Vorzeitiger Strafvollzug ist anzurechnen
Der vorzeitig angetretene Strafvollzug ist ohne jede Einschränkung vollumfänglich auf die Strafe anzurechnen. Daran wird das Bundesstrafgericht erinnert, das bei der Verurteilung eines Mannes wegen versuchter Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht nur 149 Tage Polizei- und Untersuchungshaft, nicht 457 Tage vorzeitigen Strafvollzug anrechnete.
Bundesgericht 6B_571/2015 vom 14.12.2015
Verurteilung wegen Mordes bestätigt
Ein Mann, der 2011 in Jona einen Hauswart erschossen hat, ist zu Recht zu 18 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Kantonsgericht durfte aufgrund der Indizien zum Schluss gelangen, dass der Täter besonders skrupellos gehandelt hatte. Neu muss die St. Galler Justiz prüfen, ob eine Verwahrung oder eine andere Massnahme anzuordnen ist. Das ursprüngliche Gutachten hatte formelle und inhaltliche Mängel.
Bundesgericht 6B_265/2015 vom 3.12.2015
Pornokonsum am Arbeitsplatz
Die SBB haben zwei Mitarbeiter zu Recht fristlos entlassen, weil sie am Arbeitsplatz stundenlang auf Pornowebsites surften. Zwar hat der betriebsinterne Informatikdienst bei der Überwachung das Datenschutzgesetz verletzt, angesichts der schweren Verfehlung durfte sein Bericht dennoch beigezogen werden.
Bundesverwaltungsgericht A-5641/2014 und A-6453/2014 vom 8.12. und 9.12.2015
Kopftuchverbot in der Schule ist verfassungswidrig
Die Schulgemeinden dürfen in der Schweiz muslimischen Mädchen nicht verbieten, im Unterricht ein Kopftuch oder einen Hijab zu tragen. Das Bundesgericht sieht im entsprechenden Verbot der Gemeinde St. Margrethen SG einen unzulässigen Eingriff in die Glaubensfreiheit. Im Gegensatz zur Schule und zu den Lehrern besteht für Schülerinnen keine religiöse Neutralitätspflicht.
Bundesgericht 2C_121/2015 vom 11.12.2015 (öffentliche Beratung)
Kein Familienasyl für anerkannte Flüchtlinge ohne Asyl
Asylsuchende Ausländer, die allein aufgrund ihres Verhaltens nach der Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat (Nachfluchtgründe) verfolgt werden, können als Flüchtlinge anerkannt werden. Von der Asylgewährung (Aufenthaltsbewilligung «Ausweis B») sind sie laut Asylgesetz aber ausgeschlossen – auch dann, wenn Ehegatte und Kindern Asyl gewährt wurde. Die Anerkennung als Flüchtling führt nur zu einer vorläufigen Aufnahme (Ausweis F).
Bundesverwaltungsgericht E-1715/2012 und E-3087/2012 vom 2.12.2015
Kartellrechtliche Sanktion gegen BMW bestätigt
Die Schweizerische Wettbewerbskommission hat dem Autohersteller BMW zu Recht eine Sanktion von 156 Millionen Franken auferlegt. Eine Vertragsklausel, die BMW-Händlern im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbietet, Exporte in nicht-EWR-Länder – und damit auch in die Schweiz – zu tätigen, ist eine vertikale Gebietsabrede und verstösst gegen das Kartellgesetz. Das Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht B-3332/2012 vom 13.11.2015
Krankenkasse muss Prämien ab Todestag zurückerstatten
Eine Krankenkasse muss nach dem Tod einer versicherten Person die Prämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ab dem Todeszeitpunkt zurückzahlen. Das Bundesgericht ist von der Unteilbarkeit der Monatsprämie abgekommen. Es verweist auf den Umstand, dass im Bereich der privatrechtlichen Versicherungen von Gesetzes wegen der Grundsatz der Teilbarkeit der Prämienzahlung gilt.
Bundesgericht 9C_268/2015 vom 3.12.2015 (öffentliche Beratung)
Mörder kommt nach Strafverbüssung in Verwahrung
Die Zürcher Behörden haben gegen einen Mörder, der im Jahre 1993 zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, zu Recht im Anschluss an die Strafverbüssung eine Verwahrung ausgesprochen. Die nachträgliche Verwahrung gemäss den 2007 eingeführten Bestimmungen verstösst nicht gegen die EMRK. Eine Verletzung des Rückwirkungs- oder Doppelbestrafungsverbots liegt nicht vor.
Bundesgericht 6B_896/2014 vom 16.12.2015
Kristallnacht-Twitterer zu Recht verurteilt
Die Zürcher Justiz hat den «Kristallnacht-Twitterer» zu Recht wegen Rassendiskriminierung zu einer bedingten Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu 120 Franken und zu 1800 Franken Busse verurteilt. Der Mann hatte via Kurzmitteilungsdienst Twitter den Satz «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht … diesmal für Moscheen» verbreitet. Entgegen der Auffassung des Verurteilten kann angesichts der prägnant formulierten Implikationen des Tweets nicht von einer lediglich «gedankenlosen» Äusserung die Rede sein.
Bundesgericht 6B_627/2015 vom 4.11.2015
Erfolg für Verein «Ja zum Seeuferweg»
Eine vom Zürcher Kantonsrat beschlossene Bestimmung, dass Privatgrundstücke am Zürichsee für die Erstellung von Uferwegen nicht enteignet werden dürfen, verstösst gegen das Raumplanungsgesetz. Es verlangt, dass der öffentliche Zugang zu See- und Flussufern erleichtert wird. Ohne die Enteignungsoption wäre die Erstellung längerer Uferwegabschnitte praktisch unmöglich.
