Das Universitätsspital Zürich schätzte die Kosten für die Erstellung eines Gutachtens in einem Brief an das kantonale Handelsgericht auf «60 000 bis 70 000 Franken». Es handelte sich um einen Auftrag für eine polydisziplinäre Expertise unter Einbezug der Neurologie, Neuropsychologie, Rheumatologie und Psychiatrie.
Dieser Betrag schien der neurologischen Klinik des Unispitals aber dann doch etwas hoch: Aufgrund der Tatsache, dass der Explorand offenbar einen Grossteil der Kosten selber übernehmen müsse, würden sämtliche Experten die Kosten minimal zu halten versuchen. «Ich gehe deshalb von einem ungefähren Volumen von 48 000 Franken aus», hiess es abschliessend im Schreiben vom 8. Januar an das Handelsgericht. Strittig war die Frage der Erwerbsfähigkeit eines Verunfallten. Der Vertreter des Klägers, Rechtsanwalt Michael Ausfeld, sagt dazu: «In einem Umfeld, in dem das Prozessieren an sich schon teuer ist, haben derartige Gutachtenkosten den Effekt, dass der Zugang zum Recht zur Illusion wird.»
Auch der vom Unispital reduzierte Betrag sprengt den Rahmen des Üblichen bei weitem. Zum Vergleich: Für ein polydisziplinäres IV-Gutachten mit vier involvierten Ärzten zahlt das Bundesamt für Sozialversicherung gemäss Tarif 10 631 Franken, mit fünf Ärzten 12 290 Franken. Diese Zahlen werden von erfahrenen Sozialversicherungsanwälten bestätigt: Laut dem Zürcher Martin Hablützel kostet ein monodisziplinäres Gutachten zur Erwerbsfähigkeit im Durchschnitt rund 3000 bis 5000 Franken, ein polydisziplinäres Gutachten 9000 bis 22 000 Franken. Der Luzerner Rechtsanwalt Christian Haag kommt auf ähnliche Zahlen.
Dass diese Beträge üblich sind, versichern auch die Gutachter selbst. Jörg Jeger, Chefarzt Medas Zentralschweiz: «Bidisziplinäre Gutachten werden von der IV in der Regel als zwei Gutachten nach Tarmed Kategorie D6 abgegolten – das sind zwei Mal rund 3200 Franken. Nebenkosten wie Dolmetscher, Labor und Röntgen werden zusätzlich in Rechnung gestellt.»
Weshalb sind die Kosten für die Erstellung von Gutachten beim Universitätsspital Zürich viel höher? Spitalsprecher Claudio Jörg kann zum konkreten Fall keine Stellung nehmen. Im Allgemeinen lägen die Kosten für interdisziplinäre Gutachten jedoch klar unter 60 000 bis 70 000 Franken. Die Abschätzung der Kosten erfolge durch die involvierten Ärzte. «Wie hoch eine Schätzung ausfällt, ist abhängig vom Umfang der Akten, von der Komplexität der Sachlage und den Fragestellungen an die Gutachter.»
Spital-Gutachter erhalten einen Teil der Einnahmen
Möglicherweise ist die Schätzung auch noch von einem andern Faktor abhängig: Laut Verordnung über die kantonalen psychiatrischen Spitäler können Ärzte an den Einnahmen der Klinik aus Gutachten beteiligt werden. Dania Tremp von der Gesundheitsdirektion des Kanton Zürichs wird konkret: «Die Ärzte erhalten entweder 40 Prozent des Rechnungsbetrages direkt oder den ärztlichen Leistungsanteil nach Tarmed. Oder die entsprechenden Beträge fliessen in ein Gutachtenhonorarpoolsystem und werden von dort aus unter die Ärzte verteilt.»
2014 betrugen die Gesamtkosten der IV für Gutachten zur Erwerbsfähigkeit laut BSV-Mediensprecherin Elisabeth Hostettler 84,9 Millionen Franken. 2013 waren es noch 73,5 Millionen Franken und im Vorjahr 36,5 Millionen Franken. Die Gutachtenkosten haben sich damit in zwei Jahren mehr als verdoppelt.
Mittlerweile hat das Universitätsspital Zürich den Kostenvoranschlag an das Handelsgericht für die Erstellung des polydisziplinären Gerichtsgutachtens auf 25 000 Franken reduziert. Die Preise für die Erstellung von Gerichtsgutachten scheinen verhandelbar.