Bundesgericht
Videoüberwachung am Arbeitsplatz
Das bundesrätliche Verbot geheimer Videoüberwachung am Arbeitplatz (Art. 3 ArGV) gilt nicht absolut. Laut Bundesgericht bezweckt das Verbot den Schutz der Gesundheit der Angestellten. Nicht jede Überwachung gefährde indessen automatisch die Gesundheit des Personals. Eine gezielte Überwachung kann deshalb erlaubt sein, wenn die Mitarbeiter nur sporadisch und kurzzeitig erfasst werden. Nach Ansicht des Bundesgerichtes ist das der Fall bei der Videoüberwachung im Kassenraum einer Bijouterie. Erstaunt zeigt sich das Bundesgericht darüber, dass die «heikle und schwierige» Frage der Überwachung am Arbeitsplatz nicht in einem formellen Gesetz geregelt wird.
(6B_536/2009 vom 12. November 09)
Programm mit Schweizer Werbefenster zulässig
Der französische Privatfernsehsender M6 verletzt mit der Aussendung seines Programms mit einem Schweizer Werbefenster in der Westschweiz weder das Urheberrecht, noch betreibt er damit unlauteren Wettbewerb. Die SRG ist mit ihrer Klage unterlegen. Das Bundesgericht verweist darauf, dass nach schweizerischem Urheberrecht auf Übertragungen per Satellit die Sendelandtheorie anwendbar ist, wonach der Urheber die Zustimmung zur Ausstrahlung seines Werks nach dem Recht desjenigen Staats erteilt, von dem die Übertragung ausgeht. Eine weitere Ermächtigung im Empfängerland ist nicht erforderlich. Damit spielt es keine Rolle, ob das Satellitensignal schweizerische oder französische Werbung enthält.
(Öffentliche Beratung vom 12. Januar 2010 im Verfahren 4A_203/2009; schriftliche Begründung ausstehend)
«Mit gutem Willen» mehr anschaffen
Die Aargauer Justiz hat sich mit dem Vorwurf an eine Prostituierte vertan, sie hätte mit etwas mehr beruflichem Einsatz genug verdienen können, um die Kinderalimente zu zahlen. Das Bundesgericht hat ihre Verurteilung wegen Vernachlässigung der Unterhaltspflichten aufgehoben. Das Obergericht hatte der Frau angelastet, ihre unregelmässige Tätigkeit im Sexgewerbe nicht ausgebaut und intensiviert zu haben, zumal ihr der Job ja gefalle. Mit etwas «gutem Willen» wäre es ihr möglich gewesen, genug zu verdienen, um den Kinderunterhalt mindestens teilweise zahlen zu können. Laut den Richtern in Lausanne ist das Aargauer Urteil willkürlich.
(6B_730/2009 vom 24. November 09)
Tennis-Ellbogen als Berufskrankheit
Ein Tennis-Ellbogen kann als Berufskrankheit gelten. Laut Bundesgericht ist die Sichtweise der Suva, wonach für eine Epikondylitis (Tennis-Ellbogen) kaum je berufliche Ursachen verantwortlich sein können, grundsätzlich zwar zutreffend. Sie darf aber nicht absolut gelten. Eine Analyse der wissenschaftlichen Daten zu dieser Frage legt nahe, dass unter gewissen Bedingungen eine Berufskrankheit vorliegen kann.
(8C_410/2009 vom 10. November 09)
Verletzter Fotograf bei G8-Demos
Die Genfer Justiz muss nochmals prüfen, ob ein britischer Pressefotograf entschädigt werden muss, der 2003 bei den G8-Protesten in Genf durch eine Granate der Polizei verletzt wurde. Der Mann hatte vom Kanton erfolglos rund 85000 Franken Schadenersatz gefordert. Laut Bundesgericht hat die Vorinstanz einen Kausalzusammenhang zwischen Granatenwurf und Verletzung zu Unrecht verneint. Das Dossier geht zur Prüfung der restlichen Haftungsvoraussetzungen zurück ans Kantonsgericht.
(Öffentliche Beratung vom 20. November 2009 im Verfahren 2C_860/2008; schriftliche Begründung ausstehend)
Straftaten offen legen
Einbürgerungsbewerber sind ver-pflichtet, die Behörden von sich aus über frühere strafrechtliche Verurteilungen zu informieren. Wer dies unterlässt, verschweigt erhebliche Tatsachen und erschleicht die Einbürgerung (im Sinne von Art. 41 Abs. 1 BüG), welche deshalb für nichtig erklärt werden kann. Keine Rolle spielt in solchen Fällen, dass die Behörden den Einbürgerungswilligen direkt fragen könnten und auch in der Lage wären, sich die Informationen selbst zu beschaffen. Im konkreten Fall erachtet das Gericht die Nichtigerklärung als verhältnismässig.
