Häufige Verletzung beim Biken kein Unfall
Eine Sportlehrerin zog sich auf einer Mountainbiketour auf einem «Singletrail» eine Verletzung an der rechten Schulter (Rotatorenmanschettenruptur) zu, weil ein Stein das Vorderrad blockiert und so den Bewegungsablauf unvorhersehbar beeinflusst hatte.
Bereits das Berner Verwaltungsgericht schloss einen Unfall oder eine unfallähnliche Schädigung und damit eine Leistungspflicht der Unfallversicherung aus, weil das abrupte Blockieren des Vorderrads und heftige Schläge auf die Arme und die Schultern bei Mountainbikeabfahrten auf steinigen «Singletrails» als alltäglich gelten. Das Bundesgericht bestätigte diese Einschätzung. Schlaglöcher auf Biketouren gelten nicht als ungewöhnlich. Zudem blieb es bei einem Schlag auf den gestreckten Arm und die Schulter. Es kam somit nicht zu einem Unterbruch des Bewegungsablaufs, so das Bundesgericht: «Der Hergang der Ereignisse lässt sich daher nicht als programmwidrig beziehungsweise – im Rahmen dessen, was bei einer Bikeabfahrt auf einem Singletrail als üblich gelten kann – als besonders sinnfällig qualifizieren.»
Bundesgericht 8C_305/2022 vom 13.4.2023
Aktenkopien bleiben kostenfrei
Im Rahmen einer von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt geführten Strafuntersuchung hatte der Privatkläger um Einsicht in die aktuellen Untersuchungsakten mittels Zusendung eines elektronischen Datenträgers ersucht. In der Folge wurde ihm eine Daten-CD mit den digital gespeicherten Akten sowie eine Rechnung über 155 Franken für die Anfertigung der Aktenkopien zugestellt.
Der Mann erhob Beschwerde und verlangte, die Rechnung sei aufzuheben. Das Appellationsgericht stornierte die Rechnung und entschied, dass die Gebühr von 155 Franken zu den Verfahrenskosten des Strafverfahrens genommen wird.
Dagegen rief die Staatsanwaltschaft das Bundesgericht an und argumentierte, dieses Vorgehen führe dazu, dass Gebühren für die Erstellung von Kopien im Rahmen der Akteneinsicht der Privatklägerschaft in den meisten Fällen nicht mehr oder nur noch auf freiwilliger Basis erhoben werden könnten. Damit würden die mit der Gebühr verbundenen Einnahmen dem Kanton definitiv entgehen.
Das Bundesgericht trat nicht auf die Beschwerde ein, weil es nicht um die Durchsetzung des Strafanspruchs oder damit zusammenhängende rechtliche Belange gehe. Der Staatsanwaltschaft fehle es an einem rechtlich geschützten Interesse an der Aufhebung oder Änderung des Entscheides im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 litera b BGG.
Bundesgericht 1B_281/2022 vom 21.3.2023
Finma: Tiefere Gerichtskosten bei Berufsverbotsverfahren
Wegen schwerer Verletzung der geldwäschereirechtlichen Pflichten sprach die Finma vor vier Jahren gegen den CEO der BSI Bank (Singapur) Ltd. ein vierjähriges Berufsverbot aus. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine dagegen erhobene Beschwerde in einem 75-seitigen Urteil abgewiesen. Zur Behandlung der Beschwerde hatte das Gericht einen Kostenvorschuss von 25 000 Franken verlangt.
Die nun erhobene Gerichtsgebühr beträgt lediglich noch 5000 Franken. Grund: In einem kürzlich ergangenen Urteil (2C_747/2021) entschied das Bundesgericht, dass bei der Anfechtung eines Berufsverbots gemäss Artikel 33 Finmag die wirtschaftlichen Interessen nicht im Vordergrund stünden, weshalb von einer Streitigkeit ohne Vermögensinteressen auszugehen ist. Selbst bei Mutwilligkeit oder ausserordentlichem Aufwand, so das höchstrichterliche Urteil, darf die Gerichtsgebühr bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten aufgrund von Artikel 63 Absatz 4bis VwVG nicht mehr als 5000 Franken betragen, da diese Bestimmung keine Erhöhung aus besonderen Gründen vorsieht.
