Wenn Inkassofirmen Schulden eintreiben, machen sie unter dem Titel «Verzugsschaden» hohe Honorarforderungen und Spesen geltend. Ob die Schuldner diesen Schaden bezahlen müssen, ist umstritten, seit es gewerbsmässige Geldeintreiber gibt.
plädoyer liegen diverse Urteile erstinstanzlicher Gerichte vor, in denen die Inkassokosten als Verzugsschaden anerkannt wurden.1 Die zugelassenen Kosten bewegen sich zwischen 30 und 575 Franken. Als Begründung verweisen einige Gerichte auf Art. 106 OR mit der lapidaren Begründung, Inkassospesen seien als Verspätungsschaden grundsätzlich geschuldet.2 Einen entsprechenden Entscheid des Bundesgerichts gibt es bis heute nicht.3
Der Neuenburger FDP-Ständerat Raphaël Comte forderte bereits im Sommer 2012 in seinem Postulat «Rahmenbedingungen für die Praktiken von Inkassounternehmen» den Bundesrat auf, ein Verbot für Inkassokosten zu erlassen.4 Der Ständerat hat das Postulat angenommen. «Voraussichtlich Anfang 2016 wird der Bundesrat den Bericht verabschieden», sagt David Rüetschi vom Bundesamt für Justiz auf Anfrage. Wohl um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, empfahl der Bundesrat im Februar 2015 die Ablehnung der Motion «Verursacherprinzip auch bei den Inkasso-Kosten: Konkretisierung von Art. 106 OR» von Peter Schilliger. Der Luzerner FDP-Nationalrat verlangt darin, dass der Gläubiger seine Inkasso-Kosten als Verzugsschaden fordern könne.5
Dafür verfasste vor bald sieben Jahren Isaak Meier von der Universität Zürich im Auftrag des Verbands Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI) ein Gutachten,6 wofür er auch bezahlt wurde – wie hoch, wollte der VSI gegenüber plädoyer nicht offenlegen.7 Im Januar 2008 präsentierte der Inkassoverband das 90-seitige Parteigutachten den Medien mit den vollmundigen Worten «Zankapfel Verzugsschaden – ein Gutachten schafft Klarheit». Der Zürcher Rechtsprofessor kommt darin – nicht ganz überraschend – zum Schluss, dass der Verzugsschaden geschuldet sei.
Meier liegt falsch. Es gibt fünf Gründe, die dagegen sprechen, dass ein Verzugsschaden geschuldet ist.
1. Gesetzliche Grundlage fehlt
Bereits auf der zweiten Seite des Gutachtens macht Isaak Meier einen grundlegenden Fehler. Er schreibt: «Das Forderungsinkasso, wie es von professionellen Inkassobüros betrieben wird, ist m.E. als dritte, eigenständige Form der Geltendmachung von Ansprüchen einzustufen, die neben den beiden Hauptformen der gerichtlichen und betreibungsrechtlichen Geltendmachung steht.»8 Damit will Meier sagen, dass das aussergerichtliche Schuldeneintreiben neben der Betreibung und der gerichtlichen Klage von Gesetzes wegen vorgesehen ist.
Für diese Behauptung besteht keine gesetzliche Grundlage. Wie man eine Forderung eintreibt und vor Gericht durchsetzt, steht im SchKG und in der ZPO. Diese Gesetze halten auch fest, dass der Schuldner dem Gläubiger die Betreibungskosten und als unterlegene Partei in einem Gerichtsverfahren eine Prozessentschädigung bezahlen muss. Demgegenüber ist das aussergerichtliche Forderungsinkasso nirgends geregelt, anders als etwa in Österreich, wo der Gläubiger seine Kosten für das aussergerichtliche Inkasso auf den Schuldner abwälzen darf.9
2. SchKG verbietet Kostenabwälzung
Art. 27 Abs. 3 SchKG verbietet dem Gläubiger im Betreibungsverfahren, die Kosten eines Inkassobüros auf den Schuldner zu überbinden. Isaak Meier leitet daraus ab, dass die Vertretungskosten, die vor der eigentlichen Betreibung angefallen sind, dem Schuldner verrechnet werden können.10 Das ist systemwidrig. Abgesehen von den eigentlichen Betreibungskosten – etwa für den Zahlungsbefehl oder das Rechtsöffnungsverfahren – will der Gesetzgeber mit der Regel im SchKG verhindern, dass dem Schuldner durch das Betreibungsverfahren noch zusätzliche Kosten entstehen. Wenn also im Betreibungsverfahren selber das Überwälzen von Inkassokosten verboten ist, weshalb soll es für die Phase vor der Betreibung zulässig sein? Noch eine letzte Mahnung zu verschicken ist weniger kompliziert als die Einleitung einer Betreibung – wobei auch dies keine Hexerei mehr ist, seit man für das Betreibungsbegehren das Onlineformular des Bundesamtes für Justiz verwenden kann.11
3. Keine Analogie zum Haftpflichtrecht
Isaak Meier vergleicht den Verzugsschaden mit dem Aufwand eines Anwalts in einem Haftpflichtfall.12 Richtig ist, dass ein Geschädigter die vorprozessualen Kosten seines Anwalts als Schaden geltend machen kann13 – bei einem Haftpflichtfall durchaus sinnvoll. Denn dort müssen der Schaden, mögliche Versicherungsleistungen und weitere Punkte abgeklärt werden. Ganz anders bei einem vertraglichen Anspruch: Der Gläubiger weiss, was ihm vom Schuldner zusteht, wenn er etwa einen Rasenmäher geliefert hat. Er kann auf seine Rechnung verweisen. Weitere Abklärungen muss er – im Gegensatz zu einem Haftpflichtfall – nicht treffen.
4. Pauschalen sind unzulässig
Inkassobüros fordern den Verzugsschaden in der Form von Pauschalen. Mitglieder des Verbands Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute stützen sich dabei auf die verbandseigene Verzugsschadentabelle.14 Dies ist unzulässig, auch wenn es der Zürcher Rechtsprofessor absegnet.15
Nach Art. 42 Abs. 1 OR muss der konkret entstandene Schaden nachgewiesen werden. Bereits hier hätten die professionellen Geldeintreiber Probleme, ihre häufig völlig überrissenen Honorare zu rechtfertigen. Sie verwenden Standardschreiben, die sie auf Knopfdruck am Computer ausdrucken können. Dies plus das Verpacken in ein Couvert dauert ein paar wenige Minuten. Bei einem für diese Arbeit angemessenen Stundenlohn von 30 Franken ergibt das Kosten von vielleicht zwei bis drei Franken plus Porto. Mehr nicht.
5. Pflicht zur Schadenminderung
Doch selbst diese paar Franken muss ein Schuldner nicht bezahlen. Wichtigstes Argument gegen den Verzugsschaden ist die Schadensminderungspflicht. Isaak Meier meint, der Gläubiger dürfe nach drei Mahnungen ein Inkassobüro einschalten. Denn es sei ihm nicht zuzumuten, dass er das Geld selbst einfordere.16 Das ist falsch.
Wer gemahnt hat, kann gegen den Schuldner direkt die Betreibung einleiten. Der Umweg über ein Inkassobüro, das lediglich versucht, den Schuldner mit weiteren Mahnschreiben weichzuklopfen, ist unnötig und sogar unerlaubt, wenn der Gläubiger die ihm damit entstandenen Mehrkosten dem Schuldner verrechnet.