Staatliche oder internationale Organisationen brauchen zur Entfaltung ihrer Aktivitäten rechtliche Grundlagen. Die Prävention von Folter ist eine Aktivität, die sich im Herzen der polizeilichen und strafrechtlichen Institutionen des Staats entwickelt. Sie zielt darauf ab, den Einsatz von Gewalt durch Organe der Strafverfolgung und des Freiheitsentzugs zu zivilisieren, ihn auf rechtliche und beschwerdefähige Grundlagen zu stellen und die Einhaltung regelmässig zu überprüfen. Die Covid-19-Pandemie hat wie kaum ein Ereignis der letzten zwanzig Jahre einen Einbruch im Alltag des Freiheitsentzugs dargestellt. Dessen Tragweite kann noch kaum abgeschätzt werden.
Organisationen der Folterprävention überwachen heute nicht mehr nur Gefängnisse, sondern auch Ausschaffungs- und Migrationszentren, Ausschaffungsflüge, Jugendheime, Einrichtungen der Geriatrie und der Psychiatrie. Ihr Mandat betrifft nicht nur die Beobachtung des Lebens in den verschiedensten Anstalten, sondern umfasst auch die Beurteilung der rechtlichen Grundlagen des Einschliessens, die Ausbildung von Personal in Folterprävention oder die Verbreitung von Information zum Thema. Ein Beitrag wie der vorliegende reiht sich ein in Sensibilisierungsaktivitäten in Sachen Folterprävention.1
1. Konventionen und Organisationen
Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe – im Allgemeinen wird die Abkürzung in englischer Sprache verwendet: Optional Protocol to the Convention Against Torture (Opcat) – hat zum Ziel, weltweit den Schutz von Insassen vor Folter zu verbessern sowie Misshandlungen und unmenschliche Lebensbedingungen in Einrichtungen des Freiheitsentzugs zu verhindern. Es wurde 2002 angenommen und trat 2006 in Kraft. Die Schweiz hat das Fakultativprotokoll 2004 unterzeichnet und 2009 ratifiziert. Es wurde 2020 von 93 Mitgliedstaaten ratifiziert. Weitere Staaten bereiten den Beitritt vor, sodass es bald von 100 Mitgliedstaaten anerkannt sein dürfte.
Das Fakultativprotokoll verdankt seine Existenz der langen Erfahrung von Schweizer Delegierten im Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dem die Aufgabe übertragen wurde, Gefangene in Kriegs- und Konfliktsituationen zu schützen und zu unterstützen. Mit dem Ziel, diese Aufgabe zu verallgemeinern – nämlich Besuche von Einrichtungen des Freiheitsentzugs auch in Friedenszeiten durchzuführen –, wurde Anfang der 1980er-Jahre das Schweizerische Komitee gegen die Folter gegründet. Dieses ergriff die Initiative, eine Ergänzung zum Übereinkommen gegen Folter (Convention against Torture, kurz CAT) vorzuschlagen. In diesem wurde eine praktische Besuchsaktivität in allen Orten vorgesehen, in denen Personen die Freiheit entzogen wurde. Die Schweiz war in der Folge hauptsächlicher Förderer dieses Projektes.2
Das Ziel des Fakultativprotokolls (Opcat) ist präventiv und systemisch angelegt, ausgerichtet auf eine neuartige und proaktive Vorgehensweise in der Prävention von Folter und unmenschlicher Behandlung. Zu diesem Zweck wurde ein Komitee mit 25 Experten gebildet (Unterausschuss für die Verhütung von Folter, SPT), die sich aus den Mitgliedstaaten rekrutieren und von einem Sekretariat in Genf unterstützt werden. Aufgrund eines ausgeschriebenen Auswahlverfahrens des Eidgenössischen Departements für Äussere Angelegenheiten (EDA) wurde der Schreibende Kandidat für eine Mitgliedschaft im UN- Unterausschuss für die Verhütung von Folter und im Juni 2018 aufgenommen. Er wurde 2019 Chef des Regionalteams Europa.