(1C_578/2008 vom 11. November 09)
Bundesverwaltungsgericht
Uvek muss Konzessionsvergabe neu prüfen
Das Uvek muss die Konzessionsvergabe für Lokalradios im Aargau und in der Südostschweiz sowie für ein Lokalfernsehen in der Ostschweiz neu prüfen. Es hatte 2008 die UKW-Lokalradiokonzession für den Aargau an Radio Argovia vergeben. Roger Schawinski ging mit seiner Radio AG leer aus. Das gleiche Schicksal erlitt er in der Südostschweiz mit Radio Südost. Laut dem Gericht wurde bei der Konzessionsvergabe vom Uvek nicht ausreichend abgeklärt, ob die bevorzugten Bewerber die Meinungs- und Angebotsvielfalt gefährden. Nicht zu beanstanden ist, dass das Uvek die Gesuche der Konzessionsempfänger inhaltlich besser bewertet hat als die ihrer unterlegenen Konkurrenten.
(A-7799/2008 vom 10. Dezember 09 und andere)
Keine Prämiensenkung mit Reserven
Krankenkassen müssen überschüssige Reserven nicht für die Senkung der Prämien einsetzen. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zurückgepfiffen. Das BAG hatte sich 2008 geweigert, die von der Krankenkasse Assura für das Jahr 2009 unterbreiteten Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu genehmigen. Grund waren die hohen Reserven der Assura. Für die Forderung des BAG, mit überschüssigen Reserven, Prämiensenkungen zu finanzieren, besteht keine Rechtsgrundlage. Das Krankenversicherungsrecht lege einzig Mindestreserven fest.
(C-6958/2008 vom 8. Dezember 09)
Voller Zuschlag für Graufahrer
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Pauschaltarif der SBB für Graufahrer abgesegnet. Wer in einem Selbstkontroll-Zug mit einem 2.-Klass-Billet in der 1. Klasse erwischt wird, muss demnach den vollen Schwarzfahrerzuschlag zahlen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hatte von der SBB verlangt, in solchen Fällen den Zuschlag individuell nach dem mutmasslichen Einnahmenausfall zu erheben. Dies wäre kaum praktikabel. Gestützt hat das Gericht aber die Forderung des BAV, dass die SBB von Grau- und Schwarzfahrern neben dem Zuschlag künftig auch den Fahrpreis zu erheben hat.
(A-2742/2009 vom 14. Dezember 09)
Asyl für Tibeter
Tibeter, die ihr Heimatland illegal verlassen haben, können in der Schweiz unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts ausserhalb von China als Flüchtlinge anerkannt werden. Gemäss bisheriger Praxis wurde in solchen Fällen davon ausgegangen, dass geflüchtete Personen bei einer Rückkehr nur dann chinesische Repressionen zu befürchten hätten, wenn der Aufenthalt im Ausland «längere Zeit» gedauert habe. An dieser Rechtsprechung kann nicht mehr festgehalten werden. Massgeblich ist vielmehr, dass Chinaillegal ausgereiste Tibeter unabhängig von der Dauer ihres Auslandaufenthaltes verdächtigt, oppositionelle, separatistische und politisch-religiöse Ansichten zu vertreten. Laut Gericht wäre es kaum sachgerecht, wenn die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft letztlich von der Dauer des Asylverfahrens abhängen würde.
(E-6706/2008 vom 7. Oktober 2009)
Herausgabe von Kundendaten war rechtswidrig
Die Finma hat rechtswidrig gehandelt, als sie im letzten Februar Kontendaten von rund 300 amerikanischen UBS-Kunden an die USA herausgegeben hat. Nach Ansicht des Gerichts kann sich die Finma nicht auf eine ausreichende Gesetzesgrundlage stützen. Art. 25 und 26 des Bankengesetzes (Massnahmen zur Verhinderung der Insolvenz einer Bank) sind zu wenig bestimmt und voraussehbar, um eine direkte Herausgabe von Bankkundendaten an ausländische Behörden zu rechtfertigen. Auch auf Notstandsrecht kann sie sich nicht berufen. Dazu sei neben dem Parlament einzig der Bundesrat befugt. Konkrete Notstandsmassnahmen hätte der Bundesrat deshalb selbst anordnen müssen, worauf er aber verzichtet habe.
(B-1092/2009 vom 5. Januar 2010)