Verdichtete Bauweise auch auf dem Land
Das Ziel der schweizerischen Raumordnungspolitik, zur haushälterischen Nutzung des Bodens die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken und kompakte Siedlungen zu schaffen, gilt nicht nur im städtischen Bereich. Eine verdichtete Bauweise muss auch im ländlichen Gebiet angestrebt werden. Ein Hauseigentümer, dessen Haus nur 1,2 m von der Grundstücksgrenze steht, muss deshalb damit leben, dass auch der Nachbar den Regel Gebäudeabstand beim Bau eines Mehrfamilienhauses unterschreiten darf, sofern er seinerseits den Grenzabstand einhält. Eine Mehrbeschattung infolge der Neubaute – im Sommer eineinhalb Stunden und im Winter eineinviertel Stunden – muss hingenommen werden.
Bundesgericht 1C_233/2016 vom 20.1.2017
Eritrea-Praxis geändert
Personen aus Eritrea, die illegal aus ihrer Heimat ausreisen, haben nicht mehr automatisch Flüchtlingsstatus und damit Anrecht auf Asyl. Bisher ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass sich Eritreer durch eine unerlaubte Ausreise mit massiven Sanktionen ihres Heimatstaates konfrontiert sehen. Daraus schloss das Gericht, dass bereits eine (glaubhaft gemachte) illegale Ausreise aus Eritrea ohne Weiteres die Flüchtlingseigenschaft begründet. Um künftig Flüchtlingsstatus zu erhalten, müssen zur illegalen Ausreise zusätzlich individuelle Elemente hinzukommen.
Bundesverwaltungsgericht D-7898/2015 vom 30.1.2017
Wer sich weigert, verliert Invalidenrente
Fasst die IV-Behörde eine Revision der Invalidenrente ins Auge, sind Invalidenrentner verpflichtet, sich einer neuen Begutachtung zu unterziehen. Weigert sich eine Person, verletzt sie die Mitwirkungspflichten und muss damit rechnen, dass die Invalidenrente eingestellt wird. Im vorliegenden Fall liess ein psychisch angeschlagener Mann einen ersten Termin beim Psychiater platzen, verhielt sich beim zweiten Termin derart aggressiv und auffällig, dass eine Untersuchung nicht möglich war. Sollte sich der Mann später einmal bereit erklären, sich einer psychiatrischen Abklärung zu unterziehen, wird die IV-Stelle die entsprechende Erklärung als Neuanmeldung entgegennehmen und anschliessend prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Invalidenrente erfüllt sind.
Bundesgericht 9C_244/2016 vom 16.1.2017
Bürogemeinschaft führt zu Interessenkollision
Besteht beim amtlichen Verteidiger eine Interessenkollision, so kann dies eine wirksame Verteidigung beeinträchtigen. Solche Interessenkollisionen können auch daraus entstehen, dass in einer Bürogemeinschaft verbundene Anwälte Klienten mit gegensätzlichen Interessen vertreten. Im konkreten Fall erachtet das Bundesgericht einen Verteidigungswechsel für angebracht, weil der amtliche Verteidiger eines wegen Drogendelikten angeklagten Mannes mit einer Rechtsanwältin eine Bürogemeinschaft eingegangen ist, die früher als Verteidigerin für einen Mitbeschuldigten tätig war.
Bundesgericht 1B_259/2016 vom 11.1.2017
Altlastensanierung kein Unterhalt
Kosten für die Sanierung belasteter Standorte (Altlastensanierung) haben in der Regel werterhaltenden Charakter, weil durch die Sanierung der ursprüngliche Wert des Grundstücks wiederhergestellt wird, der durch die Belastung des Bodens verloren ging. Solche Aufwendungen erfüllen somit die Anforderungen an Unterhaltskosten nicht und können bei den Steuern nicht abgezogen werden. Der Fall betraf Grundeigentümer, die eine Altlastensanierung auf einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück vornehmen mussten, um es überbauen zu können.
Bundesgericht 2C_251/2016 vom 30.12.2016
Wachhund-Funktion der Medien
Der Ausschluss akkreditierter Gerichtsberichterstatter von einer Berufungsverhandlung und einer mündlichen Urteilsverkündung in einem Strafprozess verletzt den Grundsatz der Justizöffentlichkeit und ist auch mit der Medien- und Informationsfreiheit nicht vereinbar. In einem demokratischen Rechtsstaat spielen die Medien eine unentbehrliche Rolle bei der Information der Öffentlichkeit und beim Vermitteln der Funktionsweise der Justiz. Der Ausschluss von Medienschaffenden ist nur sehr beschränkt zulässig. Das Prinzip der Justizöffentlichkeit bedeutet eine Absage an jegliche Form der Geheimjustiz.