Eine der bedeutsamsten Innovationen, die mittels des Opcat eingeführt wurden, bestand in der Auflage an die Mitgliedstaaten, einen Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) zu bezeichnen oder zu gründen. Diesem ist ein unabhängiger Status zu gewähren. Er ist zudem mit Kompetenzen sowie mit finanziellen und personellen Ressourcen so zu versehen, dass er seine Funktion ausüben kann (Art. 17–20 Opcat). Das Mandat des NPM umfasst Besuche aller Orte, an denen sich Personen befinden oder aufhalten könnten, denen die Freiheit entzogen wurde, um sie vor Misshandlung oder erniedrigenden Lebensbedingungen zu schützen. Das NPM soll ebenfalls alle Gesetzesvorhaben, die den Bereich betreffen, auf den Aspekt der Verhütung von Folter beurteilen, Kampagnen und Ausbildungen durchführen und thematische Dokumentationen publizieren. Das SPT unterstützt diese nationalen Organisationen.
Die Schweiz hat das Bundesgesetz über die Kommission zur Verhütung von Folter 2009 angenommen. Die behördenunabhängige Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) selbst wurde im Jahr darauf gegründet.3 Jean-Pierre Restellini, früherer Chef des medizinischen Dienstes des Gefängnisses Champ-Dollon, langjähriges Mitglied des Europäischen Komitees für die Verhütung von Folter, wurde dessen erster Präsident, Alberto Achermann ihr zweiter. Regula Mader nimmt seit 2019 die dritte Präsidentschaft wahr. Die NKVF besteht aus zwölf Mitgliedern und kann externe Experten beiziehen. Die Geschäftsstelle zählte 2020 sechs Personen für vier Vollzeitstellen.
Im Rahmen der Uno bestehen weitere Konventionen zur Prävention von Folter. Zuerst ist hier das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT) zu nennen. Es wurde 1984 angenommen und trat 1987 in Kraft. Die Schweiz hat das CAT 1986 ratifiziert, aber immer noch nicht alle Aufgaben umgesetzt, die einem Mitgliedstaat übertragen sind, nämlich die Aufnahme eines Straftatbestandes zur Folter im Strafgesetzbuch. Das CAT-Expertenkomitee besteht aus zehn Mitgliedern. Es beurteilt alle vier Jahre die periodischen Berichte, die von den Mitgliedstaaten zur Führung eines «konstruktiven, effizienten und respektvollen Dialogs» vorgelegt werden müssen. Die Schweiz tritt in den achten Überprüfungszyklus ihrer Berichte zur Folterprävention. Er wurde 2019 vorgelegt, dessen Prüfung aufgrund der Covid-19-Pandemie indessen auf frühestens 2021 verschoben.
Zwischen der Annahme des Übereinkommens gegen Folter (CAT) und dessen Inkraftsetzung entschied die Generalversammlung der Uno 1985, einen Spezialberichterstatter zu ernennen, der sich jeder Frage im Zusammenhang mit Folter annehmen kann. Sein Mandat wurde regelmässig erneuert, das letzte Mal 2017. Seit 2016 wird es von einem ehemaligen IKRK-Delegierten ausgeübt, dem Schweizer Nils Melzer. Der Spezialberichterstatter kann seine Aufgabe in allen Ländern wahrnehmen, unabhängig davon, ob sie das Übereinkommen gegen Folter (CAT) ratifiziert haben oder nicht. Er kann vorstellig werden zugunsten von Individuen, die aussagen, Opfer von Folter geworden zu sein. Er kann auch Staaten besuchen, um das Vorkommen von Folter und Misshandlung aufzuklären und Massnahmen dagegen einzuverlangen. Er legt regelmässig vor den Vereinten Nationen Bericht ab.
