Nach dem deutlichen Nein der Stimmbevölkerung zu Leistungskürzungen in der beruflichen Vorsorge im vergangenen September besteht nun eine gute Gelegenheit, die Mängel der 2. Säule durch eine Totalrevision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) zu beheben. Wichtigste Punkte: Die Trennung von Versichern und Sparen und die professionelle Anlage der Altersgelder in einem einzigen Fonds.
1. Betriebliche Pensionskassen und Sammelstiftungen sind zu einem einzigen Pensionskassenfonds zusammenzuschliessen
Bei der Einführung des Bundesgesetzes über die betriebliche Vorsorge (BVG) im Jahre 1985 gab es in der Schweiz über 13'000 Pensionskassen. Seither hat sich nicht nur die Finanzwirtschaft durch eine ständig voranschreitende Digitalisierung und Globalisierung zu einem hoch digitalisierten Massengeschäft entwickelt. Auch die Gesellschaft und die Arbeitswelt veränderten sich weg von einem patriarchalischen System.
Früher entschieden die Generalversammlungen der grossen Unternehmen immer zuerst über allfällige zusätzliche Einzahlungen an ihre Pensionskasse, bevor sie zur Abstimmung über die Dividende der Aktionäre schritten. Diese Zeiten sind vorbei. Viele betriebliche Pensionskassen schlossen sich Sammelstiftungen an. Inzwischen hat sich die Zahl der Vorsorgestiftungen auf nur noch 1300 reduziert.
Die Zahl der Arbeitgeber-Personalkassen wird sich durch zunehmendes Outsourcing noch mehr als diejenige der Sammelstiftungen weiter vermindern. Nur noch wenige Tausend Angestellte sind zurzeit einer Kasse mit Leistungsprimat angeschlossen, alle andern sind im Beitragsprimat versichert. Die verbliebenen Leistungsprimatkassen können ohne Nachteile aus dem BVG gestrichen werden.
Anschliessend könnte eine einzige Pensionskasse geschaffen werden, was eine um mehrere Prozent höhere durchschnittliche Nettorendite ermöglichen würde. Die Vermögensverwaltungskosten würden um 90 Prozent sinken, wie der einheitliche Staatsfonds von Norwegen zeigt. Zudem zeigt sich dort auch: Die Kapitalerträge sind bei professioneller Anlage des gesamten Altersguthabens der Bevölkerung höher als bei einer Verwaltung durch 1700 verschiedene Kassen.
2. Das Überobligatorium ist durch ein erweitertes Obligatorium abzulösen
Der wohl wichtigste Grund dafür, dass viele Versicherte in der Schweiz das Vertrauen in ihre Pensionskasse verloren haben, sind die zahlreichen Angebote des Überobligatoriums. Sie erschweren mit den verschiedensten Beiträgen und Leistungen als Ergänzung und teilweise Lückenfüller des Obligatoriums eine klare Übersicht über die zukünftige Rente. Eine echte Lösung dieses Transparenzproblems kann man nur erreichen, wenn man das Überobligatorium abschafft und zugleich das Obligatorium so weit ausbaut, dass das BVG einen genügenden Schutz im Alter gewährleistet.
Die erste BVG-Reform aus dem Jahr 2003 erhöhte den Grenzbetrag des versicherten Einkommens auf 759'600 Franken pro Jahr. Dies stellt offensichtlich einen Missbrauch des in der Verfassung verankerten Rechts auf Förderungsmassnahmen zugunsten der Sozialversicherungen dar. Es steht im Gegensatz zur Tatsache, dass Geringverdiener nach nunmehr fast 40 Jahren des Bestehens des BVG faktisch immer noch ohne berufliche Altersvorsorge dastehen und mit einiger Wahrscheinlichkeit im Alter Ergänzungsleistungen zur AHV beantragen müssen, damit sie wenigstens das Existenzminimum zur Verfügung haben.
