Busse von 3,5 Millionen Franken für Bank
Das Bundesstrafgericht hat zum ersten Mal in einem Fall von «Verantwortlichkeit des Unternehmens» im Sinne von Art. 102 des Strafgesetzbuches entschieden und eine Bank zu einer Busse von 3,5 Millionen Franken verurteilt. Die Regelungen im Bereich Geldwäscherei legen fest, dass Banken über eine unabhängige Compliance verfügen müssen und dafür verantwortlich sind, dass diese Vorgabe eingehalten wird. Bei einer Privatbank war dies nicht der Fall. Die zum Tatzeitpunkt gelebte Organisationsstruktur, die problematische «personelle Verstrickungen» aufwies, zeige auf, dass es effektiv keine personell unabhängige interne Kontrolle bezüglich risikobehafteter Geschäftsbeziehungen und allfälliger Geldwäschereihandlungen gab. Die Bank muss eine Ersatzforderung von 7,2 Millionen Franken an die Eidgenossenschaft abliefern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bundesstrafgericht SK.2020.21 vom 15.12.2021
Maskentragpflicht in Schulen verhältnismässig
Anfang Februar 2021 erweiterte der Regierungsrat des Kantons Bern die Maskentragpflicht auf Schüler im fünften und sechsten Schuljahr. Mehrere Personen gelangten gegen diese – mehrfach verlängerte – Massnahme mit Beschwerden ans Bundesgericht. In seinem Urteil erinnert das Bundesgericht daran, dass mit Art. 40 Epidemiengesetz eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine kantonale vorübergehende Maskenpflicht in Einkaufsläden bestehe. Nichts anderes gelte für Schulen. Die Maskenpflicht sei ein milderes Mittel als eine Schulschliessung. Es sei davon auszugehen, dass an Schulen ein gewisses Risiko der Verbreitung von Coronaviren bestehe. Eine Schädlichkeit von Masken in physischer Hinsicht sei nicht erstellt.
Bundesgericht 2C_183/2021 und 2C_228/2021 vom 23.11.2021
Berner Justiz verletzte Gehörsanspruch
Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung fand bei verschiedenen Personen eine Polizeikontrolle im Gerichtsgebäude statt. Einer Frau, die eine beteiligte Partei an die Gerichtsverhandlung begleitete, wird vorgeworfen, sie habe sich trotz mehrmaliger Aufforderung geweigert, ihre Personalien bekannt zu geben, sie habe sich körperlich gewehrt und sich geweigert, sich zwecks Feststellung der Identität auf die Wache zu begeben. Schliesslich wurde die Frau gefesselt und zur Polizeiwache getragen. Die Berner Justiz verurteilte die Frau wegen Hinderung einer Amtshandlung, ohne ihre Beweise – eine Filmaufnahme und Zeugenbefragungen – abzunehmen. Gemäss Bundesgericht fehlt es an einer bundesrechtskonform begründeten antizipierten Beweiswürdigung, womit der Gehörsanspruch verletzt wurde.
Bundesgericht 6B_574/2021 vom 22.11.2021
Keine Revision bei Illettrismus und Alkoholsucht
Mit dem Tod der steuerpflichtigen Person treten die Erben als Gesamtrechtsnachfolger auch in ihre verfahrensrechtliche Stellung ein. Sie übernehmen hängige Verfahren im Stadium zum Todeszeitpunkt. Diese Verfahrenssukzession gilt analog auch in Bezug auf rechtskräftig abgeschlossene Steuerveranlagungen. Eine Revision ist ausgeschlossen, wenn die Erben als Revisionsgrund vorbringen, was der Erblasser bei der ihm zumutbaren Sorgfalt schon im ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können. Alkoholismus und Illettrismus des Erblassers ändern nichts daran. Lediglich bei Geisteskrankheit oder -schwäche und damit fehlender Prozessfähigkeit könne das Mass der «zumutbaren Sorgfalt» gemäss Art. 147 Abs. 2 DBG herabgesetzt sein und allenfalls eine Revision der Steuerveranlagung erfolgen.