Bundesgericht 1C_157/2014 vom 4.11.2015
Bund hat Kantonen keine Subventionen vorenthalten
Die Kantone Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Freiburg, Neuenburg und Waadt sind beim Bundesverwaltungsgericht mit einer Beschwerde auf Zahlung von über 200 Millionen Franken Subventionen für ihre Universitäten gescheitert. Seit 1966 wurden die Subventionen an die Betriebskosten stets im Folgejahr ausgerichtet. Die Kantone machen für 2012 einen gesetzeswidrigen Ausfall geltend, weil der Bund von der vergangenheits- zur gegenwartsbezogenen Ausrichtung gewechselt hat. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt keinen Ausfall, nur einen neuen Zahlungsmodus.
Bundesverwaltungsgericht B-605/2014 vom 10.11.2015
Zürcher Regierung überspitzt formalistisch
Der Beschluss des Zürcher Regierungsrats, eine Beschwerde gegen die Wahl der Zürcher Nationalräte als unzulässig zu erklären, weil sie nicht per Einschreiben eingereicht wurde, ist überspitzt formalistisch und wegen formeller Rechtsverweigerung aufzuheben. Auch eine rechtzeitig eingegangene, per A-Post Plus aufgegebene Beschwerde ist zu beachten.
Bundesgericht 1C_581/2015 vom 10.11.2015
Facebook-Post war keine Anstiftung für eine Straftat
Nach der Tötung von 26 Soldaten in der Türkei stellte ein Mann die Kontaktdaten eines Anwalts, der in der Schweiz Kurden vertrete, auf Facebook. Es kam zu einer Straftat gegen den Anwalt. Der Eintrag allein genügt laut Bundesgericht jedoch nicht für eine Qualifikation als Anstiftung im Sinne von Art. 24 StGB. «Erforderlich ist vielmehr eine unmittelbare Einflussnahme auf die Willensbildung des anderen.» Der Mann wurde vom Vorwurf der versuchten Anstiftung zu Mord freigesprochen.
Bundesgericht 6B_828/2015 vom 5.11.2015
Ungefährlicheres Überfahren einer Sicherheitslinie
Das Überfahren einer Sicherheitslinie bei in gleicher Fahrtrichtung verlaufenden Fahrstreifen birgt ein geringeres Gefährdungspotenzial als bei richtungsgetrennten Fahrbahnen. Ein derartiger Verkehrsregelverstoss ist im vereinfachten Verfahren – Ordnungsbussenverfahren – zu ahnden.
Bundesgericht 6B_520/2015 vom 24.11.2015
Erhöhung der CO2-Abgabe ist rechtmässig
Der Bundesrat durfte die CO2-Abgabe 2014 von 36 auf 60 Franken Franken pro Tonne CO2 erhöhen. Das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass die Verordnung des Bundesrates auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht. Der Entscheid ist nicht rechtskräftig; die Erdölbranche hat ihn ans Bundesgericht weitergezogen.
Bundesverwaltungsgericht A-3874/2014 vom 21.10.2015
Ohne nachhaltigen Gewinn kein Steuerabzug
Wer bei einer selbständigen Nebenerwerbstätigkeit massiv mehr ausgibt, als er einnimmt, kann den Verlust nicht bei den Steuern geltend machen. Ein zu 100 Prozent angestellter Ostschweizer reinigte nebenbei für 484 Franken Trompeten und Flügelhörner, machte im selben Geschäftsjahr aber 8100 Franken Auslagen geltend.
Bundesgericht 2C_188/2015 vom 23.10.2015
Freispruch trotz Handy am Steuer
Das blosse Halten eines Mobiltelefons während der Fahrt während einiger Sekunden verstösst nicht gegen das Strassenverkehrsgesetz. Der Autofahrer war mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h auf dem Normalstreifen im Kurvenbereich einer Autobahn unterwegs. Er wandte aber den Blick nicht von der Strasse ab, telefonierte nicht und manipulierte auch nicht am Handy.
Bundesgericht 6B_1183/2014 vom 27.10.2015
Ermittlungspflichten der Staatsanwaltschaft
Nur wenn die Strafbehörden ihrer Amtsermittlungspflicht genügen, dürfen sie einen Sachverhalt als erwiesen (oder nicht erwiesen) ansehen und in freier Beweiswürdigung darauf eine Rechtsentscheidung gründen. Der Grundsatz «in dubio pro reo» kann damit sachlogisch erst zur Anwendung kommen, wenn alle aus Sicht des urteilenden Gerichts notwendigen Beweise erhoben wurden. Es ist primär Aufgabe der Staatsanwaltschaft, den Sachverhalt zu ermitteln und die erforderlichen Beweise zu erheben.
Bundesgericht 6B_288/2015 vom 12.10.2015
Wahrheitsgetreue Berichterstattung straflos
Die wahrheitsgetreue Berichterstattung über öffentliche Verhandlungen und amtliche Mitteilungen einer Behörde ist laut Art. 28, Abs. 4 StGB straflos. Wahrheitsgetreu ist eine Berichterstattung, wenn sie die in der Gerichtsverhandlung gefallenen Äusserungen wörtlich oder sinngemäss widergibt. Unerheblich ist, ob diese Äusserungen selber wahr oder unwahr sind. Hingegen ist eine tendenziöse Berichterstattung, die kein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Verhandlung widergibt, rechtswidrig.
Bundesgericht 6B_1242/2014 vom 15.10.2015