Disziplinaranzeige kein Ausstandsgrund
Der blosse Umstand, dass die staatsanwaltliche Verfahrensleitung eine – sachlich vertretbare – Disziplinaranzeige gegen den Verteidiger an die Aufsichtsbehörde über die Anwälte einreicht, schafft keinen Ausstandsgrund. Andernfalls hätte es die Verteidigung in der Hand, durch mutmassliche Verstösse gegen die anwaltlichen Berufsregeln den Ausstand von Staatsanwälten zu bewirken. Ausserdem würde die Staatsanwaltschaft faktisch an der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Verpflichtung gehindert, ihr bekannt gewordene erhebliche Disziplinarverstösse von Anwälten von Amtes wegen an die Aufsichtsbehörde zu melden. Fall eines Anwalts, der sich u.a. als Verteidiger vor der staatsanwaltlichen Einvernahme mit zwei potenziellen Zeugen getroffen haben soll, um ihren Wert als Zeugen im Verfahren beurteilen zu können.
Bundesgericht 1B_118/2021 vom 13.7.2021
Klarer Marktmissbrauch der Swisscom
Die Swisscom muss auf Geheiss der Wettbewerbskommission eine Sanktion von 7,4 Millionen Franken zahlen. Die Post hatte 2008 die Errichtung und den Betrieb eines «Wide Area Network» WAN für ihre Poststandorte ausgeschrieben und den Zuschlag der Swisscom erteilt. Dagegen opponierte Sunrise, weil sie für die Anbindung der Poststellen auf Swisscom-Vorleistungen angewiesen sei und die Preise dafür viel zu hoch seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun bestätigt, dass die Swisscom sowohl gegenüber der Post als auch gegenüber Sunrise unangemessene Preise erzwungen und ihre besondere Marktmacht in Form einer Kosten-Preis-Schere missbraucht hat. Das Urteil kann noch beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht B-8386/2015 vom 24.6.2021
Walliser Anwalt wegen Ausraster gebüsst
Die Walliser Aufsichtsbehörde über die Anwälte hat einen Anwalt wegen Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflichten (Art. 12 Anwaltsgesetz) zu Recht mit einer Busse von 3000 Franken bestraft. Der Anwalt hatte im Rahmen einer Anhörung seine Contenance verloren, dabei zwei Polizisten als Cowboys betitelt und ihnen vorgeworfen, sie würden den «Puck» in juristischer Hinsicht nicht checken. Darüber hinaus bezeichnete er den Gegenanwalt als «Pantin» (Hampelmann), «Guignol» (Kasper) und als «fils à papa». Ein solches Benehmen erachtet das Bundesgericht als inakzeptabel. Es entspricht nicht dem Verhalten eines Anwalts, der seinen Beruf sorgfältig und gewissenhaft ausübt. Es war auch verhältnismässig, den Ausraster des Anwalts mit einer Busse statt mit einer Verwarnung zu ahnden.
Bundesgericht 2C_354/2021 vom 24.8.2021
Unverhältnismässige Covid-Beschränkung
Die im Kanton Bern erlassene Regelung, wonach die Teilnehmerzahl bei Kundgebungen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie auf 15 Personen zu beschränken ist, erweist sich als unverhältnismässig. Es dürfen nicht beliebig strenge Massnahmen ergriffen werden, um jegliche Krankheitsübertragung zu verhindern. Vielmehr ist nach dem akzeptablen Risiko zu fragen und eine Abwägung zwischen den involvierten Interessen vorzunehmen. Beanstandet hat das Bundesgericht insbesondere, dass die Berner Regelung sämtliche Veranstaltungen, ob drinnen oder draussen, gleich behandelt hat. Zudem verunmöglicht die Regelung faktisch die Ausübung der Versammlungsfreiheit. Die Urner Regelung mit einer Begrenzung von Kundgebungen auf 300 Personen ist demgegenüber gesetzeskonform.
Bundesgericht 2C_290/2021 und 2C_308/2021 vom 3.9.2021
Illegale Betonstrasse muss zurückgebaut werden
Die Bürgergemeinde Oensingen SO muss eine 660 Meter lange Betonstrasse abreissen, die ohne Bewilligung und gegen klare Weisungen erstellt worden ist. Auch das Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass der Rückbau trotz finanziellem Nachteil der Gemeinde im Umfang von 410 000 Franken – Baukosten 250 000 Franken, Rückbaukosten 160 000 Franken – nicht unverhältnismässig ist, weil die Baute bösgläubig gebaut worden ist. Es handle sich bei der Betonierung der Strasse nicht um ein unbedeutendes Abweichen von den raumplanungsrechtlichen Vorgaben, wie die Gemeinde dem Bundesgericht weismachen wollte. Ausserdem bestehen weder private noch öffentliche Interessen der Strassenbenützer, welche die öffentlichen Interessen an der Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands überwiegen.
Bundesgericht 1C_154/2020 vom 13.7.2021
Informationen über mangelhafte Wickelkommoden
2015 überprüfte die Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU Wickelkommoden auf die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften. Eine Journalistin verlangte in der Folge gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Informationen darüber, welche Wickelkommoden Mängel hätten. Das Bundesverwaltungsgericht gewährt der Journalistin – im zweiten Anlauf – Einblick in die Unterlagen. Eine wirksame Berichterstattung über die Kontrolltätigkeit der BfU ist in geeigneter Weise erst möglich, wenn offengelegt wird, welche Wickelkommoden aus welchen Gründen auch immer mangelhaft beurteilt worden sind. Die Journalistin übt als Medienschaffende an dieser Stelle eine Wächterfunktion aus. Zudem besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Bekanntgabe von fehlerhaften Wickelkommoden.
