Die Zivilprozessordnung (ZPO) regelt seit Inkrafttreten Anfang 2011 das Prozessieren in allen Kantonen einheitlich. Die Höhe der Prozesskosten wird aber nach wie vor kantonal festgelegt (Art. 96 ZPO). Folge: Der Preis für die Inanspruchnahme der Justiz variiert stark. Die Kantone sind zwar bei der Festlegung der Tarife an das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip gebunden.
Nach dem Kostendeckungsprinzip dürfen die Gerichte nicht mehr oder nicht wesentlich mehr für ihre Amtshandlungen verlangen als den tatsächlichen Aufwand bzw. die effektiven Kosten. Nach dem Äquivalenzprinzip muss die zu entrichtende Gebühr in einem angemessenen Verhältnis zur Beanspruchung der staatlichen Organe stehen. Der Wert der Leistung hat sich nach objektiven Massstäben zu bestimmen. Diese Vorgaben lassen an sich eine rein streitwertabhängige Bezifferung der Kosten nicht zu, weil der Streitwert häufig wenig mit dem Aufwand des Gerichts in einem konkreten Fall zu tun hat.
Riesige Differenzen bei kantonalen Tarifen
Die Autorin hat in ihrer Arbeit die Tarifrahmen der kantonalen Gerichte für Streitwerte von 20 000, 100 000 und 1,5 Millionen Franken zusammengestellt. Die Unterschiede sind riesig. Beispiel: Die Kosten für ein Schlichtungsverfahren in einer Auseinandersetzung mit einem Streitwert von 1,5 Millionen Franken liegen im Kanton Baselland bei bis zu 500 Franken, während im Kanton Freiburg bis zu 10 000 Franken zu entrichten sind. In erstinstanzlichen Verfahren liegen die Gerichtskosten bei einem Streitwert von 20 000 Franken im vereinfachten Verfahren laut Tarifordnung zwischen 500 Franken (JU) und 500 000 Franken (FR). Bei einem Streitwert von 100 000 Franken liegen die Gerichtskosten im erstinstanzlichen Verfahren zwischen 4000 Franken im Kanton Thurgau und maximal 500 000 Franken im Kanton Freiburg (siehe Tabelle).
Kantone haben grossen Ermessensspielraum
In zweitinstanzlichen Verfahren sind die Unterschiede zwischen den Kantonen ähnlich gross. Auch sie belegen den grossen Ermessensspielraum der Gerichte. Weber hält die zum Teil hohen Gebühren für «mit dem Äquivalenzprinzip kaum vereinbar» und erachtet den grossen Ermessensspielraum in den einzelnen Tarifordnungen als problematisch – auch unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit der Kostenbelastung für die Parteien.
Zu den Verfahrenskosten kommen bei Unterliegen noch Parteientschädigungen. Dabei differieren die kantonalen Tarife weniger. Bei einem Streitwert von 20 000 Franken betragen die Parteientschädigungen in erster Instanz im vereinfachten Verfahren zwischen 2500 Franken (GL) und 8000 Franken (NW und OW). Keinen Tarifrahmen für Prozessentschädigungen haben die Kantone NE, SH und SO. Bei einem Streitwert von 100 000 Franken liegen die Tarife für die Parteientschädigungen im erstinstanzlichen Verfahren zwischen 4000 Franken (GR) und 23 700 Franken (BE).
Problematisch sind auch hohe Kostenvorschüsse, weil sie den Zugang zum Gericht für einen Teil der Bevölkerung verhindern können. Auch ihre Höhe ist sehr unterschiedlich. Bei einem Streitwert von 20 000 Franken betragen sie im Kanton Aargau durchschnittlich 2490 Franken, im Kanton Zürich 3150 Franken, in Bern 3600 Franken. Bei einem Streitwert von 50 000 Franken beläuft sich ihre Höhe im Aargau auf 4290 Franken, in Zürich auf 5550 Franken, in Bern auf 6660 Franken und in St. Gallen auf 8000 Franken. Auch bei einem Streitwert von 100 000 Franken verlangt der Aargau am wenigsten Vorschuss (7770 Franken), gefolgt von Zürich (8750 Franken), Bern (12 000 Franken) und St. Gallen (15 500 Franken).
