An Kesb bezahlte Unterhaltsbeiträge sind abzugsfähig
Im Rahmen seiner Scheidung verpflichtete sich ein Steuerpflichtiger, seinen Kindern 1300 Franken monatlichen Unterhalt zu zahlen. Als die Mutter der beiden Kinder verstarb, ernannte die Kesb einen Vormund für die beiden nunmehr bei einer Pflegefamilie lebenden Kinder. Der Vater überwies fortan die Unterhaltsbeiträge an die Kesb. In der Veranlagung für die Steuern verweigerte das kantonale Steueramt dem Steuerpflichtigen den Abzug der Unterhaltsbeiträge an die minderjährigen Kinder. Anders sah es das Bundesgericht. Es erklärt die vom Steuerpflichtigen bezahlten Unterhaltsbeiträge für abzugsfähig. Es verstösst gegen die Rechtsgleichheit, die Abzugsfähigkeit von Unterhaltszahlungen vom Bestehen der elterlichen Sorge abhängig zu machen, wie dies in Art. 33 Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer vorgesehen ist.
Bundesgericht 2C_139/2019 vom 18.12.2019
Halterhaftung auch im nachgelagerten Strafverfahren
Übertretungen von Verkehrsvorschriften werden in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen geahndet. Ist unbekannt, wer eine Widerhandlung begangen hat, so wird die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt. Ein Halter akzeptierte die im Ordnungsbussenverfahren ausgestellte Busse nicht und stellte sich dann im ordentlichen Verfahren auf den Standpunkt, die ihm angelastete Halterhaftung verletze rechtsstaatliche Garantien. Er machte insbesondere geltend, die Strafprozessordnung kenne keine Halterhaftung, sondern nur den Verschuldensgrundsatz und die Unschuldsvermutung. Das Bundesgericht macht nun aber klar, dass sich der Geltungsbereich des Ordnungsbussengesetzes nicht auf das Ordnungsbussenverfahren beschränkt, sondern sich auch auf ein allfälliges nachgelagertes ordentliches Strafverfahren bezieht.
Bundesgericht 6B_722/2019 vom 23.1.2020
Velofahrer der fahrlässigen Tötung schuldig
Die Genfer Justiz hat einen Velofahrer zu Recht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Er hatte im Bereich einer Kreuzung das Rotlicht missachtet und einen 44-jährigen Fussgänger auf dem Zebrastreifen umgefahren, der drei Wochen später an den Folgen des Unfalles verstarb. Der Velofahrer wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 270 Franken verurteilt. Er muss der Ehegattin des tödlich verunfallten Fussgängers eine Genugtuung von 30 000 Franken, dessen Eltern je 15 000 Franken und der Schwester 7500 Franken bezahlen. Die von den Hinterlassenen geforderten Genugtuungsentschädigungen hat das Gericht zu Recht um 25 Prozent reduziert, weil das Unfallopfer die Strasse – kurz vor dem Wechsel auf Grün – noch in der für Fussgänger geltenden Rotphase betreten hatte.
Bundesgericht 6B_1280/2019 und 6B_1289/2019 vom 5.2.2020
Unterhalt des Ehegatten geht vor
Das Tessiner Appellationsgericht hatte eine Frau im Rahmen des Scheidungsverfahrens zu Unterhaltszahlungen an ihren früheren Gatten verpflichtet. Da die Frau jedoch auch den Unterhalt für eine minderjährige Tochter und für eine volljährige Tochter in Ausbildung zu bestreiten hatte, entstand ein finanzielles Manko. Das Gericht strich deshalb die Leistungen für den Ehemann bis zum Ende der Ausbildung der älteren Tochter. Zu Unrecht. In einem Grundsatzurteil hatte das Bundesgericht 2006 entschieden (BGE 132 III 209), dass im Falle einer Mankosituation ein allfälliger Unterhaltsanspruch des mündigen Kindes hinter denjenigen des Ehegatten zurückzutreten hat. Das neue Unterhaltsrecht, das im Jahre 2017 in Kraft getreten ist, bildet keinen Anlass, die bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich zu ändern.
Bundesgericht 5A_457/2018 vom 11.2.2020
Megafonverbot ging zu weit
Anlässlich einer Kundgebung in Vevey plante eine Tierrechtsorganisation den Einsatz eines Megafons. Es war vorgesehen, während zwei Stunden alle 15 Minuten jeweils etwa drei Minuten mit dem Megafon Botschaften zu verkünden. Die zuständige Behörde bewilligte die Manifestation und die Verwendung von Transparenten und Banderolen, untersagte aber den Einsatz des Megafons. Dieses Verbot lässt sich nach Meinung des Bundesgerichts nicht mit der Versammlungs-, Informations- und Meinungsfreiheit vereinbaren. Zwar steht den Behörden bei der Bewilligung von Demonstrationen und Kundgebungen ein gewisses Ermessen zu. Da aber die Kundgebung – wohlgemerkt an einem Samstagnachmittag am Ufer des Genfersees – höchstens zwei Stunden dauern und das Megafon in dieser Zeit lediglich 30 Minuten im Einsatz stehen sollte, ist die Behörde mit dem Verbot über das Ziel – die Sicherung der öffentlichen Ruhe – hinausgeschossen.
