Felix Uhlmann, darf staatliches Recht auf private Normen verweisen?
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Plädoyer 01/2015
02.02.2015
Felix Uhlmann
Nur eingeschränkt. Das staatliche Recht darf auf eine bestimmte Fassung privater Normen verweisen (statischer Verweis), wenn die privaten Normen angemessen zugänglich sind. Will der Gesetzgeber auf die jeweils gültige Fassung privater Normen verweisen (dynamischer Verweis), dürfen die privaten Normen nur Abbild der Verwaltungspraxis sein, also keine eigentlichen Rechte und Pflichten begründen. Eine dynamische Verweisung stellt eine Rechtsetzungsdelegation dar.
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Nur eingeschränkt. Das staatliche Recht darf auf eine bestimmte Fassung privater Normen verweisen (statischer Verweis), wenn die privaten Normen angemessen zugänglich sind. Will der Gesetzgeber auf die jeweils gültige Fassung privater Normen verweisen (dynamischer Verweis), dürfen die privaten Normen nur Abbild der Verwaltungspraxis sein, also keine eigentlichen Rechte und Pflichten begründen. Eine dynamische Verweisung stellt eine Rechtsetzungsdelegation dar.
Das Verhältnis zwischen privaten Normen und staatlichem Recht hat in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lange kaum eine Rolle gespielt. In BGE 136 I 316 ff. hat das Bundesgericht wichtige Klärungen vorgenommen. In der Sache ging es um den Bau zweier neuer Wohnhäuser in Zermatt. Die Gemeinde stellte dem Hauseigentümer Kosten für Wasseranschluss und Kanalisation in Rechnung. Dabei stützte sie sich auf die Gebührenordnung der Einwohnergemeinde. Diese hielt fest, dass sich die entsprechenden Gebühren nach dem «Kubikmeter-Inhalt des umbauten Raumes nach SIA berechne».
Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) hat das Regelwerk Norm 116 im Jahre 2003 durch dasjenige der Norm 416 ersetzt. Beim neueren Regelwerk war der Kubikmeter-Inhalt im Schnitt 10 Prozent geringer als bei der älteren SIA-Norm. Dies hatte unmittelbar Auswirkungen auf die Gebühren der Gemeinde Zermatt, die – je nach Anwendung der unterschiedlichen SIA-Normen – ebenfalls um 10 Prozent differierten. Zwischen den Parteien war streitig, ob die ältere oder die neuere SIA-Norm zur Anwendung kommt.
Das Bundesgericht ging von einem dynamischen Verweis aus. Dieser ist nach Meinung des Bundesgerichts nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig: «Da dem Gesetzgeber entsprechend dem Legalitätsprinzip und der Gewaltenteilung die Aufgabe obliegt, die wichtigen Normen selber zu erlassen, können nur weniger wichtige Normen an Private delegiert werden; es bedarf dazu allerdings einer verfassungsrechtlichen Delegationskompetenz, die unter anderem Private als Rechtsetzungssubjekte und den notwendigen gesetzlichen Übertragungsakt (formelles Gesetz) bezeichnet. Sind Normen so unwichtig, dass sie Gegenstand einer Vollziehungsverordnung sein könnten (zum Beispiel rein technische Normen), handelt es sich funktional um Verwaltung; in diesem Fall werden Verwaltungsaufgaben an Private (für den Bund siehe Artikel 178 Absatz 3 Bundesverfassung) übertragen.»
Somit ist ein Verweis auf private Normen nur für «Vollziehungsnormen» möglich, da eine eigentliche Rechtsetzungsdelegation an Private in der Regel verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Ähnliche Überlegungen hat das Bundesgericht hinsichtlich des Kotierungsreglements einer Börse angestellt – und dieses für Dritte als nicht verbindlich erklärt (BGE 137 III 37 ff.).
Weniger heikel sind statische Verweise auf private Normen. Rechtsetzungstechnisch hat dies den Nachteil, dass die staatliche Norm immer nachgeführt werden muss, wenn eine neue (bessere) private Norm anwendbar erklärt werden soll. Die privaten Normen müssen auch in angemessener Form zugänglich sein. Mit dem Verweis darf nicht das Gebot der Publikation staatlichen Rechts umgangen werden.
Felix Uhlmann
Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Rechtsetzungslehre an der
Universität Zürich