Bundesverwaltungsgericht B-4750/2019 vom 16.5.2023
Bund muss Schadenersatz in Millionenhöhe bezahlen
Im Streit um die mangelhafte Aufsicht über die wohltätige Hirzel-Callegari-Stiftung verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht die Eidgenossenschaft, der Stiftung Schadenersatz in der Höhe von 5,997 Millionen Franken nebst Zins zu 5 Prozent seit September 2010 und somit etwa weitere 4 Millionen Franken zu bezahlen.
Ein Jurist beim Eidgenössischen Departement des Innern hatte widerrechtlich einer Vereinbarung zugestimmt, mit der einem ehemaligen Präsidenten der Stiftung ohne Rechtsgrund Millionenbeträge zugewendet und rechtswidrige Kontenbezüge in Millionenhöhe nicht zurückgefordert wurden. Das Eidgenössische Finanzdepartement, welches die Schadenersatzforderung der Stiftung in einer Verfügung abgelehnt hatte, hat noch die Möglichkeit, den Entscheid beim Bundesgericht anzufechten.
Bundesverwaltungsgericht A-4514/2021 vom 2.5.2023
Gerichtsschreiber müssen in den Ausstand treten
Im Juli 2022 sprach die Strafkammer des Bundesstrafgerichts den ehemaligen Fifa-Präsidenten Joseph Blatter und den ehemaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini vom Vorwurf des Betrugs frei. Gegen dieses Urteil erhob die Bundesanwaltschaft Berufung an die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts. Platini forderte in der Folge den Ausstand sämtlicher Richter und Gerichtsschreiber der Berufungskammer.
Ein Gremium von drei ausserordentlichen nebenamtlichen Richtern nahm sich dieses Ausstandsgesuchs an und befand nun, dass zwischen dem Präsidenten der Berufungskammer, der in diesem Verfahren aufgrund seiner Vorbefassung in den Ausstand getreten ist, und den Gerichtsschreibern der Berufungskammer ein Subordinationsverhältnis besteht. Dieses Verhältnis sei aufgrund der konkreten Umstände geeignet, den Anschein der Befangenheit zu erwecken. Deshalb haben sämtliche Gerichtsschreiber der Berufungskammer in den Ausstand zu treten. Bei den Richtern gibt es demgegenüber laut diesem Beschluss keinen Anschein der Befangenheit, weil diese bei ihrer Aufgabenerfüllung einander gleichgestellt und voneinander unabhängig sind.
Ausserordentliche Berufungskammer des Bundesstrafgerichts CN.2022.16 vom 25.4.2023
Zehn Prozent Taggeldkürzung wegen Grobfahrlässigkeit
Ein Anwalt kollidierte mit dem Velo frontal mit einem Auto und erlitt dabei ein Polytrauma. Die Unfallversicherung erbrachte die gesetzlichen Leistungen, kürzte aber die Taggelder um zehn Prozent wegen Grobfahrlässigkeit.
Der ortskundige Anwalt war angesichts der konkreten Verhältnisse mit einer nicht angemessenen Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern aus einem Flurweg mit Fahrverbot in eine Hauptstrasse eingebogen und mit einem Auto kollidiert, das gerade aus einem anderen Flurweg von links in die Hauptstrasse einbog. Wegen Sonnenblumen, die 170 bis 190 Zentimeter hoch waren, war die Sicht auf diesen Flurweg versperrt.
Das Bundesgericht erachtet die Kürzung der Taggelder als korrekt. Da der Anwalt gegen das allgemeine Fahrverbot verstossen habe, sei er nicht vortrittsberechtigt gewesen.
