Lebenslängliche Verwahrung aufgehoben
Der bereits zuvor einmal wegen Mordes verurteilte Mann, der im Mai 2013 eine junge Frau namens «Marie» erdrosselt hat, ist zu Recht wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Aufgehoben hat das Bundesgericht jedoch die vom Waadtländer Kantonsgericht angeordnete lebenslängliche Verwahrung, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Das Gesetz verlangt für eine lebenslängliche Verwahrung unter anderem, dass sich das Gericht auf die Gutachten von mindestens zwei erfahrenen und voneinander unabhängigen Sachverständigen stützen kann, die den Täter als dauerhaft nicht therapierbar einstufen. Im konkreten Fall war einer der Gutachter nicht zum Schluss gelangt, dass der Verurteilte dauerhaft untherapierbar ist, weil in der Psychiatrie keine «lebenslangen» Prognosen hinsichtlich von Behandlungsmöglichkeiten gemacht werden könnten.
Bundesgericht 6B_35/2017 vom 26.2.018
Kommentierung des Bundesgerichts unerwünscht
Aufgrund der Aktenlage war in einer Auseinandersetzung um die Zusprechung einer Invalidenrente der medizinische Sachverhalt erhoben worden. Angesichts der sich diametral unterscheidenden fachärztlichen Berichte war klar, dass eine erneute psychiatrische Begutachtung notwendig war. Statt wie gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung selber ein Gerichtsgutachten einzuholen, schickte das kantonale Versicherungsgericht den Fall zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens an die IV-Stelle zurück und stellte in ihrem Urteil darüber hinaus klar, dass es nicht gewillt sei, sich an die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesgerichts zu halten. Das kam in Lausanne nicht gut an. Mit aller Deutlichkeit ist festzuhalten, «dass es nicht im Belieben der kantonalen Gerichte steht, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu befolgen, und auch nicht deren Aufgabe ist, die Rechtsprechung zu kommentieren».
Bundesgericht 8C_580/2017 vom 9.2.2018
Verweigerung des Bürgerrechts diskriminierend
Die Genossenkorporation Stans muss ihre Regeln über die Erteilung des Genossenbürgerrechts dem Gleichstellungsartikel der Bundesverfassung anpassen und den Kindern einer Genossenbürgerin das begehrte Bürgerrecht zusprechen. Diese hatten die Genossenkorporation darum ersucht, als Genossenbürger aufgenommen zu werden. Die Korporation wies das Gesuch aufgrund der Korporationsregeln ab. Diese sehen vor, dass ein Kind verheirateter Eltern das Korporationsbürgerrecht des Vaters erhält. Eine Weitergabe dieses Rechts durch eine verheiratete Mutter ist nicht vorgesehen. Diese Bestimmungen sind diskriminierend. Sie führen zu einer indirekten Diskriminierung der Frauen als Genossenbürgerinnen, weil diese ihre Mitgliedschaft nicht an ihre Nachkommen weitergeben können. Die Regelung führt im Weitern auch zu einer Ungleichbehandlung innerhalb der Geschlechter, weil ledige Genossenbürgerinnen ihr Bürgerrecht weitergeben können, verheiratete hingegen nicht.
Bundesgericht 5A_164/2017 vom 29.1.2018
Definition der «erhöhten Gefahr» im Verkehr
Für die Beurteilung, ob eine grobe – oder eine bloss einfache – Verkehrsregelverletzung anzunehmen ist, wird als Richtschnur die Regel 1/6 Tacho bzw. der Abstand von 0,6 Sekunden herangezogen. Dies bedeutet nun aber nicht, dass keine grobe Verkehrsregelverletzung vorliegen kann, wenn der Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug 0,6 Sekunden beträgt. Indem ein Lenker in einem Zeitraum von nur 9,36 Sekunden zweimal auf einen Abstand von 0,6 Sekunden aufschloss, hat er eine erhöhte Gefahr für die andern Verkehrsteilnehmer geschaffen. Sein Verhalten ist deshalb zu Recht als grobe Verkehrsregelverletzung qualifiziert und geahndet worden.
Bundesgericht 6B_1090/2017 vom 15.2.2018
Keine fristlose Entlassung nach unflätigen Äusserungen
Ein Angestellter eines Beratungsunternehmens hatte in einer Bar gegenüber drei Kollegen sexuelle Äusserungen über eine Arbeitskollegin getätigt. Die Frau erfuhr von diesen sexistischen Sprüchen und wandte sich deshalb ans Personalbüro. Nach Abklärungen und Befragungen weiterer Mitarbeiter, die weiteres unflätiges Verhalten an den Tag brachten, wurde dem Mitarbeiter fristlos gekündigt. Zu Unrecht. In den Augen des Bundesgerichts waren die Vorfälle nicht derart gravierend, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, ohne vorher einen Verweis auszusprechen.
