Ein Donnerstagvormittag im Mai: Im Konferenzsaal des Hotels Kreuz in Bern sitzen zehn Leute in U-Form angeordnet. Sieben von ihnen sind Mitglieder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), dazu kommen die drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sekretariats.
Die Runde diskutiert über einen gut zweiminütigen «Tagesschau»-Beitrag vom Oktober 2023. In diesem ging es um die Fifa-Affäre und die Einstellung der Strafverfahren gegen Ex-Bundesanwalt Michael Lauber, Fifa-Präsident Gianni Infantino und andere Beschuldigte.
Im «Tagesschau»-Beitrag hatten sich zwei Experten kritisch zum Einstellungsbeschluss der beiden ausserordentlichen Bundesanwälte Hans Maurer und Ulrich Weder geäussert. Thomas Kistner, ein Journalist der «Süddeutschen Zeitung», der verschiedentlich über die Fifa berichtete, sprach von «fürsorglichem Funktionärsschutz», der in der Schweizer Justiz «immer wieder praktiziert» werde.
Die ausserordentlichen Bundesanwälte gelangten an die Ombudsstelle der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG). Sie kritisierten unter anderem, dass sie von der «Tagesschau»-Redaktion mit der Kritik nicht konfrontiert worden seien.
Die Ombudsstelle teilte diesen Standpunkt und stellte eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots des Radio- und Fernsehgesetzes fest. Die Ombudsstelle kann aber nur unverbindliche Einschätzungen geben. Die ausserordentlichen Bundesanwälte gelangten deshalb auch noch an die UBI.
Bei dieser handelt es sich um eine ausserparlamentarische Kommission. Sie existiert seit 1984 und ist administrativ dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation angegliedert. Sie behandelt vor allem Beschwerden über SRG-Beiträge gemäss dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG). 2023 beriet die UBI laut Jahresbericht 23 Fälle und fasste 35 Beschlüsse.
Ihr vorgelagert sind acht Ombudsstellen, gegliedert nach Sprachregionen. Nicht alle sind für die SRG zuständig. Die Ombudsstellen behandelten im letzten Jahr 713 Beanstandungen. Nur 5 Prozent der Fälle mündeten in eine Beschwerde an die UBI.
Die UBI behandelt die Fälle ähnlich wie ein Gericht: Ihre neun nebenamtlich tätigen Mitglieder beraten öffentlich über die Beschwerden. Im Anschluss ergeht ein Feststellungsentscheid. Dieser kann mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht weitergezogen werden.
Eine Statistik über die Anzahl Weiterzüge und über das Obsiegen und Unterliegen vor Bundesgericht führe die UBI nicht, sagt Sekretariatsleiter Pierre Rieder. Nur wenige Entscheide würden angefochten, so Rieder. Und in den letzten Jahren sei die Erfolgsquote der SRG höher gewesen als jene der Beschwerdeführer, die an die UBI gelangt waren.
Beschwerde mit 4 zu 3 Stimmen gutgeheissen
An der Sitzung im Mai, an welcher der Fifa-Fall verhandelt wird, legen die einzelnen Mitglieder ein sehr unterschiedliches Medienverständnis an den Tag. So sagt etwa der Solothurner Rechtsanwalt Philipp Eng, der seit diesem Frühling neu der UBI angehört, dass man sich über das Funktionieren der Schweizer Justiz «glücklich schätzen» könne. Durch Berichte wie jenen der «Tagesschau» zur Fifa-Affäre könne die «Glaubwürdigkeit des Strafverfolgungsapparats Schaden nehmen».
Catherine Müller, Rechtsanwältin und Mediatorin, ebenfalls aus Solothurn, widerspricht: «Demokratiepolitisch ist es wichtig, dass auch an der Justiz Kritik geübt werden kann.» Zuvor hatte auch der leitende, aber nicht stimmberechtigte Sekretär Pierre Rieder seine Einschätzung abgegeben und anderen UBI-Mitgliedern widersprochen, die bemängelten, dass die im «Tagesschau»-Bericht nicht namentlich genannten ausserordentlichen Bundesanwälte keine Stellung zur Kritik nehmen konnten: «Es wäre ein gefährliches Präjudiz, wenn man zum Schluss kommt, dass einer Behörde immer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss, wenn bestimmte, zuvor korrekt dargestellte Akte von ihr kritisiert werden.» Rieders Votum half nichts. Die UBI hiess die Beschwerde der ausserordentlichen Bundesanwälte mit vier zu drei Stimmen gut und sah im «Tagesschau»-Bericht das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss Artikel 4 RTVG verletzt.
Das Gremium war an diesem Vormittag nicht vollständig. Die Freiburger Juristin Delphine Gendre fehlte krankheitsbedingt. Und Präsidentin Mascha Santschi Kallay trat in den Ausstand. Sie führt mit dem ehemaligen NZZ-Gerichtsberichterstatter Markus Felber eine Firma für Justizkommunikation. Und Felber beriet in der Fifa-Affäre Stefan Keller, der als ausserordentlicher Bundesanwalt einst in der Fifa-Affäre ermittelt hatte – ehe er vom Bundesstrafgericht auf Antrag von Fifa-Präsident Gianni Infantino in den Ausstand versetzt wurde.
Die Kommission schlägt ihre Mitglieder selbst vor
Die Mitglieder der UBI werden gemäss Radio- und Fernsehgesetz vom Bundesrat gewählt. Er hat dabei laut Verordnung für eine «angemessene Vertretung beider Geschlechter und der verschiedenen Sprachregionen» in der Kommission zu sorgen.
Vorgeschlagen werden die Kandidatinnen und Kandidaten in der Regel von der UBI selbst. Vorschläge seien aber auch schon abgelehnt worden, sagt der leitende Sekretär Pierre Rieder. Das ideale Profil haben ihm zufolge «Leute mit juristischem Hintergrund und medialer Erfahrung».
Aktuell haben von den neun UBI-Mitgliedern (vier Frauen und fünf Männer) alle einen juristischen Hintergrund, sechs verfügen über das Anwaltspatent. Im journalistischen Tagesgeschäft dagegen arbeitet aktuell niemand. Die Präsidentin Mascha Santschi Kallay ist Rechtsanwältin und Kommunikationsberaterin. Ein Mitglied ist freie Autorin, eines Studienleiter am Institut für Journalismus und Kommunikation, eines Mitglied der Geschäftsleitung einer Kommunikationsagentur, ein anderes Co-Geschäftsführer einer Social-Media-Agentur.
Das UBI-Budget betrug in den vergangenen Jahren rund 800'000 Franken. Ein gewöhnliches Mitglied erhält rund 18'000 Franken Aufwandsentschädigung pro Jahr. Die Präsidentin verdient für ein 30-Prozent-Pensum rund 60'000 Franken. Die UBI hält in der Regel sieben ganztägige Sitzungen pro Jahr ab.