Die einkommensmässig verwöhnten Grossverdiener dagegen können unter Umständen während Jahrzehnten von einem jährlichen Steuerrabatt von mehreren Tausend, wenn nicht Zehntausenden Franken profitieren. Es ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, dass der Koordinationsabzug vollständig aufgehoben und der Maximalbetrag für Einzahlungen auf einen akzeptablen Betrag herabgesetzt wird. Dies könnte durch Anhebung des heutigen Grenzbetrags im Obligatorium auf das jeweilige UVG-Maximum von heute 148'200 Franken umgesetzt werden. Damit wären 95 Prozent aller Angestellten mit ihren ganzen Einkommen dem BVG unterstellt.
Weiter wäre es sodann sinnvoll, künftig alle Erwerbstätigen inklusive der Selbständigerwerbenden ab dem 20. Altersjahr dem BVG zu unterstellen. Dagegen dürfte kaum erheblicher Widerstand aufkommen, da sich der grösste Teil der Selbständigerwerbenden schon heute freiwillig bei einer Pensionskasse versichert.
3. Das Banken- und das Versicherungsgeschäft sind zu trennen
Das Versicherungsvertragsgesetz schreibt für die Rechnungslegung der im BVG-Geschäft tätigen Privatversicherungen die Aufteilung in einen sogenannten Spar-, Versicherungs- und Kostenprozess vor. Damit werden auch gleich die drei Betriebsteile des BVG charakterisiert. Der Sparprozess mit dem Inkasso und der Anlage der Gelder sowie der Auszahlung der Kapitalien beim Alterseintritt oder der Umwandlung in eine eigenfinanzierte Leibrente sind reine Bankgeschäfte, während die berufliche Zusatzversicherung für Hinterlassene und die Zusatzversicherung für Invalide echte Versicherungen sind.
Funktionell gehören damit die berufliche Hinterlassenen- und die Invalidenversicherung zum Kreis der Grundversicherungen wie die AHV und die IV. Es wäre deshalb zweckmässig, sie dem AHV- und IV-Gesetz zu unterstellen. Damit könnte auch die bisherige, unter Umständen zweigleisige Invaliditätsabklärung durch eine einzige Verfügung der IV ersetzt werden. Ebenso würde dann der gesamte Verwaltungsanteil der Versicherungssparte den AHV-Ausgleichskassen und die Vermögensverwaltung dem Ausgleichsfonds der AHV/IV/EO namens Compenswiss übertragen, was zu massiven Kosteneinsparungen für die Versicherten führen würde.
Noch vorteilhafter wäre für die Versicherten ein Wechsel vom massiv überteuerten Kapitaldeckungsverfahren in das Umlageverfahren, womit wie bei AHV und IV individuelle und allgemeine Wertschwankungsreserven überflüssig würden. Die jeweiligen Rentner könnten auch zusätzlich davon profitieren, dass die Versicherungsprämie nicht fix, sondern in Prozenten des versicherten Lohns berechnet wird und entsprechend der Lohnentwicklung steigt, womit sie ebenfalls zumindest in den Genuss der gesetzlichen Teuerungszulagen von AHV und IV kommen.
Voraussetzung für die Trennung der beiden Geschäftsteile Versicherung und Alterssparen sind eine klare Kostenallokation und eine genaue Definition der Schnittstellen. Durch die Unterstellung der Versicherung unter die AHV- und IV-Gesetzgebung mit den entsprechend getrennten Durchführungsorganen besteht keine Gefahr eines Kostenmixes wie im aktuellen BVG mehr.
4. Das Alterskapital der 2. Säule ist durch ein autonomes öffentlichrechtliches Unternehmen zu verwalten
Die Schweiz hat eine lange Tradition von Gesellschaften des Privatrechts, die in autonomer und selbstverantwortlicher Weise öffentlich-rechtliche Aufgaben übernehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schweizerische Nationalbank, die als Zentralbank in Form einer im Handelsregister eingetragenen Aktiengesellschaft seit mehr als 100 Jahren die öffentlichrechtliche Aufgabe der Geldregulierung übernommen hat.
