Bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung muss der Verwaltungsrat einen Zwischenabschluss zu Fortführungs- und Veräusserungswerten erstellen und diesen durch die Revisionsstelle prüfen lassen. Diese Prüfungspflicht gilt nach Gesetz auch für Gesellschaften, die keine Revisionsstelle haben, weil die Aktionäre auf die eingeschränkte Revision verzichtet haben (Opting-out). In solchen Fällen muss der Verwaltungsrat einen zugelassenen Revisor mit der Prüfung beauftragen. Allerdings ist fraglich, ob er einen Revisor findet, der bereit ist, das Prüfungsmandat zu übernehmen.
Formelles Hindernis zum Nachteil der Gläubiger
Das Gesetz sieht keine Ausnahmen von der Prüfungspflicht vor. Ob die Firma massiv überschuldet ist oder ob ihr die finanziellen Mittel fehlen, um die Revisionsgesellschaft für ihre Arbeit zu bezahlen, spielt keine Rolle.
Vom strengen Erfordernis des geprüften Zwischenabschlusses wich das Obergericht des Kantons Zürich vor sieben Jahren ab (Entscheid PS 170 006 vom 20. Februar 2017). Der einzige Verwaltungsrat eines Beratungsunternehmens zeigte die Überschuldung der Firma an. Dabei stützte er sich auf eine handschriftlich erstellte, ungeprüfte Zwischenbilanz, bei der Aktiven von rund 100'000 Franken dem Fremdkapital von fast 1,4 Millionen Franken gegenüberstanden. Das Bezirksgericht Dielsdorf ZH hatte den Konkurs eröffnet, was vom Zürcher Obergericht unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesgerichts (5A_625/2015 vom 18. Januar 2016) bestätigt wurde.
Begründung: «Der Konkursrichter kann auf das Erfordernis einer Revision der Zwischenbilanz verzichten, weil das Revisionserfordernis verhindern soll, dass die Zwischenbilanz zu optimistisch ausfällt. Hingegen soll es nicht einer Überschuldungsanzeige ein formelles Hindernis zum Nachteil der Gläubiger in den Weg stellen.» Die Vorinstanz habe auf die ungeprüfte Zwischenbilanz abstellen dürfen, weil die Überschuldung offensichtlich gewesen sei.
plädoyer wollte wissen, ob andere Gerichte gleich entscheiden wie das Zürcher Obergericht. Es befragte im Januar die erst- und zweitinstanzlichen Gerichte in allen Deutschschweizer Kantonen. Die Gerichte wurden gefragt, ob sie auf die Prüfung des Zwischenabschlusses durch eine Revisionsstelle verzichten, und wenn ja, nach welchen Kriterien sie verzichten und ob der Verzicht nur für Firmen ohne Revisionsstelle (Opting-out) oder auch für Unternehmen mit eingeschränkter oder ordentlicher Revision gilt.
Bis auf das Schaffhauser Obergericht gaben alle Gerichte Auskunft. Davon verzichten 15 auf die Prüfung der Zwischenbilanz durch eine Revisionsstelle. «In der Vergangenheit wurde der Konkurs eher zu spät als zu früh eröffnet», sagt Andreas Hefti, Präsident beim Kantonsgericht Glarus. Die Hoffnung auf Beseitigung der Überschuldung habe sich in seiner Berufspraxis seit 1996 noch nie erfüllt. «In der Regel wird der Schaden für die Gläubiger durch ein Abwarten der Zwischenbilanz grösser.»
Zwei Gerichte verlangen weiterhin einen geprüften Zwischenabschluss, etwa das Kantonsgericht Schaffhausen. Das gilt grundsätzlich auch für das Bezirksgericht Luzern und das Luzerner Kantonsgericht. «In Ausnahmefällen wurde aber auch schon auf den Prüfungsbericht verzichtet», sagt Mediensprecher Christian Renggli. 17 Gerichte, darunter fast alle zweitinstanzlichen, haben noch keine feste Praxis, weil sich die aufgeworfene Frage noch nie oder nur selten gestellt habe.
Zu den Kriterien für einen Verzicht äussern sich drei Gerichte ausführlich. «Die Überschuldung muss sich offensichtlich aus den Akten ergeben und die Gesellschaft ihre Aktivität eingestellt haben», erklärt zum Beispiel Gabriela Elgass, Präsidentin beim Nidwaldner Kantonsgericht. Zudem dürften keine Interessen von Angestellten verletzt werden und kein Rechtsmissbrauch vorliegen.»
Verzicht meist bei allen Revisionsarten
Für vier Gerichte, darunter das Kantonsgericht Zug, reicht es, wenn die Überschuldung offensichtlich ist. Andere begnügen sich mit der Überschuldung (Obergericht Uri) oder entscheiden nach Ermessen (Regionalgericht Bern-Mittelland und Bezirksgericht Zürich).
Die meisten Gerichte lassen den Verzicht auf eine Prüfung durch die Revisionsstelle bei allen Revisionsarten zu. Nur die Luzerner Richter verlangen immer einen Revisionsstellenbericht bei «grösseren Unternehmen mit einer hohen Bilanzsumme». Und das Kreisgericht St. Gallen verzichtet nur bei Firmen mit Opting-out.
Insolvenzerklärung
Als Alternative zur Deponierung der Bilanz bietet sich die Insolvenzerklärung durch den Verwaltungsrat an. Dazu braucht es einen öffentlich beurkundeten Auflösungsbeschluss der Generalversammlung und einen aktuellen Handelsregisterauszug. Zudem muss die Gesellschaft für die Kosten der Konkurseröffnung einen Barvorschuss ans Gericht leisten. Im Kanton Zürich beträgt der Vorschuss 1800 Franken, in den Kantonen Luzern und Glarus 2000 Franken.