Bundesgericht 2C_259/2021 vom 30.11.2021
Verletzung der anwaltlichen Berufsregeln
Die aargauische Anwaltskommission hat einen Anwalt zu Recht mit einem Verweis wegen Verletzung der Berufsregeln belegt und ihm 2000 Franken Verfahrensgebühr auferlegt. Der Anwalt hatte für seine Klientin in einem bezirksgerichtlichen Zivilverfahren um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, aber entgegengenommene Kostenvorschüsse nicht offengelegt. Mit dem Mandat, für eine unbemittelte Partei als Rechtsvertreter tätig zu werden, übernimmt der Anwalt keinen privaten Auftrag, sondern eine staatliche Aufgabe. Er tritt zum Staat in ein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Entschädigung hat. Eine Rechnungsstellung an eine verbeiständete Person ist laut Bundesgericht eine disziplinierungswürdige Standeswidrigkeit.
Bundesgericht 2C_250/2021 vom 3.11.2021
Unfalladäquanz bei einem Blitzunfall gegeben
Als ein Arbeiter 2018 auf einer Baustelle Schalungselemente an die Ketten eines Krans montieren wollte, schlug ein Blitz ein. Strom floss durch den Körper, doch Stromeintritts- oder Austrittsmarken waren beim Betroffenen nicht feststellbar. Der Mann hat seit dem Blitzschlag psychische Probleme. Die Suva stellte ihre Leistungen 2019 mit der Begründung ein, es lägen keine organisch hinreichend nachweisbaren Beschwerden vor und die bestehenden psychischen Leiden stünden nicht in adäquatem Zusammenhang mit dem Blitzschlag. Laut Bundesgericht lässt sich ein Blitzunfall nicht mit einem (Stark-)Stromunfall vergleichen. Ein Blitzunfall sei vielmehr im Grenzbereich zu den schweren Unfällen anzusiedeln. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Blitzschlag und den psychischen Beschwerden sei gegeben.
Bundesgericht 8C_437/2021 vom 25.11.2021
Windpark Grenchenberg muss verkleinert werden
Erfolg für die Umweltorganisation Birdlife und den Solothurner Vogelschutzverband im Streit um den Windpark Grenchenberg. Eine Bewilligung ist nur in reduziertem Umfang – vier statt sechs Windenergieanlagen – möglich. Laut Bundesgericht besteht ein erhebliches Interesse am Schutz eines Wanderfalkenhorsts, der nur 350 bzw. 700 m zu den geplanten Windrädern entfernt liegt. Damit wäre der Mindestabstand von 1000 m, den die Vogelwarte Sempach als unterste noch vertretbare Grenze bezeichnet, verletzt. Nötig sind zudem Massnahmen zum Schutz von Fledermäusen und Ersatzmassnahmen für Heidelerchen und andere Brutvögel.
Bundesgericht 1C_573/2018 vom 24.11.2021
Kein betreutes Alterswohnen in Gewerbegebiet
Die Gemeinde Freienbach SZ bewilligte einer Aktiengesellschaft, in der Gewerbezone ein Gebäude für betreutes Wohnen und Pflege mit Restaurant zu erstellen. Zwei Personen erhoben Einsprache. Vor Bundesgericht war strittig, ob solche Dienstleistungsbetriebe gewerblichen Charakter haben. Für das Bundesgericht ist klar: Ein Alters- und Pflegeheim gehört nicht in eine Gewerbezone. Anders als bei Dienstleistungsbetrieben wie z.B. Post, Bank oder Arztpraxis etc. halten sich Dienstleistungsempfänger bei einem Alters- und Pflegeheim ununterbrochen am Ort der Dienstleistungserbringung auf.
