Quittung für fristwahrende Einschreibesendungen
Ein Anwalt kämpfte erfolgreich um die Revision eines höchstrichterlichen Urteils. Das Bundesgericht war auf eine Beschwerde des Anwalts wegen verspäteter Einreichung nicht eingetreten. Allerdings hatte die Post gepfuscht. Dem Anwalt gelang es, glaubhaft und plausibel darzulegen, dass die Beschwerde am letzten Tag der Frist kurz vor 19 Uhr der Hauptpost in St. Gallen übergeben worden war. Gemäss Track & Trace der Post wurde die Beschwerde erst am Folgetag um 10.20 Uhr erfasst. Das Bundesgericht hat das Verfahren nun wieder aufgenommen. Der Anwalt «wird sich allerdings überlegen müssen, ob er weiterhin (frist-wahrende) Einschreibesendungen aufgeben will, ohne auf einer umgehenden Quittierung des Empfangs durch die Post zu beharren». Auf Wunsch der Post werden in St. Gallen die Codelisten nicht direkt abgestempelt und den Kunden ausgehändigt, sondern nach der Erfassung des Barcodes durch die Post gestempelt und den Kunden ins Postfach gelegt.
Bundesgericht 1F_18/2019 vom 9.5.2019
Six Group ist zu Recht gebüsst worden
Die Wettbewerbskommission hat die Six Group wegen Verstosses gegen das Kartellgesetz zu Recht mit 7 Millionen Franken gebüsst. Das Urteil betrifft den Geschäftsbereich des Zahlungsverkehrs mit Kredit- und Debitkarten. Das Bundesverwaltungsgericht wirft der Six Group ebenfalls ein marktmissbräuchliches Verhalten gemäss Art. 7 des Kartellgesetzes vor. Das rechtswidrige Verhalten betrifft insbesondere die Geschäftsverweigerung und das Koppelungsgeschäft zum Nachteil anderer Terminalhersteller und Händler. Das 500-seitige Urteil, das noch beim Bundesgericht angefochten werden kann, beantwortet rund 60 Rechtsfragen, von denen 20 präjudiziellen Charakter haben. Es behandelt eine Vielzahl äusserst umstrittener Rechtsfragen des Kartellrechts, weshalb ihm eine besondere Bedeutung weit über den entschiedenen Sachverhalt hinaus zukommt.
Bundesverwaltungsgericht B-831/2011 vom 18.12.2018
Verbrühungen in der Badewanne waren ein Unfall
Wer in der Badewanne ausrutscht, den Kopf anschlägt und bewusstlos wird, erleidet einen Unfall, wenn er anschliessend rund 90 Minuten in der Badewanne liegt und durch heisses Wasser Verbrühungen zweiten Grades an 30 Prozent des Körpers erleidet. Zwar stellt die normale Einwirkung des Wassers auf den menschlichen Körper grundsätzlich keinen ungewöhnlichen äusseren Faktor dar. Im konkreten Fall macht jedoch die ungewöhnlich hohe Temperatur des Wassers den an sich alltäglichen Vorgang zu einem einmaligen Vorfall. Der Umstand, dass die Unfähigkeit des Opfers, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, auf erheblichen Alkoholkonsum zurückzuführen war (2,8 Promille), schliesst die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors nicht aus. Auch das Kriterium der Plötzlichkeit ist laut Bundesgericht gegeben: Aufgrund der erlittenen Verbrühungen muss von einer hohen Temperatur des Wassers ausgegangen werden, was innert kurzer Zeit zur Gesundheitsschädigung führte.
Bundesgericht 8C_842/2018 vom 6.5.2019
Zürcher Justiz überspitzt formalistisch
Die elektronische Übermittlung einer Rechtsschrift untersteht dem Empfangsprinzip. Das Risiko einer nicht funktionierenden Übermittlung bzw. einer technischen Panne trägt bis zum Empfangsserver des Gerichts die Partei. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Zustellung am zu hohen Datenvolumen einer elektronischen Eingabe scheiterte, kann der Partei kein grobfahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Im konkreten Fall war zudem die Obergrenze des zulässigen Datenvolumens von 20 Megabyte nachweislich nicht überschritten. Indem der Anwalt am Tag nach Ablauf der Frist die Beschwerde per Fax und Post, unter Nachweis der am Vortag vergeblich erfolgten elektronischen Zustellungsversuche verschickt hat, hat er das getan, was jeder vernünftige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen getan hätte. Die Ablehnung der Fristwiederherstellung durch die Zürcher Justiz ist insofern als willkürlich und mithin als Verstoss gegen das Verbot des überspitzten Formalismus zu qualifizieren.
Bundesgericht 2C_502/2018 vom 4.4.2019
Strafverfahren zu früh eingestellt
Nach einem mutmasslichen sexuellen Missbrauch eines zur Tatzeit siebenjährigen Knaben durch seinen Vater stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Zuvor hatte die Beiständin des Kindes erklärt, sie mache für den Knaben vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und er werde kein zweites Mal aussagen. Das Bundesgericht hat die von der Mutter des Kindes erhobene Beschwerde gutgeheissen und die Verfahrenseinstellung aufgehoben. Der Tatvorwurf der sexuellen Handlungen mit Kindern ist schwerwiegend und darf durch die Strafverfolgungsbehörden nicht leichthin fallen gelassen werden. Hinzu kommt, dass die bisherige Verfahrensdauer von nunmehr zwei Jahren als moderat zu bezeichnen ist. Setzt man sie in Relation zur Verfolgungsverjährung, die bis mindestens zum 25. Lebensjahr des Opfers andauert, so ist nicht ersichtlich, weshalb mit der Einstellung des Strafverfahrens nicht zugewartet werden konnte.
