Verzicht mit Saldoklausel ist endgültig
Während eines Aufenthalts in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich wurde ein Patient von einem anderen mit dem Messer angegriffen und verletzt. Das Opfer schloss darauf mit der Haftpflichtversicherung der Klinik einen aussergerichtlichen Vergleich über eine abschliessende Leistung von 55 000 Franken. In der Folge wandte sich das Opfer an die kantonale Opferhilfestelle und forderte weitere Leistungen. Das Zürcher Sozialversicherungsgericht und das Bundesgericht wiesen die Forderung ab. Mit der Per-Saldo-Vereinbarung habe das Opfer auf weitergehende Zivilansprüche verzichtet, auch gegen das subsidiär entschädigungspflichtige Gemeinwesen.
Bundesgericht 1C_582/2019 vom 9.4.2020
Ausstandsgründe für jeden Richter einzeln
Art. 56 StPO zählt Gründe auf, die zum Ausstand von Personen in einer Strafbehörde führen. Zwar kann gegen alle Mitglieder einer Instanz ein Ausstandsbegehren gestellt werden, jedoch nicht pauschal gegen eine Kollegialbehörde oder gegen alle Mitglieder einer Behörde. Wird der Ausstand eines ganzen Gerichts verlangt, muss der Gesuchsteller die Ausstandsgründe für jeden Richter einzeln benennen und glaubhaft machen. Im konkreten Fall ging es um eine Amtsgeheimnisverletzung im Zusammenhang mit einer Nachfolgewahl in das Obergericht des Kantons Solothurn.
Bundesgericht 6B_1359/2019 vom 28.4.2020
Masseuse veruntreute 1,2 Millionen Franken
Eine Masseuse ist zu Recht wegen Veruntreuung und falscher Anschuldigung zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt worden, wovon sie die Hälfte verbüssen muss. Die Frau hatte einen Rentner im Laufe von Jahren um mehr als 1,2 Millionen Franken erleichtert. Der von der Masseuse angetane Mann hatte seine Pensionskasse aufgelöst, sein Haus verkauft und Freunde angepumpt. Die Masseuse hatte behauptet, den Millionenbetrag in eine Offshoregesellschaft zu investieren. Renditen zwischen fünf und acht Prozent seien garantiert. Das Geld floss jedoch auf verschiedene Konten in Frankreich und der Schweiz und wurde in Fahrzeuge investiert.
Bundesgericht 6B_241/2020 vom 6.5.2020
Zulässiger Ausschluss aus der Gebäudeversicherung
Eine kantonale Gebäudeversicherungsanstalt durfte zwei Mehrfamilienhäuser und eine Tiefgarage von der Gebäudeversicherung gegen das Elementarereignis «Hochwasser/Überschwemmung» ausschliessen. Zuvor waren erhebliche Schäden entstanden, weil während eines Gewitters zwei Bäche über die Ufer traten. Die Versicherung zahlte 870 000 Fran-ken. Sie forderte die Eigentümerin auf, die Lüftungsöffnungen und Kellerfenster mit halbautomatischen Hochwasserschutzfenstern und die Tiefgarageneinfahrt mit einem Klappschott zu sichern. Die Grundstückeigentümerin weigerte sich aus Kostengründen. Das Bundesgericht bestätigte den Versicherungsausschluss.
Bundesgericht 2D_8/2020 vom 14.4.2020
Bundesgericht auferlegte Gerichtskosten dem Anwalt
In einem Verfahren um Familiennachzug wies das Zürcher Verwaltungsgericht ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit ab. Das Gericht setzte dem im Ausland wohnhaften Beschwerdeführer eine Frist, um die Verfahrenskosten von 2570 Franken sicherzustellen, ansonsten auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werde. Dagegen erhob ein Rechtsanwalt Beschwerde ans Bundesgericht, ging aber «nicht einmal ansatzweise» auf die Frage der Aussichtslosigkeit ein, sondern zeigte nur die – unbestrittene – finanzielle Mittellosigkeit des Beschwerdeführers auf. Es gebe «keinen Rechtsanspruch darauf, in aussichtslosen Fällen unentgeltlich zu prozessieren», befand das Bundesgericht. Die Gerichtskosten von 500 Franken wurden dem Anwalt auferlegt.
Bundesgericht 2C_290/2020 vom 21.4.2020
Zeugnisverweigerungsrecht bei Lebensgemeinschaft
Nach Art. 168 Abs. 1 lit. a Strafprozessordung kann eine Person, die mit einem Beschuldigten eine faktische Lebensgemeinschaft führt, das Zeugnis verweigern. Um sich darauf berufen zu können, muss die Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt der Zeugeneinvernahme bestehen. Eine ständige, ungeteilte Wohngemeinschaft ist nicht zwingend. Der Fall betraf einen Mann, der sich als erfolgreicher Chirurg ausgab und gleichzeitig mit mehreren Frauen liiert war, denen er mehrere Zehntausend Franken abluchste. Es geht letztlich um die Frage, ob die Zeugenaussage eines Opfers verwertbar ist, das nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen worden war.
Bundesgericht 6B_967/2019 vom 7.5.2019
Kranführer nach Unfall zu Recht verurteilt
Vor vier Jahren platzierte ein Kranführer auf einer Baustelle in Altishofen LU Betonschalungsplatten um. Ihm wird vorgeworfen, durch ein unkorrektes Manöver den Kran ins Pendeln gebracht zu haben, worauf ein Arbeiter schwer verletzt wurde. Das Bundesgericht schützt die Verurteilung des Kranführers wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung durch Verletzung der Regeln der Baukunde. Er hatte anerkannte Sicherheitsregeln der Verordnung über die Unfallverhütung missachtet und zudem gegen die Kranverordnung verstossen.