Bundesgericht 1C_188/2020 vom 22.11.2021
Schadenersatzklage in Millionenhöhe abgewiesen
Ein deutscher Anwalt, inzwischen auf Geheiss der Berner Aufsichtsbehörde im Anwaltsregister gelöscht, reichte 2019 beim Bundesgericht eine Schadenersatzklage über 7 Millionen Franken gegen die Eidgenossenschaft ein. Das Bundesgericht hatte seinen Namen in Urteilen nicht anonymisiert. In diesen Entscheiden wurden ihm als Parteivertreter Verfahrenskosten persönlich auferlegt, da er sie unnötig verursacht habe. Aufgrund der Namenspublikation verlor der Anwalt angeblich Kundschaft. Das Bundesgericht hat die Klage abgewiesen, da sie mangels Widerrechtlichkeit unbegründet sei. Wird die Identität eines Rechtsvertreters bekannt, sind höchstpersönliche Rechte nicht tangiert, sondern die äusserlich sichtbare Wahrnehmung beruflicher Pflichten.
Bundesgericht 2E_4/2019 vom 28.10.2021
Anwalt mit krass übersetztem Stundenansatz
Die St. Galler Anwaltskammer hat einem Rechtsanwalt zu Recht wegen Verstosses gegen die Berufsregel 1500 Franken Busse auferlegt. Der Anwalt hatte in einem familienrechtlichen Verfahren zur Regelung von Unterhalt und Besuchsrecht einen Stundenansatz zwischen 500 und 580 Franken verrechnet. Besondere Abklärungen waren nicht nötig. Die wirtschaftliche Lage der Klientin war kritisch, sodass wohl ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege angebracht gewesen wäre. Laut Bundesgericht liegt ein krass übersetzter Stundenansatz vor.
Bundesgericht 2C_985/2020 vom 5.11.2021
Schlittelunfall muss näher untersucht werden
An Silvester 2017 verunglückten zwei Frauen bei einer Schlittenfahrt in einem Wintersportgebiet. Sie gerieten nach einer Rechtskurve auf die Skipiste. Dort verloren sie die Herrschaft über den Schlitten. Eine der beiden Frauen ist seither dauerhaft invalid. Die Staatsanwaltschaft Obwalden stellte laut Bundesgericht ein Strafverfahren gegen unbekannt zu Unrecht ein. Zwar war der Schlittelweg ab 17 Uhr mittels roten Informationstafeln für gesperrt erklärt worden. Trotzdem vermieteten die Sportbahnen Schlitten an Kunden und transportierten diese mit der Seilbahn zum Start des Schlittelwegs, wo in einer Alphütte ein öffentlicher Silvesteranlass stattfand. Unter diesen Umständen kann nicht von einem klaren Fall von Straflosigkeit ausgegangen werden.
Bundesgericht 6B_1209/2020 vom 26.10.2021
Zielwert 70 Prozent für Liegenschaften unzulässig
Der Grosse Rat des Kantons Bern beschloss vor zwei Jahren, für die Festsetzung des amtlichen Werts sei für nichtlandwirtschaftliche Grundstücke als Zielwert ein Median im Bereich von 70 Prozent des Verkehrswerts anzustreben. Laut Bundesgericht verstösst diese Regelung gegen Bundesrecht. Das Rechtsgleichheitsgebots lasse es nicht zu, eine deutlich unter dem Marktwert liegende amtliche Bewertung anzustreben. Laut höchstrichterlicher Praxis sind 70 Prozent des Steuerwerts unzulässig.
Bundesgericht 2C_418/2020 vom 21.12.2021
Glarner Begrenzung der Wegzeit für Anwälte zulässig
Welche Entschädigung kann ein amtlicher Verteidiger für die Reisezeit verrechnen? Die Glarner Staatsanwaltschaft hatte verfügt, dass die Wegzeit für Einvernahmen, Verhandlungen und Besuche pro Weg maximal eine halbe Stunde beträgt, womit eine Anwältin mit Kanzlei in Zürich nicht einverstanden war. In seinem Urteil beleuchtet das Bundesgericht die Regeln verschiedener Kantone und kommt zum Ergebnis, die Glarner Regelung sei angesichts des grossen Ermessensspielraums der Kantone verfassungsmässig. Die zunehmende Digitalisierung erlaube Anwälten, im Zug – allenfalls mit Blickschutzfilter – mit dem Laptop zu arbeiten.
Bundesgericht 1B_385/2021 vom 25.10.2021