Blindheit nach Operation ist kein Unfall
Als ein Patient nach einer schweren Herzoperation – Aortaklappenersatz – aus der Narkose erwachte, wurde ein irreversibler kompletter Sehverlust an beiden Augen festgestellt. Die Zurich Versicherung lehnte ihre Leistungspflicht als Unfallversicherung mit der Begründung ab, der ärztliche Eingriff sei nicht als Unfall zu qualifizieren. Der Patient akzeptierte diese Einschätzung nicht und argumentierte, die Verletzung der Arteria mammaria sei auf eine grobe Ungeschicklichkeit der operierenden Ärzte zurückzuführen und damit als ungewöhnlicher äusserer Faktor zu qualifizieren. Ein Gutachten ergab jedoch, dass kein grober Fehler der Ärzte und damit kein Unfall vorlagen. Für den Sehverlust war vielmehr eine Reihe von Faktoren – Vorerkrankung des Patienten, lange Dauer der Operation etc. – verantwortlich.
Bundesgericht 8C_813/2017 vom 6.6.2018
Keine Haftung des Kantons nach Straftat
Der Kanton Luzern muss dem Opfer einer brutalen Straftat weder eine Genugtuung bezahlen noch für den erlittenen Schaden aufkommen. Eine Frau hatte ihrem damaligen Freund in einem E-Mail mitgeteilt, sie beende die Beziehung definitiv. Der Mann begab sich am selben Abend in die Wohnung der Frau, entführte sie in sein Domizil, wo er sie vergewaltigte, misshandelte und ihr dreimal aus kurzer Distanz mit einer Armbrust in die Brust schoss. Einen Monat zuvor hatte die Frau Kontakt zur Luzerner Polizei. Ein Polizist gab ihr damals den Rat, sich von ihrem Freund zu trennen. Dass ihr Freund zehn Jahre vorher wegen Mords und Vergewaltigung verurteilt worden war, darüber wurde sie vom Polizisten nicht informiert. Das Bundesgericht zeigt Verständnis dafür, dass die Frau die ausgebliebene Warnung über die Gefährlichkeit ihres Partners als gravierenden Fehler einstuft und dass das Verhalten der Behörde wohl «zum Lauf der Dinge» beigetragen hat. Ein fehlerhaftes Verhalten des Polizisten verneinte das Bundesgericht jedoch. Dass die Dinge bei Kenntnis der Umstände möglicherweise anders verlaufen wären, führt nicht zu einer Haftung des Staates für den erlittenen Schaden und zu einem Genugtuungsanspruch des Opfers gegenüber dem Staat.
Bundesgericht 2C_816/2017 vom 8.6.2018
Beweislosigkeit trifft den Versicherten
Beim Essen von Kartoffelgratin biss ein Mann auf einen harten Gegenstand. Dabei spaltete er einen Backenzahn. Seine Unfallversicherung verweigerte Leistungen, weil das für den Unfallbegriff erforderliche Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sei. Das St. Galler Kantonsgericht schützte diese Haltung. Es stellte fest, der Versicherte habe den fraglichen Gegenstand hinunter geschluckt, ohne ihn zu identifizieren. Ob es sich deshalb um ein kleines Steinchen handelte, wie vom Versicherten vermutet, war nicht erwiesen. Die blosse Vermutung, ein Zahnschaden sei durch einen Fremdkörper verursacht worden, genügt nicht für die Annahme eines ungewöhnlichen äusseren Faktors. Die Folgen der Beweislosigkeit hat der Versicherte zu tragen.
Bundesgericht 8C_251/2018 vom 20.6.2018
Rückkehr nach Eritrea zumutbar
Abgewiesene Asylsuchende können auch dann nach Eritrea weggewiesen werden, wenn ihnen bei der Rückkehr die Einberufung in den Nationaldienst droht. Das Bundesverwaltungsgericht räumt zwar ein, dass die Verhältnisse im eritreischen Nationaldienst problematisch sind. Sie sind aber nicht derart schwerwiegend, dass sie den Wegweisungsvollzug unzulässig machen würden. Die Wegweisung ist auch zumutbar. Ferner geht das Gericht davon aus, dass bei einer freiwilligen Rückkehr nach Eritrea generell kein ernsthaftes Risiko einer Inhaftierung und damit verbunden einer unmenschlichen Behandlung droht. Das Urteil ist abschliessend und kann nicht beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht E-5022/2017 vom 10.7.2018
Arzt für lebensbedrohlichen Kunstfehler bestraft
Im Rahmen einer operativen Entfernung der Gebärmutter mittels Unterbauchschnitt sowie einer Lösung von Verwachsungen im Bauchraum unterlief einem Arzt ein Kunstfehler. Aufgrund einer vom Arzt nicht erkannten Verletzung des Darms erlitt die Patientin im Nachgang zur Operation eine Sepsis und musste notfallmässig operiert werden, wobei eine mechanische und medikamentöse Reanimation notwendig war. Das Opfer des Kunstfehlers musste sieben Monate im Spital verbringen. Die Aargauer Justiz warf dem Arzt vor, in pflichtwidriger Unvorsichtigkeit den lebensbedrohlichen Zustand der Patientin verkannt zu haben. Das Bundesgericht hat die Verurteilung des Arztes wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 310 Franken (37 200 Franken) sowie zu einer Genugtuung an die Patientin von 40 000 Franken bestätigt.