Weitere internationale Übereinkommen verbieten Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Schweiz ist allen diesen Konventionen beigetreten. Neben dem Opcat existiert im Rahmen des Europarates seit 1987 das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe. Dessen ausführendes Organ ist der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter. Dieser prüft durch Besuche die «Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, um erforderlichenfalls den Schutz dieser Personen vor Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe zu verstärken.» Die Zahl der Mitglieder entspricht derjenigen der Vertragsstaaten, d.h. im Jahr 2020 47 Mitgliedern. Diese sind unabhängig und unparteiisch in der Ausübung ihres Mandats. Der Ausschuss verfügt über ein Sekretariat mit über 20 Fachleuten in Strassburg, am Sitz des Europarats.4 Die Schweiz trat dem Übereinkommen 1987 bei und ratifizierte es 1988.
Weitere Organisationen, deren Mandat ebenfalls den Freiheitsentzug betrifft, werden in speziellen Situationen aktiv. Das IKRK, dessen Mandat in den Genfer Konventionen definiert ist, hat die Aufgabe, Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, in Zeiten konventioneller Kriege, in Bürgerkriegen oder, zunehmend, in internen Konflikten und Wirren, Schutz und Hilfe zukommen zu lassen. Heute ist das IKRK in den Gefängnissen von nahezu hundert Ländern aktiv.5
Weiter bestehen Nichtregierungsorganisationen wie die Association pour la prévention de la torture (APT) mit Sitz in Genf, die komplementäre Aufgaben zu den internationalen Organisationen wie dem SPT und CPT wahrnehmen. Die APT ging aus der Gründerorganisation des Opcat hervor. Sie mobilisiert Staaten und die Zivilgesellschaft für die Folterprävention, unterstützt verschiedene Partnerorganisationen – insbesondere die nationalen Präventionsmechanismen – auf dem Terrain und trägt zum Schutz der Rechte von Personen im Freiheitsentzug bei. Die Organisation mondiale contre la torture (OMCT) hat ihren Sitz ebenfalls in Genf. Sie ist ein Zusammenschluss von rund 300 Organisationen, die zusammen gegen Folter, willkürliche Inhaftierungen, aussergerichtliche Hinrichtungen und gewaltsame Entführungen einstehen. Sie ist aktiv, indem sie dringende Appelle zu Einzelfällen erlässt, um auf diese aufmerksam zu machen.
Schliesslich muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass zwischen dem SPT und dem CPT seit 2018 ein Einverständnis besteht, die Schwerpunkte der Aktivitäten gemeinsam abzusprechen – das CPT besucht Einrichtungen des Freiheitsentzugs in den Staaten, das SPT unterstützt schwerpunktmässig die NPMs – und sich gegenseitig über die Besuche in Europa zu informieren.6
Dieser Überblick über die rechtlichen Grundlagen der Folterprävention und die Organisationen, die sie umsetzen, belegt, dass der Schutz von Menschen im Freiheitsentzug komplexer und umfassender wird, einerseits mit dem berichtsorientierten Organ, dem Committee Against Torture (CAT) der Uno, und andererseits den praxisorientierten Monitoringorganisationen (SPT, CPT, NPM), die an Ort und Stelle die Lage in den Gefängnissen einschätzen. Ohne sich zu konkurrenzieren, nehmen sie verschiedene Funktionen wahr und verstärken gegenseitig die Folterprävention.7
2. Aktivitäten in der Schweiz
Der Europäische Ausschuss für die Verhütung von Folter (CPT) führte seinen ersten Besuch in der Schweiz im Jahr 1991 durch. Er erneuerte diesen 1996, 2001, 2003, 2007, 2011 und 2015. Die Besuchsberichte wurden alle gleichzeitig mit den Antworten der Schweiz publiziert.
Der erste Bericht des CPT von 1991 übte wahrscheinlich den grössten Einfluss auf die Gestaltung des schweizerischen Gefängnissystems aus. Er enthielt eine allgemeine Kritik des Zustands der Bezirks-, Regional- und Kantonalgefängnisse. Diese waren allesamt veraltet mit zu kleinen Zellen, ohne adäquate Spazierhöfe und Besuchszimmer. Die mehr als berechtigte Kritik hat zur umfassenden Modernisierung des Gefängnissystems in der Schweiz geführt, die über die Zeit von 1995 bis 2015 umgesetzt wurde.8 Ein weiterer Aspekt, der moniert wurde, betraf den Transport von Insassen zwischen den Anstalten. Dieser wurde damals noch in minimalistischen «Gefängnisabteilen» der Postwagen durchgeführt – ohne sanitäre Einrichtung und oft ohne Begleitung. Seit 2000 ersetzt ein speziell geschaffener, immer noch spartanisch eingerichteter Gefangenenzug den als unmenschlich anzusehenden Gefangenentransport aus dem letzten Jahrhundert.
