unterhaltsrecht aus der Perspektive des erstinstanzlichen Gerichts. Philipp Maier, Andrea Waldner-Vontobel, Fampra.ch 4/2021, S. 871 ff.
In den vergangenen Monaten hat das Bundesgericht mehrere Leitentscheide zum Unterhaltsrecht verfasst, die gravierende Auswirkungen auf die konkrete Berechnung von (nach)ehelichem Unterhalt und Kinderunterhalt haben. Die Autoren beleuchten aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts einzelne Punkte und gehen auf die konkreten Probleme ein.
Arbeitsrecht
Zwingende Arbeitgeberpflichten bei Einrichtung von Homeoffice. Luca Cirigliano, Nic Frei, Jusletter vom 7.3.2022
Die Autoren richten den Fokus auf die Einrichtung eines ergonomischen Arbeitsplatzes im Heimbüro. Zudem beantworten sie Fragen zur Kostentragung und zur Rolle von Homeoffice als Gesundheitsmassnahme in einer Pandemie.
Übriges Vertragsrecht
Das direkte Forderungsrecht im revidierten VVG – ein praxistaugliches Instrument?
Benjamin Schumacher, Patrick Dummermuth, Lukas Bubb, Have, 4/2021, S. 355 ff.
Anfang Jahr trat das teilrevidierte VVG in Kraft. Das in Spezialgesetzen teilweise vorgesehene direkte Forderungsrecht wird stark ausgeweitet. Neu besteht für geschädigte Personen von Gesetzes wegen ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherer der schädigenden Person, und zwar sowohl bei obligatorischen als auch bei freiwilligen Haftpflichtversicherungen. Es bestehen allerdings gewichtige Unterschiede, zumal ein Einredeausschluss und ein Auskunftsanspruch nur in Bezug auf obligatorische Haftpflichtversicherungen vorgesehen sind. Die Autoren geben einen Überblick über die Neuerungen und beleuchten verschiedene Fragen, die sich zukünftig stellen dürften.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Schafft das neue Aktienrecht die Sachübernahmevorschriften wirklich ab?
Markus Vischer, SJZ 4/2022, S. 172 ff.
Das neue Aktienrecht von 2020, welches voraussichtlich im Jahr 2023 in Kraft treten wird, schafft die Sachübernahmevorschriften formell ab. Der Autor geht der Frage nach, ob diese Vorschriften vollständig abgeschafft werden oder ob sie aufgrund allgemeiner Bestimmungen materiell ganz oder teilweise weiterexistieren.
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Wettbewerbsabreden über technische Standards. Fabio Babey, Patrick L. Krauskopf, AJP 2/2022, S. 100 ff.
Wettbewerbsabreden zwischen verschiedenen Unternehmen über technische Standards sind grundsätzlich keine Neuerscheinung in der Wirtschaft. Die Kartellabsprachen von Daimler, VW und BMW im Bereich der Stickoxidreinigung haben der Thematik rund um Wettbewerbsabreden eine aktuelle Brisanz verschafft. Die beiden Autoren nehmen in ihrem Beitrag die bisher fehlende kartellrechtliche Einordnung solcher «Tech-Standard-Abreden» vor.
Wirtschaftsverwaltungsrecht
Die Kontosperre: Eine Auslegeordnung. Michael Daphinoff, Fortesa Berisha, SJZ 2/2021, S. 71 ff.
Die Anordnung einer Kontosperre ist ein beliebtes und häufig genutztes Instrument, um Vermögenswerte zu sichern. Oft hat die betroffene Person anfänglich keine Kenntnis von der Kontosperre oder reagiert zu spät, wenn sie darüber orientiert wird. Die Autoren machen eine Auslegeordnung, wobei sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung aufzeigen, wie die mit einer Kontosperre verbundenen Nachteile korrigiert werden und welche Möglichkeiten bestehen, um sich gegen eine Kontosperre zu wehren.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Strafprozessrecht
Straftäter länger und besser verfolgen. Daniel Jositsch, Richard Lötscher, Jusletter vom 28.2.2022
Die in der vergangenen Wintersession diskutierte «Verstärkung» der Strafverfolgung nehmen die Autoren zum Anlass, über die besprochenen Geschäfte zu orientieren. Die Autoren widmen sich der besprochenen Phänotypisierung im DNA-Profil-Gesetz sowie der Abschaffung der Verjährung bei Schwerstverbrechen und nehmen die ebenfalls zur Sprache gebrachte Strafrahmenharmonisierung unter die Lupe.
Europarecht
Ökologische öffentliche Beschaffung – Möglichkeiten und Grenzen nach der Totalrevision des BöB und der IVöB unter Berücksichtigung des EU-Beschaffungsrechts. Matthias Hauser, Réka Piskóty, URP 8/2021, S. 777 ff.
Die EU ist der Schweiz in Bezug auf den rechtlichen Rahmen für eine nachhaltige Beschaffung Jahre voraus. Das EU-Vergaberecht enthält detaillierte Regelungen über Zertifikate, Labels, Lebenszykluskosten, Ausführungsbedingungen und über den erforderlichen sachlichen Bezug von Vergabekriterien zum Beschaffungsgegenstand. Der auf einem Rechtsgutachten zuhanden des Bundesamts für Umwelt basierende Beitrag fasst die Möglichkeiten zur Verfolgung von ökologischen Zielen bei der öffentlichen Beschaffung in der Schweiz zusammen und zeigt die entsprechenden Grenzen auf.
Rechtstheorie, Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte
Wer trägt die Verantwortung für die Qualität der Gesetze? Martin Lendi, SJZ 5/2022, S. 219 ff.
Die Qualität erlassener Gesetze wird immer wieder gerügt – häufig mangels kritischem Blick auf den Regelungsbedarf oder wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit. Der Autor geht der Frage nach, wer eigentlich verantwortlich für die Qualität der Erlasse ist, und sieht besondere Mitverantwortung bei Rechtsgelehrten und Politikberatern. Er ist der Meinung, dass mangelhafte Verfassungsbestimmungen, Gesetze und Verordnungen nicht verabschiedet werden dürfen – sie seien in der Zeit wachsender Regulierungen problematisch.