Diese Tarife führen laut der Autorin zu einer Zweiklassengesellschaft, was zuvor auch schon Isaak Meier anlässlich einer Haftpflichtprozesstagung festgestellt hat. Vermögende Leute haben uneingeschränkten Zugang zum Gericht. Der Mittelstand werde durch die hohen Kosten und Kostenvorschüsse zwar theoretisch nicht gehindert, einen Prozess zu führen, praktisch aber «wohl abgeschreckt». Bei einem Unterliegen müssten die Parteien mit massiven finanziellen Konsequenzen rechnen, die ihre Existenz gefährden können. Die Limite zur Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ist nach Ansicht Webers zu tief. So werde von den Parteien erwartet, dass sie abgesehen von einem «Notgroschen» die gesamten Ersparnisse für den Prozess aufbrauchen und eventuell vorhandene Immobilien verkaufen oder belasten müssten.
Besser haben es mittellose Personen, die unter oder knapp über dem Existenzminimum leben. Sie haben Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und können somit auch mit Klagen mit hohen Streitwerten an die Gerichte gelangen. Allerdings weist Weber auch hier auf ein Prozesshindernis hin: Mittellose werden zwar von Gerichtskosten und der Bezahlung der eigenen Rechtsvertretung befreit, müssten aber im Fall des Unterliegens der Gegenseite eine Parteientschädigung bezahlen. Auch das könnte prohibitiv wirken.
Im europäischen Vergleich die teuerste Justiz
Die Gerichtskosten in der Schweiz sind im internationalen Vergleich hoch. Laut Weber, die sich dabei auf eine europäische Statistik stützt, hat die Schweiz pro Kopf der Bevölkerung die teuerste Justiz in Europa. Die Kosten stiegen vor allem in den letzten zehn Jahren – obwohl die allgemeine Teuerung in dieser Periode sehr gering war. Noch im Jahr 2006 beliefen sich die Gesamtkosten der Gerichte des Landes auf rund 1 Milliarde Franken, sechs Jahre später waren es bereits 1,6 Milliarden Franken. Die Personalkosten machen rund 70 Prozent aus. Richter verdienen in der Schweiz so viel wie in keinem anderen Land Europas – am Ende ihrer richterlichen Laufbahn im Durchschnitt 323 000 Franken.
Gravierendste Rechtswegbarriere ist nach Ansicht der Autorin der Kostenvorschuss. Er sei an sich schon ein Prozesshindernis. Zudem führe die Praxis zu sehr grosse Ungleichbehandlungen sowohl zwischen den Kantonen wie innerhalb der Kantone. So musste in Meilen ZH ein Pizzakurier, der sich von seiner Frau scheiden lassen wollte, einen Vorschuss von 6000 Franken leisten. Hätte sich das Paar in Winterthur scheiden lassen, hätten sie vermutlich keine Kosten vorschiessen müssen, da dieses Bezirksgericht bei familienrechtlichen Angelegenheiten in der Regel darauf verzichtet.
Die Autorin erhärtet die prohibitiven Effekte der Kostenvorschusspraxis durch statistische Zahlen. So war in Kantonen wie Zürich, in denen vor Inkrafttreten der ZPO kein Kostenvorschuss erhoben wurde, nach Einführung ein eindeutiger Rückgang bei den eingehenden Klagen zu verzeichnen, während dies in den Kantonen AG, BE und SG nicht der Fall war. Dort verlangten die Gerichte schon vor Einführung der ZPO Vorschüsse. Eine Studie im Kanton Zürich ergab einen Rückgang neuer Fälle bei den Gerichten von rund 19 Prozent.