Die Besucherteams des CPT haben drei Mal sofortige Aktionen von den Behörden verlangt: Zwei Mal im Zusammenhang mit Lebensbedingungen in Migrationszentren, zuerst im Allgemeinen (2002), dann betreffend die Behandlung von Minderjährigen (2007) und schliesslich betreffend zusätzliche Ressourcen für die Nationale Kommission für die Verhütung von Folter (2011).
Die Berichte des CPT enthielten regelmässig Vorwürfe über Misshandlungen von Arrestanten durch Polizeikräfte, insbesondere im Kanton Genf. Dabei handelte es sich um Beanstandungen, insbesondere von Ausländern, über aussergewöhnlichen, unverhältnismässigen Einsatz von Gewalt im Moment der Festnahme. Das CPT kritisierte weiter den in Zürich gebräuchlichen Einsatz von Spezialtoiletten zur Auffindung von Drogen, die im Magen transportiert wurden. Während diese Zellen der Polizeibehörden anfänglich einer Kritik unterzogen worden waren, war dies in der Folge nicht mehr der Fall. Über alle Jahre gesehen, wurden vom CPT nur ganz wenige Vorwürfe wegen Misshandlungen in den Vollzugsanstalten aufgenommen. Dagegen war die chronische Überbelegung in der Westschweiz regelmässig ein Thema der Berichte, insbesondere im Gefängnis von Champ-Dollon in Genf.
Die Besuchsberichte des CPT thematisierten regelmässig die Behandlung von Migranten in der Schweiz. 2003 und 2011 begegnete das CPT vielen Migranten in Haft statt in Migrationszentren, was in vielen Fällen als problematisch angesehen wurde. Der Fokus lag zudem einerseits auf der Durchführung der Aufnahmeprozeduren von Migranten und andererseits auf den Ausweisungs- und Ausschaffungsprozeduren von unerwünschten Ausländern. Erwähnt werden regelmässig Vorwürfe von disproportioniertem Gewalteinsatz – von Drohungen, Körperdurchsuchungen, Einsatz von Fuss- und Handschellen, bis zu schmerzlichen Immobilisationen für den Abtransport.
Obwohl die Schweiz das Opcat bereits 2009 ratifiziert hat, wurde sie vom SPT erst im Januar 2019 besucht. Die Pressemitteilung vom Februar 2019 zum Abschluss des Besuchs war relativ zurückhaltend formuliert. Der Bericht wurde der Schweiz im Frühjahr 2020 zugestellt. Dieser wird erst veröffentlicht, wenn die Schweiz ihre Antwort darauf dem SPT hat zukommen lassen. Dies dürfte nicht vor dem Winter 2020/21 der Fall sein.