Bundesgericht 6B_1034/2018 vom 13.5.2019
Flüchtlingseigenschaft aberkannt
Anfang der 1990er-Jahre erhielt ein Bürger der ehemaligen Sozialistischen Provinz Kosovo in der Schweiz Asyl. Damals gehörte dieses Gebiet zur Sozialistischen Republik Serbien, die ihrerseits mit den anderen Teilrepubliken Jugoslawien bildete. Im Juni 2015 aberkannte das Staatssekretariat für Migration die Flüchtlingseigenschaft des Mannes und widerrief zugleich dessen Asyl. Zu Recht, wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat. Die Lage in Kosovo hat sich für Personen albanischer Volkszugehörigkeit grundlegend verändert; die Situation hat sich stabilisiert und ist mit Blick auf asylrelevante Kriterien zufriedenstellend. Die betroffenen Personen können heute den Schutz der Republik Kosovo in Anspruch nehmen.
Bundesverwaltungsgericht D-4282/2015 vom 25.4.2019
Ausstandsbegehren zu spät eingereicht
Weil sich ein Polizist in seiner Freizeit von einem hinter ihm fahrenden Lenker eines Personenwagens bedroht fühlte, notierte er sich das Kontrollschild. Später lud er den Lenker als beschuldigte Person schriftlich zur polizeilichen Einvernahme ein. Anlässlich dieser Einvernahme befragte er den Lenker in seiner Eigenschaft als Polizist, verfasste später einen Rapport und erstattete Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft, welche den fehlbaren Lenker schuldig sprach und bestrafte. Nunmehr anwaltlich vertreten, stellte der Lenker unter Hinweis auf die Ausstandsgründe des Eigeninteresses und der Befangenheit gut zwei Monate später ein Ausstandsgesuch gegen den Polizisten und forderte, dass sämtliche Amtshandlungen aus dem Recht zu weisen seien, an denen der Polizist mitgewirkt hatte. Ein Gesuch um Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person ist sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrunds einzureichen. Dies gilt auch für juristische Laien. Ein Gesuch mehr als zwei Monate nach der Einvernahme ist zu spät.
Bundesgericht 1B_542/2018 vom 9.4.2019
Einmonatige Ausreisefrist unhaltbar
Das Zürcher Verwaltungsgericht ordnete im Streit um Aufhebung der Niederlassungsbewilligung an, ein krimineller Ausländer zweiter Generation sei innerhalb eines Monats ab Zustellung des Urteils «aus dem Land zu entfernen». Diese kurze Ausreisefrist ist in den Augen des Bundesgerichts «offensichtlich unverhältnismässig und unhaltbar»; sie verstösst gegen Art. 9 BV. Die allgemeine Lebenserfahrung legt nahe, so das Lausanner Urteil, dass eine geordnete Beendigung des Aufenthalts bei einem Ausländer, der seit Geburt mehrheitlich in der Schweiz gelebt hat, mehr als einen Monat beansprucht.
Bundesgericht 2C_815/2018 vom 24.4.2019
Keine ambulante Therapie für Mörder von Rupperswil
Der Vierfachmörder von Rupperswil erhält keine vollzugbegleitende ambulante therapeutische Massnahme. Eine solche erfordert eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer wesentlichen Verbesserung des für die Delikte relevanten schweren psychischen Störungsbildes. Angesichts der angeordneten Verwahrung ist von einer langfristigen Untherapierbarkeit auszugehen, weshalb die Voraussetzungen für eine ambulante therapeutische Massnahme nicht gegeben sind. Der Betroffene hat jedoch die Möglichkeit, sich im Rahmen des Strafvollzugs einer freiwilligen psychiatrischen Versorgung zu unterziehen. Gemäss Art. 64 Abs. 4 StGB ist auch für Verwahrte eine psychiatrische Betreuung sicherzustellen, wenn diese notwendig ist. Zudem ist von Gesetzes wegen regelmässig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Übertritt in eine stationäre therapeutische Massnahme erfüllt sind.
Bundesgericht 6B_237/2019 vom 21.5.2019
UBS-Kundendaten an Frankreich
Die Eidgenössische Steuerverwaltung ist gehalten, Frankreich Informationen zur Identität von mutmasslich in Frankreich steuerpflichtigen Kunden der UBS zu erteilen. Für drei von fünf Bundesrichtern handelt es sich beim französischen Amtshilfeersuchen, das sich auf Listen mit 40 000 Konten- und andern Banknummern stützt, nicht um eine unzulässige «fishing expedition». Die Datensätze waren in den Jahren 2012 und 2013 bei deutschen Zweigniederlassungen der UBS beschlagnahmt und später an Frankreich übermittelt worden. Das Spezialitätsprinzip rechtfertigt keine Verweigerung der Amtshilfe, weil die französischen Behörden garantierten, die Informationen nicht im Strafverfahren zu verwenden, das in Frankreich gegen die UBS läuft.
Bundesgericht 2C_653/2018 vom 26.7.2019
Unzulässige Übertragung an Drittperson
Es braucht eine genügende gesetzliche Grundlage für die Übertragung von Verwaltungsaufgaben und die Verfügungsbefugnis von Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung. In den Organisations- und Verfahrensbestimmungen finden sich keine Rechtsgrundlagen für die Auslagerung einer Disziplinaruntersuchung an eine Drittperson. Die Aufsichtsbehörde des Bundes über die Bundesanwaltschaft hätte das Disziplinarverfahren gegen Bundesanwalt Michael Lauber nicht an eine Drittperson übertragen dürfen. Erlassene Verfügungen der Drittperson sind deshalb nichtig. Das Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht A-3612/2019 vom 29.7.2019