Bundesverwaltungsgericht A-2734/2020 vom 2.8.2021
Laie muss rechtsgenügend informiert werden
Stellt eine Untersuchungsbehörde Aufzeichnungen und Gegenstände vorläufig sicher, so hat sie deren Inhaber anlässlich der Hausdurchsuchung darüber zu informieren, dass er eine Siegelung verlangen kann, falls er Geheimnisrechte geltend machen möchte, die einer Durchsuchung oder Beschlagnahmung der sichergestellten Unterlagen entgegenstehen. Diese Information muss rechtzeitig, das heisst spätestens nach Abschluss der Hausdurchsuchung, und inhaltlich ausreichend erfolgen. Ein Hinweis im Hausdurchsuchungsbefehl und im Durchsuchungsprotokoll auf Art. 248 StPO genügt – jedenfalls bei einem juristischen Laien – nicht. Ein Gesuch der erbetenen Verteidigung auf Siegelung zwei Tage nach der Hausdurchsuchung ist deshalb nicht verspätet.
Bundesgericht 1B_277/2021 vom 17.8.2021
Verletzung von Berufsregel durch Überklagen
Die Zürcher Anwalts-Aufsichtskommission hat einem Anwalt zu Recht wegen mehrfacher Verletzung der Berufsregeln eine Busse von 2000 Franken auferlegt. Der Anwalt hatte vor Bezirksgericht – ohne seinen Klienten hinreichend über Prozess- und Kostenrisiken aufzuklären – eine Klage mit überhöhtem Streitwert eingeleitet, obschon keine vernünftigen Chancen bestanden, auch nur annähernd einen Prozessgewinn in der Grössenordnung der eingeklagten Streitsumme zu realisieren. Ein solches Verhalten liegt nicht im Interesse des Klienten und ist mit einer sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung nicht zu vereinbaren. Der Anwalt wurde im gleichen Zusammenhang – vom Bundesgericht mit Urteil 4A_462/2017 bestätigt – dazu verurteilt, seinem Klienten Schadenersatz von 180 000 Franken zu bezahlen.
Bundesgericht 2C_233/2021 vom 8.7.2021
«Aus» für Drogenauto mit Geheimversteck
Anlässlich einer Kontrolle stellte der Zoll fest, dass in einem Auto früher unter anderem Kokain und Heroin – teilweise in einem Geheimfach zwischen den Rücksitzen und dem Kofferraum – transportiert worden war. Der Zoll entschied, dass das Fahrzeug definitiv eingezogen wird. Der Eigentümer des Fahrzeugs verlangte eine gerichtliche Beurteilung der Einziehungsverfügung. Das Obergericht des Kantons Bern ordnete den Rückbau des Personenwagens in seinen Originalzustand an und gab dem Eigentümer die Wahl, entweder das beschlagnahmte Fahrzeug unter Belastung der Rückbaukosten zu übernehmen oder der Verwertung des Personenwagens unter Auszahlung des Nettoerlöses zuzustimmen. Eine dagegen eingereichte Beschwerde hat das Bundesgericht abgewiesen. Die Anordnung ist weder willkürlich, noch verstösst sie gegen die Wirtschaftsfreiheit. Der Eingriff in die Eigentumsrechte ist hinzunehmen, da das öffentliche Interesse an der Sicherheit und Gesundheit von Menschen eindeutig überwiegt.
Bundesgericht 6B_217/2021 vom 26.5.2021
Betreibungskosten sind abschliessend festgelegt
Die Betreibungskosten sind in der vom Bundesrat erlassenen Gebührenverordnung abschliessend geregelt. Andere als die darin vorgesehenen Gebühren und Entschädigungen dürfen für die im SchKG geregelten Verfahren nicht erhoben werden. Daran können auch kantonale Wegleitungen nichts ändern. Es ist deshalb unzulässig, für einen schriftlichen Auszug aus dem Betreibungsregister – unabhängig von der Seitenzahl – mehr als pauschal 17 Franken und bei Zustellung per Post, Fax oder elektronisch mehr als 18 Franken zu verlangen. Es fehlt an einer gesetzlichen Grundlage, um für die Rechnungsstellung einer schriftlichen Betreibungsauskunft eine gesonderte Gebühr – im konkreten Fall 8 Franken – zu verlangen, wie dies das Betreibungsamt Thalheim AG getan hat.
Bundesgericht 5A_1014/2020 vom 17.6.2021
Freiheitsberaubung durch Ladendetektiv
Die Luzerner Justiz hat einen Ladendetektiv zu Recht wegen Freiheitsberaubung, Entführung und Amtsanmassung verurteilt. Der Ladendetektiv hatte zusammen mit einem Mitarbeiter einen Mann auf dem Bahnhofplatz in Luzern ohne Vorankündigung überwältigt. Anschliessend klemmte der Ladendetektiv den Kopf des Mannes zwischen seine Beine und der Mitarbeiter legte die Handschellen an. Mit auf dem Rücken fixierten Händen und in gebückter Stellung führten sie den Mann durch das Untergeschoss des Bahnhofs zurück zum Kaufhaus. Dort untersuchten sie den Rucksack des «Verhafteten», worauf eine Parfümflasche zum Vorschein kam. Der Vorfall dauerte weniger als 10 Minuten. Das Bundesgericht beurteilte dies als Freiheitsberaubung, obwohl dieser Tatbestand angesichts des hohen Strafrahmens restriktiv anzuwenden sei.
Bundesgericht 6B_358/2020 vom 7.7.2021