3. Tätigkeit Nationale Kommission
Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) wurde im Jahr 2010 eingesetzt. Als Erstes hat sie ihre Besuchsaktivität in Einrichtungen des Justizvollzugs aufgenommen, später auch an anderen Orten, wo Personen die Freiheit entzogen wurde. Dabei definierte sie prioritäre Beobachtungsthemen:
3.1 Massnahmen nach Strafrecht (ab 2010)
Justizvollzugseinrichtungen
Abteilungen für die Hochsicherheit (2013/2014)
Polizeihaft und Strafprozess (2014–2015)
Therapeutischer Massnahmenvollzug (2014–2016)
Untersuchungshaft (2014/2015)
Minderjährige in Haft (2014/2015)
Funktionsweise der Gesundheitsdienste (2017–2018)
3.2 Massnahmen nach Zivil- resp. Administrativrecht
Bundeszentren für die Unterbringung von Migranten (2013–2014, ab 2017)
Vollzug der Ausschaffungshaft (2012, 2017)
Ausschaffung auf dem Luftweg (permanent)
Vollzug von Massnahmen des Zivilrechts (2017–2018)
Die NKVF besucht pro Jahr rund zehn bis zwanzig Einrichtungen des Freiheitsentzugs oder zwangsweiser Platzierung, zuerst als Kontrollbesuche zur Behandlung von inhaftierten Personen und zur Einschätzung der Lebensbedingungen, nachher vor allem als Folgebesuche zur Beurteilung der Umsetzung der Empfehlungen. Lag der Schwerpunkt zu Beginn auf Einrichtungen des Freiheitsentzugs, verlagerte er sich später auf die Zentren für Migranten und geschlossenen Kliniken für psychisch kranke Personen. Seit sie die Aufgabe übernommen hat, beobachtet sie die Durchführung der Ausschaffung auf dem Luftweg und interveniert bei disproportionierter Gewaltanwendung.
Die durch die Beobachtungstätigkeit der NKVF in den letzten zehn Jahren angestossenen Veränderungen betreffen zuerst das Regime in der Untersuchungshaft und dann das Regime in der Ausschaffungshaft. Beide Haftregime wurden als zu strikt und zu rigid angesehen, wobei die Kritik der Kommission von weiteren Kreisen aus Strafverteidigung und Forschung geteilt wurde.9 Veränderungen werden gegenwärtig in diesen Einrichtungen umgesetzt. Dasselbe kann gesagt werden über die übermässig sicherheitsorientierten Regime in den Hochsicherheitsabteilungen, wo Anpassungen und Lockerungen verlangt wurden, die eine möglichst schnelle Rückkehr in den Normalvollzug erlauben. Verschiedene Massnahmen in der Behandlung der Insassen wurden von der Kommission als erniedrigend angesehen (z.B. unnötige Ganzkörperdurchsuchungen) und von den Behörden aufgegeben.10
4. Stand der Folterprävention
Die Organisationen der Folterprävention sind heute akzeptiert und haben einen wachsenden Einfluss. Ihr Mandat, alle Einrichtungen des Freiheitsentzugs zu besuchen und darüber Bericht zu erstatten, wird allgemein anerkannt. Jedoch haben noch nicht alle Mitgliedstaaten erkannt, dass die Ratifikation der Übereinkommen die Umsetzung der Empfehlungen nach sich zieht. Dabei geht es nicht nur um belegbare Fälle von gewaltsamer oder erniedrigender Behandlung, sondern um strukturelle Probleme chronischer Überbelegung, permanenter medizinischer Unterversorgung, unsozialer 23-stündiger Einschliessung, sinnlosen Absitzens von Strafe, das Fehlen sinnvoller Tätigkeit, die letztlich als unmenschliche, ja grausame Behandlung charakterisiert werden können.
Folter und unmenschliche Behandlung sind – mindestens in Europa – seltener geworden, sowohl in den Einrichtungen des Freiheitsentzugs wie in psychiatrischen Institutionen oder in Jugendeinrichtungen. Die gegenwärtige Aufarbeitung der Behandlung von Jugendlichen bis in die späten 1990er-Jahre in vielen Ländern füllt Bände mit körperlichen und sexuellen Misshandlungen und erniedrigendem, grausamem oder unmenschlichem Verhalten des Personals. Trotzdem ist es auch heute überall immer wieder möglich, in Einrichtungen des Freiheitsentzugs erniedrigende oder unmenschliche Lebensbedingungen zu finden. Dies gilt auch für die Schweiz, wenn man nur an die chronische Überbelegung im Genfer Gefängnis von Champ-Dollon oder in den seit Jahren angeprangerten Polizeigefängnissen des Kantons Waadt denkt.
Die Folterprävention ist besonders in Krisenzeiten gefordert, d.h. in Migrations-, Jugend- oder Sanitätskrisen, in denen erhöhte Erwartungen mobilisierter Kreise der Bevölkerung auf den Behörden lasten. Sie können dazu führen, dass unverhältnismässige Gewalt zugelassen oder geduldet wird.