Weitere Beispiele sind die Krankenkassen, die ursprünglich als Selbsthilfeorganisationen in Vereinsform gegründet wurden und nach Einführung des Krankenkassenobligatoriums zur Erledigung dieser öffentlich-rechtlichen Aufgabe in Aktiengesellschaften oder Genossenschaften umgewandelt wurden. Eine andere Organisation zur Erledigung einer solchen Aufgabe ist die öffentlich-rechtliche Anstalt, wie sie es im Gesundheitswesen die Suva ist.
Allen diesen Organisationen ist gemeinsam, dass sie autonom und selbstverantwortlich tätig sind und keiner Behörde unterstehen, sondern dieser höchstens einen jährlichen Geschäftsbericht zusenden. Ihre Aufgaben erledigen sie im Übrigen wie private Firmen so effizient und so gut wie möglich – oder manchmal noch besser, wie das Beispiel der Suva zeigt. Deren Kosten liegen bei konkurrenzlosen 5 Prozent der Prämien, während die privaten UVG-Versicherer 18 Prozent ihrer Prämien zur Bestreitung ihrer Kosten benötigen.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie falsch die Behauptungen gewisser politischer Kreise sind, dass die Privatwirtschaft alles besser macht als die öffentlichen Institutionen. Entscheidend ist nur eine autonome und selbstverantwortliche Organisation, die wirkungsvolle und effiziente Arbeit nach dem privatwirtschaftlichen «Best practice»-Prinzip leisten will. Die AHV-Ausgleichskassen erledigen seit Jahrzehnten das Inkasso, die Mitgliederverwaltung und die Auszahlungen ihrer Leistungen zur Zufriedenheit der Angestellten und Arbeitgeber, Selbständigerwerbenden, Erwerbslosen und Studenten sowie Rentnern.
In den letzten Jahrzehnten ist zuerst in den USA, dann aber auch in der Europäischen Union die Public Private Company (PPC) ins Gespräch gekommen. In der Schweiz wurde zuerst für die Schweizerische Nationalbank ein Spezialgesetz mit dem Statut einer Aktiengesellschaft geschaffen, die ins Handelsregister eingetragen wurde. Im Jahr 2017 schuf ein Gesetz das Statut des AHV/IV/EO-Ausgleichsgleichfonds Compenswiss, der als gesetzlicher Fonds ins Handelsregister eingetragen ist.
Damit drängt sich die PPC Compenswiss als Vermögensverwalter der den AHV- und IV-Bestimmungen unterstellten Hinterlassenen- und Invalidenversicherungen der 2. Säule geradezu auf. Ein Fonds wie die Compenswiss könnte für die Altersvorsorge der Pensionskasse geschaffen werden, womit die heutige berufliche Vorsorge durch zwei nach dem «Best practice»-Prinzip operierende Public Private Companies betreut würden.
5. Eine solche Totalrevision wäre rechtlich einfacher, günstiger und für die Versicherten vorteilhafter
Eine Totalrevision des BVG wie hier vorgeschlagen würde Hunderte von Seiten Gesetze, Verordnungen und Weisungen überflüssig machen. Auch die politischen und administrativen Kontrollen durch das Bundesamt für Sozialversicherungen könnten stark reduziert werden. Die autonome und selbstverantwortliche Durchführung der öffentlichen Aufgabe läge beim AHV/IV/EO-Ausgleichsfonds Compenswiss und beim Schweizerischen Pensionskassenfonds sowie bei den AHV-Ausgleichskassen.
In finanzieller Hinsicht kann erwartet werden, dass sich die Verwaltungskosten von mehr als einer Milliarde Franken pro Jahr für die Risikoleistungen der heutigen Pensionskassen durch die Übernahme dieser Tätigkeiten durch die AHV-Ausgleichskassen stark reduzieren würde – auf etwa einen Fünftel der heutigen Kosten. Die Kosten für die Anlage des Alterskapitals von heute offiziell über 6 Milliarden Franken könnten auf 10 Prozent dieses Betrags reduziert werden, wie der Vergleich mit den Kosten von Compenswiss und dem norwegischen Staatsfonds zeigt.