Bundesgericht 4A_124/2017 vom 31.1.2018
Vollmacht für Bundesgericht notwendig
Parteivertreter müssen sich gemäss Artikel 40 Absatz 2 BGG im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht durch eine Vollmacht ausweisen. Ein Anwalt wehrte sich dagegen und erklärte, eine Vollmacht sei in seinem Fall nicht erforderlich, wenn er gestützt auf seine kantonale Einsetzung als amtlicher Verteidiger gemäss Artikel 64 Absatz 2 BGG als notwendiger Verteidiger im bundesgerichtlichen Verfahren eingesetzt würde. Damit verkennt der Anwalt laut Bundesgericht die Rechtslage: Die Ernennung als amtlicher Verteidiger im kantonalen Verfahren enthält keine Vollmacht zur Beschwerdeführung ans Bundesgericht. Die Vorschriften der StPO über die amtliche und notwendige Verteidigung finden im Verfahren vor Bundesgericht keine Anwendung. Mangels Behebung des Mangels innert der gesetzten Frist ist das Bundesgericht androhungsgemäss nicht auf die Beschwerde eingetreten. Die Gerichtskosten von 500 Franken wurden dem Anwalt persönlich aufgebürdet.
Bundesgericht 6B_1319/2017 vom 24.1.2018
Vaterschaft zu spät bestritten
Wird ein Kind während der Ehe geboren, gilt die gesetzliche Vermutung, dass der Ehemann der Vater ist. Will er die Vaterschaft anfechten, hat er dies innert fünf Jahren seit der Geburt zu tun. Nach Ablauf dieser Verwirkungsfrist ist eine Anfechtung nur noch möglich, wenn die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird. Kommen dem Ehemann nachträglich Zweifel an seiner biologischen Vaterschaft, so hat er umgehend zu reagieren, das heisst innerhalb eines Monats. Im konkreten Fall handelte es sich um einen Ehemann, der trotz Zweifeln an seiner Vaterschaft mit der Anfechtung praktisch ein Jahr zuwartete. Er hat es sich selber zuzuschreiben, dass er sich nicht rechtzeitig über die Modalitäten der Anfechtungsklage kundig machte.
Bundesgericht 5A_541/2017 vom 10.1.2018
Verjährungsfrist läuft ab Sanktionierung
Die Bewährungsfrist gemäss Artikel 16c Absatz 2 litera d SVG beginnt nicht schon am Tag der Widerhandlung zu laufen, sondern erst, wenn diese mit einer Sanktion geahndet wird. Konkret ging es um den Fall eines Schwyzer Autolenkers, der am 17. Juli 2016 in angetrunkenem Zustand einen Lieferwagen lenkte. Er beging die letzte SVG-Widerhandlung am 24. Juni 2011 – und damit mehr als fünf Jahre vor Ablauf der Bewährungsfrist, musste aber trotzdem den Führerausweis für zwei Jahre abgeben. Grund: Der Lenker war für die leichte SVG-Widerhandlung erst am 24. August 2011 verwarnt worden, weshalb die fünfjährige Bewährungsfrist noch nicht abgelaufen war. Wäre auf den Tag der SVG-Widerhandlung abzustellen gewesen, wäre der Lenker mit einem Führerausweisentzug von drei Monaten oder knapp darüber sanktioniert worden.
Bundesgericht 1C_89/2017 vom 22.12.2017
Zins muss ausdrücklich beantragt werden
Muss ein Anwalt in einem Verfahren wegen ungerechtfertigter Haft nebst der geforderten Summe ausdrücklich auch einen Zins verlangen, wenn diese Summe verzinst werden soll? Ja, sagt das Bundesgericht. Die Strafbehörde ist nicht verpflichtet, alle für die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs bedeutsamen Tatsachen von Amtes wegen abzuklären. Gemäss Artikel 429 Absatz 2 StPO hat sie die beschuldigte Person zur Frage der Entschädigung mindestens anzuhören und gegebenenfalls aufzufordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen. Dies bedeutet indessen nicht, dass die Strafbehörde im Sinne des Untersuchungsgrundsatzes von Artikel 6 StPO alle für die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs bedeutsamen Tatsachen von Amtes wegen abzuklären hat. Im konkreten Fall hatte der Anwalt für erlittene Sicherheitshaft einzig «eine angemessene Entschädigung» verlangt, ohne die Forderung zu beziffern und einen Zins zu beantragen. Ein solcher Antrag impliziert keine Verzinsung. Diese zu verlangen ist dem Beschwerdeführer beziehungsweise seinem Anwalt zuzumuten.
Bundesgericht 6B_632/2017 vom 22.2.2018