Madame Anne Héritier Lachat ist eine vielseitige Frau. Die Verwaltungsratspräsidentin der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) hat alle Stationen durchlaufen, die für eine engagierte Juristin unabdingbar sind: Die 64-jährige Genferin mit SP-Parteibuch arbeitete als Anwältin, dann von 1999 bis 2001 am Genfer Tribunal de première instance als Richterin und von 2009 bis 2011 als Professorin an der Juristischen Fakultät der Uni Genf in den Bereichen Bank- und Finanzrecht. Ausserdem sitzt sie bereits seit 2009 im Verwaltungsrat der Finma – als einzige Frau neben acht Männern. Zwei davon – Bruno Frick und Jean-Baptiste Zufferey – sind ebenfalls Juristen. Zuvor war Anne Héritier Lachat drei Jahre lang Mitglied der Eidgenössischen Bankenkommission.
Vor ihrem Engagement bei der Aufsichtsbehörde wirkte sie lange Jahre als Beraterin der Regulierungskommission der Schweizer Börse, die für die Regelsetzung für Emittenten und Teilnehmer der Schweizer Börse zuständig ist, sowie bei der Übernahmekommission, die für die Einhaltung der Bestimmungen über die öffentlichen Kaufangebote besorgt ist.
Dass sie Rechtswissenschaften studiert hat, sei ein Zufall. «Ich bin die erste Juristin in meiner Familie», sagt sie nicht ohne Stolz. Als kleines Mädchen wollte sie Flight Attendant werden, «wie alle Mädchen in dieser Zeit». Auch die Post reizte sie als Kind: «Ich wollte alle Briefe und Karten lesen.»
Stattdessen las sie viele Paragrafen und Gesetzesartikel. Wirtschaftsstrafrecht und Gesellschaftsrecht hätten sie während des Studiums besonders interessiert. «Deshalb schrieb ich meine Dissertation über Schmiergeld.»
Angesprochen auf die zahlreichen beruflichen Stationen sagt die Juristin: «Alle Tätigkeiten, die vorherigen und die jetzige – waren und sind sehr spannend. Ich habe überall sehr viel dazugelernt.» Und wie setzte sich die Juristin in den männerdominierten Branchen durch? Héritier Lachats Geheimnis: «Wenn man gut vorbereitet ist und von der Materie fachlich etwas versteht, ist es leichter.» Ausserdem sei sie eine humorvolle Person: «In schwierigen Situationen oder in Kreisen, wo sich mehrheitlich ernste Männer bewegen, kann Humor sehr hilfreich sein.»
Ihre stärkste Eigenschaft sei jedoch ihre Gelassenheit. Davon braucht die Verwaltungsratspräsidentin in ihrem aktuellen Job mehr denn je. Seit der Finanzkrise steht die Finma im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik. Der staatlichen Institution wird vorgeworfen, dass sie die Banken mit Samthandschuhen anfasse, statt sie zu disziplinieren. Héritier Lachat will dies nicht gelten lassen: «Die Wirkung der Aufsicht ist schwierig zu erklären. Schwierig, weil man aufgrund des Amtsgeheimnisses nicht darlegen kann, welche negativen Ereignisse aufgrund einer konsequenten Aufsicht verhindert werden können».
Ihr sei wichtig, dass die Leute besser verstehen, was die Finma tut und wofür sie verantwortlich oder eben nicht verantwortlich ist: «Die Finma ist eine Aufsichtsbehörde und keine ‹Regulierungsmaschine›», betont die Genferin. Das sei das Grundmissverständnis, der Medien und der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit erwarte teilweise von der Finma Handlungen, für die sie gar keine gesetzliche Grundlage habe. Aufgabe der Finma sei es laut Gesetz, die Anleger, Gläubiger und Versicherten zu schützen und darüber zu wachen, dass der Finanzmarkt gesamthaft funktioniert.
Und wie erreicht dies die Finma? Die Antwort der Präsidentin: «Mit konsequenter vorsorglicher Aufsicht.» Die Finma achte sorgfältig darauf, dass die Finanzinstitute stabil und solvent seien. «Damit schützt sie die Kunden und Investoren.»
Beispiel Retrozessionen: Das sind Entschädigungen, welche die Banken hinter dem Rücken ihrer Kunden kassierten für deren Anlagen als Vermögensverwalter. «Dass diese Entschädigungen den Kunden gehören, hat das Bundesgericht 2012 nochmals betont», sagt Héritier Lachat. «Die Rückforderung von Retrozessionen ist aber eine zivilrechtliche Angelegenheit zwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden. Dafür ist die Finma nicht zuständig.»
Die Finma verlange aber von den Banken ein angemessenes Risikomanagement und angemessene Transparenz. «Vor diesem Hintergrund stellten wir konkrete Forderungen in Bezug auf die Retrozessionen: So müssen die Banken ihre Kunden klar und aktiv über den Bundesgerichtsentscheid und auf Anfrage über den Umfang der erhaltenen Rückvergütungen informieren. Ausserdem mussten die Institute diesem Entscheid umgehend im Neugeschäft Rechnung tragen.» Schliesslich prüfe die Finma auch, ob diese Forderungen eingehalten werden.
Was, wenn die Finma bei ihrer Aufsicht wie etwa bei der UBS oder aktuell bei der CS auf gravierende Mängel stösst? «Dann handeln wir und fordern die Institute auf, die Mängel zu beseitigen. Geschieht dies nicht, ordnet die Finma Massnahmen an, die bis hin zur Schliessung eines Geschäftsbereichs oder eines Instituts gehen können. Das ist auch schon vorgekommen», sagt sie entschlossen.
Bei der CS sei die Finma beim grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft auf gravierende Mängel gestossen und habe dies auch kommuniziert. Trotzdem würden nicht alle Verstösse oder Verfahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. «In einem Verfahren ist das Ziel der Finma die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes und nicht primär die Kommunikation. Der Gesetzgeber auferlegte der Finma in Bezug auf die Kommunikation von Einzelfällen eine grosse Zurückhaltung.»
Die Finma verfüge auch nicht über die gleichen Sanktionsinstrumente wie gewisse ausländische Aufsichtsbehörden, so beispielsweise das Verhängen von Bussen, betont die 64-Jährige. Zwar könne die Finma Berufsverbote erteilen oder unrechtmässig erzielte Gewinne einziehen. Jedoch habe der Gesetzgeber von der Bestrafung für vergangene Vergehen in Form von Bussen abgesehen «und gab der Finma eher zukunftsorientierte Instrumente in die Hand. Eine allfällige Kommunikation muss den Zielen der Finma dienen.»
Dass sie wegen dieser Haltung kritisiert wird, stört Héritier Lachat nicht: «Ich fühle mich nicht persönlich angegriffen.» Ihr Mandat als VR-Präsidentin der Finma dauert bis Ende 2015. Bis dahin werde sie sich voll engagieren. «Dann werde ich 65 und werde nicht zur Wiederwahl antreten.»
Danach wünsche sie sich weitere Enkelkinder. «D(gr)as wäre schön», sagt sie lachend. Ausserdem werde sie dann auch mehr Zeit für andere Dinge haben: «Ich bin eine leidenschaftliche Gärtnerin, gehe gerne in die Oper und lese viel.»