Bundesgericht 6B_1364/2019 vom 14.4.2020
Weitere Untersuchungen nach schwerem Unfall
Vor drei Jahren stürzte ein Fachspezialist für Leitungsbau fast zehn Meter in die Tiefe und verletzte sich schwer. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde des Verunfallten gegen die Einstellung des Strafverfahrens durch die Bündner Justiz gutgeheissen. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht untersucht, ob der Arbeitgeber seiner Verantwortung in Bezug auf die Betriebssicherheit und Unfallverhütung durch Vornahme der nötigen Kontrolle und Aufsicht nachgekommen war. Insbesondere der Umstand, dass das Halteseil keinen Schutz vor einer Durchtrennung mit der Motorsäge bot, gibt Anlass zu weiteren Nachforschungen. Auch bei erfahrenen Mitarbeitern ist ein Minimum an Überwachung nötig.
Bundesgericht 6B_1334/2019 vom 27.3.2020
Anwalt versäumte es, Ausstandsgesuch zu stellen
Gegen einen Berner Anwalt läuft ein anwaltliches Aufsichtsverfahren im Zusammenhang mit Verlustscheinen im Umfang von mehr als 30 000 Franken. Die Anwaltskommission verfügte deshalb im letzten November die Löschung im kantonalen Anwaltsregister. Das Verfahren ist, soweit ersichtlich, beim Berner Verwaltungsgericht hängig. Nicht eingetreten ist das Bundesgericht im Februar auf eine Beschwerde des Anwalts gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege. Ein dagegen eingereichtes Revisionsgesuch blieb nun ebenfalls erfolglos. Der Anwalt, der sich als Justizopfer sieht, hatte geltend gemacht, das Gericht sei falsch besetzt gewesen, da der Präsident nicht «in der Lage sei, persönliche Animositäten» von einem Beschwerdeinhalt zu trennen. Falsch, sagt das Bundesgericht: Es wäre an ihm gewesen, rechtzeitig ein allfälliges Ausstandsgesuch gegen als befangen beurteilte Personen einzureichen. Die Zusammensetzung der Abteilung sei aus öffentlich zugänglichen Informationen des Gerichts ohne weiteres ersichtlich.
Bundesgericht 2F_2/2020 vom 5.4.2020
Überprotektive Mutter gefährdete das Kindeswohl
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde hat einer Mutter zu Recht das Aufenthaltsbestimmungsrecht über ihren Sohn für die Dauer des Kindesschutzverfahrens entzogen. Der heute 16-jährige Sohn wurde durch die Mutter über Jahre völlig von der Aussenwelt isoliert und ging erstmals mit 14 Jahren in die Schule. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Unterbringung des Jungen in einem Kinder- und Jugendheim erweist sich als zulässig. Auch die Ausgestaltung des Besuchsrechts – wöchentlich zwei Stunden – ist angesichts der Vorgeschichte verhältnismässig.
Bundesgericht 5A_218/2020 vom 2.4.2020
Weite Auslegung des Berichtigungstatbestandes
An der einmal erlassenen Steuerverfügung kann die Behörde unter Vorbehalt weniger Ausnahmen nichts mehr ändern. Jetzt hat das Bundesgericht entschieden, dass Art. 150 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DGB) nicht allzu eng auszulegen ist. Die Veranlagung stelle ein Massengeschäft dar. Zwangsläufig könnten sich menschliche Flüchtigkeits- oder Softwarefehler einschleichen. Ein sehr enges Verständnis des Begriffs Rechnungsfehler oder Schreibversehen hätte angesichts des Numerus clausus der steuerrechtlichen Aufhebungs- und Abänderungsgründe ein Ungleichgewicht in der Risikoverteilung zwischen Steuerbehörde und Steuerpflichtigem zur Folge. Es ist deshalb eine eher weite Auslegung angezeigt.
Bundesgericht 2C_331/2019 vom 7.4.2020
Verweis an Aargauer Anwalt war korrekt
Die Anwaltskommission des Kantons Aargau hat einem Rechtsanwalt zu Recht einen Verweis erteilt und Verfahrenskosten von 1100 Franken auferlegt. Der Anwalt ging davon aus, er sei nach Vereinbarung eines Pauschalhonorars nicht verpflichtet, den effektiven Aufwand detailliert zu dokumentieren. Das Bundesgericht kam zum Schluss, die Beurteilung der Angemessenheit der Honorarrechnung durch den Klienten müsse sowohl bei der Vereinbarung eines Stundensatzes als auch eines Pauschalhonorars gewährleistet sein.
Bundesgericht 2C_314/2020 vom 3.7.2020
Keine Ausnahme vom Öffentlichkeitsprinzip
In einem Verfahren wegen fahrlässiger Tötung und Unterlassung der Nothilfe hatte ein Angeklagter vergeblich verlangt, dass die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung ausgeschlossen wird. Das Bundesgericht sah keine besondere Schutzbedürftigkeit des Angeklagten oder seiner Familie trotz vorgebrachter leichter Identifizierbarkeit aufgrund von Beruf und hohem sozialen Prestige: «Der Ausschluss der Öffentlichkeit gemäss Art. 70 StPO dient gerade nicht dazu, Personen mit hohem Sozialprestige wegen der besonderen Empfindlichkeit ihres Rufs von der Pflicht zur Öffentlichkeit auszunehmen.» Andernfalls wären Strafverfahren gegen Treuhänder, Ärzte, Anwälte, Unternehmer etc. stets nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit möglich. Das wäre mit dem aus rechtsstaatlicher Sicht zentralen Grundsatz der Justizöffentlichkeit unvereinbar.
Bundesgericht 1B_81/2020 vom 11.6.2020