Bundesgericht 8C_9/2023 vom 10.5.2023
Siegelungsbegehren ist zu begründen
Aufgrund des Vorwurfs, ein kinderpornografisches Foto im Internet verbreitet zu haben, nahm die Zürcher Staatsanwaltschaft bei einem Mann eine Hausdurchsuchung vor und stellte 31 elektronische Geräte (Handy, Computer, Speicherkarten, USB-Sticks etc.) sicher. Der Mann verlangte deren Siegelung. In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht ein Entsiegelungsgesuch. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass kein gültiges Siegelungsbegehren vorliege, und gab die sichergestellten Gegenstände zur weiteren Verwendung im Strafverfahren frei.
Das Bundesgericht schützte dieses Vorgehen, weil der Mann keinen spezifischen Siegelungsgrund nannte und somit kein substanziiertes Siegelungsbegehren gestellt habe. Bei der polizeilichen Einvernahme gut drei Stunden nach der Hausdurchsuchung hatte sich der Mann – trotz anwaltlicher Beratung – einzig darauf beschränkt, am Siegelungsbegehren festzuhalten. Der Mann hätte Gelegenheit und Anlass gehabt, nach erfolgter anwaltlicher Beratung rechtzeitig die aus seiner Sicht einer Beschlagnahme entgegenstehenden Gründe anzuführen, meint das Bundesgericht.
Bundesgericht 1B_172/2023 vom 9.5.2023
Polizeibeamtin muss in den Ausstand treten
Nach Artikel 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person – dazu zählen auch Polizisten – unter anderem dann in den Ausstand, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse hat oder aus anderen Gründen befangen sein könnte. Dabei genügt der objektiv gerechtfertigte Anschein der Befangenheit.
Zwar muss es einer Polizistin möglich sein, in Ausführung ihrer Amtspflicht wahrgenommene Vorfälle zu rapportieren, auch wenn es sich dabei mutmasslich um eine gegen sie begangene Straftat handelt. Im konkreten Fall – es ging um Gewalt und Drohung gegen Behörde und Beamte in einer psychiatrischen Klinik – hatte es die angegriffene Polizistin aber nicht bei der blossen Rapportierung ihrer eigenen Wahrnehmungen belassen, sondern mit einer Einvernahme der mutmasslichen Straftäterin mehrere Wochen nach dem Vorfall zusätzliche Untersuchungshandlungen im Zusammenhang mit einem Delikt vorgenommen, bei welchem sie selbst als geschädigte Person in Frage kommt.
Hier liegt für das Bundesgericht eine offensichtliche Interessenkollision vor, weshalb die Polizistin in den Ausstand zu treten hat.
Bundesgericht 1B_135/2023 vom 9.5.2023
Alkoholabstinenz als Zwangsmassnahme
Das Solothurner Zwangsmassnahmengericht ordnete gegen einen mutmasslichen Brandstifter (13 Brände) nach dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft für sechs Monate verschiedene Ersatzmassnahmen an – nebst Electronic Monitoring auch ein Alkoholverbot. Die Alkoholabstinenzkontrolle, so die Verfügung, hatte nebst regelmässigen Haarproben unangekündigt mindestens zwei bis maximal fünf Mal pro Kalendermonat zu unterschiedlichen Zeiten mittels Atemalkoholtest zu erfolgen.
Der Betroffene gelangte mit dem Argument ans Bundesgericht, gemäss einem psychiatrischen Gutachten bestehe lediglich ein mittelbarer Zusammenhang zwischen seinem Alkoholkonsum und den Anlasstaten. Die angeordnete Alkoholabstinenz sei deshalb aufzuheben.
Er hatte damit keinen Erfolg. Auch nach Meinung des Bundesgerichts ist davon auszugehen, dass die verordnete Alkoholabstinenz eine positive Wirkung auf die Wiederholungsgefahr hat. Angesichts der hohen Sicherheitsrelevanz der Anlasstaten (Brandstiftung) könne es nicht als unverhältnismässig betrachtet werden, die persönliche Freiheit des Mannes weniger stark zu gewichten.
Bundesgericht 1B_159/2023 vom 18.4.2023