Wohnungskündigung nach untragbarem Verhalten
Eine Gewerkschaft als Vermieterin hat der Mieterin einer 3½-Zimmer-Wohnung zu Recht die Wohnung gemäss Art. 257f Abs. 3 OR (andauernde Pflichtverletzung nach schriftlicher Mahnung) gekündigt. Die Mieterin hatte ihre Pflicht zu Sorgfalt und Rücksichtnahme durch übermässige Kontrollen und aggressives Vorgehen gegenüber den andern Mietern verletzt. So hatte sie die Durchsetzung der Hausordnung selbst in die Hand genommen und – trotz schriftlicher Abmahnung – jeweils zusammenhanglos und diffamierend über den Zivilstand und das Privatleben der anderen Hausbewohner berichtet. Das untragbare Verhalten in seiner Gesamtheit hat die notwendige Schwere erreicht, um die ausserordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Eine Erstreckung des Mietverhältnisses stand nicht zur Diskussion, da diese bei Kündigungen wegen schwerer Pflichtverletzung des Mieters ausgeschlossen ist (Art. 272a Abs. 1 lit.b OR).
Bundesgericht 4A_621/2019 vom 26.2.2020
Fristlose Entlassung eines Rasers zulässig
Ein Automobilcenter hat einen Serviceberater zu Recht fristlos entlassen. Der Mann hatte nach Feierabend ein Fahrzeug zu einer Kundin gebracht und war mit dem firmeneigenen Porsche 911 zurückgefahren. Dabei wurde er geblitzt, als er mit dem Porsche mit 136 km/h im Bereich einer Strecke mit Tempo 60 unterwegs war. Der Serviceberater erachtete die fristlose Entlassung als nicht gerechtfertigt und klagte auf Zahlung von über 23 000 Franken. Mit einer Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit um 76 km/h hat der Serviceberater ein Raserdelikt begangen, das mit einer Freiheitsstrafe von einem bis vier Jahren und einem mindestens zweijährigen Ausweisentzug sanktioniert wird. Gleichzeitig stellt ein solches Verhalten auch eine schwere Verletzung der Arbeitspflichten dar; es ist geeignet, das Image eines konzessionierten Markenhändlers zu beschädigen. Die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung sind deshalb gegeben.
Bundesgericht 4A_54/2020 vom 25.3.2020
Musik Hug muss 445 000 Franken bezahlen
Die Wettbewerbskommission hat die Musik Hug AG aufgrund von Preisabsprachen im Flügel- und Klaviervertrieb zu Recht mit 445 000 Franken gebüsst. Nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Busse für das Unternehmen finanziell tragbar. Dies ist dann der Fall, wenn die Sanktion weder den Konkurs eines Unternehmens herbeiführt noch dessen Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Eine Sanktion bemisst sich nach der Dauer und der Schwere des unzulässigen Verhaltens und soll im Rahmen der finanziellen Tragbarkeit eines Unternehmens auch Druck ausüben, kartellrechtswidriges Verhalten zukünftig zu unterlassen. Im konkreten Fall ist die verhängte Busse verhältnismässig und nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht von Musik Hug AG besteht kein Anlass, die Sanktion aufzuheben.
Bundesverwaltungsgericht B-823/2016 vom 2.4.2020
Störenden Kirchgänger zurückgebunden
Das Kreisgericht St. Gallen hat einem Kirchgänger unter Androhung der Ungehorsamsstrafe im Rahmen einer vorsorglichen Massnahme zu Recht verboten, sich während der Dauer des Gottesdienstes sowie anderen religiösen Feiern in der Kathedrale St. Gallen – vorbehältlich des regulären Gangs zur Kommunion – im Altarraum sowie im Mittelgang der Kathedrale aufzuhalten. Der Mann hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, während der Gottesdienste plötzlich aufzustehen, langsam und demonstrativ im Mittelgang der Kirche Richtung Altar zu schreiten und den weiteren Ablauf des Gottesdienstes entweder im Mittelgang der Kirche oder im Altarraum zu verfolgen. Auf das Argument des Kirchengängers, die Meinungsäusserungsfreiheit rechtfertige die Besitzesstörung, ging das Bundesgericht mangels hinreichender Begründung nicht näher ein.