Bundesgericht 1B_349/2016 und 1B_350/2016 vom 22.2.2017
Öffentliche Verhandlung über verlängerte Massnahme
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X. 2008 wegen Sexualdelikten zu 35 Monaten Freiheitsstrafe und einer Busse von 500 Franken. Es ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB an. Die Massnahme wurde jeweils um drei Jahre verlängert, letztmals 2014 durch das Regionalgericht Bern-Mittelland. Dagegen reichte X. Beschwerde ein, er verlangte eine mündliche Verhandlung unter Beizug eines Gutachters. Das Bundesgericht gelangt nun zum Schluss, die Vorinstanz hätte die mündliche Verhandlung und die Entscheideröffnung öffentlich durchführen müssen. Die angefochtenen Entscheide sind daher aufzuheben und die Sache zur Durchführung einer mündlichen und öffentlichen Verhandlung unter Beizug des Gutachters zurückzuweisen.
Bundesgericht 6B_1/2017 vom 6.3.2017
Ehrverletzende Fürsprecherpost
Das Zürcher Obergericht hat einen Fürsprecher zu Recht wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 300 Franken verurteilt, weil er im Auftrag einer Klientin von seinem Zürcher Büro ein ehrverletzendes E-Mail an den Beschwerdegegner und weitere Personen gesandt hatte. Nach der Auffassung eines unbefangenen Adressaten waren die Aussagen laut Bundesgericht so zu verstehen, «der Beschwerdegegner habe Kontakte zu Zuhältern und Prostituierten gepflegt und sei selber in solchen Geschäften aktiv gewesen».
Bundesgericht 6B_584/2016 vom 6.2.2017
Luzerner Polizeigesetz nicht über alle Zweifel erhaben
Die neue Regelung im Polizeigesetz des Kantons Luzern zur Verteilung von Kosten gegenüber Kundgebungsteilnehmern ist verfassungswidrig, weil sie gegen das Rechtsgleichheits- und Äquivalenzprinzip verstösst. Denn von der Kostenauflage – maximal 30 000 Franken – werden nicht nur Personen erfasst, die selber Gewalt ausüben, sondern auch solche, die sich auf polizeiliche Aufforderung hin nicht entfernen. Kundgebungsteilnehmer ohne Rücksicht auf ihren Beitrag an der Gewaltausübung zu gleichen Teilen zu belasten verstösst gegen abgaberechtliche Grundsätze.
Bundesgericht 1C_502/2015 vom 18.1.2017
Baselbieter Eigenmietwert ist verfassungswidrig
Die im Kanton Basel-Landschaft beschlossene Neuregelung zur Ermittlung des Eigenmietwerts führt unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebots zu einer Benachteiligung der Mieter gegenüber Wohneigentümern. Die Regelung führt in vielen Fällen zu einem Eigenmietwert von weniger als 60 Prozent, was laut langjähriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung verfassungswidrig ist. Der eingebaute Korrekturmechanismus greift nur in zufälligen Konstellationen.
Bundesgericht 2C_519/2015 vom 12.1.2017
Ehefrau eines Schweizers ausgewiesen
Die Migrationsbehörden durften einer Türkin, die mit einem Schweizer verheiratet ist und seit 15 Jahren in der Schweiz lebt, die Niederlassungsbewilligung entziehen und sie aus der Schweiz wegweisen. Die Frau hat sich in keiner Weise integriert und spricht immer noch kein Deutsch. Zudem musste das Ehepaar seit 2006 mit fast 340 000 Franken Sozialhilfe unterstützt werden. Auch in Zukunft, so die Prognose, müsste das Paar Unterstützungsleistungen in ähnlichem Umfange beziehen, um über die Runden zu kommen. Die Wegweisung erweist sich als verhältnismässig.
Bundesgericht 2C_562/2016 vom 14.12.2016
Strafanzeige in eigener Sache
Das Bundesverwaltungsgericht will Strafanzeige gegen unbekannt erstatten. Anlass gibt ein «Weltwoche»-Artikel vom 2. Februar 2017, worin über das Ergebnis eines Entscheides des Bundesverwaltungsgerichts berichtet wurde, bevor das Urteil den Verfahrensparteien zugestellt worden war. Wie das Ergebnis des Urteils zur «Weltwoche» gelangte, sei unklar, heisst es in einer Medienmitteilung. Die Verwaltungskommission des Gerichts missbillige den Vorfall und hat daher Strafanzeige erstattet.
Bundesverwaltungsgericht D-7898/2015 vom 30.1.2016