Bundesgericht 6B_229/2018 vom 25.6.2018
Wegen Drohung aus Anwaltsregister gestrichen
Ein Anwalt aus dem Kanton Neuenburg benahm sich in einem Nachbarschaftsstreit völlig daneben. Unter anderem soll er erklärt haben: «Mon père est un gars du Sud. Il a le sang chaud et que si ça doit finir au coup de fusil, cela finira au coup de fusil.» Das Strafgericht verurteilte den Anwalt wegen Drohung, Sachbeschädigung und Nötigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen und einer Busse von 800 Franken. Die Neuenburger Aufsichtsbehörde über Anwälte nahm diesen Entscheid zum Anlass, den rechtskräftig verurteilten Juristen aus dem kantonalen Anwaltsregister zu streichen. Sein Verhalten sei mit dem Beruf eines Anwalts nicht vereinbar und geeignet gewesen, den Anwaltsberuf in den Augen der Öffentlichkeit und der Behörden zu diskreditieren. Das Bundesgericht hat sämtliche gegen diese Streichung angeführten Argumente abgewiesen.
Bundesgericht 2C_226/2018 vom 9.7.2018
Wahnvorwurf gegen Anwalt keine Ehrverletzung
Im Rahmen eines Forderungsprozesses erstattete ein Rechtsanwalt gegen den Anwalt der Gegenseite und dessen Mandantin Strafanzeige wegen Beschimpfung. Der Gegenanwalt soll ihm in einer Rechtsschrift «Wahnvorstellungen» unterstellt haben. Die Zürcher Staatsanwaltschaft Sihl nahm das Verfahren nicht an die Hand, was das Zürcher Obergericht für rechtens hielt. Nun hat auch das Bundesgericht entschieden, dass keine Strafuntersuchung durchzuführen ist. Im konkreten Fall erfolgte die inkriminierte Äusserung in einem nicht öffentlichen Prozess, sodass ein Ansehensverlust in der Öffentlichkeit nicht zu befürchten ist. Mangels Legitimation ist deshalb das Bundesgericht nicht auf die Beschwerde eingetreten.
Bundesgericht 6B_579/2018 vom 5.7.2018
Praxisänderung beim Familiennachzug
In Änderung der bisherigen Praxis hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Recht auf Familiennachzug auch dann noch aus Art. 8 der EMRK abgeleitet werden kann, wenn ein Kind im Laufe des Verfahrens volljährig geworden ist. Das Gericht verweist auf die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Bis anhin erlosch das Recht auf Familiennachzug, wenn ein Kind im Laufe des Verfahrens volljährig geworden ist. Im konkreten Fall hatte eine 16-jährige Kamerunerin ein Gesuch eingereicht, um zu ihrer Mutter in die Schweiz zu ziehen, die über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte.
Bundesverwaltungsgericht F-3045/2016 vom 25.7.2018
Mindestfallzahlen bei Ärzten sind zulässig
Der Beschluss des Zürcher Regierungsrates, in sechs Leistungsbereichen Mindestfallzahlen pro Operateur festzusetzen, ist nicht zu beanstanden. Ab dem 1. Januar 2019 haben die Spitäler dafür zu sorgen, dass für die betroffenen Leistungsgruppen nur Chirurgen eingesetzt werden, welche die erforderliche Mindestfallzahl erreicht haben und damit genügend Praxis ausweisen. Solche Mindestfallzahlen in einzelnen Bereichen der Gynäkologie, der Chirurgie des Bewegungsapparates und der Urologie dienen der Qualitätssicherung. Ein Verstoss gegen die Wirtschaftsfreiheit liegt nicht vor. Das Urteil ist abschliessend und kann nicht beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht C-5603/2017 vom 14.9.2018
Eventualvorsätzliche Amokfahrt gegen Jogger
Der Automobilist, der nach einer verbalen Auseinandersetzung mit zwei Joggern mit seinem Personenwagen mindestens mit Tempo 45 auf die beiden Widersacher losfuhr und einen Jogger frontal seitlich erfasste, ist von der Aargauer Justiz zu Recht wegen mehrfacher versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 5½ Jahren verurteilt worden. Auch nach Meinung des Bundesgerichts hat der Täter durch sein Manöver den Tod der beiden Jogger in Kauf genommen und eventualvorsätzlich gehandelt. Der Vorwurf, er habe durch sein Verhalten eine Situation geschaffen, in der er nicht mehr vorhersehen konnte, wie sich die Jogger verhalten würden, und es letztlich vom Zufall abhing, ob sich die Todesgefahr für die Jogger verwirkliche, ist nicht zu beanstanden.
Bundesgericht 6B_897/2017 vom 24.7.2018
Revisionsgesuch gegen Urteil gutgeheissen
Das Bundesgericht ist über seinen eigenen Schatten gesprungen und hat ein Revisionsgesuch gutgeheissen. Die Richter in Lausanne hatten einen Mann in einem Urteil dazu verpflichtet, seiner Prozessgegnerin eine Parteientschädigung von 6000 Franken zu überweisen, obschon diese keine Beschwerdeantwort hatte einreichen müssen und ihr deshalb gar kein Aufwand entstanden war. Die Richter in Lausanne räumen nun ein, dass es «eine in den Akten liegende erhebliche Tatsache aus Versehen nicht berücksichtigt» hat. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der obsiegenden Partei keine Parteientschädigung zuzusprechen, wenn diese keine Beschwerdeantwort eingereicht hat. Der Mann war deshalb zu Unrecht zur Zahlung der Parteientschädigung verurteilt worden. Der Prozessgegnerin entgehen nun nicht nur die 6000 Franken Parteientschädigung – sie muss zudem die Kosten für das Revisionsverfahren von 1000 Franken tragen und dem Mann dafür noch eine Parteientschädigung von 1500 Franken überweisen.
Bundesgericht 4F_18/2018 vom 9.8.2018