Bundesgericht greift viel zu selten ein
Gemäss Artikel 29 der Bundesverfassung haben die Schweizer Anspruch auf eine «gleiche und gerechte Behandlung» in allen Verfahren. Daraus erfolgt der Anspruch auf Zugang zu einem Gericht. Auch nach Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jede Person ein Recht darauf, dass zivilrechtliche Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht in einem fairen Verfahren beurteilt werden.
Weber untersucht in ihrer Masterarbeit die Umsetzung dieser Rechtsweggarantie durch das Bundesgericht. Sie kritisiert, dass es erst eingreift, wenn eine Festsetzung von Kosten willkürlich ist. Nur selten erklärt das Bundesgericht Verfahrenskosten der Kantone als mit dem Äquivalenzprinzip nicht vereinbar.
Dem Missstand könnte gemäss Weber bereits unter der geltenden ZPO und den kantonalen Tarifordnungen abgeholfen werden. So sollten die Gerichte bei der Festsetzung der Gebühren das Vollkostenprinzip beachten, also die gesamten Kosten des Prozesses für eine Partei inklusive eigene Anwaltskosten und Prozessentschädigung berücksichtigen. Der finanziellen Situation des Klägers sei Rechnung zu tragen. Ausserdem sollten die Gerichte das Verfahren effizient gestalten.
Die Kostenvorschussregelung gemäss Artikel 98 ZPO sollte so angewendet werden, wie sie im Gesetz formuliert ist – nämlich als Kann-Bestimmung. Dies ermöglicht einen Verzicht auf einen Kostenvorschuss oder nach Verfahrensabschnitten abgestufte Vorschüsse.
Zudem hält es die Autorin für «dringend angezeigt», die Kostenrahmen und die -vorschüsse zu vereinheitlichen. Sie sieht dabei das Bundesgericht in einer Schlüsselrolle: Es kann über das Äquivalenzprinzip die kantonalen Kostenentscheide und die Gebührentarife auf ihre Angemessenheit überprüfen und auch eine Senkung der Kosten sowie eine Zurückhaltung bei Kostenvorschüssen veranlassen.
Konkrete Massnahmen zur Kostensenkung
Als weitere Massnahmen zur Linderung der Kostenbelastung fordert die Autorin:
Die Streichung der Verrechnung des Kostenvorschusses mit den Gerichtskosten, wie dies in Artikel 111 ZPO vorgesehen ist. Die heutige Regelung führt oft dazu, dass die klagende Partei die Kosten bezahlen muss, obwohl sie obsiegt und die Beklagte zur Übernahme der Prozesskosten verpflichtet wird. Weber: «Diese Regelung ist in einem modernen Rechtsstaat unhaltbar.»
Der Ausschluss der Parteientschädigung von der unentgeltlichen Rechtspflege sei aufzuheben (Artikel 118 ZPO). Diese Bestimmung sei rechtsstaatlich «geradezu bedenklich».
Einführung von kostenreduzierenden Verfahren bei familienrechtlichen Streitigkeiten.
Die unentgeltlichen Verfahren seien auf weitere Bereiche zu erweitern, in denen aus sozialpolitischen Überlegungen eine Kostenbelastung bei der Rechtsdurchsetzung nicht angemessen erscheint, etwa bei Konsumentenstreitigkeiten oder bei Personenschäden im Haftpflichtrecht.
Handlungsbedarf sieht sie bei der Bestimmung der Mittellosigkeit für die unentgeltliche Rechtspflege. Hier wäre es sinnvoll, sich an der Regelung der sozialversicherungsrechtlichen Ergänzungsleistungen zu orientieren.
Um die Kosten der Justiz zu senken, sind für die Autorin auch tiefere Richterlöhne denkbar, zudem die Abschaffung der Laienrichter, um die Effizienz der Gerichte zu erhöhen. Diesen Effekt könnte auch die Einführung einer offiziellen Richterausbildung mit einer Spezialisierung der Richter haben.