Pensionskasse: Bezüger einer Rente ist kein «Versicherter»
Die Auslegung des Reglements einer privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtung erfolgt nach dem Vertrauensprinzip und in Anwendung der Unklarheits- und Ungewöhnlichkeitsregel. Fall eines Mannes, der eine ganze Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge bezog und kurz vor Erreichen des Rücktrittsalters verstarb. Strittig war, ob der verstorbene Rentenbezüger im Zeitpunkt seines Todes ein «Versicherter» war und die Pensionskasse den Erben dementsprechend ein Todesfallkapital schuldet. Die Auslegung des Reglements ergab, dass der Bezüger einer Invalidenrente nicht als «Versicherter» gilt. Die reglementarische Anknüpfung einer überobligatorischen Leistung an ein konkretes Arbeitsverhältnis respektive an ein «aktives» Versicherungsverhältnis – was mit der Verwendung des Begriffs «Versicherter» zum Ausdruck kommt – sei nicht ungewöhnlich.
Bundesgericht 9C_380/2020 vom 25.9.2020
Überspitzter Formalismus im Sozialhilfeverfahren
In Verfahren um die Gewährung von Sozialhilfe erliess ein Gericht einer Frau die Gerichtskosten. Als Begründung der Mittellosigkeit akzeptierte das Gericht die Tatsache, dass sie von der Sozialhilfe abhängig war. Zusätzliche Belege mussten nicht beigebracht werden. In zwei späteren Verfahren um die Gewährung von Sozialhilfe auferlegte das Gericht der Beschwerdeführerin Kosten in der Höhe von je 1000 Franken, obschon sie dem Gericht glaubhaft mitgeteilt hatte, dass sie wieder von der Sozialhilfe abhängig war. Aufgrund dieser Begebenheiten erscheint es dem Bundesgericht als überspitzt formalistisch, dass das Gericht in den späteren Verfahren nicht auf das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass der Gerichtskosten eintrat.
Bundesgericht 8D_7/2020 vom 12.10.2020
Versand der Steuererklärung per A-Post reicht nicht aus
Ein Steuerpflichtiger erhielt eine Busse über 800 Franken. Die Behörde warf ihm vor, die Steuererklärung nicht rechtzeitig eingereicht zu haben. Vor Bundesgericht argumentierte der Gebüsste, er habe die Steuererklärung vier Tage nach Eintreffen der Mahnung eingereicht. Er will die Steuererklärung per A-Post spediert haben, was einer Verfolgung des postalischen Weges von vorneherein entgegensteht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. «Mit Blick darauf, dass die Veranlagungsbehörde eine Mahnung ausgesprochen hatte, wäre es angezeigt gewesen, die Steuererklärung auf nachvollziehbare Weise zu versenden.» Die Vorinstanz durfte davon ausgehen, dass der Steuerpflichtige seiner Steuererklärungspflicht nicht nachgekommen war. Die Busse war bundesrechtskonform.
Bundesgericht 2C_818/2020 vom 7.10.2020
Benzinpanne: Vier Monate Ausweisentzug angemessen
Ein Auto blieb im Bereich einer Baustelle auf der Autobahn auf der Überholspur stecken, weil das Benzin ausgegangen war. Der Lenker stellte zehn Meter hinter dem Fahrzeug ein Pannendreieck auf. Statt den Pannendienst und die Polizei zu benachrichtigen, entfernte er sich zu Fuss in entgegengesetzter Richtung, um Benzin zu holen. Nach 1,9 km kehrte er zu seinem Fahrzeug zurück. Die Zürcher Justiz verurteilte den Lenker wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln und Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs zu einer Busse von 1500 Franken. Das Bundesgericht hat jetzt bestätigt, dass dem rückfälligen Lenker der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften für vier Monate zu entziehen ist.
Bundesgericht 1C_160/2020 vom 11.9.2020
Geschlecht der Richter kein Ausstandsgrund
Im Rahmen eines Streits um Unterhaltsbeiträge für ein Kind erteilte das Bezirksgericht die definitive Rechtsöffnung über den Betrag von 98 600 Franken. Der Vater des Kindes erhob Beschwerde ans Zürcher Obergericht, blitzte dort aber ab. Vor Bundesgericht argumentierte der Mann, als Richter und Gerichtsschreiber seien in seinem Fall einzig Väter einzusetzen. Frauen lehnt er ab, da sie ihren feministischen Ermessensspielraum immer zuungunsten des Vaters auslegten. «Das Geschlecht oder die fehlende Vaterschaft bilden keine Ausstandsgründe», befand das Bundesgericht aber unter Hinweis auf Art. 34 Bundesgerichtsgesetz.