Bundesgericht 5D_56/2020 vom 19.3.2020
Rechtsmittelfrist bei Postfachzustellung
Das Amt für Migration des Kantons Luzern hatte einer Anwaltskanzlei eine Verfügung mittels A-Post-Plus-Sendung zugestellt. Die Verfügung wurde am Samstag, 24. November 2018, morgens um 6.22 Uhr ins Postfach gelegt, von der Kanzlei jedoch erst am Montag, 26. November 2018 abgeholt. Auf eine gegen die Verfügung am 27. Dezember 2018 erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht wegen Nichteinhaltung der Beschwerdefrist nicht ein. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid geschützt. Im Kanton Luzern ist die Zustellung mittels A-Post-Plus anstelle einer eingeschriebenen Sendung zulässig. Die Verfügung gelangte deshalb am 24. November 2018 in den Machtbereich der Kanzlei und eine effektive Kenntnisnahme war noch am gleichen Tag möglich, da die Postfächer bis 12.00 Uhr geöffnet waren. Die 30-tägige Rechtsmittelfrist begann am 25. November 2018 zu laufen und endete am 24. Dezember 2018. Es liege im Verantwortungsbereich des Empfängers, das Postfach an einem Samstag zu leeren.
Bundesgericht 2C_1032/2019 vom 11.3.2020
Kauf eines Handys für 200 Franken keine Hehlerei
Ein Händler hatte von einem Knaben ein gefundenes iPhone für 200 Franken gekauft. Eine Kundin, die das iPhone als Leihgerät erhalten hatte, wies den Händler darauf hin, dass das Telefon gemäss Display gestohlen oder verloren war. Der Händler gab das Gerät gegen Rückerstattung der 200 Franken an den Knaben zurück. Er wurde wegen Hehlerei zu einer bedingten Geldstrafe von 17 Tagessätzen und 180 Franken Busse verurteilt. Zu Unrecht. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt die Grenze des geringen Schadens im Sinne von Art. 172ter Abs. 1 StGB seit 25 Jahren bei 300 Franken. Diesen Wert erreichte das im Tatzeitpunkt zweijährige Gerät entgegen der Auffassung der Basler Justiz nicht. Diese hatte in «bedenklicher» Weise als Wertvergleich ein neueres, leistungsstärkeres Modell herangezogen. Der Händler kann nur wegen eines geringfügigen Vermögensdelikts bestraft werden, falls ein Strafantrag vorliegt.
Bundesgericht 6B_678/2019 vom 10.3.2020
Urteil zu hypothetischem Einkommen fehlerhaft
Schöpft ein Elternteil seine Erwerbskraft nicht voll aus, kann ihm bei den Unterhaltsbeiträgen ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden. Das Zürcher Obergericht warf einer Mutter von zwei Kindern vor, durch einen Stellenwechsel bewusst eine erhebliche Lohneinbusse und damit eine Unterdeckung des Bedarfs in Kauf genommen zu haben. Alles in allem fehle es an objektiv nachvollziehbaren Gründen für eine Kündigung der Stelle und die Annahme einer Stelle mit 2000 Franken weniger Lohn. Für das Bundesgericht ist die Aufrechnung eines hypothetischen Einkommens hier nicht nachvollziehbar, da im konkreten Fall klare Indizien für eine Schädigungsabsicht fehlen würden. Eine Aufrechnung ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Das Obergericht schloss «in nicht haltbarer Weise auf eine Schädigungsabsicht» der Mutter. Das Urteil sei somit «qualifiziert fehlerhaft».
Bundesgericht 5A_403/2019 vom 12.3.2020
Staat muss deliktische Herkunft des Gelds beweisen
Will der Staat aus dem Drogenhandel stammende Gelder einziehen, muss er die deliktische Herkunft dieser Gelder beweisen. Die von der Beschlagnahme betroffene Person hat lediglich insoweit eine Mitwirkungspflicht, als sie in zumutbarer Weise darlegen muss, aus welcher (legalen) Quelle die Vermögenswerte stammen. Ein Beweis für die legale Herkunft obliegt ihr nicht. Die blosse Kokainkontamination genügt für den Nachweis der deliktischen Herkunft von Bargeld aus dem Drogenhandel in der Regel nicht, wenn als Grund für die Kontamination ein blosser Besitz von Kokain zum Eigenkonsum nicht ausgeschlossen werden kann.
Bundesgericht 6B_1042/2019 vom 2.4.2020
Schwelle zum Versuch nicht überschritten
Die Walliser Justiz hat einen Familienvater zu Unrecht wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt. Er hatte im Streit gedroht, zuerst die beiden Kinder, dann seine Ehefrau und schliesslich sich selbst zu erschiessen. Der Mann hatte zwar angefangen, seine Waffe schussbereit zu machen. Er rückte jedoch nach dem Einsetzen des Verschlusses in das Gewehr von seinem Tatentschluss ab. Damit hatte er entgegen der Auffassung der Walliser Justiz noch nicht mit der Ausführung der Tat begonnen. Als er festgenommen wurde, war das Gewehr noch ungeladen. Zudem waren Frau und Kinder in einem anderen Zimmer. Damit hatte der Mann die Schwelle zum Versuch noch nicht überschritten.