Keine Institution ist immun gegen Gewalthandlungen des Personals, seien es einzelne, momentane Verfehlungen in der Achtung der Menschenwürde oder längere Perioden menschenverachtenden Verhaltens. Solange es Zwangsinstitutionen gibt, werden auch Organisationen zur Prävention von Folter notwendig sein.
Konventionstitel, Organisationsnamen oder Aktivitätsberichte der zitierten Organe können alle problemlos im Internet gefunden werden. Sie werden hier nicht speziell referenziert. In den Fussnoten wurden deshalb nur einige grundlegende Dokumente zum Bereich der Folterprävention aufgenommen, die es erlauben, die Frage zu vertiefen.
Jean-Daniel Vigny, «L’action de la Suisse contre la torture»; Malcolm Evans / Rod Morgan, «The origins and drafting of the ECPT: A salutary Lesson?», in: APT (Hrsg.), 20 ans consacrés à la réalisation d’une idée, Genf 1997; Jean-Daniel Vigny / Daniel Fink, «Towards active torture prevention», in: Neue Zeitschrift für Kriminologie und Kriminalpolitik, 1. Jg., Nr. 2, 2020.
Zwei Streitpunkte bestehen weiter: einerseits eine noch nicht ganz zufriedenstellende funktionale Unabhängigkeit der NKVF (z.B.
in finanziellen Fragen, wo die Kommission den Budgetrichtlinien der Bundesverwaltung unterstellt bleibt) und eine seit langem festgestellte ungenügende Zuweisung finanzieller und personeller Ressourcen. Siehe CPT-Bericht 2011 und 2015; NKVF, Tätigkeitsbericht NKVF 2017, mit einem Kapitel: Die Unabhängigkeit von Nationalen Präventionsmechanismen, S. 31 ff.
Für eine Übersicht über das CPT im Vergleich mit dem SPT, siehe Christine Bicknell / Malcolm Evans / Rod Morgan, Preventing Torture in Europe, Strassburg, Council of Europe Publishing, 2018.
Für eine Übersicht siehe IKRK-Website: www.icrc.org/en/document/icrc-detention-work-why-where-who (letzter Zugriff: August 2020).
Für Details siehe Pressemitteilung der Uno, United Nations and Council of Europe torture prevention bodies to strengthen cooperation, vom 26.7.2018. Eine entsprechende Mitteilung wurde vom Europarat am selben Tag veröffentlicht.
Christine Bricknell / Malcolm Evans, «Monitoring Prisons: The increasingly Complex Relationship Between International and Domestic Frameworks», in: Tom Daems / Luc Robert (Eds.), Europe in Prisons, London, Palgrave, 2017.
Siehe u.a. Daniel Fink / Peter Schulthess (Hrsg.), Strafrecht, Freiheitsentzug, Gefängnis, Bern 2015. Daniel Fink, «Prison, architecture pénitentiaire et patrimoine carcéral en Suisse», in: K+A Dossier Gefängnisbauten, No. 3, 2017. Der Autor bereitet eine Gesamtdarstellung des Wandels der Gefängnislandschaft und -architektur in der Schweiz seit den 1990er-Jahren vor.
Siehe Daniel Fink, «Die Untersuchungshaft und die neue Strafprozessordnung», in: Freiheitsentzug in der Schweiz, Zürich, NZZ libro, 2018. Idem, «La détention avant jugement en Suisse: un état des lieux», in: Neue Zeitschrift für Kriminologie und Kriminalpolitik, 1. Jg., Nr. 1, 2020; Martino Mona / Franz Riklin, Rechtswidrige Zustände, Untersuchungshaft in der Kritik, Bern 2017.
Siehe den Jahresbericht 2019 der Nationalen Kommission für die Verhütung von Folter sowie Sandra Imhof, «The National Commission on Prevention of Torture – A Self-Assessment on the Occasion of its 10th Anniversary», in: Neue Zeitschrift für Kriminologie und Kriminalpolitik, 1. Jg., Nr. 2, 2020.