Bundesgericht 1C_360/2019 vom 15.1.2020
Keine systematischen Schwachstellen in Italien
Mit dem sogenannten «Salvini-Dekret» hat Italien im Asylwesen neue Hürden aufgestellt, welche den unmittelbaren Zugang zum Asylverfahren und zu Unterstützungsleistungen erschweren. Trotzdem bleibt der Zugang zum Asylverfahren in Italien grundsätzlich gewährleistet und die Grundversorgung für die Betroffenen ist gesichert. Nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts weist das italienische Asylsystem auch unter den neuen Bestimmungen keine systematischen Schwachstellen auf, sodass Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens weiterhin grundsätzlich zulässig sind. Bei schwer erkrankten Asylsuchenden sind Dublin-Überstellungen nach Italien nur zulässig, wenn die italienischen Behörden vorgängig individuelle Garantien für eine angemessene medizinische Versorgung, Betreuung und Unterbringung abgeben. Ähnliche Einschränkungen gibt es auch bei der Überstellung von Familien.
Bundesverwaltungsgericht E-962/2019 vom 17.12.2019
Sportartspezifisches Risiko im Fussball
Die mit körperkontaktbetonten Mannschaftssportwettkämpfen zwangsläufig einhergehenden «normalen» Fouls gehören zum Grundrisiko des Fussballspiels. Nur ein nach den Umständen als grob zu beurteilendes Fehlverhalten rechtfertigt es, die Grenzen des stillschweigenden Einverständnisses des Spielers zum Verletzungsrisiko als überschritten zu betrachten und eine strafrechtliche Sanktion auszusprechen. Einzig die Schwere des Fouls, und nicht etwa die daraus resultierenden Verletzungsfolgen sind für die Beurteilung einer strafrechtlich relevanten Sorgfaltspflichtverletzung ausschlaggebend. Im konkreten Fall ist ein Fussballer vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden, der den Gegner bei einer Abwehraktion am rechten Knie getroffen und verletzt hat. «Der Vorfall ist noch zum sportartspezifischen Risiko zu zählen.»
Bundesgericht 6B_1060/2019 vom 15.1.2020
Kosovara hat Anspruch auf Familiennachzug
Art. 47 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) bestimmt, dass der Anspruch auf Familiennachzug innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht werden muss. Allerdings wird ein nachträglicher Familiennachzug bewilligt, wenn wichtige Gründe geltend gemacht werden. Diese sind im Fall eines Kosovaren gegeben, der seit über 22 Jahren in der Schweiz lebt, dessen Gesundheitszustand sich massiv verschlechtert hat und der deshalb auf Hilfe angewiesen ist. Aufgrund des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) verfügt der Mann über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht in der Schweiz. Zu prüfen ist, ob die weiteren Voraussetzungen für den Familiennachzug der Ehegattin gemäss Art. 44 – unter anderem keine Sozialhilfe, bedarfsgerechte Wohnung – erfüllt sind.
Bundesgericht 2C_668/2018 vom 28.2.2020
Wettbewerbswidrige Abrede mit Ticketcorner
Der Kooperationsvertrag zwischen der Aktiengesellschaft Hallenstadion und der Ticketcorner AG, mit dem Ticketcorner das Recht eingeräumt wurde, mindestens 50 Prozent aller Tickets für Veranstaltungen im Hallenstadion zu vertreiben, stellt eine wettbewerbswidrige Abrede dar. Das Bundesgericht wirft dem Hallenstadion, dem eine marktbeherrschende Stellung zukommt, im Ergebnis vor, ein wettbewerbswidriges Verhalten in Form eines Koppelungsgeschäfts (Art. 7 Kartellgesetz) getätigt und dadurch eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs verursacht zu haben. Der Streit geht zur Festlegung der notwendigen Verwaltungssanktionen bzw. Verwaltungsmassnahmen an die Weko zurück.
Bundesgericht 2C_113/2017 vom 12.2.2020
Freispruch für Skilehrer nach Tod von Teenager
Ein tödlicher Unfall einer 13-jährigen Skischülerin im Gebiet Adelboden im Februar 2015 bleibt für den Skilehrer ohne strafrechtliche Folgen. Das Mädchen war auf der letzten Abfahrt leicht neben der markierten Piste gefahren und kopfvoran in einen vom Schnee zugedeckten Bach gestürzt. Dabei zog sich die Skischülerin schwere Leberverletzungen zu, blieb mehrere Minuten kopfüber im tiefen und nassen Schnee und Bachwasser liegen und verstarb noch am Unfalltag an ihren schweren Verletzungen. Mit der Berner Justiz geht das Bundesgericht davon aus, dass dem Skilehrer kein Vorwurf gemacht werden kann. Es war für ihn nicht vorhersehbar, dass sich das Mädchen nicht an seine Anweisungen halten und die markierte Piste verlassen könnte. Zudem hatte ein Gutachten ergeben, dass die durch den Unfall verursachte höchstgradige Leberverletzung für den Eintritt des Tods verantwortlich war. Selbst wenn das Mädchen früher geborgen worden wäre, hätte es nicht gerettet werden können.
Bundesgericht 6B_1036/2019 vom 16.1.2020
Unzulässige Gebühr für Urteilsanonymisierung
Es besteht keine Pflicht der Gerichte, ihre gesamte Rechtsprechung (auf Papier oder im Internet) zu publizieren. Dem Grundsatz der Justizöffentlichkeit ist durch die Auflage auf der Gerichtskanzlei und die Möglichkeit, eine anonymisierte Kopie zu erhalten, Genüge getan. Dabei ist es auch zulässig, eine Gebühr zu verlangen. Allerdings darf eine Gebühr nicht prohibitiv hoch sein. Eine Gebühr von 2000 Franken für die Anonymisierung von 16 Urteilen (insgesamt 390 Seiten) übersteigt den Rahmen einer Kanzleigebühr. Im konkreten Fall hat das Bundesgericht die erhobene Gebühr für die erfolgte Urteilsanonymisierung mangels hinreichender Verankerung in einem formellen Gesetz für bundesrechtswidrig erklärt.
Bundesgericht 1C_497/2018 vom 22.1.2020