Bundesgericht 5A_713/2020 vom 28.9.2020
Taschenmesser eignet sich für vorsätzliche Tötung
Die Aargauer Justiz hat einen Mann zu Recht wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 47 Monaten verurteilt. Der Täter hatte mit einem Messer mit einer 6 cm langen Klinge in den Brustkorb des Opfers gestochen, was zu lebensgefährlichen Verletzungen führte. Laut Bundesgericht darf bei Stichen in Oberkörper oder Bauch davon ausgegangen werden, dass der Täter den Tod des Opfers in Kauf genommen hat. Aus dem Umstand, dass das Bundesgericht vor Jahren ein Taschenmesser nicht als gefährliche Waffe einstufte (BGE 117 IV 135), könne der Täter nichts zu seinen Gunsten ableiten.
Bundesgericht 6B_798/2020 vom 16.9.2020
Bodycam kein zulässiges Beweismittel
Eine Hundehalterin wollte mit Hilfe von Aufnahmen einer Bodycam beweisen, dass ein Auto mit Tempo 45 bis 50 km/h maximal zehn Zentimeter entfernt an ihr vorbeigefahren war. Die kantonalen Behörden nahmen das Verfahren angesichts der einfachen Verkehrsregelverletzung nicht an die Hand. Wie die Vorinstanzen geht auch das Bundesgericht von einer Unverwertbarkeit der Bodycam-Daten aus. Das Erstellen von Aufnahmen im öffentlichen Raum, auf denen Personen oder Autokennzeichen erkennbar sind, stelle ein Bearbeiten von Personendaten dar. Das Datenschutzgesetz bestimmt, dass die Beschaffung von Personendaten für die betroffene Person erkennbar sein muss. Die Missachtung dieses Grundsatzes stellt eine Persönlichkeitsverletzung dar. Im konkreten Fall war die Datenbeschaffung mittels einer an der Jacke angebrachten Bodycam für den vorbeifahrenden Lenker nicht erkennbar. Es handelt sich somit um ein rechtswidrig beschafftes Beweismittel.
Bundesgericht 6B_810/2020 vom 14.9.2020
Pensionskasse: Kein Anspruch auf Überschüsse
Sieben pensionierte Mitarbeiter hatten dem Stiftungsrat der Pensionskasse der Saurer Unternehmungen in Arbon TG vorgeworfen, er habe ab 2008 die Interessen der Rentenbezüger missachtet, ihnen eine Beteiligung an Überschüssen verweigert und freie Mittel einseitig verwendet. Sie forderten eine Teilliquidation und verlangten, dass Überschüsse über einem Deckungsgrad von 130 Prozent an Aktive und Rentner ausbezahlt werden, welche diese Mittel erspart hätten. Das Bundesverwaltungsgericht hielt fest, es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Stiftungsrat den gesetzlichen Rahmen bei der Reservebildung überschritten habe, und schloss eine Teilliquidation aus. Es lehnte auch die Forderung der Pensionäre auf Einsitz eines Vertreters in den Stiftungsrat ab. Dafür bestehe weder ein gesetzlicher noch ein reglementarischer Anspruch. Das Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht A-3829/2019 vom 29.9.2020
Weitgehende Freisprüche in Fifa-Prozess
Das Bundesstrafgericht hat das Urteil gegen den ehemaligen Generalsekretär der Fifa, Jérome Valcke, den Direktor der Bein Media Group, Nasser Al-Khelaifi, und den griechischen Geschäftsmann Konstantinos Nteris gefällt. Valcke wurde wegen mehrfacher Urkundenfälschung zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 200 Franken bei einer Probezeit von zwei Jahren verurteilt. Vom Vorwurf der qualifizierten ungetreuen Geschäftsführung und der aktiven und passiven Privatbestechung wurde er freigesprochen. Valcke muss jedoch ungebührliche Vorteile in Höhe eines siebenstelligen Betrages zurückerstatten. Al-Khelaifi und Nteris wurden von allen Anklagepunkten freigesprochen. Alle drei wurden verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil kann in Lausanne angefochten werden.