Bundesgericht 6B_916/2019 vom 5.3.2020
Klage gegen Verantwortliche eines Seilparks
Im Sommer 2016 verunfallte ein Besucher in einem Seilpark und zog sich eine Fraktur des linken oberen Sprunggelenkes zu. Er reichte gegen die Seilparkverantwortlichen eine Strafanzeige ein. Die Staatsanwaltschaft verfügte jedoch die Nichtanhandnahme, wogegen sich der Verunfallte vergeblich beim Obergericht des Kantons Solothurn beschwerte. Das Bundesgericht verlangt nun, dass der Unfall strafrechtlich näher untersucht wird. Es weist darauf hin, dass allfällige Sicherungspflichten eines Seilparkbetreibers unabhängig vom Verhalten der Besucher gelten. Der Verunfallte hat unter anderem geltend gemacht, es stehe fest, dass der Baum, gegen welchen er geprallt sei, nicht gepolstert gewesen sei. Eine Bremsfeder habe gefehlt. Zudem seien ihm defekte Handschuhe abgegeben worden.
Bundesgericht 6B_274/2019 vom 28.2.2020
Renten zu Recht um 50 Prozent gekürzt
Vor drei Jahren verunfallte ein Motorradfahrer tödlich, als er bei einem Überholmanöver mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Die Allianz als Unfallversicherer sprach der hinterbliebenen Ehefrau und dem Sohn des Unfallopfers Leistungen zu. Mit der Begründung, der Versicherte habe den Unfall bei einer groben Verkehrsregelverletzung begangen und somit anlässlich eines Vergehens herbeigeführt, kürzte die Allianz die Witwen- und Halbwaisenrenten jedoch um das Maximum von 50 Prozent. Das Bundesgericht hat diese Kürzungen «als im Rahmen der gesetzlichen Ordnung» bestätigt. Grund: Es bestand keine freie Sicht für ein gefahrloses Überholmanöver, da die Strasse kurz vor der Kollisionsstelle eine leichte Rechtskurve vollzog. Zudem verdeckte der vor ihm fahrende Lastwagen die Sicht auf die Gegenfahrbahn. Dem Verunfallten hätte die allgemeine Gefährlichkeit seines Manövers bewusst sein müssen.
Bundesgericht 8C_707/2019 vom 2.3.2020, 8C_722/2019 vom 20.2.2020 und 8C_751/2019 vom 25.2.2020
Berner Polizeigesetz teilweise aufgehoben
Mehrere Stellen im neuen Berner Polizeigesetz sind mit übergeordnetem Recht nicht vereinbar. So etwa die Bestimmung zur Wegweisung oder Fernhaltung von Personen, die ohne Erlaubnis auf einem Grundstück des Gemeinwesens oder eines Privaten campieren. Diese Regelung stellt für Fahrende einen unverhältnismässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben dar. Die Bestimmung, wonach jegliche Massnahme und Fernhaltung automatisch und obligatorisch unter Strafdrohung von Art. 292 StGB ergeht, ist weder erforderlich noch für die Betroffenen zumutbar. Nicht zu beanstanden waren die Regelungen zur Kostentragung bei Veranstaltungen mit Gewalttätigkeiten.
Bundesgericht 1C_181/2019 vom 29.4.2020
Asylzentrum: Kein unzulässiger Freiheitsentzug
Asylsuchenden, die durch ihr Verhalten den ordentlichen Betrieb eines Bundesasylzentrums störten, konnten bis September 2019 in das besondere Asylzentrum in Les Verrières gewiesen werden.Dort gab es Ausgangssperren, Besuchsbeschränkungen oder Überwachung der Räume durch Sicherheitspersonal. In einem Grundsatzurteil hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die in diesem Asylzentrum geltenden Regeln keinen Freiheitsentzug, sondern einen gerechtfertigten Eingriff in die Bewegungsfreiheit darstellen. Den Vorwurf eines Asylsuchenden, in diesem gefängnisähnlichen Ort sei seine persönliche Freiheit verletzt worden, wies das Gericht ab. Den Umstand, dass die betroffene Person gegen ihre Zuweisung in ein solches Zentrum nicht sofort Beschwerde einlegen konnte, beanstandete das Gericht nicht. Das Urteil kann nicht beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht F-1389/2019 vom 20.4.2020