Strafkammer Bundesstrafgericht SK.2020.4 vom 30.10.2020
Fürsorgerische Unterbringung nur wenn absolut nötig
Die Frage der fürsorgerischen Unterbringung eines Mannes, der laut forensisch-psychiatrischem Gutachten an einem religiösen Wahn leidet und sich für den endzeitlichen Propheten al-Mahdi hält, muss nochmals beurteilt werden. Der Mann hatte bei der jährlichen Überprüfung der Massnahme den Wunsch geäussert, in den Sudan ausreisen zu können oder in ein offenes Wohnheim versetzt zu werden. Stattdessen ordnete die Kesb die fürsorgerische Unterbringung auf Dauer an. Eine Massnahme darf nur so weit in die Freiheit einer Person eingreifen, wie dies tatsächlich notwendig ist. Im konkreten Fall hätte deshalb geprüft werden müssen, ob nicht auch eine ambulante Massnahme als Alternative möglich wäre. Ebenfalls geprüft werden muss, ob eine offenere Institution für die Betreuung in Frage kommen kann.
Bundesgericht 5A_567/2020 vom 18.9.2020
Auch eingetragene Partner haben Unterhaltspflichten
Das Bundesgericht hat im Rahmen vorsorglicher Massnahmen erstmals über die Zahlung von Unterhaltsbeiträgen bei Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft entschieden. Im August 2019 hatten ein 57-jähriger Schweizer und ein 33-jähriger Brasilianer ihre Partnerschaft eintragen lassen. Bereits im November 2019 ersuchten die Partner um Auflösung der eingetragenen Partnerschaft. Der Schweizer klagte ausserdem auf deren Ungültigkeit. Im Rahmen des Verfahrens hatte der Brasilianer den Erlass vorsorglicher Massnahmen beantragt. Das zuständige Bezirksgericht verpflichtete den Schweizer für die Dauer des Verfahrens auf Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge von 2430 Franken. Das Zürcher Obergericht reduzierte den Betrag ab 1. Mai 2020 auf 2230 Franken. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid bestätigt und dabei die eingetragene Partnerschaft als einen der Ehe nachgebildeten Zivilstand mit vergleichbaren Rechtswirkungen bezeichnet.
Bundesgericht 5A_42/2020 vom 6.10.2020
Forensische Auswertung des Handys der Babysitterin
Im Rahmen eines Strafverfahrens wegen sexueller Übergriffe einer Babysitterin auf zwei Kleinkinder steht zur Diskussion, ob das Mobiltelefon und die Fotokamera der Babysitterin forensisch ausgewertet werden dürfen. Die Kinder hatten erklärt, sie hätten nackt gespielt und die Babysitterin habe sie fotografiert. Die Polizei hatte die beiden Geräte gesichtet, jedoch nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft davon abgesehen, Mobiltelefon und Fotokamera durch die Fachstelle Digitale Forensik auswerten zu lassen. Das Bundesgericht befand, mit Blick auf die schweren Vorwürfe genüge eine blosse Sichtung nicht. Eine gründliche forensische Auswertung mit allfälliger Rekonstruierung gelöschter Bilder sei angezeigt. Dem entsprechenden Beweisantrag der Eltern der Kinder wurde stattgegeben.
Bundesgericht 6B_1109/2019 vom 23.9.2020
Riss an der Schulter war kein Unfall
Ein Vater hatte mit seinem zweijährigen Sohn eine Kinderwasserrutschbahn benutzt. Er war dabei schräg von der Rutsche ins 80 cm tiefe Wasser eingetaucht, verlor das Gleichgewicht und versuchte reflexartig, den Sohn mit dem rechten Arm über Wasser zu halten. Der Vater erlitt einen Riss der Gelenklippe an der Schulterpfanne. Seine Unfallversicherung lehnte Leistungen ab. Auch das Bundesgericht verneint einen aussergewöhnlichen schädigenden äusseren Faktor als Bestandteil des Unfallbegriffs. Das Gewicht des Sohns dürfte zwischen 8 und 14 kg betragen haben, somit könne nicht von einer ungewöhnlichen Überanstrengung gesprochen werden.
Bundesgericht 8C_395/2020 vom 28.9.2020
Missbrauch einer 0900-Nummer sanktioniert
Das Bundesamt für Kommunikation hat einem Betreiber einer Support-Firma die 0900-Nummer wieder entzogen. Der Mann hatte die Nummer auf den Internetseiten «microsoft-support.ch» publiziert. Beim Bakom gingen Reklamationen ein, weil Anrufer etwa zehn Minuten nach Namen und Adresse befragt und in der Leitung hängen gelassen worden waren, ohne die versprochene Supportleistung zu erhalten. Das Amt verfügte den sofortigen Widerruf der Nummer, was das Bundesverwaltungsgericht als verhältnismässig einstuft. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse am Schutz von Konsumenten und Mitbewerbern vor diesen unlauteren Geschäftspraktiken.
Bundesverwaltungsgericht A-1178/2020 vom 27.10.2020